E4632/2018 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Das Land Salzburg ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Mit Bescheid vom 22. Februar 2018 verpflichtete die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung die Beschwerdeführerin gemäß §17 Abs2 Z3 Salzburger Behindertengesetz 1981 für die Tages- und Wohnbetreuung in einer näher bezeichneten Tages- und Wohnheimstätte für Menschen mit einer geistigen und mehrfachen Behinderung zur Leistung eines einmaligen Kostenbeitrages in der Höhe von € 3.117,63. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Landesverwaltungsgericht Salzburg mit Erkenntnis vom 3. Oktober 2018 als unbegründet ab und führte begründend unter anderem aus, das im ASVG normierte Verbot des Pflegeregresses gemäß §330a ASVG betreffe lediglich Sozialhilfe im Rahmen des ASVG, nicht jedoch Hilfestellungen nach dem Salzburger Behindertengesetz 1981.
2. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und Unversehrtheit des Eigentums, sowie in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet wird. Ferner regt die Beschwerdeführerin eine Gesetzesprüfung des §17 Abs2 Z3 Salzburger Behindertengesetz 1981 an und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses.
Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, die Verpflichtung zur Entrichtung eines Kostenbeitrages gemäß §17 Abs2 Z3 Salzburger Behindertengesetz 1981 verstoße gegen die Verfassungsbestimmung des §330a ASVG (Verbot des Pflegeregresses). Die Behindertenhilfe sei als "besondere Form der Sozialhilfe" anzusehen. Darüber hinaus verstoße §17 Abs2 Z3 Salzburger Behindertengesetz 1981 gegen das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, BGBl III 155/2008. Die Vorschreibung eines Kostenbeitrages für Personen, welche nach dem Salzburger Behindertengesetz 1981 in einem Pflegeheim untergebracht seien, stelle im Vergleich zu Personen, welche nach dem ASVG in einem Pflegeheim untergebracht seien und für welche daher das Verbot des Pflegeregresses gemäß §330a ASVG gelte, eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung dar, weshalb das Landesverwaltungsgericht Salzburg §17 Abs2 Z3 Salzburger Behindertengesetz 1981 einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt habe.
3. Die Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung hat die Verwaltungsakten vorgelegt.
4. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg hat die Gerichtsakten vorgelegt und von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II. Rechtslage
1. §17 des Gesetzes vom 21. Oktober 1981 über die Hilfe an Menschen mit Behinderungen im Land Salzburg (Salzburger Behindertengesetz 1981), LGBl 93/1981 idF LGBl 64/2016, lautet samt Überschrift wie folgt:
"Kostenbeiträge
§17
(1) Menschen mit Behinderungen sowie die für sie gesetzlich unterhaltspflichtigen Personen haben zu den Kosten der Eingliederungshilfe mit Ausnahme der Hilfe durch geschützte Arbeit entsprechend ihrer finanziellen Leistungskraft im Rahmen ihrer gesetzlichen Unterhaltspflicht beizutragen. Als gesetzlich unterhaltspflichtige Personen im Sinne dieses Gesetzes haben nur der Ehegatte oder eingetragene Partner (frühere Ehegatte bzw eingetragene Partner) sowie die im ersten Grad Verwandten des Menschen mit Behinderungen zu gelten. Erreichte das Ausmaß des Kostenbeitrages die Gesamtkosten der Hilfeleistung, kommt eine solche nicht in Betracht. Von einem Kostenbeitrag kann insoweit abgesehen werden, als dadurch der Erfolg der Hilfeleistung gefährdet oder ihrer Zielsetzung widersprochen würde.
(2) Menschen mit Behinderungen haben zu den Kosten der ihnen gewährten Eingliederungshilfe beizutragen:
1. aus ihrem Einkommen;
2. aus einem allfälligen Bezug von pflegebezogenen Geldleistungen, soweit diese nicht gesetzlich auf den Träger der Behindertenhilfe übergehen oder als Taschengeld gebühren. Die Landesregierung hat durch Verordnung festzulegen, in welcher Höhe der Beitrag unter Zugrundelegung des zeitlichen Ausmaßes der Inanspruchnahme der Maßnahme zu leisten ist; und
3. aus ihrem verwertbaren Vermögen bei der Hilfe zur sozialen Betreuung.
Die Verbindlichkeit zum Ersatz der Kosten dieser Hilfe geht gleich einer anderen Schuld auf den Nachlass des Menschen mit Behinderungen über. Erben haften dabei jedoch stets nur bis zur Höhe des Wertes des Nachlasses. Sie können gegenüber Ersatzforderungen nicht einwenden, dass der Mensch mit Behinderungen zu Lebzeiten den Ersatz hätte verweigern können. Handelt es sich bei den Erben um die Eltern, Kinder oder Ehegatten oder eingetragene Partner des Menschen mit Behinderungen, ist darauf Bedacht zu nehmen, dass durch den Kostenersatz ihre Existenz nicht gefährdet wird.
