JudikaturVfGH

E214/2023 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
13. Juni 2023

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.877,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige der Ukraine und reisten aus der Schweiz kommend am 6. März 2022 in das Bundesgebiet ein. Am 21. März 2022 ließen sich die Beschwerdeführer zur Ausstellung eines Ausweises für Vertriebene in Österreich registrieren. Dabei gaben sie vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) an, am 27. Jänner 2022 in die Schweiz eingereist zu sein, wo die Schwägerin der Zweitbeschwerdeführerin wohnhaft sei, damit die Zweitbeschwerdeführerin dort nach einer Operation Rehabilitationsmaßnahmen in Anspruch nehmen könne. Es sei geplant gewesen, Ende Februar in die Ukraine zurückzufliegen. Aufgrund des bewaffneten Konfliktes hätten die Beschwerdeführer am 26. Februar 2022 beschlossen, nicht in die Ukraine zurückzukehren, sondern nach Österreich einzureisen und sich bei der in Wien lebenden Tochter der beiden Beschwerdeführer aufzuhalten.

2. Mit den Bescheiden vom 17. August 2022 stellte das BFA fest, dass die Beschwerdeführer nach §62 Abs1 AsylG 2005 iVm der Verordnung der Bundesregierung über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht für aus der Ukraine Vertriebene, BGBl II 92/2022, kein vorläufiges Aufenthaltsrecht für Vertriebene hätten.

3. Das Bundesverwaltungsgericht wies die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden mit Erkenntnis vom 1. Dezember 2022 ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass die Beschwerdeführer sich am 24. Februar 2022 weder in der Ukraine befunden hätten noch zu diesem Zeitpunkt aus der Ukraine vertrieben worden seien, auch seien sie am 24. Februar 2022 weder in Österreich aufhältig noch im Besitz eines Aufenthaltstitels oder Visums im Bundesgebiet gewesen. Damit der Tatbestand der Vertriebenen-Verordnung erfüllt werde, müsse eine Vertreibung aus der Ukraine erfolgt sein. Die Beschwerdeführer hätten durch das Verlassen der Ukraine zwar nicht ihren Wohnsitz aufgegeben, eine Vertreibung wäre aber nur möglich gewesen, wenn sie sich am 24. Februar 2022 faktisch in der Ukraine befunden hätten. Die Beschwerdeführer würden weder einer der in §1 Vertriebenen-Verordnung genannten Personengruppen angehören noch zu den in §3 angeführten Personen zählen, welche bereits vor dem 24. Februar 2022 im Bundesgebiet aufhältig gewesen seien. Aus diesem Grund sei es daher der Behörde verwehrt gewesen, einen Schutz nach der Vertriebenen-Verordnung zu gewähren.

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, sowie im Recht auf ein faires Verfahren und im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Für den Fall der Ablehnung oder Abweisung der Beschwerde wird der Antrag gestellt, die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof abzutreten.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.

II. Rechtslage

1. §62 Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 – AsylG 2005), BGBl I 100/2005, idF BGBl I 70/2015 lautet auszugsweise:

"Aufenthaltsrecht für Vertriebene

§62. (1) Für Zeiten eines bewaffneten Konfliktes oder sonstiger die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände kann die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates mit Verordnung davon

unmittelbar betroffenen Gruppen von Fremden, die anderweitig keinen Schutz finden (Vertriebene), ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewähren. Bis zum Inkrafttreten dieser Verordnung ist der Aufenthalt von Vertriebenen im Bundesgebiet geduldet. Dies ist dem Fremden durch die Behörde zu bestätigen.

(2) In der Verordnung gemäß Abs1 sind Einreise und Dauer des Aufenthaltes der Fremden unter Berücksichtigung der Umstände des besonderen Falles zu regeln.

(3) Wird infolge der längeren Dauer der in Abs1 genannten Umstände eine dauernde Integration erforderlich, kann in der Verordnung festgelegt werden, dass bestimmte Gruppen der Aufenthaltsberechtigten einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels wirksam im Inland stellen können und dass ihnen der Aufenthaltstitel trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes erteilt werden kann.

