G110/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Gegen den Antragsteller (und weitere Mitbeschuldigte) wird von der Staatsanwaltschaft Graz zur Zahl 16 St 112/07y ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen des Verdachts des Vergehens der grob fahrlässigen Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen nach §159 Abs1, 2 und 4 StGB geführt. In diesem Ermittlungsverfahren erhob der Antragsteller Einspruch wegen Rechtsverletzung nach §106 Abs1 StPO, über den das Landesgericht für Strafsachen Graz gemäß §107 Abs2 StPO am 30. Dezember 2014 eine mündliche Verhandlung durchführte. In dieser Verhandlung war der – persönlich anwesende – Antragsteller von zwei Rechtsbeiständen vertreten. Am Schluss der Verhandlung verkündete der Einzelrichter den Beschluss auf Abweisung des Einspruches samt Begründung und erteilte dem Antragsteller die Belehrung, dass dagegen das Rechtsmittel der Beschwerde zulässig sei; die anwesenden Verteidiger des Antragstellers gaben keine Rechtsmittelerklärung ab, beantragten jedoch die schriftliche Zustellung des Protokolls und des Beschlusses.
2. Das Verhandlungsprotokoll und die Beschlussausfertigung wurden dem Antragsteller zu Handen seines bevollmächtigten Vertreters am 7. Jänner 2015 zugestellt. Am 19. Jänner 2015 erhob der Antragsteller gegen den genannten Beschluss Beschwerde, die vom Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 29. Jänner 2015 als (verspätet und daher) unzulässig zurückgewiesen wurde.
3. Am 18. Februar 2015 brachte der Antragsteller gegen die Fristversäumnis zur Beschwerdeerhebung den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein und wiederholte seine Beschwerde; sein (bei der mündlichen Verhandlung nicht anwesender) Verteidiger habe unter den gegebenen Umständen (der Einzelrichter habe in der mündlichen Verhandlung eine unvollständige Rechtsmittelbelehrung erteilt) davon ausgehen können, dass die Rechtsmittelfrist erst mit der Zustellung der schriftlichen Beschlussausfertigung samt Rechtsmittelbelehrung zu laufen begonnen habe.
4. Am 2. März 2015 erhob der Antragsteller neuerlich Beschwerde gegen den unter Pkt. 1. angeführten Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 30. Dezember 2014, aus dessen Anlass er beim Verfassungsgerichtshof den auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag stellte, näher bezeichnete Wortfolgen in §88 Abs1 zweiter Satz StPO als verfassungswidrig aufzuheben.
5. Der Parteiantrag wird damit begründet, dass die Beschwerde gemäß der angefochtenen Bestimmung binnen vierzehn Tagen ab Bekanntmachung beim Gericht einzubringen sei; unter Bekanntmachung sei (nach Lehre und Rechtsprechung) die Verkündung des Beschlusses – mangels Verkündung dessen Zustellung – zu verstehen. Da das Gesetz für die Erstellung der schriftlichen Beschlussausfertigung keine Frist vorsehe, könne die Zustellung der Ausfertigung im Fall vorangegangener mündlicher Verkündung auch erst kurz vor (oder sogar nach) Ablauf der Rechtsmittelfrist erfolgen. Der Verteidigung stehe daher nicht die volle Rechtsmittelfrist zur Vorbereitung der Beschwerde zur Verfügung, weshalb die Bestimmung des §88 Abs1 zweiter Satz StPO gegen das Recht auf ein faires Verfahren nach Art6 Abs3 litb EMRK verstoße, demzufolge der Angeklagte (und wohl auch der Privatankläger) über ausreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung (bzw. der Rechtsmittelschrift) verfügen müsse.
6. Gemäß dem mit BGBl I 114/2013 in das B VG eingefügten, mit 1. Jänner 2015 in Kraft getretenen Art140 Abs1 Z1 litd erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen "auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels".
Die Vorschrift des §62a Abs1 VfGG idF BGBl I 92/2014 ordnet an, dass "eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache rechtzeitig ein zulässiges Rechtsmittel erhebt und wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, […] gleichzeitig einen Antrag stellen [kann], das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben".
7. Mit Beschlüssen des Oberlandesgerichtes Graz jeweils vom 21. April 2015 wurde einerseits dem Wiedereinsetzungsantrag des Antragstellers keine Folge gegeben und andererseits dessen – für den vorliegenden Parteiantrag anlassgebende – Beschwerde vom 2. März 2015 (in Anbetracht des Beschlusses des Oberlandesgerichtes Graz vom 29. Jänner 2015) als unzulässig zurückgewiesen.
Im konkreten Fall liegt daher kein zulässiges Rechtsmittel iSd §62a Abs1 VfGG vor, weshalb dem Einschreiter die Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG fehlt (vgl. VfGH 2.7.2015, G133/2015). Der Antrag ist daher schon aus diesem Grund zurückzuweisen.
8. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.