JudikaturVfGH

E67/2019 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
11. Juni 2019

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.877,60 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer, zwei Staatsangehörige von Syrien, stellten jeweils am 15. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diese Anträge wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) vom 26. April 2016 bzw 27. April 2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des bzw der Asylberechtigten abgewiesen, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des bzw der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihnen aber stattgegeben. Diese Bescheide erwuchsen unbekämpft in Rechtskraft.

2. Am 5. Dezember 2017 beantragten die Beschwerdeführer die Ausstellung jeweils eines Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte gemäß §88 Abs2a des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 – FPG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 68/2013. Die Beschwerdeführer wurden vom BFA mit Verbesserungsauftrag vom 20. Dezember 2017 dazu aufgefordert, binnen vier Wochen eine Bestätigung der syrischen Botschaft vorzulegen, dass kein heimisches Reisedokument erlangt werden könne. Mit Stellungnahme vom 3. Mai 2018 brachten die Beschwerdeführer zusammengefasst vor, dass sie Angst hätten, sich an die syrische Botschaft zu wenden, da sie Verfolgung durch den syrischen Staat befürchten würden. Sie seien 2015 vor dem Regime geflüchtet und könnten sich nicht an die Vertretung dieses Staates wenden.

3. Mit Bescheiden des BFA vom jeweils 16. Juli 2018 wurden die Anträge der Beschwerdeführer abgewiesen. Die gegen diese Bescheide erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20. November 2018 mit Erkenntnis vom 23. November 2018 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass die Beschwerdeführer nicht versucht hätten, sich in der syrischen Botschaft in Österreich einen Reisepass ausstellen zu lassen. Sie seien mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in der Lage, einen syrischen Reisepass zu erlangen. Die bloß subjektive Angst, einen Reisepass in der syrischen Botschaft in Österreich zu beantragen, reiche für die objektive Unmöglichkeit nicht aus.

4. Gegen diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird unter anderem ausgeführt, dass es den Beschwerdeführern aus Sicherheitsgründen nicht möglich gewesen sei, sich an die syrische Botschaft zu wenden. Die syrischen Behörden könnten den Beschwerdeführern vorwerfen, auf Grund ihrer Asylantragstellung und des erlangten Schutzes in Österreich eine regimekritische bzw oppositionelle Gesinnung zu besitzen. Es sei zu befürchten, dass deswegen auch in Syrien verbliebene Familienangehörige verfolgt würden.

5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichts- und die Verwaltungsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II. Rechtslage

§88 Abs2a FPG lautet wörtlich:

"Fremdenpässe sind Fremden, denen in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt und die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen, auf Antrag auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen."

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Die Beschwerdeführer haben in ihrer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht unter anderem vorgebracht, dass es ihnen nicht möglich sei, sich an die syrische Botschaft in Österreich zu wenden, um ein Reisedokument zu erlangen. Sie befürchteten, dass im Fall einer solchen Kontaktaufnahme Informationen durch Botschaftsmitglieder an andere Personen in Syrien weitergegeben werden könnten. Es hätten Ermittlungen hinsichtlich der Folgen einer illegalen Ausreise bzw Flucht aus Syrien getätigt werden müssen. Es hätte auch ermittelt werden müssen, ob durch eine allfällige Datenweitergabe durch die syrische Botschaft eine Verfolgung der in Syrien verbliebenen Familienangehörigen drohe.

3.2. Aus der dem verwaltungsgerichtlichen Akt beiliegenden Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23. November 2017 zur "Ausstellung eines syrischen Reisepasses an der syrischen Botschaft in Wien" geht hervor, dass ein syrischer Staatsbürger mit einem Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses den syrischen Staat vom eigenen Aufenthalt in Österreich in Kenntnis bringen würde, was "unterschiedliche Konsequenzen nach sich ziehen kann und somit nicht für jeden in Österreich aufhältigen Syrer eine Option darstellt". Hierbei könnten zahlreiche Faktoren eine Rolle spielen.

3.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat zu der Frage, ob es für die Beschwerdeführer bzw ihre in Syrien verbliebenen Familienangehörigen ein Sicherheitsrisiko darstellen würde, wenn die syrische Botschaft von ihrem Aufenthalt in Österreich Kenntnis erlangte, keine Feststellungen getroffen. Lediglich im Rahmen der rechtlichen Beurteilung weist das Bundesverwaltungsgericht auf die Rechtskraft der Bescheide des BFA hin, mit denen der Antrag der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des bzw der Asylberechtigten abgewiesen wurde, woraus sich ergebe, dass diesen keine Verfolgung drohe. Auch das Argument, dass Familienangehörigen in Syrien Verfolgung drohen könnte, sei nicht nachvollziehbar, da die Beschwerdeführer in Österreich nicht oppositionell-politisch tätig geworden seien.

3.4. Das Bundesverwaltungsgericht hat es daher unterlassen, Feststellungen zu einem zentralen Parteivorbringen, nämlich den von den Beschwerdeführern befürchteten negativen Auswirkungen einer Antragstellung in der syrischen Botschaft in Österreich, zu treffen, was bereits für sich genommen zu einer Aufhebung des Erkenntnisses führen würde (vgl etwa VfGH 24.2.2017, E1846/2016; 13.12.2017, E2497/2016 ua). Zudem geht das Bundesverwaltungsgericht nicht auf die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 23. November 2017 (vgl 3.2.) ein, wonach es nicht jedem Syrer zumutbar sei, die Ausstellung eines Reisedokumentes in der syrischen Botschaft in Wien zu beantragen. Vor dem Hintergrund dieses Akteninhaltes und dem damit korrespondierenden Beschwerdevorbringen hätte das Bundesverwaltungsgericht aber jedenfalls Ermittlungen durchführen und Feststellungen darüber treffen müssen, für welche Personen oder Personengruppen eine Antragstellung in der syrischen Botschaft in Österreich unzumutbar ist und ob eine solche Unzumutbarkeit auch hinsichtlich der beiden Beschwerdeführer anzunehmen ist.

3.5. Die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes im Rahmen der rechtlichen Beurteilung beruhen auf keinen diesbezüglichen Feststellungen und stellen daher lediglich Mutmaßungen (dazu etwa VfGH 6.6.2014, U2102/2013; 27.2.2018, E2016/2017) dar. Aus diesen Gründen hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit Willkür belastet.

IV. Ergebnis

1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch einen Rechtsanwalt vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 218,–, zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 479,60 enthalten. Dem Antrag des Verwaltungsgerichtes auf Zuerkennung von Kosten als Ersatz des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes ist schon deshalb nicht zu entsprechen, weil dies im VfGG nicht vorgesehen ist (VfSlg 19.957/2015; vgl §27 erster Satz VfGG).

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