(4) Die Behörde hat das durch die Verordnung eingeräumte Aufenthaltsrecht durch Ausstellung eines Ausweises für Vertriebene von Amts wegen zu bestätigen. Der Ausweis ist als 'Ausweis für Vertriebene' zu bezeichnen, kann verlängert werden und genügt zur Erfüllung der Passpflicht. Der Bundesminister für Inneres legt

durch Verordnung die Form und den Inhalt des Ausweises sowie der Bestätigung

gemäß Abs1 fest."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung der Bundesregierung über ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht für aus der Ukraine Vertriebene (Vertriebenen-Verordnung – VertriebenenVO), BGBl II 92/2022, lauten auszugsweise:

"§1. Folgende Personengruppen haben nach ihrer Einreise ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet:

1. Staatsangehörige der Ukraine mit Wohnsitz in der Ukraine, die aus dieser aufgrund des bewaffneten Konfliktes ab dem 24. Februar 2022 vertrieben wurden,

2. sonstige Drittstaatsangehörige oder Staatenlose mit einem vor dem 24. Februar 2022 gewährten internationalen Schutzstatus oder vergleichbaren nationalen Schutzstatus jeweils gemäß ukrainischem Recht, die aus der Ukraine aufgrund des bewaffneten Konfliktes ab dem 24. Februar 2022 vertrieben wurden und

3. Familienangehörige gemäß §2,

sofern nicht Ausschlussgründe im Sinne des Art28 Abs1 der Richtlinie 2001/55/EG über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, ABl. L 212 vom 7.8.2001 S. 12, vorliegen.

§2. Als Familienangehörige gelten

1. Ehegatten und eingetragene Partner der in §1 Z1 und 2 angeführten Personen

2. minderjährige ledige Kinder der in §1 Z1 und 2 angeführten Personen, von deren Ehegatten oder eingetragenen Partnern sowie

3. sonstige enge Verwandte der in §1 Z1 und 2 angeführten Personen, die mit diesen vor der Vertreibung in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben und vollständig oder größtenteils von diesen abhängig waren,

sofern diese vor dem 24. Februar 2022 bereits als Familienangehörige einer in §1 Z1 oder 2 angeführten Person in der Ukraine aufhältig waren.

§3. (1) Staatsangehörige der Ukraine, die am 24. Februar 2022 über einen gültigen

Aufenthaltstitel nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 234/2021, oder gemäß §§55 bis 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl I Nr 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 234/2021, verfügt haben, der mangels Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen nicht verlängert oder entzogen wurde und die aufgrund des bewaffneten Konfliktes nicht in die Ukraine zurückkehren können, haben nach Ablauf der Gültigkeitsdauer dieses Aufenthaltstitels ebenfalls ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet, sofern nicht Ausschlussgründe im Sinne des Art28 Abs1 der Richtlinie 2001/55/EG vorliegen.

(2) Staatsangehörige der Ukraine, die am 24. Februar 2022 rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig waren und die aufgrund des bewaffneten Konfliktes nicht in die Ukraine oder in den Staat ihres Wohnsitzes zurückkehren können, haben nach Ablauf ihres visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthaltes ebenfalls ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet, sofern nicht Ausschlussgründe im Sinne des Art28 Abs1 der Richtlinie 2001/55/EG vorliegen.

§4. (1) Das vorübergehende Aufenthaltsrecht besteht bis 3. März 2023. Wird dieses nicht gemäß Art6 Abs1 litb der Richtlinie 2001/55/EG beendet, verlängert

es sich automatisch um jeweils sechs Monate, längstens jedoch um ein Jahr.

(2) Ergeht ein Beschluss des Rates gemäß Art6 Abs1 litb oder Abs2 der Richtlinie 2001/55/EG, endet das Aufenthaltsrecht zu dem im Beschluss genannten Zeitpunkt.

(3) Das Aufenthaltsrecht gemäß §§1 oder 3 erlischt, wenn der Betreffende das Bundesgebiet nicht bloß kurzfristig verlässt."

3. Die Artikel 1 bis 3 des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes, ABl. 2022 L 71, 1, lauten:

"Artikel 1

Gegenstand

Hiermit wird das Bestehen eines Massenzustroms von Vertriebenen in die Union

festgestellt, die infolge eines bewaffneten Konflikts die Ukraine verlassen mussten.

