Verstoß einer Bestimmung des FortpflanzungsmedizinG betreffend das "Social Egg Freezing" als Methode der In-Vitro-Fertilisation gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens; keine Erforderlichkeit des ausnahmslosen Verbotes der medizinisch nicht indizierten Eizellentnahme und -aufbewahrung für eine künftige medizinisch unterstützte Fortpflanzung zum Schutz der Gesundheit, der Moral oder der Rechte und Freiheiten anderer in einer demokratischen Gesellschaft; weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers bei der Anordnung begleitender Maßnahmen zur Vermeidung wirtschaftlicher Anreize, der Ermöglichung einer freien und informierten Entscheidung durch die Frau und Berücksichtigung gesundheitlicher Perspektiven
Aufhebung des §2b Abs1 FMedG idF BGBl I 35/2015. Fristsetzung: Inkrafttreten der Aufhebung mit Ablauf des 31.03.2027.
Der Wunsch, ein Kind zu haben und sich zu diesem Zweck natürlicher oder medizinisch unterstützter Methoden der Fortpflanzung zu bedienen, fällt nach der Rsp und herrschenden Lehre als Teil des Privatlebens in den Schutzbereich des Art8 EMRK. Soweit die – im Entnahmezeitpunkt – medizinisch nicht indizierte Entnahme und Aufbewahrung von Eizellen notwendige Maßnahmen für eine künftige medizinisch unterstützte Fortpflanzung sein sollen, fällt auch das Recht, diese von Dritten vornehmen zu lassen, unter dem Gesichtspunkt der Achtung des Privatlebens in den Schutzbereich des Art8 Abs1 EMRK.
Die Entnahme und Lagerung von Eizellen (ausnahmslos) ist nach geltender Rechtslage unzulässig, wenn dafür keine medizinische Indikation iSd §2b Abs1 zweiter Halbsatz FMedG vorliegt. Die Verfassungsmäßigkeit dieses gesetzlichen Verbotes setzt – abgesehen von den hier nicht berührten Belangen der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ruhe und Ordnung, des wirtschaftlichen Wohles des Landes, der Verteidigung der Ordnung und der Verhinderung strafbarer Handlungen – gemäß Art8 Abs2 EMRK voraus, dass es sich bei diesem um eine Maßnahme handelt, die in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist, wobei der Begriff der Moral den Schutz des moralischen Ethos oder der moralischen Normen der Gesellschaft insgesamt umfassen kann, also keineswegs ein (Un)Werturteil über individuelles Verhalten zum Ausdruck bringen soll.
Der VfGH ging in seiner bisherigen Rsp davon aus, dass gesetzliche Einschränkungen der Reproduktionsmedizin legitimen Zielen gemäß Art8 Abs2 EMRK dienen können.
Das ausnahmslose Verbot der Methode der medizinisch nicht indizierten Eizellentnahme und -aufbewahrung ist jedoch – auf Grund der nachfolgenden Erwägungen, die inbesondere auch den insgesamt vom FMedG aufgespannten rechtlichen Rahmen berücksichtigen – zur Erreichung solcher Ziele nicht erforderlich:
Es ist einleitend festzuhalten, dass sich die besonderen ethischen und moralischen Probleme, mit denen (speziell heterologe) Formen der artifiziellen Fortpflanzung behaftet sein können (zB Ausbeutung der Gebärfähigkeit der Frau, Schaffung ungewöhnlicher persönlicher Beziehungen, Entstehen überzähliger Embryonen, Selektion von Embryonen), bei einer Entnahme und Aufbewahrung von Eizellen für eine spätere In-vitro-Fertilisation teils nicht ergeben, weil diese Maßnahmen auf die homologe Herbeiführung einer Schwangerschaft mit den Keimzellen der Ehegatten, eingetragenen Partner oder Lebensgefährten gerichtet sind. Teils resultieren die genannten Probleme nicht aus der Eizellentnahme und -aufbewahrung selbst, sondern aus dem (diesen Maßnahmen nachfolgenden) Verfahren der In-vitro-Fertilisation.
Vor diesem Hintergrund kommt dem Gesetzgeber bei der Regelung der in Rede stehenden Maßnahmen auch kein solcher (weiter) rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu, wie er nach der Rsp des VfGH für die Regelung (reproduktions)medizinischer Verfahren insbesondere dann besteht, wenn diese komplizierte wissenschaftliche, rechtliche, moralische und gesellschaftliche Probleme aufwerfen.
Mit der Methode der Entnahme und Aufbewahrung von Eizellen sind bestimmte gesundheitliche Risiken verbunden, so etwa im Zusammenhang mit der hormonellen Stimulation vor der Entnahme und bei der Entnahme selbst sowie auf Grund einer – abhängig vom Alter der Frau – höher werdenden Rate an chromosomal fehlverteilten Eizellen. Überdies bestehen mit zunehmendem Alter der Wunschmutter für diese höhere gesundheitliche Risiken auf Grund der Schwangerschaft selbst, die mit abnehmenden Erfolgsaussichten der medizinisch unterstützten Fortpflanzung korrelieren. In der mündlichen Verhandlung vor dem VfGH wurden deshalb aus medizinischer Sicht bestimmte Altersgrenzen für die Entnahme (40 bis 42 Jahre) bzw für die Verwendung der Eizellen (45 bis 50 Jahre) genannt.
