E17/2017 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.
II. Das mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Februar 2017, E17/2017-6, abgeschlossene Verfahren über den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird wiederaufgenommen.
III. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Februar 2017, E17/2017-6, wird aufgehoben.
IV. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.
Begründung
I. Sachverhalt und Vorbringen
1. Der Einschreiter brachte mit Schriftsatz vom 29. Dezember 2016, eingelangt beim Verfassungsgerichtshof am 4. Jänner 2017, einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe gegen das oben bezeichnete Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. November 2016 ein.
2. Mit Verfügung vom 11. Jänner 2017 forderte der Verfassungsgerichtshof den Einschreiter auf, innerhalb von zwei Wochen das Erkenntnis, dessen Anfechtung beabsichtigt ist, in Form einer Ausfertigung, Abschrift oder Kopie anzuschließen. Dieser Verbesserungsauftrag wurde am 13. Jänner 2017 hinterlegt und ist am 31. Jänner 2017 mit dem Vermerk "nicht behoben" an den Verfassungsgerichtshof rückgesandt worden.
3. Da die zweiwöchige Verbesserungsfrist ungenützt verstrich, wurde der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Februar 2017 wegen Nichterfüllung des Verbesserungsauftrages zurückgewiesen.
4. Mit Eingabe vom 24. Februar 2017 stellt der Einschreiter einen "Antrag auf Wiedereinsetzung" gegen die Versäumung der zweiwöchigen Verbesserungsfrist und legt unter einem das Erkenntnis, dessen Anfechtung beabsichtigt ist, in Form einer Kopie sowie ein durch den Einschreiter eigenhändig ausgefülltes und unterfertigtes Vermögensbekenntnis vor.
Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages führt der Einschreiter im Wesentlichen aus, dass die Österreichische Post AG dem Erfordernis gemäß §17 Abs2 Zustellgesetz, den Empfänger von der Hinterlegung eines Schriftstückes schriftlich zu verständigen, nicht nachgekommen sei, da sich weder im Briefkasten des Einschreiters noch an seiner Eingangstüre eine entsprechende Verständigung gefunden habe. Der Einschreiter bewohne an seiner Meldeadresse eine Wohnung in einem Zwei-Parteienhaus, wobei es lediglich einen Postkasten gebe, der von beiden Parteien benützt werde. Der Einschreiter sei sich durch die lange Verfahrensdauer der notwendigen Sorgfalt im Umgang mit (amtlicher) Post sehr bewusst. Er überprüfe mehrmals am Tag den Postkasten und habe mit dem Mitbenützer des Postkastens, der über das offene Asylverfahren des Einschreiters informiert sei, die Abmachung getroffen, dass sie ausschließlich die eigenen Briefe aus dem Postkasten entnehmen und die für die jeweils andere Partei im Postkasten lassen, um keinerlei Raum für Fehlerquellen oder Versehen zu eröffnen. Bisher habe diese Absprache auf beiden Seiten ohne Probleme funktioniert. Basierend auf dem etablierten System sei auszuschließen, dass die Verständigung über den Zustellversuch des behördlichen Dokuments im Jänner 2017 versehentlich durch den Mitbenützer des Postkastens entnommen worden sei. Die postalische Erreichbarkeit des Einschreiters sowie seine vorbildliche Sorgfalt im Umgang mit seiner Post werde durch den bisherigen Umgang des Einschreiters mit Schriftstücken während seines – nunmehr sechsjährigen – Asylverfahrens unterstrichen, in welchem bisher keine einzige behördliche Frist ungenützt verstrichen sei und er alle Ladungen wahrgenommen habe.
5. Der Verfassungsgerichtshof richtete ein Ersuchen an die Postfiliale 2700 Wiener Neustadt, ehest zweckdienliche Angaben zum konkreten Zustellvorgang mitzuteilen sowie allenfalls vorhandene Duplikate, Notizen etc. betreffend die (erfolgte) Verständigung über die Hinterlegung vorzulegen.
Bis zum heutigen Beschlussdatum ist keine Rückmeldung der Österreichischen Post AG beim Verfassungsgerichtshof eingelangt.
II. Erwägungen
1. Zum Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzw. Wiederaufnahme des Verfahrens
1.1. Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen (zB VfSlg 11.041/1986, 12.306/1990, 14.695/1996, 18.050/2007, 19.152/2010), dass die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes – insbesondere auch seine Beschlüsse – endgültig sind, sofern es sich nicht um Fälle der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Wiederaufnahme des Verfahrens handelt. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Wiederaufnahme des Verfahrens in seinen §§33 und 34 nicht selbst regelt, hat der Verfassungsgerichtshof die entsprechenden Bestimmungen der ZPO (§§146 und 530 ff.) sinngemäß anzuwenden.
