JudikaturVfGH

B1003/2013 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
26. November 2014

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

II. Das Land Oberösterreich ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit jeweils € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Die Beschwerdeführer, zwei alleinstehende Personen mit Beeinträchtigungen, beziehen neben Pflegegeld und Unterhaltsleistungen ihrer Eltern iHv € 109,02 / € 563,– eine erhöhte Familienbeihilfe, die sich gemäß §8 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG), BGBl 376/1967 idF BGBl I 60/2013, aus einem Grundbetrag iHv € 152,70 und einem Erhöhungsbetrag für erheblich behinderte Personen iHv € 138,30 zusammensetzt und gemeinsam mit dem Kinderabsetzbetrag iHv € 58,40 gemäß §33 Abs3 Einkommensteuergesetz 1988 (EStG 1988), BGBl 400/1988 idF BGBl I 112/2012, ausbezahlt wird. Mit Einführung des Landesgesetzes betreffend die Chancengleichheit von Menschen mit Beeinträchtigungen (Oö. ChG), LGBl für Oberösterreich 41/2008, wurden den Beschwerdeführern zudem sogenannte "Hauptleistungen" iSd Oö. ChG, nämlich die Einräumung einer Wohnmöglichkeit gemäß §12 Oö. ChG sowie eine fähigkeitsorientierte Aktivität gemäß §11 leg.cit. gewährt, zu denen die Beschwerdeführer Kostenbeiträge iHv jeweils 40% des gewährten Pflegegeldes, sohin jeweils € 57,24, zu leisten haben. Umgekehrt wird den Beschwerdeführern für die Hauptleistung "fähigkeitsorientierte Aktivität" monatlich ein Taschengeld iHv € 163,33 bzw. € 87,79 ausbezahlt.

1.1. Mit Bescheiden der jeweils zuständigen Bezirksverwaltungsbehörden vom 25. Oktober 2010 bzw. vom 17. September 2010 wurde den Beschwerdeführern zusätzlich zu den genannten Hauptleistungen ein subsidiäres Mindesteinkommen gemäß §16 Oö. ChG gewährt, wobei auf den jeweils maßgeblichen Richtsatz nach der Verordnung der Oö. Landesregierung, mit der die Beiträge zu den Leistungen sowie die Richtsätze für das subsidiäre Mindesteinkommen nach dem Oö. ChG festgelegt werden (Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung), LGBl für Oberösterreich 39/2009, nicht nur der Kindesunterhalt, sondern auch das Taschengeld aus der fähigkeitsorientierten Aktivität als Einkommen angerechnet worden sind. Letzteres erfolgte jedoch unter Berücksichtigung eines Freibetrages nach der Vorschrift des §2 Abs3 Z1 Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung, derzufolge 25% der Einkünfte aus einer Tätigkeit der fähigkeitsorientierten Aktivität, mindestens jedoch 15% des Richtsatzes für Alleinstehende gemäß §4 Abs1 Z1 Oö. ChG-Beitrags- und Richtsatzverordnung, bei der Ermittlung des anzurechnenden Einkommens nicht zu berücksichtigen waren. Das solcherart ermittelte subsidiäre Mindesteinkommen betrug monatlich für den Erstbeschwerdeführer € 351,61 und für die Zweitbeschwerdeführerin € 384,46, jeweils bezogen auf das Jahr 2010.

1.2. Mit LGBl für Oberösterreich 18/2013 hat der Oö. Landesgesetzgeber die Bestimmungen über das subsidiäre Mindesteinkommen für beeinträchtigte Personen aus dem Oö. ChG in das Gesetz über die bedarfsorientierte Mindestsicherung in Oberösterreich (Oö. Mindestsicherungsgesetz – Oö. BMSG), LGBl für Oberösterreich 74/2011, transferiert. Seitdem ordnet die Vorschrift des §13 Abs3a Oö. BMSG an, dass für volljährige Personen, für die u.a. ein Anspruch auf Familienbeihilfe besteht, gesonderte Mindeststandards festzusetzen sind. Dieser Anordnung folgend schreibt die Verordnung der Oö. Landesregierung über die Leistungen der bedarfsorientierten Mindestsicherung und den Einsatz der eigenen Mittel (Oö. Mindestsicherungsverordnung – Oö. BMSV), LGBl für Oberösterreich 75/2011 idF LGBl 24/2013, eigene – im Vergleich zu volljährigen Personen, die keine (erhöhte) Familienbeihilfe beziehen, niedrigere – Mindeststandards vor.