Artikel 2

Personen, für die der vorübergehende Schutz gilt

(1) Dieser Beschluss gilt für die folgenden Gruppen von Personen, die am oder nach dem 24. Februar 2022 infolge der militärischen Invasion der russischen Streitkräfte, die an diesem Tag begann, aus der Ukraine vertrieben wurden:

a) ukrainische Staatsangehörige, die vor dem 24. Februar 2022 ihren Aufenthalt in

der Ukraine hatten,

b) Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine, die vor

dem 24. Februar 2022 in der Ukraine internationalen Schutz oder einen gleichwertigen nationalen Schutz genossen haben, und

c) Familienangehörige der unter den Buchstaben a und b genannten Personen.

(2) Die Mitgliedstaaten wenden entweder diesen Beschluss oder einen angemessenen Schutz nach ihrem nationalen Recht auf Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine an, die nachweisen können, dass sie sich vor dem 24. Februar 2022 auf der Grundlage eines nach ukrainischem Recht erteilten gültigen unbefristeten Aufenthaltstitels rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten haben, und die nicht in der Lage sind, sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder

ihre Herkunftsregion zurückzukehren.

(3) Nach Artikel 7 der Richtlinie 2001/55/EG können die Mitgliedstaaten diesen Beschluss auch auf andere Personen, insbesondere Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer als der Ukraine anwenden, die sich rechtmäßig in der Ukraine aufhielten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können.

(4) Für die Zwecke des Absatzes 1 Buchstabe c gelten folgende Personen als Teil einer Familie, sofern die Familie bereits vor dem 24. Februar 2022 in der Ukraine anwesend und aufhältig war:

a) der Ehegatte einer in Absatz 1 Buchstabe a oder b genannten Person oder ihr nicht verheirateter Partner, der mit dieser Person in einer dauerhaften Beziehung lebt, sofern nicht verheiratete Paare nach den nationalen ausländerrechtlichen Rechtsvorschriften oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats verheirateten Paaren gleichgestellt sind;

b) die minderjährigen ledigen Kinder einer in Absatz 1 Buchstabe a oder b genannten Person oder ihres Ehepartners, gleichgültig, ob es sich um ehelich oder außerehelich geborene oder adoptierte Kinder handelt;

c) andere enge Verwandte, die zum Zeitpunkt der den Massenzustrom von Vertriebenen auslösenden Umstände innerhalb des Familienverbands lebten und vollständig oder größtenteils von einer in Absatz 1 Buchstabe a oder b genannten Person abhängig waren.

Artikel 3

Zusammenarbeit und Überwachung

(1) Für die Zwecke des Artikels 27 der Richtlinie 2001/55/EG nutzen die Mitgliedstaaten das EU Vorsorge- und Krisenmanagementnetz für Migration gemäß der Empfehlung (EU) 2020/1366. Die Mitgliedstaaten sollten auch durch den Austausch relevanter Informationen im Rahmen der Integrierten Regelung für die politische Reaktion auf Krisen (IPCR) zu einem gemeinsamen Lagebewusstsein der Union beitragen.

(2) Die Kommission koordiniert die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, insbesondere in Bezug auf die Überwachung

der Aufnahmekapazitäten in jedem Mitgliedstaat und die Ermittlung eines etwaigen Bedarfs an zusätzlicher Unterstützung.

Zu diesem Zweck beobachtet und überprüft die Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten, der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex), der Asylagentur der Europäischen Union (EUAA) und der Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol) ständig die Lage unter Nutzung des EU Vorsorge- und Krisenmanagementnetzes für Migration.

Darüber hinaus leisten Frontex, die EUAA und Europol den Mitgliedstaaten, die um ihre Hilfe bei der Bewältigung der Situation ersuchen, operative Unterstützung, auch im Hinblick auf die Anwendung dieses Beschlusses."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen.

2.1. Gemäß §62 Abs1 AsylG 2005 kann die Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates für Zeiten eines bewaffneten Konfliktes durch Verordnung Personen ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewähren, die zu einer unmittelbar von einem solchen Konflikt betroffenen Gruppe von Fremden gehören, die anderweitig keinen Schutz finden. Auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung zur Umsetzung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2022/382 des Rates zur Feststellung des Bestehens eines Massenzustroms von Vertriebenen aus der Ukraine im Sinne des Artikels 5 der Richtlinie 2001/55/EG und zur Einführung eines vorübergehenden Schutzes, ABl. 2022 L 71, 1, die Vertriebenen-Verordnung erlassen. Mit dem Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 wird das Bestehen eines Massenzustroms von Vertriebenen iSd Art5 der Richtlinie 2001/55/EG über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten (im Folgenden: MassenzustromRL), ABl. 2001 L 212, 12, festgestellt.