(3) Bei Hilfe zur sozialen Betreuung (§10a) entfällt der Kostenersatz:
a) für Kinder gegenüber Eltern,
b) für Eltern gegenüber volljährigen Kindern.
(4) Die gemäß Abs1 beitragspflichtigen Personen sind zu einem nachträglichen Kostenbeitrag nur verpflichtet, wenn nachträglich bekannt wird, daß sie zur Zeit der Durchführung der Hilfeleistung zu Beitragsleistungen hätten herangezogen werden können.
(5) Für diese Kostenbeiträge und den Ersatz der Kosten der Eingliederungshilfe durch Dritte gelten, soweit nicht anderes bestimmt ist, die Bestimmungen des 9. Abschnittes des Sozialhilfegesetzes."
2. Die §§330a und 707a des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl 189/1955 idF des Sozialversicherungs-Zuordnungsgesetzes (SV-ZG), BGBl I 125/2017, lauten samt Überschrift wie folgt:
"ABSCHNITT IIa
Verbot des Pflegeregresses
§330a. (Verfassungsbestimmung) Ein Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten ist unzulässig.
Weitere Schlussbestimmungen zu Art1 des Bundesgesetzes BGBl I Nr 125/2017
§707a. (1) Die §§330b samt Überschrift und 669 Abs3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 125/2017 treten mit 1. Jänner 2018 in Kraft.
(2) (Verfassungsbestimmung) §330a samt Überschrift in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl I Nr 125/2017 tritt mit 1. Jänner 2018 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt dürfen Ersatzansprüche nicht mehr geltend gemacht werden, laufende Verfahren sind einzustellen. Insoweit Landesgesetze dem entgegenstehen, treten die betreffenden Bestimmungen zu diesem Zeitpunkt außer Kraft. Nähere Bestimmungen über den Übergang zur neuen Rechtslage können bundesgesetzlich getroffen werden. Die Durchführungsverordnungen zu einem auf Grund dieser Bestimmung ergehenden Bundesgesetz sind vom Bund zu erlassen."
III. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn die angefochtene Entscheidung auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn das Verwaltungsgericht der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat.
1.2. Ein willkürliches Verhalten kann dem Verwaltungsgericht unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn die angefochtene Entscheidung wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg 10.065/1984, 14.776/1997, 16.273/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Landesverwaltungsgericht Salzburg unterlaufen:
2.1. §330a ASVG, idF BGBl I 125/2017, verbietet im Verfassungsrang den "Zugriff auf das Vermögen von in stationären Pflegeeinrichtungen aufgenommenen Personen, deren Angehörigen, Erben/Erbinnen und Geschenknehmer/inne/n im Rahmen der Sozialhilfe zur Abdeckung der Pflegekosten". Dieses "Verbot des Pflegeregresses" trat gemäß §707a Abs2 ASVG mit 1. Jänner 2018 in Kraft.
2.2. Das Landesverwaltungsgericht Salzburg geht davon aus, dass §17 Abs2 Z3 Salzburger Behindertengesetz 1981 von dieser Außerkraftsetzung nicht erfasst worden sei, weil sich §330a iVm §707a Abs2 ASVG lediglich auf den Bereich der "Sozialhilfe", nicht jedoch auch auf den Bereich der Behindertenhilfe beziehe. Damit ist das Landesverwaltungsgericht Salzburg nicht im Recht:
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12. März 2019, G276/2018, mit näherer Begründung dargelegt, dass Maßnahmen der "Hilfe zur sozialen Betreuung" iSv §10a Salzburger Behindertengesetz 1981, auf die sich §17 Abs2 Z3 leg.cit. allein bezogen hat, vom Pflegebegriff des §330a ASVG erfasst sind, weshalb ein diesbezüglicher Zugriff auf das Vermögen der gepflegten Person (ihrer Angehörigen, Erben und Geschenknehmer) durch §330a ASVG ausgeschlossen ist.
2.3. Die §§330a iVm 707a Abs2 ASVG haben daher §17 Abs2 Z3 Salzburger Behindertengesetz 1981 mit Wirkung vom 1. Jänner 2018 außer Kraft gesetzt. Indem das Landesverwaltungsgericht Salzburg dies verkannt und mit §17 Abs2 Z3 Salzburger Behindertengesetz 1981 eine nicht mehr dem Rechtsbestand angehörende Bestimmung tragend angewendet hat, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Willkür belastet.
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.