JudikaturVfGH

E1077/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
13. Dezember 2023

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 19. Mai 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA) vom 23. September 2021 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.), hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde ihm stattgegeben. Die gegen Spruchpunkt I. erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. Juni 2022 als unbegründet abgewiesen.

2. Am 6. Dezember 2021 beantragte der Beschwerdeführer die Ausstellung eines Fremdenpasses für subsidiär Schutzberechtigte gemäß §88 Abs2a FPG.

3. Mit Bescheid des BFA vom 29. Juli 2022 wurde der Antrag abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Entscheidung vom 24. Februar 2023 als unbegründet ab. Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, dass der Beschwerdeführer nicht versucht habe, sich in der syrischen Botschaft in Österreich einen Reisepass ausstellen zu lassen.

4. Gegen diese Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird. Begründend wird unter anderem ausgeführt, dass es dem Beschwerdeführer aus Sicherheitsgründen nicht möglich gewesen sei, sich an die syrische Botschaft zu wenden. Er solle in Syrien zum Wehrdienst einberufen werden. Durch die Antragstellung würde der syrische Staat von seinem Aufenthaltsort erfahren. Er fürchte, dass seine in Syrien lebenden Verwandten festgenommen und befragt würden, warum sie bei den bisherigen Befragungen seinen Aufenthaltsort nicht bekanntgegeben hätten. Es sei zu befürchten, dass einer seiner Verwandten in Syrien so lange festgehalten werde, bis er sich selbst stelle. Überdies sei keine Ermittlungstätigkeit zur vorgebrachten und mit Fotos dokumentierten Teilnahme an Demonstrationen in Österreich durchgeführt worden.

5. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Gerichtsakten vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.

II. Rechtslage

§88 des Bundesgesetzes über die Ausübung der Fremdenpolizei, die Ausstellung von Dokumenten für Fremde und die Erteilung von Einreisetitel (Fremdenpolizeigesetz 2005 − FPG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 68/2013, lautet − auszugsweise und ohne die Hervorhebungen im Original − wie folgt:

"Ausstellung von Fremdenpässen

§88. (1)−(2) […]

(2a) Fremdenpässe sind Fremden, denen in Österreich der Status des subsidiär Schutzberechtigten zukommt und die nicht in der Lage sind, sich ein gültiges Reisedokument ihres Heimatstaates zu beschaffen, auf Antrag auszustellen, es sei denn, dass zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen.

(3)−(4) […]"

III. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Der Beschwerdeführer hat in seiner Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht sowie in der mündlichen Verhandlung unter anderem vorgebracht, dass es ihm nicht möglich sei, sich an die syrische Botschaft in Österreich zu wenden, um ein Reisedokument zu erlangen. Er befürchte, dass er dadurch in Syrien Angehörige gefährde. Seine Flucht vor dem syrischen Regime werde als Ausdruck oppositioneller politischer Gesinnung bewertet. Das Regime suche ihn, weil er in Syrien an Demonstrationen teilgenommen habe und er zum Wehrdienst eingezogen werden solle. Weiters hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich vorgebracht, exilpolitisch tätig gewesen zu sein. Er habe an Demonstrationen in der Türkei und in Österreich teilgenommen und besitze Fotos, welche die Teilnahme an Demonstrationen in Österreich belegen würden.

3.2. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit der Frage, ob es für den Beschwerdeführer bzw seine in Syrien verbliebenen Familienangehörigen ein Sicherheitsrisiko darstellen würde, wenn die syrische Botschaft von seinem Aufenthalt in Österreich Kenntnis erlangte, nicht näher auseinandergesetzt. Das Bundesverwaltungsgericht hat lediglich festgestellt, dass der Beschwerdeführer bzw seine Familienangehörigen in Syrien auf Grund der illegalen Ausreise des Beschwerdeführers bzw seiner Asylantragstellung in Österreich gegenwärtig nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgungshandlungen erheblicher Intensität seitens der syrischen Behörden betroffen seien. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung verweist das Bundesverwaltungsgericht auf die Rechtskraft der Entscheidung, mit der der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten abgewiesen wurde, sowie − ohne diesbezüglich auf das Vorbringen des Beschwerdeführers einzugehen − darauf, dass dieser weiterhin nicht politisch tätig sei und ihm keine Aktivitäten zuzuschreiben seien, die eine oppositionelle Gesinnung indizieren würden. Es würden überdies jegliche Anhaltspunkte dafür fehlen, dass die syrische Vertretungsbehörde in Österreich den Beschwerdeführer als oppositionell ansehen würde und dadurch seine Familienangehörigen in Syrien ins Visier der syrischen Behörden geraten würden.

3.3. Das Bundesverwaltungsgericht hat es daher unterlassen, Feststellungen zu zentralen Punkten des Parteivorbringens, nämlich insbesondere zu den vom Beschwerdeführer befürchteten negativen Auswirkungen einer Antragstellung in der syrischen Botschaft in Österreich zu treffen, was das angefochtene Erkenntnis bereits für sich genommen mit Willkür belastet (vgl etwa VfGH 24.2.2017, E1846/2016; 13.12.2017, E2497/2016 ua).

3.4. Das Bundesverwaltungsgericht hat es weiters unterlassen, sich im angefochtenen Erkenntnis mit einschlägigen Herkunftslandinformationen auseinanderzusetzen und deren Aussagen nachvollziehbar auf den Fall des Beschwerdeführers zu übertragen (vgl etwa VfGH 29.6.2023, E3450/2022). Vor dem Hintergrund des Akteninhaltes und des Vorbringens in der mündlichen Verhandlung, wonach die Beantragung eines Reisepasses die Angehörigen des Beschwerdeführers in Syrien gefährden würde, hätte das Bundesverwaltungsgericht aber jedenfalls Ermittlungen durchführen und Feststellungen darüber treffen müssen, für welche Personen oder Personengruppen eine Antragstellung in der syrischen Botschaft unzumutbar ist und ob eine solche Unzumutbarkeit auch hinsichtlich des Beschwerdeführers anzunehmen ist (vgl VfGH 11.6.2019, E67/2019 ua). Auch aus diesem Grund ist das angefochtene Erkenntnis mit Willkür belastet.

IV. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

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