In Ausübung des den Mitgliedstaaten überlassenen Spielraums (vgl Erwägungsgrund 14 des Durchführungsbeschlusses [EU] 2022/382 und Art7 MassenzustromRL) legt die Vertriebenen-Verordnung den Personenkreis, dem ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht gewährt wird, weiter als der Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 fest. Nach Art2 Abs1 lita Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 haben die Mitgliedstaaten insbesondere ukrainischen Staatsangehörigen ein Aufenthaltsrecht zu gewähren, die vor dem 24. Februar 2022 "ihren Aufenthalt" in der Ukraine hatten und die am oder nach dem 24. Februar 2022 aus der Ukraine vertrieben wurden. Gemäß §1 Z1 Vertriebenen-Verordnung haben Staatsangehörige der Ukraine "mit Wohnsitz" in der Ukraine ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet, wenn sie auf Grund des bewaffneten Konflikts ab dem 24. Februar 2022 vertrieben wurden.

2.2. Unter Wohnsitz ist jener Ort zu verstehen, an dem eine Person sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht niedergelassen hat, dort einen Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen zu schaffen (vgl Art6 Abs3 B VG; VfSlg 1394/1931, 1994/1950, 2935/1955, 9598/1982, 20.104/2016, 20.419/2020). Daher erfasst §1 Z1 Vertriebenen-Verordnung auch Staatsangehörige der Ukraine, welche die Ukraine nicht lange vor dem 24. Februar 2022 verlassen haben, weil diese am 24. Februar 2022 nach wie vor einen Wohnsitz in der Ukraine hatten und durch den Ausbruch des bewaffneten Konflikts aus der Ukraine vertrieben wurden (VfGH 15.3.2023, E3249/2022).

2.3. Die Vertriebenen-Verordnung stellt sohin nicht darauf ab, ob eine Person im Einzelfall Schutz in einem anderen Staat bzw einem Drittstaat finden könnte, sondern auf den Wohnsitz. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bestehen eines Wohnsitzes der Beschwerdeführer in der Ukraine festgestellt.

Das Bundesverwaltungsgericht legt §1 Z1 Vertriebenen-Verordnung jedoch dahingehend aus, dass nur jene Staatsangehörigen der Ukraine ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet hätten, die am oder nach dem 24. Februar 2022 "faktisch" in der Ukraine anwesend waren und erst an oder nach diesem Stichtag die Ukraine verlassen haben. Damit verkennt das Bundesverwaltungsgericht die Rechtslage in einem entscheidenden Punkt. §1 Z1 Vertriebenen-Verordnung gewährt Staatsangehörigen der Ukraine mit Wohnsitz in der Ukraine, die auf Grund des bewaffneten Konflikts vertrieben wurden, die also nicht an ihrem Wohnsitz bleiben können bzw die nicht an diesen Wohnsitz zurückkehren können, Schutz in Form eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet. Ob eine Person am oder nach dem 24. Februar 2022 in der Ukraine anwesend war, ist für die Frage, ob eine Person im Sinne der Vertriebenen-Verordnung aus der Ukraine vertrieben wurde, nicht entscheidend. Personen wie die Beschwerdeführer, welche die Ukraine nicht lange vor dem 24. Februar 2022 (hier: am 27. Jänner 2022) verlassen haben, sind von §1 Z1 Vertriebenen-Verordnung erfasst, weil sie am 24. Februar 2022 einen Wohnsitz in der Ukraine hatten und durch den Ausbruch des bewaffneten Konflikts aus der Ukraine vertrieben wurden (vgl VfGH 15.3.2023, E3249/2022; 15.3.2023, E3434/2022, und 15.3.2023, E238/2023).

2.4. Da das Bundesverwaltungsgericht für die Beurteilung der Frage der Anwendung des Tatbestandes des §1 Z1 Vertriebenen-Verordnung entscheidend darauf abgestellt hat, dass die Beschwerdeführer am oder nach dem 24. Februar 2022 in der Ukraine nicht "faktisch anwesend" waren, sondern die Ukraine vor dem 24. Februar 2022 verlassen haben, hat es die Rechtslage in einem wesentlichen Punkt gröblich verkannt und sein Erkenntnis mit Willkür belastet.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 218,– und Umsatzsteuer in der Höhe von € 479,60 enthalten.

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