JudikaturVfGH

WI8/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
25. September 2015

Spruch

I. Der Antrag auf Fristerstreckung wird zurückgewiesen.

II. Die Anfechtung wird zurückgewiesen.

Begründung

1. Am 31. Mai 2015 fand die mit Verordnung der Burgenländischen Landesregierung vom 16. Dezember 2014, LGBl 14/2015, ausgeschriebene Wahl des Burgenländischen Landtages statt.

2. Mit ihrer am 10. Juli 2015 per Fax eingebrachten, auf Art141 B VG gestützten Anfechtung begehrt die Wählergruppe "CPÖ – Christliche Partei Österreichs" (anfechtungswerbende Partei), vertreten durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter, der Verfassungsgerichtshof möge 1. "auf Grund der vorliegenden Wahlanfechtung eine öffentliche mündliche Verhandlung anberaumen und hiezu neben den gemäß §69 Abs1 VfGG zu ladenden Personen und Wählergruppen (Parteien) den ausgewiesenen Rechtsvertreter der anfechtenden Partei laden. Ferner wolle der Verfassungsgerichtshof bei dieser öffentlichen mündlichen Verhandlung die Zeugen […] zum geschilderten Sachverhalt einvernehmen;" sowie 2. "die Stimmen in den Wahlsprengeln Badersdorf, Wimpassing, Raiding, Markt Allhau und Großhöflein neu auszählen und das 3. Mandat auf der Landesliste an DDI Dr. H. S. zuweisen". Die Unterschrift des zustellungsbevollmächtigten Vertreters fehlte auf dieser Eingabe.

3. Mit Schreiben vom 16. Juli 2015 forderte der Verfassungsgerichtshof die anfechtungswerbende Partei gemäß §18 VfGG unter Hinweis auf die Säumnisfolgen auf, innerhalb einer Woche folgende Formmängel zu beheben:

"Der mittels Telefax eingebrachte Schriftsatz enthält entgegen §75 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG nicht die (Original-)Unterschrift des zustellungsbevollmächtigten Vertreters.

Es fehlt die Beilage der eidesstattlichen Erklärung […], auf die in der Anfechtungsschrift Bezug genommen wird und die gemäß §68 Abs1 VfGG der Wahlanfechtung in Form einer Abschrift oder Kopie anzuschließen ist."

Dieses Schreiben des Verfassungsgerichtshofes war an die anfechtungswerbende Partei zuhanden des in der Anfechtung vom 10. Juli 2015 genannten zustellungsbevollmächtigten Vertreters gerichtet und an die in der Anfechtung ausdrücklich angegebene Anschrift adressiert. Nach einem erfolglosen Zustellversuch am 20. Juli 2015 wurde das Schreiben hinterlegt. Als Beginn der Abholfrist ergibt sich sowohl aus dem Rückschein als auch aus der "Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Dokuments" (vgl. §17 Abs2 Zustellgesetz) der 21. Juli 2015.

4. Mit Schreiben vom 27. Juli 2015 übermittelte der Generalsekretär der CPÖ die eidesstattliche Erklärung, auf die in der Anfechtung Bezug genommen wird, und gab den Wechsel des zustellungsbevollmächtigten Vertreters der anfechtungswerbenden Partei bekannt. Weiters wird in diesem Schreiben hinsichtlich der Zustellung des Schreibens des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juli 2015 darauf hingewiesen, dass "der Abholschein […] am 21.7.2015 in den Postkasten gegeben" worden sei und das Schreiben "tatsächlich erst am 24.7.2015 [entgegengenommen] werden konnte". Schließlich seien "urlaubsbedingt" derzeit weder der frühere noch der derzeitige zustellungsbevollmächtigte Vertreter der anfechtungswerbenden Partei für die Leistung der Unterschrift erreichbar, weshalb um Erstreckung der Frist bis 10. August 2015 ersucht werde.

5. Mit Schreiben vom 30. Juli 2015 forderte der Verfassungsgerichtshof die Burgenländische Landeswahlbehörde auf, "bekannt zu geben, wer am 10. Juli 2015 zustellungsbevollmächtigter Vertreter dieser Wählergruppe war, ob und bejahendenfalls mit welchem Zeitpunkt zwischenzeitlich ein Wechsel des zustellungsbevollmächtigten Vertreters vorgenommen wurde und wer derzeit zustellungsbevollmächtigter Vertreter dieser Wählergruppe ist, sowie die diesbezüglichen Unterlagen vorzulegen."

