JudikaturVfGH

V42/2016 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
23. Februar 2017

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antrag

Gestützt auf Art139 Abs1 Z3 B VG begehren die Antragsteller,

"die Verordnung des Gemeindevorstandes der Gemeinde Mittelberg vom 05.01.2016, Zahl mi616.2.5-1/2012, nämlich dass 'die Gemeinde als Grundeigentümer des öffentlichen Gutes GST-NR 3834, KG 91012 Mittelberg die Genossenschaftsstraße Rohrweg zwischen dem Haus Rohrweg 24 (Bergfelder) und dem Haus Rohrweg 28 im Winter bzw. bei geschlossener Schneedecke für Kraftfahrzeuge (ausgenommen genehmigte Schneegeländefahrzeuge) sperren und dies durch eine entsprechende Beschilderung beim Haus Rohrweg 24 kundmachen' wird, tatsächlich kundgemacht durch das Aufstellen eines Sperrschrankens mit Fahrverbots-Straßenverkehrszeichen in Höhe Rohrweg 24 mit einem Fahrverbotsschild §52 StVO mit dem Aufdruck 'Durchfahrt verboten, Gemeinde Mittelberg, der Bürgermeister' samt Sperrzaun beim Haus Rohrweg 24 am 06.01.2016, abgeändert auf einem Zettel mit 'Durchgang für Fußgänger frei' am 26.02.16, sowie durch die Übermittlung einer 'Ankündigung der Beschilderung der Wintersperre Rohrweg 24 – 28' mit Schreiben vom 05.01.2016, zur Gänze"

als gesetzwidrig aufzuheben. In eventu wird beantragt, festzustellen, dass die genannte "Verordnung" gesetzwidrig war.

II. Rechtslage

1. Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 6. Juli 1960, mit dem Vorschriften über die Straßenpolizei erlassen werden (Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO 1960), BGBl 159 idF BGBl I 39/2013, lauten:

"§1. Geltungsbereich.

(1) Dieses Bundesgesetz gilt für Straßen mit öffentlichem Verkehr. Als solche gelten Straßen, die von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden können.

(2) Für Straßen ohne öffentlichen Verkehr gilt dieses Bundesgesetz insoweit, als andere Rechtsvorschriften oder die Straßenerhalter nichts anderes bestimmen. Die Befugnisse der Behörden und Organe der Straßenaufsicht erstrecken sich auf diese Straßen nicht.

[…]

§43. Verkehrsverbote, Verkehrserleichterungen und Hinweise.

(1) Die Behörde hat für bestimmte Straßen oder Straßenstrecken oder für Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes durch Verordnung,

a) […]

b) wenn und insoweit es die Sicherheit, Leichtigkeit oder Flüssigkeit des sich bewegenden oder die Ordnung des ruhenden Verkehrs, die Lage, Widmung, Pflege, Reinigung oder Beschaffenheit der Straße, die Lage, Widmung oder Beschaffenheit eines an der Straße gelegenen Gebäudes oder Gebietes oder wenn und insoweit es die Sicherheit eines Gebäudes oder Gebietes und/oder der Personen, die sich dort aufhalten, erfordert,

1. dauernde oder vorübergehende Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote, insbesondere die Erklärung von Straßen zu Einbahnstraßen, Maß-, Gewichts- oder Geschwindigkeitsbeschränkungen, Halte- oder Parkverbote und dergleichen, zu erlassen,

2. den Straßenbenützern ein bestimmtes Verhalten vorzuschreiben, insbesondere bestimmte Gruppen von der Benützung einer Straße oder eines Straßenteiles auszuschließen oder sie auf besonders bezeichnete Straßenteile zu verweisen;

c) – d) […]

(1a) […]

(2) Zur Fernhaltung von Gefahren oder Belästigungen, insbesondere durch Lärm, Geruch oder Schadstoffe, hat die Behörde, wenn und insoweit es zum Schutz der Bevölkerung oder der Umwelt oder aus anderen wichtigen Gründen erforderlich ist, durch Verordnung

a) für bestimmte Gebiete, Straßen oder Straßenstrecken für alle oder für bestimmte Fahrzeugarten oder für Fahrzeuge mit bestimmten Ladungen dauernde oder zeitweise Verkehrsbeschränkungen oder Verkehrsverbote zu erlassen,

b) – c) […]

(2a) – (11) […]"

III. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Die Antragsteller sind je zur Hälfte Eigentümer der Liegenschaft mit der Grundstücksadresse Rohrweg 26. Die Zufahrt zu dieser Liegenschaft erfolge über den Rohrweg, der sich auf dem Grundstück GST-NR 3834, KG 91012 Mittelberg, befinde. Mit Bescheid vom 30. Juni 1981 sei die Straßengenossenschaft "Rohrweg" genehmigt worden und auf Grund des Gemeindevorstandsbeschlusses vom 20. November 1981 sei gemäß §43 Abs1 litb Z1 StVO 1960 für den Rohrweg ein Fahrverbot für alle Kraftfahrzeuge, Anlieger ausgenommen, sowie eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h, angeordnet worden. Dieses Fahrverbot sei durch die entsprechenden Verkehrszeichen ordnungsgemäß kundgemacht worden.

1.1. Mit Schreiben der Gemeinde Mittelberg vom 5. Jänner 2016 sei den Antragstellern die "Ankündigung der Beschilderung der Wintersperre Rohrweg 24 bis 28" mitgeteilt worden. Hiebei sei festgehalten worden, dass die Gemeinde als Grundeigentümerin des öffentlichen Gutes (GST-NR 3834, KG 91012 Mittelberg) die Genossenschaftsstraße Rohrweg zwischen dem Haus Rohrweg 24 (Bergfelder) und dem Haus Rohrweg 28 im Winter bzw. bei geschlossener Schneedecke für Kraftfahrzeuge (ausgenommen genehmigte Schneegeländefahrzeuge) sperren und dies durch eine entsprechende Beschilderung beim Haus Rohrweg 24 kundmachen werde. Auf Grund der aktuellen Schneelage sei überdies festgehalten worden, dass die Absperrung erstmals am 6. Jänner 2016 gegen 8.00 Uhr erfolge.

1.2. Am 6. Jänner 2016 sei dann tatsächlich ein Fahrverbotsschild gemäß §52 lita StVO 1960 mit dem Aufdruck "Durchfahrt verboten, Gemeinde Mittelberg, der Bürgermeister" sowie ein Sperrzaun in Höhe Haus Rohrweg 24 angebracht worden. Ab diesem Zeitpunkt sei keine Zufahrt zur Liegenschaft der Antragsteller mehr möglich gewesen, weder durch die Antragsteller selbst noch durch Einsatzkräfte.

1.3. Am 26. Februar 2016 sei – unter Beibehaltung des Sperrzaunes – das Fahrverbotsschild entfernt und stattdessen bloß ein Zettel mit der Aufschrift "Durchgang für Fußgänger frei" angebracht worden.

1.4. Die belangte Behörde habe damit für die Allgemeinheit ein Verbot ausgesprochen, die Genossenschaftsstraße mit Kraftfahrzeugen, ausgenommen genehmigten Schneegeländefahrzeugen, zu nutzen, und dies sei ein hoheitlicher Akt. Durch die Aufstellung des Absperrzauns mit dem Fahrverbostschild sei ein Mindestmaß an Publizität erreicht und faktisch ein Zufahren ab dem Haus Rohrweg 24 unmöglich gemacht. Es liege daher eine Verordnung im Sinne des Art139 B VG vor.

1.5. Es liege ein aktueller und unmittelbarer Eingriff in subjektive Rechte der Antragsteller vor, weil durch die bestehenden Baubewilligungen (Bescheid vom 28. September 1973 und 14. Juni 1993) ein Wohnhaus mit Zufahrt über den Rohrweg rechtskräftigt bewilligt und nunmehr faktisch die Zufahrt gesperrt worden sei. Alle benötigten Lebensmittel und auch Heizöl etc. müssten ohne Kraftfahrzeug zum Wohnhaus der Antragsteller gebracht werden. Es bestehe auch im Notfall für Einsatzfahrzeuge keine Zufahrt. Die Bekämpfung der Verordnung sei auch über eine Ausnahmeregelung gemäß §45 StVO nicht zumutbar, weil die belangte Behörde die Anwendbarkeit der StVO auf der Genossenschaftsstraße leugne. Das Fahrverbot sei auch nach wie vor in Kraft, obwohl die Absperrschranken mit Tafel im April 2016 zwar entfernt wurden, aber bereits bei geschlossener Schneedecke, die unter Umständen auch in den Sommermonaten vorkommen kann, wieder aufgestellt werden könnten.

