JudikaturVfGH

V9/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
28. November 2023

Spruch

I. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Imst vom 10. April 2019, Z GZ P 244/2019, kundgemacht durch Aufstellung von Straßenverkehrszeichen, war vom 18. Mai 2022 bis zum 12. Jänner 2023 gesetzwidrig.

II. Die Tiroler Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Entscheidungsgründe

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Tirol, "der Verfassungsgerichtshof möge ein Verordnungsprüfungsverfahren in Bezug auf die nicht gehörige Kundmachung der Verordnung der Stadtgemeinde Imst vom 10.04.2019, GZ P 244/2019 einleiten und feststellen, dass die Verordnung im Geltungszeitraum ab ihrer Kundmachung gesetzwidrig war".

II. Rechtslage

1. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Imst vom 10. April 2019, GZ P 244/2919, hat folgenden Wortlaut (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original:

"Verordnung

Die Stadtgemeinde Imst verordnet ein Halte- Parkverbot gem. §52 Zi. 13b StVO 1960 in der Jakob Kopp Straße mit der Zusatztafel 'Umkehrplatz' gem. §54 StVO 1960 nördlich des Objektes Jakob Kopp Straße 11, 6460 Imst laut Lageplan.

In Kraft treten:

Diese Verordnung tritt mit der Aufstellung der Verkehrszeichen in Kraft.

Der Bürgermeister

[…]"

2. Die für die Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Verordnung anzuwendenden Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO. 1960), BGBl 159/1960, lauten in der jeweils maßgeblichen Fassung wie folgt (Zitat ohne die Hervorhebungen im Original):

"§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.

(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung

a) […]

b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,

1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,

2. […]

c)–d) […].

(1a)–(11) […]

§44. Kundmachung der Verordnungen.

(1) Die im §43 bezeichneten Verordnungen sind, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft. Der Zeitpunkt der erfolgten Anbringung ist in einem Aktenvermerk (§16 AVG) festzuhalten. […]

(1a)–(5) […]

[…]

§52. Die Vorschriftszeichen

Die Vorschriftszeichen sind

a) Verbots- oder Beschränkungszeichen,

b) Gebotszeichen oder

c) Vorrangzeichen.

a) Verbots- oder Beschränkungszeichen

1.–13a. […]

13b. 'HALTEN UND PARKEN VERBOTEN'

[Zeichen]

Dieses Zeichen zeigt mit der Zusatztafel 'ANFANG' den Beginn und mit der Zusatztafel 'ENDE' das Ende eines Straßenabschnittes an, in dem das Halten und Parken verboten ist. Das Verbot bezieht sich auf die Straßenseite, auf der sich dieses Zeichen befindet.

Eine Zusatztafel mit der Aufschrift 'AUSGENOMMEN ZUSTELLDIENSTE' zeigt an, dass das rasche Auf- oder Abladen geringer Warenmengen vom Halteverbot ausgenommen ist.

Eine Zusatztafel mit der Aufschrift 'AUSGENOMMEN LADETÄTIGKEIT' zeigt eine Ladezone an.

Hinsichtlich weiterer Zusatztafeln gelten die Bestimmungen der Z13a sinngemäß.

13c.–14b. […]

b) Gebotszeichen.

15.–22a. […]

c) Vorrangzeichen

23.–25b. […]

[…]

§54. Zusatztafeln.

(1) Unter den in den §§50, 52 und 53 genannten Straßenverkehrszeichen sowie unter den in §38 genannten Lichtzeichen können auf Zusatztafeln weitere, das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen erläuternde oder wichtige, sich auf das Straßenverkehrszeichen oder Lichtzeichen beziehende, dieses erweiternde oder einschränkende oder der Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs dienliche Angaben gemacht werden.

(2)–(5) […]

[…]

§94d. Eigener Wirkungsbereich der Gemeinde

Sofern der Akt der Vollziehung nur für das Gebiet der betreffenden Gemeinde wirksam werden und sich auf Straßen, die nach den Rechtsvorschriften weder als Autobahnen, Autostraßen, Bundesstraßen oder Landesstraßen gelten noch diesen Straßen gleichzuhalten sind, beziehen soll, sind folgende Angelegenheiten von der Gemeinde im eigenen Wirkungsbereich zu besorgen:

1.–3a. […]

4. die Erlassung von Verordnungen nach §43, mit denen

a) Beschränkungen für das Halten und Parken,

b)–d) […]

erlassen werden,

4a.–20. […]."

