JudikaturVfGH

E352/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
12. Juni 2015

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt A) I des angefochtenen Erkenntnisses wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt worden.

Spruchpunkt A) I und die damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden Spruchpunkte A) III und A) IV des angefochtenen Erkenntnisses werden daher aufgehoben.

2. Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen Spruchteil B des angefochtenen Erkenntnisses richtet, zurückgewiesen.

3. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt. Die Beschwerde wird insoweit dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger von Algerien, reiste – nachdem er bereits in der Schweiz einen Asylantrag gestellt hatte – zu einem unbekannten Zeitpunkt illegal in das österreichische Bundesgebiet ein. Der Beschwerdeführer stellte am 18. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am selben Tag gemäß §40 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I 87/2012 (in der Folge: BFA-VG), vorläufig festgenommen.

2. Mit Mandatsbescheid vom 19. Dezember 2014 verhängte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) über den Beschwerdeführer gemäß Art28 der Verordnung (EU) Nr 604/2013 (in der Folge: Dublin III-VO) iVm §76 Abs2 Z4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I 100, idF BGBl I 87/2012 (in der Folge: FPG), iVm §57 Abs1 AVG die Schubhaft zum Zweck der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Anordnung zur Außerlandesbringung und zur Sicherung der Abschiebung.

3. Am 23. Dezember 2014 stellte das BFA an die zuständigen Schweizer Behörden ein Aufnahme- bzw. Wiederaufnahmegesuch nach der Dublin III-VO. Am 30. Dezember 2014 langte die Zustimmung ein.

4. Die gegen den Mandatsbescheid des BFA vom 19. Dezember 2014 erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis in Spruchteil A gemäß Art28 Dublin III-VO und §76 Abs2 Z4 FPG iVm §22a Abs1 BFA-VG ab (Spruchpunkt I); weiters stellte das Bundesverwaltungsgericht gemäß §22a Abs3 BFA-VG iVm Art28 Dublin III-VO und §76 Abs2 Z2 FPG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen (Spruchpunkt II), verpflichtete den Beschwerdeführer gemäß §35 VwGVG iVm der VwG Aufwandersatzverordnung, BGBl II 517/2013, zum Aufwandersatz (Spruchpunkt III) und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz gemäß §35 Abs3 VwGVG ab (Spruchpunkt IV). Mit Spruchteil B erklärte das Bundesverwaltungsgericht die Revision gemäß Art133 Abs4 B VG für zulässig.

5. In der gegen dieses Erkenntnis gemäß Art144 B VG erhobenen Beschwerde behauptet der Beschwerdeführer die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen und insbesondere in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit, begehrt die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses "in seinem gesamten Umfang" und stellt für den Fall der Abweisung oder Ablehnung der Beschwerde den Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.

6. Das Bundesverwaltungsgericht legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und nahm von der Erstattung einer Äußerung Abstand.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12. März 2015, G151/2014 ua., §22a Abs1 und 2 BFA-VG idF BGBl I 68/2013 als verfassungswidrig aufgehoben und ausgesprochen, dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind; dieser Ausspruch hat auch für den Verfassungsgerichtshof die Wirkung, dass er die betreffenden Bestimmungen nicht mehr anzuwenden hat.

1. Soweit mit Spruchpunkt A) I des angefochtenen Erkenntnisses die Beschwerde gemäß Art28 Dublin III-VO und §76 Abs2 Z4 FPG iVm §22a Abs1 BFA-VG abgewiesen wurde, hat das Bundesverwaltungsgericht eine als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung angewendet. Der Beschwerdeführer wurde somit wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in seinen Rechten verletzt.

Spruchpunkt A) I des angefochtenen Erkenntnisses ist daher aufzuheben.

Da die Verpflichtung des Beschwerdeführers zu Aufwandersatz und die Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers auf Kostenersatz gemäß §35 VwGVG (Spruchpunkte A) III und IV) mit der Abweisung der Beschwerde gegen den Schubhaftbescheid (Spruchpunkt A) I) in untrennbarem Zusammenhang stehen, ist das bekämpfte Erkenntnis auch insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Im Hinblick auf Spruchteil B ist die Beschwerde hingegen zurückzuweisen:

Gemäß §88a Abs2 Z1 VfGG ist eine Beschwerde gegen Aussprüche gemäß §25a Abs1 VwGG nicht zulässig. Soweit sich die Beschwerde daher gegen den in Spruchteil B getroffenen Ausspruch der Zulässigkeit der Revision richtet, ist sie zurückzuweisen.

2. Im Übrigen, das heißt im Hinblick auf die Feststellung, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen (Spruchpunkt A) II), wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und die Beschwerde gemäß Art144 Abs3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht zu Recht davon ausging, dass zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen, insoweit nicht anzustellen.

Ob die Bestimmung des §76 Abs2 Z2 FPG den Voraussetzungen des Art2 litn Dublin III-VO entspricht, ist keine vom Verfassungsgerichtshof zu klärende Frage.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, weil dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat (vgl. VfSlg 16.760/2002). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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