1.2. Ein Wiedereinsetzungsgrund ist nach §146 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG dann gegeben, wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis (am rechtzeitigen Erscheinen bei einer Tagsatzung oder) an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Ein Verschulden der Partei an der Versäumung hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt (vgl. VfSlg 11.267/1987). Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist daher nur zulässig, wenn eine Frist für die Vornahme einer Prozesshandlung tatsächlich versäumt wurde (vgl. VfSlg 11.244/1987; VfGH 5.6.2014, U2460/2013 ua.).
1.2.1. In Anbetracht des substantiierten und glaubhaften Vorbringens des Einschreiters sind beim Verfassungsgerichtshof berechtigte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zustellvorganges entstanden. Es ist davon auszugehen, dass entgegen §17 Abs2 Zustellgesetz keine Verständigung über die Hinterlegung des Verbesserungsauftrages in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung des Einschreiters eingelegt oder an der Abgabestelle zurückgelassen wurde. Aus diesem Grund hat die Hinterlegung des Verbesserungsauftrages keine Rechtswirkungen entfaltet (vgl. VwGH 30.6.1994, 91/06/0056 mwN; 26.5.1997, 96/17/0063; 20.6.2012, 2009/03/0124) und die vom Verfassungsgerichtshof gesetzte Verbesserungsfrist – mangels rechtswirksamer Zustellung – niemals zu laufen begonnen.
1.2.2. Damit lag aber jedenfalls kein Fall der Versäumung einer Frist vor, weshalb die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gegeben waren und der darauf gerichtete Antrag abzuweisen war (vgl. zB VfSlg 18.050/2007; VfGH 1.4.2014, U190/2014 ua.; 5.6.2014, U2460/2013 ua.).
1.3. Der Verfassungsgerichtshof deutet das Schreiben des Einschreiters vom 24. Februar 2017 zu seinen Gunsten (entsprechend dem zwar nicht ausdrücklich formulierten, der Sache nach aber erkennbaren Anliegen) auch als Antrag auf Wiederaufnahme wegen neu hervorgekommener, zum Zeitpunkt des Beschlusses vom 8. Februar 2017 dem Verfassungsgerichtshof nicht bekannter Tatsachen (nämlich der Tatsache, dass keine Verständigung über die Hinterlegung und damit keine rechtswirksame Zustellung des Verbesserungsauftrages erfolgt ist) (vgl. VfSlg 18.050/2007, 19.138/2010; VfGH 5.6.2014, U2460/2013 ua.; 24.11.2016, E2696/2016).
1.4. Die Bewilligung der Wiederaufnahme eines abgeschlossenen Verfahrens wegen Vorliegens des – hier allein in Frage kommenden – Wiederaufnahmegrundes gemäß §530 Abs1 Z7 ZPO (iVm §35 Abs1 VfGG) setzt voraus, dass "die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde". Die Wiederaufnahme findet weiters nur statt, "wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, [...] die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluß der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen" (§530 Abs2 ZPO).
1.4.1. Ausgehend von der Annahme der wirksamen Zustellung des Verbesserungsauftrages erfolgte die Zurückweisung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen Nichterfüllung des Verbesserungsauftrages, welche – objektiv gesehen – jedoch nicht vorlag (s. Pkt. II.1.2.1.).
1.4.2. Die Kenntnis von der unwirksamen Zustellung wäre geeignet gewesen, die Zurückweisung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zu verhindern. Es hätte dadurch eine günstigere Entscheidung ergehen können (vgl. VfSlg 18.050/2007, 19.152/2010; VfGH 24.11.2016, E2696/2016).
1.4.3. Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 8. Februar 2017 war daher unter sinngemäßer Anwendung des §530 Abs1 Z7 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG aufzuheben (vgl. VfSlg 19.152/2010; VfGH 24.11.2016, E2696/2016).
2. Zum Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe
2.1. Unter Bedachtnahme auf die dem Verfassungsgerichtshof zur Verfügung stehenden Unterlagen besteht kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass die Entscheidung auf einer rechtswidrigen generellen Norm beruht oder dass bei der Gesetzeshandhabung ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen wäre; es ergeben sich vielmehr ausschließlich Fragen der richtigen Rechtsanwendung, die jedoch nicht in den Zuständigkeitsbereich des Verfassungsgerichtshofes fallen. Eine Rechtsverfolgung durch Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erscheint somit als offenbar aussichtslos, zumal bei der gegebenen Lage sogar die Ablehnung der Beschwerdebehandlung zu gewärtigen wäre.
2.2. Der Antrag ist sohin mangels der Voraussetzungen des §63 Abs1 ZPO (§35 Abs1 VfGG) abzuweisen.
3. Diese Beschlüsse konnten gemäß §§33 und 34 jeweils zweiter Satz VfGG bzw. §72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.