1.3. Die auf Basis dieser geänderten Rechtslage von den zuständigen Bezirksverwaltungsbehörden durchgeführte Neuberechnung des subsidiären Mindesteinkommens gemäß §16 Oö. ChG in eine bedarfsorientierte Mindestsicherung nach dem Mindeststandard für alleinstehende beeinträchtigte Personen gemäß §13 Abs3a Oö. BMSG iVm §1 Abs1 Z2 Oö. BMSV erfolgte – gestützt auf die neue Rechtslage – anders als davor unter voller Anrechnung des Taschengeldes aus der fähigkeitsorientierten Aktivität. So wurde dem Beschwerdeführer zu B1003/2013 (idF: Erstbeschwerdeführer) mit Bescheid vom 17. Mai 2013 ab 17. August 2012 eine Mindestsicherung iHv € 370,35 (Neuberechnung für Mai 2013, Mindeststandard € 642,70 gemäß §1 Abs1 Z2 Oö. BMSV) gewährt.

1.4. Die Leistung der Beschwerdeführerin zu B1528/2013 (idF: Zweitbeschwerdeführerin) wurde mit Bescheid vom 17. September 2013 zum 31. Juli 2013 mit der Begründung eingestellt, dass der von ihr bezogene Kindesunterhalt zwischenzeitig erhöht worden sei und nunmehr gemeinsam mit dem Taschengeld aus der fähigkeitsorientierten Aktivität den maßgeblichen Mindeststandard des §1 Abs1 Z2 Oö. BMSV iHv € 642,70 übersteige.

1.5. Die gegen diese Bescheide erhobenen Berufungen wies der Unabhängige Verwaltungssenat für Oberösterreich mit der Begründung ab, dass das Oö. BMSG von einem sehr weiten Einkommensbegriff ausgehe und in §9 leg.cit. jene Einkommensbestandteile abschließend nenne, die nicht auf den Mindeststandard anzurechnen seien. Da das Taschengeld aus einer fähigkeitsorientierten Aktivität darin nicht vorkomme und – anders als noch im System des Oö. ChG – auch keine Verordnung erlassen worden sei, die (weitere) auszunehmende Einkommensbestandteile definiere, sei das Taschengeld in voller Höhe vom Mindeststandard nach §1 Abs1 Z2 Oö. BMSV abzuziehen.

2. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 B VG in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Fassung gestützten Beschwerden, in denen eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, insbesondere in Form des Diskriminierungsverbotes für behinderte Menschen gemäß Art7 Abs1 3. Satz B VG und des Bekenntnisses der Republik gemäß Art7 Abs1 4. Satz B VG, die Gleichbehandlung von behinderten und nichtbehinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten sowie eine Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen, nämlich des §13 Abs3a Oö. BMSG und des §1 Abs1 Z2 und §4 Oö. BMSV, behauptet wird.

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat für Oberösterreich und das Oö. Landesverwaltungsgericht legten die Verwaltungs- bzw. Gerichtsakten vor und erstatteten eine Gegenschrift bzw. Äußerung, in der sie die Abweisung bzw. Ablehnung der Beschwerde beantragten.

II. Erwägungen

1. Aus Anlass dieser Beschwerden leitete der Verfassungsgerichtshof gemäß Art139 Abs1 Z2 B VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit des §1 Abs1 Z2 der Verordnung der Oö. Landesregierung über die Leistungen der bedarfsorientierten Mindestsicherung und den Einsatz der eigenen Mittel (Oö. Mindestsicherungsverordnung – Oö. BMSV), LGBl für Oberösterreich 75/2011 idF des ArtII des LGBl für Oberösterreich 24/2013, ein. Mit Erkenntnis vom heutigen Tage hob er diese Vorschrift als gesetzwidrig auf.

2. Die Beschwerden sind begründet.

Der Unabhängige Verwaltungssenat für Oberösterreich hat eine gesetzwidrige Verordnung angewendet. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war.

Die Beschwerdeführer wurden also durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung in ihren Rechten verletzt (zB VfSlg 10.303/1984, 10.515/1985).

Die Bescheide waren daher aufzuheben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von jeweils € 436,– sowie der Ersatz der Eingabengebühr in Höhe von jeweils € 240,– enthalten.

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