G165/2016 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 lita B VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Steiermark, "§7l AVRAG letzter Satz sowie §7m AVRAG idF BGBl I Nr 113/2015 seinem gesamten Umfang nach" als verfassungswidrig aufzuheben.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar (die angefochtenen Gesetzesbestimmungen sind hervorgehoben):
1. §7l Arbeitsvertragsrechts-Anpassungsgesetz (im Folgenden: AVRAG), BGBl 459/1993 idF BGBl I 113/2015, lautet:
"Vorläufige Sicherheit
§7l. Liegt der begründete Verdacht einer Verwaltungsübertretung nach den §§7b Abs8, 7i oder 7k Abs4 vor und ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Strafverfolgung oder der Strafvollzug aus Gründen, die in der Person des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin (Auftragnehmer/in) oder in der Person des Überlassers oder der Überlasserin liegen, unmöglich oder wesentlich erschwert sein wird, sind die Organe der Abgabenbehörden ermächtigt, eine vorläufige Sicherheit bis zum Höchstmaß der angedrohten Geldstrafe festzusetzen und einzuheben. Soweit der Tätigkeitsbereich der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse betroffen ist, ist diese über die Einhebung einer vorläufigen Sicherheit zu verständigen. Der/Die im §7b Abs1 Z4 genannte Beauftragte gilt als Vertreter/in des/der Arbeitgeber/in, falls dieser/diese oder ein von ihm/ihr bestellter Vertreter bei der Amtshandlung nicht anwesend ist. Auf nach dem ersten Satz eingehobene vorläufige Sicherheiten sind die §§37a Abs3 bis 5 und 50 Abs6 erster Satz und Abs8 VStG sinngemäß anzuwenden. Mit der Überweisung nach §7m Abs3 oder der Erlegung einer Sicherheit nach §7m Abs8 ist eine Beschlagnahme aufzuheben. "
2. §7m AVRAG, BGBl 459/1993 idF BGBl I 113/2015, lautet:
" Sicherheitsleistung – Zahlungsstopp
§7m. (1) Liegt der begründete Verdacht einer Verwaltungsübertretung nach den §§7b Abs8, 7i oder 7k Abs4 vor und ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Strafverfolgung oder der Strafvollzug aus Gründen, die in der Person des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin (Auftragnehmer/in) oder in der Person des Überlassers oder der Überlasserin liegen, unmöglich oder wesentlich erschwert sein wird, können die Organe der Abgabenbehörden in Verbindung mit den Erhebungen nach §7f sowie die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse dem/der Auftraggeber/in, bei einer Überlassung dem/der Beschäftiger/in schriftlich auftragen, den noch zu leistenden Werklohn oder das noch zu leistende Überlassungsentgelt oder Teile davon nicht zu zahlen (Zahlungsstopp). §50 Abs6 erster Satz VStG findet sinngemäß Anwendung. Der Zahlungsstopp ist in jenem Ausmaß nicht wirksam, in dem der von ihm genannte Betrag höher ist als der noch zu leistende Werklohn oder das noch zu leistende Überlassungsentgelt. Der Zahlungsstopp darf nicht höher sein als das Höchstmaß der angedrohten Geldstrafe. Leistet der/die Auftraggeber/in oder der/die Beschäftiger/in entgegen dem Zahlungsstopp den Werklohn oder das Überlassungsentgelt, gilt im Verfahren nach Abs3 der Werklohn oder das Überlassungsentgelt als nicht geleistet. Die Organe der Abgabenbehörden sowie die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse dürfen einen Zahlungsstopp nur dann auftragen, wenn eine vorläufige Sicherheit nach §7l nicht festgesetzt oder nicht eingehoben werden konnte. Leistet der/die Auftragnehmer/in oder der/die Überlasser/in die vorläufige Sicherheit nachträglich oder eine Sicherheit, ohne dass eine solche festgesetzt wurde, aus eigenem, ist der Zahlungsstopp von der Bezirksverwaltungsbehörde durch Bescheid aufzuheben; ein allfälliges Verfahren nach Abs3 ist einzustellen.
(2) Die Abgabenbehörden und die Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse haben nach Verhängung eines Zahlungstopps nach Abs1 binnen drei Arbeitstagen bei der Bezirksverwaltungsbehörde die Erlegung einer Sicherheit nach Abs3 zu beantragen, widrigenfalls der Zahlungsstopp außer Kraft tritt. Die Bezirksverwaltungsbehörde hat darüber innerhalb von zehn Arbeitstagen ab Einlangen des Antrages zu entscheiden, widrigenfalls der Zahlungsstopp außer Kraft tritt. In diesen Verfahren haben die im ersten Satz genannten Einrichtungen Parteistellung, soweit diese den Antrag auf Erlegung einer Sicherheit gestellt haben. Diese können gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde Beschwerde beim Verwaltungsgericht und gegen das Erkenntnis oder den Beschluss eines Verwaltungsgerichts Revision beim Verwaltungsgerichtshof erheben.
