JudikaturVfGH

E427/2016 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
10. Juni 2016

Spruch

I. Die Beschwerde wird, insoweit sie sich gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 13. November 2015, ZLVwG  49.11 2917/2015-2, richtet, zurückgewiesen.

II.1. Die Beschwerde wird, insoweit sie sich gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 29. Februar 2016, ZLVwG 40.11 453/2016-2, richtet, abgelehnt.

II.2. Die Beschwerde wird insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

Begründung

1. Am 22. November 2014 wurde bei der Ärztekammer Steiermark eine Disziplinaranzeige gegen die Beschwerdeführerin eingebracht. Am 26. Jänner 2015 stellte der Disziplinaranwalt-Stellvertreter beim Disziplinarrat der Österreichischen Ärztekammer den Antrag in der gegenständlichen Disziplinaranzeige gemäß §151 Abs2 Ärztegesetz 1998 (im Folgenden: ÄrzteG 1998) einen Rücklegungsbeschluss mangels Vorliegens eines Disziplinarvergehens zu fassen, da sich aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Juli 2013, 2010/11/0075, ergebe, dass eine Berufspflichtenverletzung nur dann vorliegen könne, wenn diese gegen eigene Patienten gerichtet gewesen wäre.

Mit Beschluss des Disziplinarrates der Österreichischen Ärztekammer, Disziplinarkommission für Steiermark und Kärnten, vom 2. Juni 2015 wurde die Anzeige zurückgelegt. In Folge wurde der Präsident der Österreichischen Ärztekammer über den Rücklegungsbeschluss in Kenntnis gesetzt.

Der Präsident der Österreichischen Ärztekammer erteilte am 16. September 2015 die Weisung, gegen den Rücklegungsbeschluss ein Rechtsmittel zu ergreifen. Begründet wurde die Weisung im Wesentlichen damit, dass das zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes nicht einschlägig sei und eine Auseinandersetzung mit der Frage eines möglichen Verstoßes gegen die Werbebeschränkung gemäß §53 ÄrzteG 1998 geboten sei. Der Rücklegungsbeschluss wurde mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 13. November 2015 ersatzlos behoben.

2. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der "die Verletzung des Rechtes auf ein faires Verfahren, die Verletzung des Rechtes auf Parteistellung im Strafverfahren und die Verletzung des Rechtes auf eine wirksame Beschwerde" geltend gemacht werden.

2.1. Zur Rechtslage vor der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, dass die Beschwerdelegitimation nach Art144 Abs1 B VG nur dann gegeben ist, wenn durch den bekämpften Bescheid irgendein subjektives Recht der beschwerdeführenden Partei verletzt worden sein kann, dh., wenn die bescheidmäßigen Anordnungen oder Feststellungen die subjektive Rechtssphäre des Beschwerdeführers berühren, der Bescheid demgemäß subjektive Rechte begründet (verändert) oder feststellt (vgl. VfSlg 11.764/1988, 15.398/1999, 15.733/2000, 17.840/2006, 17.920/2006, 18.442/2008, 19.151/2010, 19.289/2011). Wie der Verfassungsgerichtshof ebenfalls schon ausgesprochen hat (VfSlg 5358/1966, 8746/1980, 14.575/1996, 15.733/2000), hat die Existenz subjektiv-öffentlicher Rechte zwingend die Parteistellung im Verwaltungsverfahren zur Folge, oder – anders ausgedrückt – es kann die für die Beschwerdeberechtigung maßgebende Möglichkeit, durch den Bescheid in der Rechtssphäre verletzt zu werden, nur bei Personen vorliegen, denen in der im konkreten Verwaltungsverfahren behandelten Sache die Stellung einer Partei zugekommen ist. Für die Beschwerdelegitimation gemäß Art144 Abs1 B VG in der mit 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Fassung gelten sinngemäß dieselben Voraussetzungen (vgl. VfGH 20.2.2014, B182/2014).

