A13/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Die Klage wird zurückgewiesen.
II. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
III. Die klagende Partei ist schuldig, dem Bund zu Handen der Finanzprokuratur die mit € 1.553,20 bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung:
I. Sachverhalt und Klagebegehren
1. In seiner auf Art137 B-VG gestützten Klage gegen den Bund begehrt die klagende Partei die Zahlung von € 19.653,83 samt Anhang aus dem Titel der Staatshaftung wegen der ihrer Ansicht nach unionsrechtswidrigen Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 14. April 2011, 6 Ob 40/11t, und beantragt die Feststellung, "dass die beklagte Partei der klagenden Partei aufgrund der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes [...] für alle gegenwärtigen und zukünftigen Rechtsnachteile und Schäden haftet". Unter einem erhebt die klagende Partei in eventu Beschwerde gemäß Art144 B-VG.
2. Der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes lag dabei folgender Sachverhalt zugrunde:
"Der Beklagte [dabei handelt es sich um die klagende Partei in dem hier vorliegenden Verfahren nach Art137 B-VG] war Eigentümer einer Liegenschaft, die er mit Vertrag vom 4.12.1982 seiner damaligen Ehefrau E. K. schenkte.
Gleichzeitig wurde ein Wohnungs- und Gebrauchsrecht zugunsten des Beklagten auf dieser Liegenschaft einverleibt. Am 20.8.2004 verkaufte E. K. die Liegenschaft um 16.000 EUR an die beiden Kläger.
Die Kläger begehren 5.793,96 EUR und bringen dazu im Wesentlichen vor, sie hätten aufgrund der Rechte des Beklagten keine Möglichkeit, aus der Liegenschaft einen Ertrag zu erzielen, mit dem die Erhaltungskosten abgedeckt werden könnten. Der Beklagte habe daher gemäß §508 letzter Satz ABGB die laufenden Kosten der Erhaltung und des Betriebs der Liegenschaft zu tragen.
Der Beklagte wandte ein, die Kläger hätten eine
2.813 m2 große, als Bauland gewidmete Liegenschaft samt Einfamilienhaus um nur 16.000 EUR gekauft, obwohl der Verkehrswert ein Vielfaches gewesen sei. Die Kläger hätten daher bei Ankauf der Liegenschaft gewusst, dass sie die Kosten der Erhaltung und des Betriebs der Liegenschaft zu tragen hätten. Der Ankauf sei offenkundig aus spekulativen Überlegungen erfolgt.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Ergänzend zu dem eingangs wiedergegebenen Sachverhalt stellte es fest, dass im Kaufvertrag vom 20.8.2004 festgehalten wurde, dass das Wohnungs- und Gebrauchsrecht des Beklagten vom Verkauf nicht berührt und von den Käufern ohne Anrechnung auf den Barkaufpreis übernommen werde. Ausdrücklich wurde festgehalten, dass den Klägern der Umfang des dem Beklagten eingeräumten Wohnungs- und Gebrauchsrechts bekannt sei.
Rechtlich würdigte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahingehend, dass den Klägern keinerlei Nutzungs- oder Einkunftserzielungsmöglichkeit hinsichtlich der Liegenschaft verblieben sei, sodass der Beklagte gemäß §508 ABGB die laufenden Aufwendungen der Liegenschaft sowie die Kosten der Erhaltung und Instandhaltung zu tragen habe.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Unter 'Nutzen' iSd §508 ABGB sei nur jener Nutzen zu verstehen, der gegenwärtig aus der Liegenschaft gezogen werden könne. Dass die Kläger zu einem späteren Zeitpunkt in der Zukunft vermutlich einen Vorteil ziehen würden (Spekulationsgewinn), ändere nichts an dem Umstand, dass sie derzeit keinen Nutzen aus der Liegenschaft zögen.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, wie weit der Begriff 'Nutzen' iSd §508 ABGB zu verstehen sei bzw ob darunter auch allfällige zukünftige Gewinne fielen, die der Eigentümer bei einer Veräußerung nach dem Erlöschen des Wohnungsgebrauchsrechts bei einer Gegenüberstellung mit dem ursprünglichen Verkaufspreis erziele." (Zitat ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen)
3. In rechtlicher Hinsicht schloss sich der Oberste Gerichtshof in seiner der Revision nicht Folge gebenden Entscheidung vom 14. April 2011 "im Ergebnis als auch in der methodischen Ableitung" der rechtlichen Beurteilung des Berufungsgerichtes vollinhaltlich an.
4. In der nunmehr vorliegenden Klage gemäß Art137
B-VG wirft die klagende Partei dem Obersten Gerichtshof einen die Staatshaftung begründenden Verstoß gegen "die Normen der Europäischen Union und gegen die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes" durch die Entscheidung vom 14. April 2011, 6 Ob 40/11t, vor und beruft sich dabei auf "die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, insbesondere Art47, in Verbindung mit dem Vertrag von Lissabon". Das gerichtliche Verfahren sei nicht fair gewesen und die vorliegende Entscheidung des Obersten Gerichtshofes erweise sich als nicht objektiv sondern parteiisch. Weiters habe der Oberste Gerichtshof durch das "kritisierte Fehlurteil" massiv in das Gebrauchsrecht und das Eigentumsrecht der klagenden Partei eingegriffen sowie die klagende Partei durch die Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich des §508 ABGB, in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.