(3) Liegt der begründete Verdacht einer Verwaltungsübertretung nach den §§7b Abs8, 7i oder 7k Abs4 vor und ist auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen, dass die Strafverfolgung oder der Strafvollzug aus Gründen, die in der Person des Arbeitgebers oder der Arbeitgeberin (Auftragnehmer/in) oder in der Person des Überlassers oder der Überlasserin liegen, unmöglich oder wesentlich erschwert sein werde, kann die Bezirksverwaltungsbehörde dem/der Auftraggeber/in, bei einer Überlassung dem/der Beschäftiger/in durch Bescheid auftragen, den noch zu leistenden Werklohn oder das noch zu leistende Überlassungsentgelt oder einen Teil davon als Sicherheit binnen einer angemessenen Frist zu erlegen. Die §§37 und 37a VStG sind in diesen Fällen, sofern in dieser Bestimmung nichts anderes vorgesehen ist, nicht anzuwenden. Mit Erlassung eines Bescheides fällt der Zahlungsstopp weg.
(4) Als Werklohn oder als Überlassungsentgelt gilt das gesamte für die Erfüllung des Auftrages oder der Überlassung zu leistende Entgelt.
(5) Die Überweisung nach Abs3 wirkt für den/die Auftraggeber/in oder den/die Beschäftiger/in gegenüber dem/der Auftragnehmer/in oder dem/der Überlasser/in im Ausmaß der Überweisung schuldbefreiend.
(6) Die Sicherheitsleistung darf nicht höher sein als das Höchstmaß der angedrohten Geldstrafe. Der/die Auftraggeber/in oder der/die Beschäftiger/in ist verpflichtet, auf Anfrage der Bezirksverwaltungsbehörde die Höhe und Fälligkeit des Werklohnes oder des Überlassungsentgeltes bekannt zu geben. Können aus dem noch zu leistenden Werklohn oder Überlassungsentgelt die Sicherheitsleistung sowie der sich aus §67a ASVG und §82a EStG ergebende Haftungsbetrag nicht bedeckt werden, kann der/die Auftraggeber/in oder der/die Beschäftiger/in von seinem Recht zur Leistung des Werklohns an das Dienstleistungszentrum (§67c ASVG) jedenfalls Gebrauch machen.
(7) Beschwerden gegen Bescheide nach Abs3 haben keine aufschiebende Wirkung.
(8) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat die Sicherheit für frei zu erklären, wenn das Verfahren eingestellt wird oder die gegen den/die Auftragnehmer/in oder den/die Überlasser/in verhängte Strafe vollzogen ist, oder nicht binnen eines Jahres der Verfall ausgesprochen wurde. In Verfahren nach §7i Abs5 findet der erste Satz Anwendung mit der Maßgabe, dass die Sicherheit für frei zu erklären ist, wenn nicht binnen zwei Jahren der Verfall ausgesprochen wurde. Die Sicherheit ist auch dann für frei zu erklären, wenn sie vom/von der Auftragnehmer/in oder dem/der Überlasser/in erlegt wird. Frei gewordene Sicherheiten sind an den/die Auftraggeber/in oder den/die Beschäftiger/in auszuzahlen.
(9) Die Bezirksverwaltungsbehörde hat die Sicherheit für verfallen zu erklären, sobald sich die Strafverfolgung des Auftragnehmers oder der Aufragnehmerin oder des Überlassers oder der Überlasserin oder der Vollzug der Strafe als unmöglich erweist. §17 VStG ist sinngemäß anzuwenden.
(10) Für die Verwertung verfallener Sicherheiten gilt §37 Abs6 VStG sinngemäß, wobei ein allfälliger Restbetrag an den/die Auftraggeber/in oder den/die Beschäftiger/in auszuzahlen ist. "
3. Art135 Abs1 Satz 1 und Satz 2 B VG, BGBl 1/1920 idF BGBl I 51/2012, lauten:
"Artikel 135. (1) Die Verwaltungsgerichte erkennen durch Einzelrichter. Im Gesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte oder in Bundes- oder Landesgesetzen kann vorgesehen werden, dass die Verwaltungsgerichte durch Senate entscheiden. […]"
4. §2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz; im Folgenden: VwGVG), BGBl I 33/2013 idF BGBl I 82/2015, lautet:
"Ausübung der Verwaltungsgerichtsbarkeit
§2. Soweit die Bundes- oder Landesgesetze nicht die Entscheidung durch den Senat vorsehen, entscheidet das Verwaltungsgericht durch Einzelrichter (Rechtspfleger)."