Die Entnahme und Aufbewahrung von Eizellen ist nach dem FMedG grundsätzlich – unter bestimmten Voraussetzungen bzw Rahmenbedingungen – zulässig. Die Entnahme ist eine notwendige Maßnahme vor einer In-vitro-Fertilisation gemäß §1 Abs2 Z2 FMedG. Den mit ihr verbundenen gesundheitlichen Risiken für die Frau begegnet das FMedG ua mit qualitativen Anforderungen an die Krankenanstalt, in der die Entnahme (und allenfalls auch die Aufbewahrung) stattfindet, mit ärztlichen Aufklärungs- und Beratungspflichten sowie – im Hinblick auf die Eizellspende – mit einem Kommerzialisierungs- und Vermittlungsverbot. Eizellen, die für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung entnommen werden, dürfen außerdem nur insoweit untersucht und behandelt werden, als dies nach dem Stand der Wissenschaft und Erfahrung für die Herbeiführung einer Schwangerschaft erforderlich ist.
Die Entnahme von Eizellen zur Verwendung bei einer anderen Frau ("Eizellspende") ist prinzipiell zwar ebenso zulässig, jedoch an weitere Voraussetzungen geknüpft. Die Eizellen dürfen bloß ausnahmsweise und nur dann verwendet werden, wenn die Eizellen der Frau, bei der die Schwangerschaft herbeigeführt werden soll, nicht fortpflanzungsfähig sind und diese Frau zum Zeitpunkt des Behandlungsbeginns das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Eizellen, die für eine dritte Person verwendet werden sollen, dürfen zufolge §2b Abs2 iVm §13 Abs1 FMedG nur vom vollendeten 18. bis zum vollendeten 30. Lebensjahr entnommen werden, um einerseits die Entscheidungsfähigkeit der Spenderin und andererseits die Erfolgsaussichten einer In-vitro-Fertilisation mit den gespendeten Eizellen zu wahren. Die nach den §§11 und 12 FMedG gebotene Untersuchung der Spenderin und ihrer Eizellen hat sicherzustellen, dass die Eizellen nach dem jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und Erfahrung fortpflanzungsfähig sind und durch deren Verwendung keine gesundheitlichen Gefahren für die Frau oder das gewünschte Kind entstehen können.
Die medizinisch nicht indizierte Entnahme und Aufbewahrung von Eizellen steht überdies mit dem dem FMedG zugrunde liegenden ultima ratio-Prinzip nicht in Konflikt, wonach eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung prinzipiell nur dann zulässig ist, wenn die Herbeiführung einer Schwangerschaft durch Geschlechtsverkehr nicht in Betracht kommt. Die in Rede stehenden Maßnahmen verfolgen nämlich den Zweck, eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung mit den Eizellen der Wunschmutter (erst) in einem in der Zukunft liegenden Zeitpunkt zu ermöglichen, an dem dann ein Wunsch nach eigenen Kindern auf natürlichem Weg nicht mehr erfüllt werden kann.
Es ist vor diesem Hintergrund für den VfGH nicht erkennbar, dass mit der – im Entnahmezeitpunkt – medizinisch nicht indizierten Entnahme und Aufbewahrung von Eizellen für eine medizinisch unterstützte Fortpflanzung solche gesundheitlichen Risiken für die Wunschmutter bzw das Kind verbunden sind, denen nur mit einem ausnahmslosen Verbot und nicht auch mit weniger einschneidenden Mitteln – etwa in Gestalt von Aufklärungs- und Beratungspflichten sowie von Altersvoraussetzungen – begegnet werden kann. Für die spätere Verwendung der Eizellen bei einer In-vitro-Fertilisation enthält das FMedG ohnehin Regelungen, für die der Umstand, dass bei der Methode des "Egg Freezing" die Entnahme nicht unmittelbar vor der, sondern als gesonderte medizinische Maßnahme mit zeitlichem Abstand zur In-vitro-Fertilisation erfolgt, keine Änderungen bedingt.
Die Bundesregierung hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, dass das ausnahmslose Verbot aus "ethischen Überlegungen" gerechtfertigt sei, weil es Druck auf Frauen verhindere, auf Grund allfälliger gesellschaftlicher Erwartungen oder der Erwartungen ihres Arbeitgebers die Erfüllung des Kinderwunsches mit medizinisch unterstützten Methoden auf später zu verschieben. Auch derartige negative Auswirkungen, die aus der Verfügbarkeit der medizinisch nicht indizierten Eizellentnahme und -aufbewahrung resultieren können, rechtfertigen das ausnahmslose Verbot dieser Methode nicht: Zwar müssen nach der Rsp des EGMR und des VfGH Bedenken hinsichtlich der Moral oder der gesellschaftlichen Akzeptanz gerade in einem sensiblen Bereich wie der Reproduktionsmedizin ernst genommen werden. Jedoch stellt selbst ein möglicher Missbrauch nach dieser Rsp noch keinen ausreichenden Grund für das gänzliche Verbot einer bestimmten reproduktionsmedizinischen Methode dar, wenn und soweit eine Möglichkeit besteht, deren Anwendung zu regulieren und Sicherungen gegen Missbrauch vorzusehen.