1.6. Die Verordnung sei zum Zweck einer Sperre im Winter bzw. bei geschlossener Schneedecke bloß zum Zweck erlassen, um das rechtswidrige Nichtentfernen von Dachlawinen auf dem Haus Rohrweg 24 zu rechtfertigen. Das Fahrverbot sei im Sinn des §43 StVO 1960 nicht erforderlich und es sei kein umfassendes Ermittlungsverfahren durchgeführt worden, auf dessen Grundlage eine Interessenabwägung durchzuführen gewesen wäre. Es sei auch keine Ausnahme vom Verbot der Ausübung von Wintersport gemäß §87 StVO 1960 erlassen und kundgemacht worden. Es liege auch eine unzulässige Eigentumsbeschränkung vor, und das Fahrverbot verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz. Schließlich sei das Fahrverbot nicht gehörig kundgemacht und von einer unzuständigen Behörde, nämlich nicht durch den Bürgermeister, erlassen worden.

2. Die Vorarlberger Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie die Zurückweisung des Antrages beantragt. Bei dem im Aufhebungsantrag als Verordnung bezeichneten und durch das Datum und die Geschäftszahl eindeutig bestimmten Schriftstück handle es sich lediglich um eine Besprechungsnotiz. Es handle sich dabei bloß um eine Absichtserklärung, die keinerlei normativen Charakter habe. Bei der Absperrung und dem Fahrverbotsschild handle es sich bloß um die Beschilderung der bestehenden rechtlichen Situation und habe lediglich deklarativen Charakter. Im Übrigen bestünde für die Antragsteller ein zumutbarer Umweg, weil gemäß §45 StVO StVO die Möglichkeit bestehe, eine Ausnahmebewilligung zu beantragen.

3. Die Gemeinde Mittelberg erstattete ebenfalls eine Äußerung, in der sie beantragt, den Antrag als unzulässig zurückzuweisen, in eventu abzuweisen. Der Rohrweg sei bis zum Jahr 2001 ab dem Haus Rohrweg 20 und bis heute ab dem Haus Rohrweg 24 bei entsprechender Schneelage nicht passierbar. In der Gemeindevorstandsitzung vom 25. November 2015 sei das Fahrverbot für Kraftfahrzeuge während der Wintermonate bzw. bei entsprechender Schneelage auf dem Rohrweg ab dem Haus Rohrweg 24 empfohlen worden, jedoch gelangte die Gemeinde zur Erkenntnis, dass eine solche Verordnung gar nicht notwendig sei, zumal in den Wintermonaten bzw. bei entsprechender Schneelage ohnehin kein Straßenverkehr durch Kraftfahrzeuge stattfinde und auch keine Rechte, jenen Straßenabschnitt mit Kraftfahrzeugen in den Wintermonaten bzw. bei entsprechender Schneelage zu befahren, vorliegen. Beim Schreiben der Gemeinde Mittelberg vom 5. Jänner 2016 handle es sich lediglich um eine Besprechungsnotiz und um die Zusammenfassung von Ansichten und Beobachtungen sowie das Festhalten von Absichtserklärungen. Die Gemeinde habe mit diesem Schreiben als Trägerin von Privatrechten lediglich ihr Eigentumsrecht schützen wollen. Die Beschilderung habe deklarativen und keinen normativen Charakter, und bei Verstößen sei das Rechtsinstitut der Besitzstörung zu ergreifen. Im Übrigen sei die Beschilderung zwischenzeitlich entfernt worden und sei im Zeitpunkt der Antragstellung nicht in Kraft gestanden. Schließlich bestünde die Möglichkeit, eine Ausnahmebewilligung gemäß §45 StVO 1960 zu erlangen und somit ein zumutbarer Umweg. Es liege zudem auch keine Rechtsverletzung vor, weil in der Satzung der Genossenschaftsstraße Rohrweg berücksichtigt worden sei, dass nach dem Haus Rohrweg 20 bei Schneelage keine Zufahrt bestehe. Die Ausweitung der Schneeräumung auf dem Rohrweg bis zum Haus Rohrweg 24 habe daran nichts geändert. Die Gemeinde Mittelberg habe durch die Aufstellung des Fahrverbotsschildes und des Sperrzaunes lediglich als Alleineigentümerin der Liegenschaft (GST-NR 3834, KG 91012 Mittelberg) als Trägerin von Privatrechten das Ende der öffentlichen Straße Rohrweg für die Wintersaison ersichtlich gemacht.