5. §19 Abs1 Gesetz vom 19. März 2013 über die Organisation und das Dienstrecht des Landesverwaltungsgerichtes für Steiermark (Steiermärkisches Landesverwaltungsgerichtsgesetz; im Folgenden: StLVwGG), LGBl 57/2013 idF LGBl 175/2013, lautet:
"3. Abschnitt
Richterliche Tätigkeit
§19
Einzelrichterinnen/Einzelrichter, Senate
(1) Das Landesverwaltungsgericht entscheidet durch Einzelrichterin/Einzelrichter, sofern nicht im Gesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte oder in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist."
III. Antragsvorbringen
1. Dem Antrag liegen 14 beim Landesverwaltungsgericht Steiermark anhängige Beschwerdeverfahren zugrunde, deren Sachverhalte zugeordnet nach Geschäftszahlen dargestellt werden. Bei den jeweiligen Beschwerdeführern in den Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark handelt es sich um die inländischen Vertragspartner eines ausländischen Beschäftigers/Überlassers, dem aus Anlass eines gegen den Beschäftiger/Überlasser anhängigen Verwaltungsstrafverfahrens wegen des Verdachts verschiedener Übertretungen des AVRAG der Erlag einer Sicherheitsleistung gemäß §7m Abs3 AVRAG aufgetragen wurde. Eine vorläufige Sicherheit gemäß §7l AVRAG wurde in allen Fällen zuvor nicht eingehoben. Die angefochtenen Bestimmungen seien in allen diesen Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Steiermark anzuwenden. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hegt gegen die gesetzlichen Regelungen des AVRAG, dessen Aufhebung es beantragt, Bedenken im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz gemäß Art7 Abs1 B VG, das Recht auf Eigentum gemäß Art5 StGG, Art1 1. ZPMRK und Art17 GRC sowie wegen Verstoßes gegen das Determinierungsgebot des Art18 Abs2 B VG und wegen eines Verstoßes gegen den "Grundsatz der Unzulässigkeit von Strafen für fremdes Verhalten". Die Sicherheitsleistung gemäß §7m AVRAG stelle einen weitreichenden behördlichen Eingriff in die Abwicklung eines zivilrechtlichen Vertrages zum Nachteil eines unbeteiligten Dritten dar, welcher für diesen nicht unbeträchtliche wirtschaftliche Konsequenzen nach sich ziehen könne. Angesichts der Eingriffsintensität wäre zu fordern, dass dem Gesetz zumindest die Voraussetzungen, unter denen die Verhängung eines Zahlungsstopps und in weiterer Folge die Einhebung einer Sicherheitsleistung zulässig sind, konkret zu entnehmen sind. Diesen Anforderungen würden die Regelungen des §7m Abs1 und 3 AVRAG jedoch nicht gerecht.
Der Antrag ist "[f]ür das Landesverwaltungsgericht" von fünf Richtern eigenhändig unterfertigt und elektronisch beglaubigt.
IV. Erwägungen
1. Der Antrag ist unzulässig.
2. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg 3992/1961 ausgesprochen und in VfSlg 7376/1974 sowie 12.381/1990 wiederholt – auf den Verwaltungsgerichtshof bezogen – ausgeführt hat, sind zur Antragstellung nach Art140 B VG jene Organe eines Gerichts legitimiert, "die bei der Entscheidung über eine Rechtssache ein Gesetz, gegen welches sie aus dem Grunde der Verfassungswidrigkeit Bedenken hegen, anzuwenden haben".
3. Im vorliegenden Fall liegt bei allen dem Antrag zugrunde liegenden Beschwerdeverfahren mangels anders lautender bundes- oder landesrechtlicher Regelungen eine Einzelrichterzuständigkeit gemäß Art135 Abs1 B VG iVm §2 VwGVG sowie §19 Abs1 StLVwGG vor. Es wäre daher nur der jeweils zuständige Einzelrichter zur Stellung eines Gesetzesprüfungsantrags nach Art140 B VG legitimiert, wobei er zwar mehrere, bei ihm anhängige Rechtssachen verbinden könnte, im Übrigen aber in seinem jeweiligen Antrag die Inhalts- und Formvorschriften des VfGG einzuhalten hätte. Unzulässig ist es aber, wenn mehrere Richter gemeinsam in mehreren Verfahren, in denen jeweils einer von ihnen der zuständige Richter ist, einen alle Rechtssachen übergreifenden, als Folge der gemeinsamen Genehmigung auch allen antragstellenden Richtern kollegial zurechenbaren Antrag stellen. Die antragstellenden Richter bilden nämlich keinen zulässigen Spruchkörper für die im Antrag verbundenen Rechtssachen.
Der Antrag erweist sich daher als unzulässig.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist daher mangels Legitimation zur Erhebung zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.