JudikaturVfGH

E3128/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
14. Juni 2022

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und stammt aus der Provinz Helmand. Er stellte am 21. Jänner 2012 nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 13. August 2012 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab, erteilte dem Beschwerdeführer jedoch gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten und gewährte eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß §8 Abs4 AsylG 2005 bis zum 13. August 2013. Begründend führte die Behörde dazu aus, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen Minderjährigen ohne Kontakt zu seiner Familie und soziales Netz handle. Im Hinblick auf die prekäre Situation von Kindern in Afghanistan insgesamt sei zu befürchten, der Beschwerdeführer könne im Falle einer Rückkehr einer unmenschlichen Behandlung unterworfen werden oder in eine ausweglose Lage geraten. Ihm sei daher subsidiärer Schutz zuzuerkennen.

3. Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde auf Antrag des Beschwerdeführers mit Bescheiden vom 2. August 2013, 16. Juli 2014 und 23. August 2016 jeweils – zuletzt bis 17. August 2018 – verlängert.

4. Mit Bescheid vom 1. Februar 2019 wurde dem Beschwerdeführer der mit Bescheid des BFA vom 13. August 2012 zuerkannte Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß §9 Abs1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Zudem wurde ihm die mit Bescheid des BFA vom 23. August 2016 erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter gemäß §9 Abs4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs3 FPG wurde gemäß §9 Abs2 und 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und ihm gemäß §58 Abs2 und 3 iVm §55 AsylG 2005 eine Aufenthaltsberechtigung plus gemäß §55 Abs1 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt IV.). Der Antrag des Beschwerdeführers vom 2. Juli 2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß §8 Abs4 AsylG 2005 wurde abgewiesen (Spruchpunkt V.).

5. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Mit der angefochtenen Entscheidung vom 12. Juli 2021, dem Beschwerdeführer am selben Tag zugestellt, wies dieses die Beschwerde gemäß §9 Abs1 Z1 AslyG 2005 ab, wobei es zur Rückkehrmöglichkeit nach Afghanistan ua ausführte, dass eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz Helmand, wo sich Verwandte des Beschwerdeführers aufhielten, auf Grund der volatilen Sicherheitslage nicht zumutbar wäre, jedoch in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat innerstaatliche Flucht- bzw Schutzalternativen zur Verfügung stünden. Diese beiden Städte seien von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug auf Grund der vorhandenen internationalen Flughäfen zu erreichen. Es wäre ihm dort ohne Gefahr möglich, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen zu können, bzw ohne in eine ausweglose oder existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Dem Beschwerdeführer würde bei seiner Rückkehr in eine dieser Städte kein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen. Der volljährige Beschwerdeführer sei gesund, mobil und anpassungsfähig, befinde sich im erwerbsfähigen Alter und sei arbeitswillig. "Das BFA hat zu Recht erkannt, dass der BF somit aufgrund von wesentlichen und nachhaltigen persönlichen Veränderungen als auch aufgrund der aktuellen Lage in Afghanistan nunmehr keines subsidiären Schutzes in Österreich mehr bedarf."

Hinsichtlich der Sicherheitslage führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass sich seit den Länderfeststellungen im Bescheid des BFA vom 1. Februar 2019 nichts Wesentliches geändert habe. "Es wird festgestellt, dass die in der Beschwerde vorgelegten Berichte sowie das aktuell vorliegende Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 16.12.2020 und die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender (30.08.2018) zu keinen verfahrensrelevanten Neuigkeiten geführt haben."

6. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses in vollem Umfang beantragt wird.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat mitgeteilt, dass die Verwaltungs- und Gerichtsakten bereits dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt wurden.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde entspricht in allen entscheidungswesentlichen Belangen der dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. September 2021, E3047/2021, zugrunde liegenden Beschwerde, die sich gegen eine im Wesentlichen gleichlautende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wendet.

Der Verfassungsgerichtshof kann sich daher darauf beschränken, insbesondere auf die Rz 19 ff der Entscheidungsgründe seines zu E3047/2021 am 24. September 2021 gefällten Erkenntnisses hinzuweisen. Daraus ergibt sich auch für den vorliegenden Fall, dass das Bundesverwaltungsgericht im Zeitpunkt seiner Entscheidung jedenfalls das aktuellste, die damals jüngsten Entwicklungen – auf Grund derer der Verfassungsgerichtshof davon ausgeht, dass sich spätestens mit 12. Juni 2021 eine wesentliche Veränderung der Sachlage abgezeichnet hat – berücksichtigende Berichtsmaterial zur Sicherheitslage in Afghanistan heranziehen und würdigen hätte müssen. Da dies im vorliegenden Fall nicht geschehen ist, belastete das Bundesverwaltungsgericht die angefochtene Entscheidung mit Willkür.

2. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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