5. Der Bund, vertreten durch die Finanzprokuratur, erstattete als beklagte Partei eine Gegenschrift, in der er das Klagsvorbringen dem Grunde und der Höhe nach bestreitet und die Abweisung der Klage, die Zurückweisung der von der klagenden Partei unter einem erhobenen Beschwerde sowie den Ersatz der Kosten beantragt. Begründend wurde dabei - auf das Wesentliche zusammengefasst - ausgeführt, dass die Klage unschlüssig und unverständlich sei. Der Kläger mache ausdrücklich die "gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung" geltend, obwohl der der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zu Grunde liegende Rechtsstreit nicht den geringsten Gemeinschaftsrechtsbezug aufweise. Im Übrigen würde die inkriminierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes auf einer richtigen rechtlichen Beurteilung beruhen.
6. Die klagende Partei erstattete eine Replik, in der sie dem Vorbringen in der Gegenschrift der beklagten Partei entgegentritt und ihre Klage sowie Beschwerde aufrecht erhält.
II. Erwägungen
A. Zur Unzulässigkeit der Klage gemäß Art137 B-VG:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat bereits in seinen Entscheidungen zu A4/10 (VfGH 2.5.2011, A4/10) und A13/10 (VfGH 29.6.2011, A13/10) seine Judikatur bestätigt, dass es nicht seine Aufgabe sei, in einem Staatshaftungsverfahren wie dem hier vorliegenden - ähnlich einem Rechtsmittelgericht - die Richtigkeit der Entscheidungen anderer Höchstgerichte zu prüfen. Der Verfassungsgerichtshof ist nur zur Beurteilung berufen, ob ein qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht im Sinne der Rechtsprechung des EuGH (vgl. u.a. EuGH 30.9.2003, Rs. C-224/01, Köbler gg. Republik Österreich) vorliegt (vgl. VfSlg. 17.095/2003, 17.214/2004). Wie sich aus dieser Rechtsprechung ergibt, hat der Verfassungsgerichtshof seine Zuständigkeit gemäß Art137 B-VG auf jene Fälle beschränkt, aus denen sich ein Staatshaftungsanspruch unmittelbar aufgrund des Unionsrechts ergibt. Soweit ein Schadenersatzanspruch nach den österreichischen Vorschriften über das Amtshaftungsrecht begründet wird, ist die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte gegeben (vgl. VfSlg. 16.107/2001).
2. Wie der Verfassungsgerichtshof in den eingangs genannten Entscheidungen bereits ausgesprochen hat, ist eine auf den Titel der Staatshaftung gestützte Klage unter anderem nur unter der Voraussetzung zulässig, dass ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht (nunmehr das Unionsrecht) geltend gemacht wird, der im Sinne der Rechtsprechung des EuGH offenkundig ist. Wie der EuGH in der Rechtssache Köbler (EuGH, Köbler, Rz 51 ff.) festhält, liegt ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen Unionsrecht durch ein nationales letztinstanzliches Gericht unter Berücksichtigung der Besonderheit der richterlichen Funktion und der berechtigten Belange der Rechtssicherheit insbesondere dann vor, wenn gegen eine klare und präzise Vorschrift verstoßen oder eine einschlägige Rechtsprechung des EuGH offenkundig verkannt wird.
Der Kläger im Staatshaftungsverfahren hat daher begründet darzulegen, dass eine dieser Voraussetzungen erfüllt ist. Der behauptete Verstoß muss also der Art nach möglich sein. Lässt eine Klage dies jedoch vermissen oder werden lediglich Auslegungsfragen aufgeworfen, so wird dadurch dieser Anforderung nicht Genüge getan. Eine solche Klage ist unzulässig.
3. Die klagende Partei behauptet nun zwar einen die Staatshaftung auslösenden Verstoß gegen das Unionsrecht durch die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 14. April 2012, 6 Ob 40/11t, aus ihren Darlegungen ist aber in keiner Weise nachvollziehbar, worin die Offenkundigkeit des behaupteten Verstoßes gelegen sein soll. Sie legt unter allgemeinen Ausführungen zur EU-Grundrechte-Charta sowie dem Vertrag von Lissabon lediglich dar, warum es sich bei der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes um ein "Fehlurteil" handle und insofern das Recht der Europäischen Union nicht beachtet worden sei. Dem Klagsvorbringen ist aber mit keinem Wort zu entnehmen, worin - vor dem Hintergrund der Ausführungen des Obersten Gerichtshofes - der qualifizierte Verstoß gegen das Unionsrecht besteht, der so offenkundig ist, dass er im Sinne der Rechtsprechung des EuGH eine Staatshaftung und im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes die Zulässigkeit eines Verfahrens nach Art137 B-VG auslöst.
B. Zur Unzulässigkeit der Beschwerde gemäß Art144
Abs1 B-VG:
1. Des Weiteren brachte die klagende Partei "in
eventu" eine Beschwerde gemäß Art144 B-VG wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte ein.
2. Die Beschwerde richtet sich - offenbar - gegen die oben genannte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes und damit gegen Akte der Gerichtsbarkeit.
3. Weder Art144 B-VG noch eine andere
Rechtsvorschrift räumen dem Verfassungsgerichtshof die Befugnis ein, Akte der Gerichtsbarkeit zu überprüfen (zB VfSlg. 11.695/1988, 14.186/1995, 14.625/1996; VfGH 16.12.1998, B1596/98; 30.6.2000, B930/00 ua.).
III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die Klage und die Beschwerde waren daher zurückzuweisen.
2. Der beklagten Partei waren für ihren Schriftsatz Kosten im Ausmaß der TP3c in der Höhe von € 1.553,20 zuzusprechen. Dies beinhaltet den für die Klagebeantwortung zuzusprechenden Einheitssatz von 100%.
3. Diese Beschlüsse konnten gemäß §19 Abs3 Z2 VfGG ohne vorangegangene Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.