4. Die Antragsteller erstatteten eine Gegenäußerung woraufhin auch die Gemeinde Mittelberg ebenfalls eine Gegenäußerung erstattete und auch die Antragsteller sowie die Gemeinde Mittelberg erneut replizierten.

IV. Erwägungen

1. Die Antragsteller behaupten der Sache nach, dass die von ihnen vorgelegten Unterlagen, die Besprechungsnotiz vom 5. Jänner 2016, zZmi616.2.5-1/2012-55, bzw. das Schreiben des Bürgermeisters vom 5. Jänner 2016, zZmi616.2.5-1/2012-59, eine Verordnung iSd Art139 B VG darstelle.

2. Gemäß Art139 Abs1 Z3 B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, wenn die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kommt es für die Qualifikation einer behördlichen Enuntitation als Verordnung im Sinne des Art139 B VG u.a. auf ihre rechtsgestaltende Außenwirkung an: Die Enuntiation muss die Rechtssphäre eines unbestimmten Adressatenkreises gestalten (vgl. zB die Erkenntnisse VfSlg 11.467/1987, 13.632/1993, 17.244/2004, 17.806/2006, 18.495/2008) und ein solches Maß an Publizität aufweisen, dass der betreffende Akt Eingang in die Rechtsordnung findet (vgl. zB die Erkenntnisse VfSlg 19.484/2011 und 19.527/2011, jeweils mwN). Diese von Art139 B VG geforderte Publizität ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichthofes gegeben, wenn die Normadressaten Kenntnis vom Inhalt der rechtsgestaltenden behördlichen Enuntiation erlangen können (vgl. zB VfSlg 2828/1955, 9535/1982, 16.875/2003) oder diese Enuntiation anderen Behörden (Ämtern) übermittelt wurde (vgl. VfSlg 18.495/2008).

3. Diese Voraussetzungen treffen auf die hier angefochtenen Enuntiationen aus folgenden Gründen nicht zu:

3.1. Weder die Besprechungsnotiz vom 5. Jänner 2016, zZmi616.2.5-1/2012-55, noch das Schreiben des Bürgermeisters vom 5. Jänner 2016, zZmi616.2.5-1/2012-59, enthalten einen normativen Inhalt, der die Rechtssphäre eines unbestimmten Adressatenkreises gestaltet. Die entsprechenden Absätze lauten:

"In Abstimmung mit der Straßengenossenschaft Rohrweg wird die Gemeinde als Grundeigentümerin des Öffentlichen Gutes GST-NR 3834 KG Mittelberg die Genossenschaftsstraße Rohrweg zwischen dem Haus Rohrweg 24 (Bergfelder) und dem Haus Rohrweg 28 im Winter bzw. bei geschlossener Schneedecke für Kraftfahrzeuge (ausgenommen genehmigte Schneegeländefahrzeuge) sperren und dies durch eine entsprechende Beschilderung beim Haus Rohrweg 24 kund machen.

Die Ermittlungen der Gemeinde haben ergeben, dass auf dem Abschnitt Rohrweg 24 bis Rohrweg 28 weder der Gemeingebrauch noch privatrechtliche Rechte für das Fahren mit Kraftfahrzeugen im Winter bzw. bei geschlossener Schneedecke gegeben sind. Die bestehende rechtliche Situation wird durch die Beschilderung kund gemacht.

Auf Grund der aktuellen Schneelage erfolgt die Absperrung erstmals am 06.01.2016 gegen 08:00 Uhr."

3.2. Wie die Vorarlberger Landesregierung und die Gemeinde Mittelberg zutreffend feststellen, werden in diesen Schreiben Absichtserklärungen der Gemeinde als Grundeigentümerin wiedergegeben.

4. Es handelt sich daher weder bei der Besprechungsnotiz vom 5. Jänner 2016, zZmi616.2.5-1/2012-55, noch beim Schreiben des Bürgermeisters vom 5. Jänner 2016, zZmi616.2.5-1/2012-59, um eine Verordnung im Sinne des Art139 B VG.

V. Ergebnis

1. Der Antrag ist daher schon mangels Vorliegens eines geeigneten Prüfungsgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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