6. Mit Schreiben vom 6. August 2015 bestätigte die Burgenländische Landeswahlbehörde, dass der Landeswahlbehörde am 21. Juli 2015 ein Wechsel des zustellungsbevollmächtigten Vertreters der Wählergruppe "CPÖ – Christliche Partei Österreichs" schriftlich mitgeteilt worden sei. Dieser Wechsel sei mit Zugang der Mitteilung wirksam geworden.

7. Mit Schreiben vom 26. August 2015 ersuchte der Verfassungsgerichtshof das Postamt in Mattersburg, "bekannt zu geben, ob bzw. wann und in welcher Form die Verständigung gemäß §17 Abs2 Zustellgesetz von der […] Hinterlegung [des Schreibens des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juli 2015] erfolgt ist".

8. Hierauf wurde dem Verfassungsgerichtshof die mit 20. Juli 2015 datierte "Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Dokuments" übermittelt.

9. Gemäß §17 Abs1 Zustellgesetz ist ein Dokument, wenn es an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinne des §13 Abs3 Zustellgesetz regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, im Falle der Zustellung durch den Zustelldienst bei seiner zuständigen Geschäftsstelle zu hinterlegen. Von der Hinterlegung ist der Empfänger schriftlich zu verständigen (§17 Abs2 Zustellgesetz). Hinterlegte Dokumente sind gemäß §17 Abs3 Zustellgesetz mindestens zwei Wochen zur Abholung bereitzuhalten und gelten mit dem ersten Tag der Abholfrist als zugestellt.

9.1. Aus dem beim Verfassungsgerichtshof eingelangten Rückschein ist ersichtlich, dass am 20. Juli 2015 erfolglos versucht wurde, das Schreiben des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juli 2015, mit dem die anfechtungswerbende Partei zur Behebung der Formmängel aufgefordert wurde, dem zustellungsbevollmächtigten Vertreter an der Abgabestelle zuzustellen. Als Beginn der Abholfrist für das hinterlegte Dokument wurde auf der mit 20. Juli 2015 datierten "Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Dokuments" der nächste Werktag, somit der 21. Juli 2015, angegeben. Das Schreiben des Verfassungsgerichtshofes gilt folglich mit 21. Juli 2015 als zugestellt.

9.1.1. Der vom Zusteller erstellte Zustellnachweis (Rückschein) ist nach ständiger Rechtsprechung eine öffentliche Urkunde, die den Beweis dafür erbringt, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist; doch ist der Gegenbeweis gemäß §292 Abs2 ZPO zulässig. Werden Zustellmängel behauptet, so sind diese Behauptungen entsprechend zu begründen und Beweise dafür anzubieten, die geeignet sind, die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen (vgl. VfSlg 18.865/2009 mit Verweis auf VwGH 3.9.2002, 2002/03/0156; 20.9.2005, 2005/05/0016).

9.1.2. Die bloße Behauptung des Generalsekretärs der CPÖ, der "Abholschein" sei erst am 21. Juli 2015 in den Postkasten gegeben worden, genügt diesen Anforderungen nicht, zumal sie weder näher begründet noch belegt ist und zudem von einer Person stammt, die – soweit ersichtlich – in die Zustellung des Schreibens des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juli 2015 an den früheren zustellungsbevollmächtigten Vertreter der anfechtungswerbenden Partei in keiner Weise eingebunden war. Nähere Ausführungen, wie er zu dieser detaillierten Kenntnis über diesen Zustellvorgang gelangt sein sollte, enthält das Schreiben des Generalsekretärs vom 27. Juli 2015 nicht. Zudem ist die dem Verfassungsgerichtshof übermittelte "Verständigung über die Hinterlegung eines behördlichen Dokuments" bereits mit 20. Juli 2015 datiert, sodass keine Zweifel daran entstanden sind, dass die Hinterlegung des Schreibens vom 16. Juli 2015 gesetzeskonform erfolgt ist und insbesondere die Verständigung von der Hinterlegung (vgl. §17 Abs2 Zustellgesetz) nach dem erfolglosen Zustellversuch am 20. Juli 2015 in die für die Abgabestelle bestimmte Abgabeeinrichtung eingelegt, an der Abgabestelle zurückgelassen oder an der Eingangstüre angebracht wurde.