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Imst vom 6. Oktober 2022 wurde (in Spruchpunkt 1.) über die Beschwerdeführerin im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Tirol wegen einer Übertretung des §24 Abs1 lita StVO 1960 gemäß §99 Abs3 lita StVO 1960 eine Geldstrafe in Höhe von € 36,– und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 16 Stunden verhängt. Der Beschwerdeführerin wurde zur Last gelegt, sie habe am 18. Mai 2022, um 13.35 Uhr, in 6460 Imst, Bergstraße 30, Umkehrplatz zwischen Bergstraße 30 und Jakob-Kopp-Straße 11, einen nach dem Kennzeichen näher bestimmten Lastkraftwagen im Bereich des Verbotszeichens "HALTEN UND PARKEN VERBOTEN" abgestellt.

2. Aus Anlass dieses Verfahrens stellt das Landesverwaltungsgericht Tirol den vorliegenden, auf Art139 Abs1 Z1 B VG gestützten Antrag, "der Verfassungsgerichtshof möge ein Verordnungsprüfungsverfahren in Bezug auf die nicht gehörige Kundmachung der Verordnung der Stadtgemeinde Imst vom 10.04.2019, GZ P 244/2019 einleiten und feststellen, dass die Verordnung im Geltungszeitraum ab ihrer Kundmachung gesetzwidrig war".

2.1. Das Landesverwaltungsgericht Tirol weist im Zusammenhang mit den Prozessvoraussetzungen darauf hin, dass es im Beschwerdeverfahren über die Frage zu entscheiden habe, ob die Beschwerdeführerin gegen §24 Abs1 lita StVO 1960 iVm der angefochtenen Verordnung verstoßen habe.

2.2. In der Folge werden die Bedenken gegen die angefochtene Verordnung dargelegt: Laut einem Aktenvermerk der Stadtpolizei Imst vom 11. August 2021 seien die Straßenverkehrszeichen zur Kundmachung der angefochtenen Verordnung am 18. Mai 2019 aufgestellt worden. Aus der Lichtbildbeilage zur Anzeige der Polizeiinspektion Imst vom 19. Mai 2022 ergebe sich jedoch, dass die Zusatztafel "Umkehrplatz" zum Tatzeitpunkt nicht angebracht gewesen sei. Das Fehlen dieser Zusatztafel zum Tatzeitpunkt belaste die angefochtene Verordnung mit Gesetzwidrigkeit.

3. Die verordnungserlassende Behörde hat weder Akten betreffend das Zustandekommen der zur Prüfung gestellten Verordnung vorgelegt, noch eine Äußerung erstattet.

4. Die Tiroler Landesregierung hat mitgeteilt, dass sie über keine auf die angefochtene Verordnung Bezug habenden Akten verfüge und von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.

IV. Erwägungen

1. Zur Zulässigkeit des Antrages

1.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt zu Art89 Abs1 B VG beginnend mit dem Erkenntnis VfSlg 20.182/2017 die Auffassung, dass eine "gehörig kundgemachte" generelle Norm – also eine an einen unbestimmten, externen Personenkreis adressierte, verbindliche Anordnung von Staatsorganen – bereits dann vorliegt, wenn eine solche Norm ein Mindestmaß an Publizität und somit rechtliche Existenz erlangt (VfSlg 20.182/2017 mwN). Es ist nicht notwendig, dass die Kundmachung der Norm in der rechtlich vorgesehenen Weise erfolgt. Demnach haben auch Gerichte gesetzwidrig kundgemachte Verordnungen gemäß Art139 B VG anzuwenden und diese, wenn sie Bedenken gegen ihre rechtmäßige Kundmachung haben, vor dem Verfassungsgerichtshof anzufechten. Bis zur Aufhebung durch den Verfassungsgerichtshof sind sie für jedermann verbindlich (vgl VfSlg 20.251/2018).

Die angefochtene Verordnung wurde ausweislich der vom Landesverwaltungsgericht Tirol vorgelegten Akten durch Aufstellung entsprechender Straßenverkehrszeichen kundgemacht, sodass sie mit verbindlicher Wirkung für jedermann zustande gekommen ist.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art139 Abs1 Z1 B VG bzw des Art140 Abs1 Z1 lita B VG nur dann wegen Fehlens der Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die – angefochtene – generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl etwa VfSlg 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

Im Verfahren hat sich nichts ergeben, was am Vorliegen dieser Voraussetzung zweifeln ließe. Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, erweist sich der Antrag insgesamt als zulässig.

