E3986/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander betreffend die Nicht-Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft allein wegen des Vorliegens minderschwerer Verwaltungsübertretungen ungeachtet der langen Aufenthaltsdauer, Unbescholtenheit und des reumütigen Verhaltens des Antragstellers
Die Verwaltungsübertretungen, auf die das Verwaltungsgericht Wien (VGW — LVwG) seine negative Prognoseentscheidung gemäß §10 Abs1 Z6 StbG stützt (Telefonieren ohne Freisprecheinrichtung während dem Radfahren auf einem Gehsteig; Telefonieren ohne Freisprecheinrichtung während dem Radfahren bei Dunkelheit ohne Beleuchtung des Fahrrads; Beschimpfung von Exekutivbeamten), sind angesichts der jeweils geringen Strafhöhe als minderschwer zu bewerten. Sie betreffen ein Fehlverhalten, das, ungeachtet dessen, dass es nicht vorkommen sollte, nicht als untypisch angesehen werden kann. Dieses Fehlverhalten hat der Beschwerdeführer in einem kurzen Zeitraum zweimal gesetzt und vorher und, insbesondere, nachher nicht wiederholt. Das VGW geht in seiner Entscheidung selbst davon aus, dass der Beschwerdeführer sich mit seinem Fehlverhalten auseinandergesetzt und sein Verhalten als Fahrradfahrer angepasst hat sowie seine Wortwahl gegenüber den Exekutivbeamten glaubhaft bereut.
Es kann auch einem die durch §10 Abs1 Z6 StbG geschützten Grundinteressen der Gesellschaft achtenden und respektierenden Mitglied dieser Gesellschaft unterlaufen, da oder dort eine Ordnungswidrigkeit zu begehen. Würde §10 Abs1 Z6 StbG davon ausgehen, dass so gut wie jede Verwaltungsübertretung eine positive Prognoseentscheidung ausschließt bzw eine solche nur bei einem langen (das LVwG erachtet neun bis zehn Monate jedenfalls als zu kurz), über die als Voraussetzung für die Verleihung ohnedies geforderte Aufenthaltsdauer hinausgehenden Beobachtungszeitraum ermöglicht, würde diese Bestimmung über die gesetzlich geforderte Aufenthaltsdauer des Staatsbürgerschaftswerbers im Bundesgebiet hinweg an ihn Verhaltensanforderungen stellen, die mit der erklärten Zielsetzung der Bestimmung, jenen Menschen die Staatsbürgerschaft zu verwehren, von denen eine erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr ausgehen kann, nicht vereinbar sind. Ungeachtet der Eigenständigkeit der Verleihungsvoraussetzung des §10 Abs1 Z6 StbG wären bei einem solchen Verständnis dieser Bestimmung auch die Verleihungshindernisse des §10 Abs2 Z1 und 2 StbG überflüssig.
Vor diesem Hintergrund unterstellt das LVwG §10 Abs1 Z6 StbG einen sachlich nicht zu rechtfertigenden und damit gleichheitswidrigen Inhalt, wenn es sich allein durch das Vorliegen der konkret dem Beschwerdeführer anzulastenden Verwaltungsübertretungen, ungeachtet des Umstandes, dass der Beschwerdeführer über seine (lange) Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet hinweg ansonsten in jeder Hinsicht unbescholten ist, sowie angesichts des vom VGW selbst festgestellten reumütigen Verhaltens des Beschwerdeführers dennoch durch §10 Abs1 Z6 StbG zu einer negativen Prognoseentscheidung bestimmt sieht.