JudikaturVfGH

E2266/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2023

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Beschluss wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt worden. Der Beschluss wird aufgehoben.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger. Er stellte am 13. September 2021 einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 4. April 2022 wegen entschiedener Sache zurückwies. Ferner erteilte es keinen Aufenthaltstitel nach §57 Asylgesetz 2005, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig ist, und setzte eine 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise.

2. Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde mit Beschluss vom 3. August 2022 als verspätet zurück und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers als Mitarbeiterin der BBU GmbH mit den anzuwendenden Verfahrensvorschriften vertraut sein müsse und sich nicht alleine auf die Auskunft des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hätte verlassen dürfen, wonach der Bescheid "'am 27.05.2022 erneut versendet' worden sei und die Rechtsmittelfrist 'erst mit Zustellschein' beginne". Es liege sohin kein minderer Grad des Versehens vor, der eine Wiedereinsetzung rechtfertige. Vielmehr hätte der Rechtsvertreterin bewusst sein müssen, dass eine neuerliche Zustellung gemäß §6 Zustellgesetz keine Rechtswirkungen auslöse, insbesondere, weil die Behörde auch in ihrem Schreiben ausdrücklich auf die bereits erfolgte Zustellung hingewiesen habe ("erneut versendet").

3. Nachdem dem Beschwerdeführer mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 4. Oktober 2022, E2266/2022 4, Verfahrenshilfe in vollem Umfang gewährt worden war, erhob dieser eine auf Art144 B VG gestützte Beschwerde gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes, in der er die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, in eventu die Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof beantragt.

4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt.

II. Erwägungen

Die – zulässige – Beschwerde ist begründet:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 13. Dezember 2022, E3608/2021 ua, näher bezeichnete Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Errichtung der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung (BBU Errichtungsgesetz – BBU G), BGBl I 53/2019 sowie §52 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA Verfahrensgesetz – BFA VG), BGBl I 87/2012, idF BGBl I 53/2019 in Prüfung gezogen und mit Erkenntnis vom 14. Dezember 2023, G328/2022 ua, näher bezeichnete Bestimmungen des BBU G und des BFA VG betreffend unter anderem die Durchführung der Rechtsberatung und vertretung durch die BBU GmbH vor dem Bundesverwaltungsgericht als verfassungswidrig aufgehoben.

Gemäß Art140 Abs7 B VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des der angefochtenen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.

2.1. Dem in Art140 Abs7 B VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg 10.616/1985, 11.711/1988).

Die mündliche Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 19. Juni 2023. Der Verfahrenshilfeantrag des Beschwerdeführers langte am 23. August 2022 im Verfassungsgerichtshof ein. Die in der Folge – durch einen Rechtsanwalt rechtzeitig – eingebrachte Beschwerde gilt gemäß §73 Abs2 und §464 Abs3 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG als zum Zeitpunkt der Einbringung des Verfahrenshilfeantrages (VfGH 16.12.1998, B2766/1997), hier also vor Beginn der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren erhoben und damit beim Verfassungsgerichtshof anhängig. Der der Beschwerde zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.

2.2. Der Beschwerdeführer vor dem Verfassungsgerichtshof wurde im Ausgangsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht von der BBU GmbH vertreten, deren mögliches Fehlverhalten Auswirkungen auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes über seinen Wiedereinsetzungsantrag und eine Nachprüfung seines vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wegen entschiedener Sache zurückgewiesenen Antrages auf internationalen Schutz hatte. Der Beschwerdeführer wurde sohin auf Grund eines auf einer verfassungswidrigen Grundlage beruhenden Rechtsverhältnisses zur BBU GmbH vertreten. Es ist damit nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsvertretung für die Rechtsstellung des Beschwerdeführers nachteilig war. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in seinen Rechten verletzt.

3. Der Beschluss ist daher aufzuheben.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer wurde durch den angefochtenen Beschluss wegen Anwendung von verfassungswidrigen Gesetzesbestimmungen in seinen Rechten verletzt (zB VfSlg 10.404/1985).

Der Beschluss ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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