9.1.3. Selbst wenn das Schreiben des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juli 2015 tatsächlich erst am 24. Juli 2015 entgegengenommen werden habe können, wie in dem Schreiben des Generalsekretärs der CPÖ vom 27. Juli 2015 behauptet wird, hat dies keine Auswirkungen auf die Zustellfiktion des §17 Abs3 Zustellgesetz, zumal weder vorgebracht wurde noch sonst ersichtlich ist, dass die Abwesenheit des (damaligen) zustellungsbevollmächtigten Vertreters von der Abgabestelle einer rechtswirksamen Zustellung entgegengestanden wäre (vgl. §17 Abs3 letzter Satz Zustellgesetz).

9.2. Da der Wechsel des zustellungsbevollmächtigten Vertreters erst mit Einlangen der diesbezüglichen Erklärung des bisherigen zustellungsbevollmächtigten Vertreters bei der zuständigen Wahlbehörde am 21. Juli 2015 wirksam wurde (vgl. §81 Abs6 iVm §37 Abs2 Landtagswahlordnung 1995), der Zustellfiktion des §17 Abs3 Zustellgesetz zufolge das Schreiben des Verfassungsgerichtshofes aber bereits "mit dem ersten Tag" der Abholfrist, somit also mit Beginn des 21. Juli 2015 und folglich vor dem Einlangen der Erklärung des bisherigen zustellungsbevollmächtigten Vertreters bei der Landeswahlbehörde, als zugestellt gilt, wurde das Schreiben des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juli 2015 zuhanden des bisherigen zustellungsbevollmächtigten Vertreters noch vor dem Wechsel wirksam zugestellt und der Lauf der vom Verfassungsgerichtshof gesetzten Frist für die Behebung der vorliegenden Mängel jedenfalls ausgelöst.

10. In dem Schreiben des Generalsekretärs der CPÖ vom 27. Juli 2015 wird um Erstreckung der Frist für die Behebung der Mängel bis 10. August 2015 ersucht. Dieser – nicht vom zustellungsbevollmächtigten Vertreter der anfechtungswerbenden Partei eingebrachte – Antrag auf Fristverlängerung ist schon deshalb zurückzuweisen, weil eine Erstreckung der Frist gemäß §85 Abs2 ZPO iVm §35 VfGG nicht zulässig ist (vgl. VfSlg 9706/1983, 13.858/1994, 17.694/2005; VfGH 10.10.2001, B854/01); die der anfechtungswerbenden Partei ursprünglich gesetzte Frist bleibt daher unberührt.

11. Da diese Frist – teilweise – ungenützt verstrichen ist, ist die Anfechtung gemäß §19 Abs3 Z2 litc VfGG wegen nicht behobenen Mangels formeller Erfordernisse ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

12. Im Übrigen hat die Wahlanfechtung nach §15 Abs2 iVm §67 Abs1 VfGG u.a. ein bestimmtes Begehren, und zwar "den begründeten Antrag auf Nichtigerklärung des Wahlverfahrens oder eines bestimmten Teiles desselben zu enthalten". Fehlt ein solches Begehren, leidet die Wahlanfechtung an einem nicht verbesserungsfähigen inhaltlichen Mangel (vgl. VfSlg 11.562/1987, 16.019/2000, 18.820/2009, 19.073/2010; VfGH 28.11.2000, W I-4/00; 1.7.2015, WI6/2015 ua.).

12.1. In der vorliegenden Wahlanfechtung wird – neben der Durchführung einer mündlichen Verhandlung und Einvernahme näher bezeichneter Zeugen – lediglich beantragt, die Stimmen in bestimmten Wahlsprengeln neu auszuzählen und das dritte Mandat auf der Landesliste der FPÖ einem bestimmten Bewerber zuzuweisen. Entgegen der zwingenden Bestimmung des §67 Abs1 VfGG lässt die Wahlanfechtung somit einen (begründeten) Antrag auf Nichtigerklärung des Wahlverfahrens (oder eines Teiles desselben) vermissen.

12.2. Die Wahlanfechtung ist somit – unabhängig von der (teilweise) nicht erfolgten Behebung der im Schreiben des Verfassungsgerichtshofes vom 16. Juli 2015 angeführten Mängel – auch auf Grund dieses nicht verbesserungsfähigen Mangels in sinngemäßer Anwendung des §19 Abs3 Z2 litc VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unzulässig zurückzuweisen.

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