2.2. Die Zulässigkeit der vorliegenden Beschwerde ist somit nur gegeben, wenn der Beschwerdeführerin Parteistellung im vorangegangenen Verfahren zukommt. Nach §151 Abs2 ÄrzteG 1998 ist ein Rücklegungsbeschluss zu fassen, wenn die Disziplinarkommission anlässlich der Beratungen darüber, ob eine bestimmte Verfolgungshandlung vorzunehmen oder ein Einleitungsbeschluss zu fassen ist, erachtet, dass ein Disziplinarvergehen nicht vorliegt oder dass die Verfolgung aus einem der in diesem Bundesgesetz genannten Gründe ausgeschlossen ist. Die Einleitung eines Disziplinarverfahren ist in diesem Fall eben gerade noch nicht erfolgt. Eine Parteistellung ist in diesem Stadium, also während Beratungen der Disziplinarkommission darüber, ob eine bestimmte Verfolgungshandlung vorzunehmen oder ein Einleitungsbeschluss zu fassen ist, nicht vorgesehen und lässt sich auch nicht aus anderen Rechtsvorschriften ableiten. Der von der Beschwerdeführerin behauptete Verstoß gegen Art6 EMRK kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil sie durch die Entscheidung einer Disziplinarkommission, einen Rücklegungsbeschluss iSd §151 ÄrzteG zu fassen, also eben gerade nicht die Einleitung eines Disziplinarverfahrens zu beschließen, nicht in ihrer Rechtssphäre betroffen ist; ihr wurde auch nicht rechtswidrig die Parteistellung verweigert (vgl. idZVfSlg 16.716/2002; zur grundsätzlichen Anwendbarkeit von Art6 EMRK auf Disziplinarverfahren, insbesondere Disziplinarstrafen, im Ärzterecht siehe VfSlg 18.974/2009).

Wenn die belangte Behörde die Rechtsauffassung vertritt, dass im vorliegenden Fall auch noch keine eine Parteistellung begründende Verfolgungshandlung gesetzt wurde, so ist ihr aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten (vgl. auch VwGH 10.09.2015, Ro 2015/09/0002).

2.3. Die Beschwerde ist daher mangels Legitimation der Beschwerdeführerin gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG zurückzuweisen.

3. Die Beschwerdeführerin stellte am 17. Februar 2016 beim Landesverwaltungsgericht Steiermark die Anträge auf Nichtigerklärung des Verfahrens, auf Wiederaufnahme des Verfahrens und auf Zustellung des Erkenntnisses vom 13. November 2015. Diese Anträge wurden mit Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 29. Februar 2016 zurückgewiesen. Begründet wurde der Beschluss im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren nur der Status einer "Angezeigten", nicht jedoch einer "Beschuldigten" zugekommen sei und sie daher nicht Partei sei.

3.1. Die unter Punkt 3.2. angestellten Überlegungen sind im Wesentlichen auch hier maßgeblich.

3.2. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob (etwa durch die namentliche Nennung in der Disziplinaranzeige oder durch den Antrag auf Zurücklegung der Disziplinaranzeige) bereits eine "Verfolgungshandlung" iSd §137 Abs1 Z1 ÄrzteG gesetzt wurde, insoweit nicht anzustellen.

Soweit die Beschwerde aber insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Rechtswidrigkeit der die angefochtene Entscheidung tragenden Rechtsvorschriften behauptet wird (§150 ÄrzteG 1998, §151 ÄrzteG 1998), lässt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die behauptete Rechtsverletzung, die Verletzung in einem anderen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder die Verletzung in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes als so wenig wahrscheinlich erkennen, dass sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung ausgesprochen, dass grundsätzlich keine verfassungsrechtliche Bestimmung Parteirechte in einem Verfahren überhaupt oder in einem bestimmten Umfang garantiert (zB VfSlg 15.274/1998, 15.581/1999, 16.103/2001, 19.617/2012). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers ist verfassungsrechtlich lediglich dadurch begrenzt, dass das die Parteirechte bestimmende Gesetz dem aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Sachlichkeitsgebot entspricht (VfSlg 14.512/1996 mwN, 19.617/2012). Es ist jedenfalls nicht unsachlich, wenn vor Einleitung eines Disziplinarverfahrens, in dem die Beschuldigte volle Parteirechte genießt, keine gesonderten Parteirechte bestehen.

3.3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde in diesem Punkt abzusehen und sie gemäß Art144 Abs3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abzutreten (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).

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