Die von Art8 EMRK geschützte Entscheidungsfreiheit über die (Art und Weise der) Fortpflanzung bedeutet im vorliegenden Zusammenhang, dass die Entscheidung über die Entnahme und Aufbewahrung von Eizellen von der Frau selbst in eigener Verantwortung zu treffen ist. Es liegt demnach an ihr, die für ihre Entscheidung notwendigen Informationen einzuholen und die für sie relevanten Gründe, die für oder gegen die Durchführung der Maßnahmen sprechen, gegeneinander abzuwägen. Der Umstand, dass die Entscheidungsfindung unterschiedlichen externen, etwa sozialen oder beruflichen Einflüssen ausgesetzt sein kann, die auch durch gesetzliche Regelungen – bei prinzipieller Zulässigkeit der Methode – nicht völlig ausgeschlossen werden können, trägt für sich ein ausnahmsloses Verbot der in Rede stehenden Maßnahmen nicht. Ebensowenig kann das Risiko unzutreffender Annahmen einer Frau über die Erfolgsaussichten dieser Maßnahmen das Verbot rechtfertigen.
Der Gesetzgeber hat auf Grund der zuvor angesprochenen Problemfelder grundsätzlich einen weiten Spielraum bei der Anordnung flankierender Maßnahmen für die Methode des "Social Egg Freezing", innerhalb dessen er beispielsweise die Bewerbung dieser Methode oder die Vermeidung wirtschaftlicher Anreize für die Durchführung dieser Methode regeln kann. Unter Umständen können gesetzliche Vorkehrungen (zB Aufklärungs- und Beratungspflichten iSd §7 FMedG sowie bestimmte Altersvoraussetzungen) im Lichte des Art8 EMRK nicht bloß verfassungsrechtlich zulässig, sondern auch geboten sein, um eine freie und informierte Entscheidung der Frau zu ermöglichen und aus gesundheitlicher Perspektive von vornherein besonders risikobehaftete Konstellationen auszuschließen.
Anzumerken bleibt, dass eine völlige rechtliche Gleichbehandlung der medizinisch indizierten Eizellentnahme und -aufbewahrung einerseits sowie der Anwendung dieser Methode ohne medizinischen Grund andererseits nicht verlangt ist. So kann beispielsweise eine differenzierende Regelung des Alters der Frau bei der Eizellentnahme gerechtfertigt sein, um eine Entnahme aus medizinischen Gründen, etwa bei vorzeitiger Menopause, jedenfalls zu ermöglichen.
Ein sonstiger Grund, der das ausnahmslose Verbot der medizinisch nicht indizierten Eizellentnahme und -aufbewahrung unter dem Blickwinkel des Art8 Abs2 EMRK rechtfertigen könnte, ergibt sich weder aus den Gesetzesmaterialien, noch wurde ein solcher Grund im verfassungsgerichtlichen Verfahren vorgebracht. Auch für den VfGH ist ein solcher Grund nicht ersichtlich.
Ein ausnahmloses Verbot der medizinisch nicht indizierten Eizellentnahme und -aufbewahrung, das jeder Frau – unabhängig von ihrem Alter bei der Entnahme der Eizellen bzw bei der Verwendung dieser für eine artifizielle Fortpflanzung – die Inanspruchnahme dieser medizinischen Maßnahmen verwehrt, ist demnach für die Erreichung der oben genannten Ziele nicht erforderlich und daher unverhältnismäßig. Die angefochtene Bestimmung des §2b Abs1 FMedG verstößt sohin gegen Art8 EMRK.
Die Formulierung der Bestimmung des §2b Abs1 FMedG lässt es im vorliegenden Kontext nicht zu, bei der Abgrenzung des Aufhebungsumfanges zwischen der Entnahme und Aufbewahrung von Eizellen und Eierstockgewebe einerseits und der Entnahme und Aufbewahrung von Samen und Hodengewebe andererseits zu differenzieren. Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, werden zur Herstellung einer insgesamt verfassungskonformen Rechtslage zudem in mehrfachem Zusammenhang gesetzliche Regelungen erforderlich sein. Daher ist als Ergebnis der bei der Abgrenzung des Umfanges der aufzuhebenden Gesetzesbestimmung regelmäßig erforderlichen Abwägung im vorliegenden Fall einer Aufhebung der angefochtenen Bestimmung des §2b Abs1 FMedG zur Gänze der Vorzug zu geben.
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