V99/2024 (V99/2024-16) – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Leitsatz
Gesetzwidrigkeit einer Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya betreffend eine Volksbefragung über die Errichtung einer Windkraftanlagen mangels Klarheit der Fragestellung im Hinblick auf die "erforderlichen Maßnahmen im eigenen Wirkungsbereich" der Gemeinde
Gesetzwidrigkeit der als Verordnung des Gemeinderates der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya zu qualifizierenden Teile der Kundmachung des Bürgermeisters vom 23.01.2024 betreffend eine Volksbefragung zu Errichtung und Betrieb einer Windkraftanlage im Gemeindegebiet. Durchführung der Volksbefragung am Sonntag, dem 10.03.2024. 2.884 gültig abgegebenen Stimmen, 1.493 Stimmen auf JA und 1.391 Stimmen auf NEIN.Fragestellung: "Soll der Gemeinderat die erforderlichen Maßnahmen im eigenen Wirkungsbereich beschließen, damit 3 bis maximal 5 Windräder auf dem Gemeindegebiet der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya (Gebiet Predigtstuhl) errichtet und betrieben werden können?"
Der Wortlaut der Fragestellung genügt den Anforderungen des Art117 Abs8 B-VG nicht. Er lässt in keiner Weise erkennen, welche Angelegenheit iSd §63 Abs1 NÖ GO 1973 den Gegenstand der Befragung der Gemeindemitglieder bilden soll, zumal lediglich von den vom Gemeinderat zu beschließenden "erforderlichen Maßnahmen im eigenen Wirkungsbereich" die Rede ist. Daran ändert im vorliegenden Fall auch die Bezugnahme auf ein konkretes Vorhaben (Errichtung und Betrieb von drei bis maximal fünf Windrädern) in der Fragestellung nichts, zumal dieses seiner Art nach unterschiedliche Maßnahmen der Gemeinde erfordern kann, so beispielsweise die Schaffung der raumplanerischen Voraussetzungen für die Umsetzung des Vorhabens, die (finanzielle) Förderung des Vorhabens oder die Errichtung und den Betrieb von Windkraftanlagen durch die Gemeinde selbst. Es lässt sich aus dem in der Fragestellung zum Ausdruck gebrachten Vorhaben daher weder ableiten, dass die Umwidmung von bestimmten Grundstücken der Gegenstand der Volksbefragung sein, noch, dass es ausschließlich um diese Frage gehen soll.
Bei all dem spielen – notwendigerweise spekulative – Erwägungen über den Kenntnisstand der stimmberechtigten Bürger bzw der "Durchschnittswähler", wie sie der Gemeinderat der Stadtgemeinde Waidhofen an der Thaya anstellt, von vornherein keine Rolle. Wie der VfGH bereits in VfSlg 15.816/2000 ausgesprochen hat, kommt es auch nicht darauf an, ob und wie intensiv eine Frage vor einer Volksbefragung diskutiert wurde. Dem Erfordernis der Klarheit und Eindeutigkeit genügt es sohin im vorliegenden Fall auch nicht, dass in den "Stadtnachrichten" über das mögliche Vorhaben informiert und das Thema der Umwidmung ausdrücklich angesprochen wurde.
Die Fragestellung ist demnach nicht klar und eindeutig formuliert. Unter der vom Gemeinderat ins Treffen geführten Prämisse, wonach "mit den 'erforderlichen Maßnahmen des Gemeinderates' ausschließlich ein Umwidmungsverfahren angesprochen war bzw sein konnte", wäre es möglich und geboten gewesen, den Wortlaut der Fragestellung entsprechend konkreter zu fassen, um Missverständnisse über die in Frage stehende Angelegenheit zu vermeiden.
(Anlassfall: WIII1/2024, E v 24.06.2025, Aufhebung des Verfahrens zur Volksbefragung vom 10.03.2024).