2. In der Sache

2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den im Antrag dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).

2.2. Der Antrag ist begründet.

2.3. Gemäß §44 Abs1 StVO 1960 sind die in §43 StVO 1960 bezeichneten Verordnungen, sofern sich aus den folgenden Absätzen nichts anderes ergibt, durch Straßenverkehrszeichen oder Bodenmarkierungen kundzumachen und treten mit deren Anbringung in Kraft (vgl VfSlg 18.710/2009, 19.409/2011, 19.410/2011). §54 Abs1 StVO 1960 bestimmt, dass unter den in §52 leg cit genannten Straßenverkehrszeichen auf Zusatztafeln weitere, das Straßenverkehrszeichen erläuternde oder wichtige, sich auf das Straßenverkehrszeichen beziehende, dieses erweiternde oder einschränkende Angaben gemacht werden können.

2.4. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf ein Verordnungsbeschluss im Zuge der Kundmachung weder ergänzt noch sonst verändert werden. Jede Änderung des Inhaltes des Verordnungsbeschlusses obliegt allein der zur Willensbildung zuständigen Behörde (vgl VfSlg 13.910/1994 mwN). Eine Verordnung ist gesetzwidrig, wenn die vom Verordnungsgeber beschlossene normative Festlegung nicht mit dem kundgemachten Text übereinstimmt (VfSlg 15.192/1998, 19.980/2015).

2.4.1. Die verordnungserlassende Behörde hat keine auf die angefochtene Verordnung Bezug habenden Akten vorgelegt. Aus den vom Landesverwaltungsgericht Tirol vorgelegten Akten ergibt sich jedoch, dass die Kundmachung der angefochtenen Verordnung zum Tatzeitpunkt nicht mit der vom Verordnungsgeber beschlossenen Festlegung übereinstimmte:

Mit Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Imst vom 10. April 2019, GZ P 244/2019, wurde in der Jakob Kopp Straße, nördlich des Objektes Jakob Kopp Straße 11, ein Halte- und Parkverbot gemäß §52 Z13b StVO 1960 mit der Zusatztafel gemäß §54 StVO 1960 "Umkehrplatz" verordnet. Aus den vom Landesverwaltungsgericht Tirol vorgelegten Akten ergibt sich zwar, dass diese Verordnung zunächst am 18. Mai 2019 durch die Aufstellung entsprechender Straßenverkehrszeichen kundgemacht wurde (Aktenvermerk der Stadtpolizei Imst vom 11. August 2021). Aus der ebenfalls in den Akten befindlichen Lichtbildbeilage zu der Anzeige der Polizeiinspektion Imst vom 19. Mai 2022 ist jedoch ersichtlich, dass die Zusatztafel "Umkehrplatz" zum Tatzeitpunkt nicht (mehr) angebracht war. In den vorgelegten Unterlagen findet sich zudem ein E Mail der Stadtpolizei Imst vom 12. Jänner 2023, in welchem mitgeteilt wird, dass die Zusatztafel offenbar gewaltsam entfernt worden sei und dass "der verordnete Zustand" nun wiederhergestellt worden sei. Der Verfassungsgerichtshof geht angesichts dieser Aktenlage davon aus, dass die Kundmachung der angefochtenen Verordnung zum Tatzeitpunkt nicht mit der vom Verordnungsgeber beschlossenen Festlegung übereinstimmte.

2.4.2. Im Hinblick auf die Mitteilung der Stadtpolizei Imst im Beschwerdeverfahren, wonach die Zusatztafel am 12. Jänner 2023 wieder angebracht worden sei, hat der Verfassungsgerichtshof festzustellen, dass die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Imst vom 10. April 2019, GZ P 244/2019, bis zum 12. Jänner 2023 gesetzwidrig war (Art139 Abs4 B VG).

V. Ergebnis

1. Die Verordnung des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Imst vom 10. April 2019, GZ P 244/2019, kundgemacht durch Aufstellung von Straßenverkehrszeichen, war vom 18. Mai 2022 bis zum 12. Jänner 2023 gesetzwidrig.

2. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung der Feststellung der Gesetzwidrigkeit erfließt aus Art139 Abs5 zweiter Satz B VG und §59 Abs2 iVm §61 VfGG sowie §2 Abs1 litj Tir Landes Verlautbarungsgesetz 2013.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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