JudikaturVfGH

G216/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
Umweltrecht
06. Oktober 2025
Leitsatz

Abweisung eines Individualantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des AbfallwirtschaftsG 2002 betreffend die Verpflichtung zur Durchführung von Abfalltransporten mit der Bahn bei einem Gesamtgewicht von mehr als zehn Tonnen für bestimmte Transportstrecken; kein Verstoß gegen das Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums auf Grund der Bedachtnahme des Regelungssystems auf den zusätzlichen Aufwand, bestehende Kapazitäten der Bahn sowie wegen des öffentlichen Interesses an der Reduktion von Treibhausgasemissionen zur Erreichung der Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschutzziele; kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz im Hinblick auf die schrittweise Einführung von Klimaschutzmaßnahmen durch den – derzeit nur für (gefährliche) Abfälle und nicht auch für andere Transportgüter geltenden – Bahnzwang; kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip durch das Fehlen einer Regelung hinsichtlich des Nachweises für ein der Bahn gleichwertiges Transportmittel bzw der Berechnung der Transportstrecke und des Transportgewichts

Keine Bedenken gegen §15 Abs9 und §69 Abs10 idF BGBl I 200/2021 sowie weitere näher bezeichnete Bestimmungen des AbfallwirtschaftsG 2002.

Kein Verstoß gegen das Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung sowie auf Unversehrtheit des Eigentums:

Der Gesetzgeber verfolgt mit den angefochtenen Bestimmungen das Ziel, durch einen verstärkten Transport "bahnaffiner Güter" auf der Schiene einen wesentlichen Beitrag zur Reduktion von Emissionen im Straßenverkehr zu leisten. Der Gesundheits- und Umweltschutz sowie der Klimaschutz stellen gewichtige öffentliche Interessen dar. Österreich ist auch auf Grund völker- und unionsrechtlicher Vorgaben dazu verpflichtet, weitreichende Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen bis 2050 zu.

Anders als die Antragstellerinnen vermeinen, ist die Verpflichtung, bestimmte Abfalltransporte mit der Bahn oder durch andere Verkehrsmittel mit gleichwertigem oder geringerem Schadstoff- oder Treibhausgasemissionspotential durchführen zu lassen, auch ein taugliches Mittel, um den angestrebten Klimaschutz zu verfolgen.

Wenn die Antragstellerinnen hervorheben, die aktuell verfügbaren multimodalen Logistikangebote verunmöglichten es, auf Bedarfsschwankungen zu reagieren und eine Produktion "rund um die Uhr ('24/7')" zu betreiben, ist darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber in die Ausgestaltung von Verträgen über den Bahntransport nicht eingreift und die Verpflichtung zum Bahntransport gemäß §15 Abs9 AWG 2002 ua voraussetzt, dass "entsprechende Kapazitäten" bereitgestellt werden können.

Maßnahmen zur Verlagerung des Abfalltransports auf die Schiene sind auch zur Zielerreichung (Gesundheits-, Umwelt- und Klimaschutz) im Hinblick auf das Gesamteinsparungsziel erforderlich, ist dadurch doch ausweislich der Gesetzesmaterialien ein Einsparungspotential von 10.000 Tonnen CO2-Äquivalenten zu erreichen. Vor dem Hintergrund, dass der Verkehrssektor zu den Hauptverursachern von Treibhausgasemissionen zählt, ist in diesem Bereich ein besonderer Bedarf an Maßnahmen nachvollziehbar. Angesichts der Bedeutung der öffentlichen Interessen ist der Eingriff auch adäquat. Die angefochtenen Regelungen dienen dem Schutz grundrechtlich relevanter Güter; der Gesetzgeber verfolgt insoweit ein Ziel von erheblichem Gewicht.

Der Gesetzgeber hat ein Regelungssystem geschaffen, das in genereller Weise auf den mit der Verpflichtung zum Bahntransport verbundenen zusätzlichen Aufwand (Zeit, Kosten) Bedacht nimmt: Die angefochtenen Vorgaben kommen für den Abfalltransport für Transportmengen unter 10 t und Transportstrecken unter 200 km (ab 01.01.2026: unter 100 km) nicht zur Anwendung. §15 Abs9 bzw §69 Abs10 AWG 2002 sind zudem nicht anwendbar, wenn beim Bahntransport die auf der Straße zurückzulegende Transportstrecke für die An- und Abfahrt zu und von einer der am nächstgelegenen Verladestellen im Vergleich zum ausschließlichen Transport auf der Straße 25 % oder mehr betragen würde. Schließlich kommt bei gleichwertigem oder geringerem Schadstoff- und Treibhausgasemissionspotential auch der Transport durch LKW mit alternativen Antrieben (Elektro, Brennstoffzelle, etc) in Betracht. Der Gesetzgeber ordnet insofern mit der angefochtenen Verpflichtung keine unverhältnismäßigen Belastungen an.

Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz:

Der VfGH kann nicht erkennen, dass es sich bei der angefochtenen Maßnahme um ein zur Zielerreichung ungeeignetes und damit unsachliches Mittel handeln würde. Eine Verpflichtung zum Transport bestimmter Abfälle auf Schiene besteht bereits seit 2011 und wird als ein effektiver Anreiz dafür angesehen, dass Logistikkonzepte für Abfalltransporte auf Schiene entwickelt werden.

Der Gesetzgeber hat seinen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum auch nicht dadurch überschritten, dass er die angefochtenen Transportbestimmungen derzeit nur für Abfälle vorsieht. Der VfGH vermag nicht zu erkennen, dass eine solche (auch mit Blick auf die Transportkapazitäten der Bahn) schrittweise Einführung von Klimaschutzmaßnahmen gleichheitswidrig wäre. Dazu kommt, dass die von der Verpflichtung erfassten Transportstrecken bzw Stoffströme weitgehend vorhersehbar sind und auch auf bereits bestehende Bahninfrastruktur zurückgegriffen werden kann. Der Gesetzgeber ist im Übrigen nicht gehalten, zur Erreichung der unions- und völkerrechtlichen Klimaschutzziele gleichartige Maßnahmen auch auf anderen Gebieten einzusetzen.

Vor dem Hintergrund, dass sowohl das Gefahrgutbeförderungsgesetz als auch das Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) Vorgaben für den Transport der gefährlichen Abfälle auf Schiene vorsehen und das AWG 2002 spezifische Vorgaben zum Umgang (auch) mit gefährlichen Abfällen enthält, kann der VfGH auch keine Unsachlichkeit darin erkennen, dass auch gefährliche Abfälle mit der Bahn transportiert werden müssen.

Mit dem Vorbringen, dass das Gesetz keine Ausnahmen von der Transportverpflichtung vorsehe, wenn der Bahntransport aus technischen oder wirtschaftlichen Gründen unzumutbar sei, sind die Antragstellerinnen nicht im Recht: Der Gesetzgeber hat eine Verpflichtung zum Bahntransport nur insoweit vorgesehen, als von der Bahn "entsprechende Kapazitäten" bereitgestellt werden können. Die angefochtenen Bestimmungen setzen zunächst voraus, dass der Bahntransport im konkreten Fall technisch möglich ist. Zudem geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Kosten von Transporten über die Schiene mit LKW-Transporten im Durchschnitt (jedenfalls bei Distanzen über 100 km) als gleichwertig zu beurteilen sind. Insgesamt ist dem angefochtenen Regelungssystem inhärent, dass eine Verpflichtung besteht, Angebote zu wirtschaftlich angemessenen Konditionen bereitzustellen und entsprechende Transportverträge abzuschließen. Dass die Umsetzung der angefochtenen Klimaschutzmaßnahme mit finanziellen Mehrkosten für die Antragstellerinnen einhergehen kann, vermag als solches eine Unsachlichkeit der Regelung nicht zu begründen.

Kein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip:

In welcher Form der Nachweis darüber zu erbringen ist, dass der Transport alternativ zur Bahn mit einem im Hinblick auf das Schadstoff- und Treibhausgaspotential gleichwertigen Transportmittel erfolgt, ist im Gesetz nicht näher geregelt. Insbesondere verlangt der Gesetzgeber keinen Nachweis über die gemäß §15 Abs9 bzw §69 Abs10 AWG 2002 eingerichtete digitale Plattform. Diese Ausgestaltung der gesetzlichen Vorgaben verstößt nicht gegen Art18 B‑VG. Der VfGH vermag auch nicht zu erkennen, dass die gesetzlichen Vorgaben im Hinblick auf die Berechnung der Transportstrecke und des Transportgewichtes zu unbestimmt wären.

Der VfGH teilt nicht das Bedenken, dass die EVU-Abfallartenliste zu erheblicher Rechtsunsicherheit führe und unklar sei, wie lange sie noch Bestand habe und anhand welcher Kriterien die Erstellung der Liste vorgenommen werde. Die EVU-Abfallartenliste entfaltet keine normative Wirkung. Die Liste bildet nur die Praxis bei der Angebotslegung der Eisenbahnverkehrsunternehmen ab. Die Liste wird bei Anfragen von Bahntransportdienstleistungen als Service von den registrierten Eisenbahnverkehrsunternehmen zur Verfügung gestellt und informiert darüber, für welche Abfälle aktuell Bahntransporte angeboten werden.