JudikaturVfGH

E1806/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
Öffentliches Recht
28. November 2024

Der Grundsatz der festen Geschäftsverteilung gemäß Art135 Abs2 B-VG entspricht den Regelungen für die ordentliche Gerichtsbarkeit in Art87 Abs3 B‑VG. Er stellt sicher, dass durch generelle Vorschriften von vornherein festgelegt ist, wer der zuständige Richter in einem Verfahren sein wird. Es darf dabei kein Spielraum für eine wie immer geartete Einflussnahme bleiben und es muss jedenfalls eindeutig nachvollziehbar und verlässlich überprüfbar sein, warum eine Rechtssache gerade einem bestimmten Richter oder einer bestimmten Richterin zugeteilt wurde. Für das LVwG sieht §11 Vbg LVwG‑G vor, dass die Geschäftsverteilung durch die Vollversammlung des LVwG zu erlassen ist.

Die Geschäftsverteilung ist eine Aufgabe der Justizverwaltung, welche in Verwaltungsgerichten von Verfassungs wegen gemäß Art135 Abs2 B‑VG durch ein richterliches Kollegialorgan zu besorgen ist, sodass die Mitwirkung der Mitglieder dieses Kollegialorgans gemäß Art134 Abs7 iVm Art87 Abs2 B‑VG in Ausübung ihres richterlichen Amtes und sohin unabhängig erfolgt. Die Geschäftsverteilung eines Verwaltungsgerichtes ist demnach keine Verordnung iSd Art89 und des Art139 B‑VG, sondern ein genereller Akt der Gerichtsbarkeit. Aus diesem Grund ist dem VfGH die Überprüfung einer Geschäftsverteilung eines Verwaltungsgerichtes in einem Verfahren gemäß Art139 B‑VG verwehrt. In Betracht kommt allerdings das Aufgreifen einer in der Geschäftsverteilung begründeten Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter in einem Verfahren gemäß Art144 B‑VG.

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch eine Entscheidung eines Verwaltungsgerichtes verletzt, wenn das Verwaltungsgericht eine ihm gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt. Dies ist im Hinblick auf den Grundsatz der festen Geschäftsverteilung gemäß Art135 Abs2 B‑VG auch dann der Fall, wenn ein nach der Geschäftsverteilung nicht zuständiger Richter oder Senat des Verwaltungsgerichtes entscheidet.

Eine Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter liegt vor diesem Hintergrund (auch) immer dann vor, wenn sich für einen konkreten Geschäftsfall aus der Geschäftsverteilung des Verwaltungsgerichtes gemäß Art135 Abs2 B‑VG und, soweit diese auf den Zeitpunkt des Einlangens eines Geschäftsfalles abstellt, aus der Dokumentation des Verwaltungsgerichtes über diesen Zeitpunkt keine zweifelsfrei nachvollziehbare und überprüfbare, sohin eindeutige Zuständigkeit eines Richters oder eines Senates ergibt.

Die Geschäftsverteilung des LVwG für das Jahr 2022, Nr 4, sieht in §9 vor, dass die – hier maßgeblichen – Geschäftsfälle aus dem Zuständigkeitsbereich "Umweltschutz-, Wirtschafts- und Baurecht" fortlaufend in der Reihenfolge namentlich genannten Richtern zuzuweisen sind.

Die beim LVwG einlangenden Geschäftsfälle werden mit einem Eingangsvermerk versehen, der den Tag sowie die Uhrzeit des Einlangens dokumentiert. In der Geschäftsverteilung für das Jahr 2022, Nr 4, werden jedoch keine Vorkehrungen für den Fall getroffen, dass an einem Tag zwei oder mehrere Geschäftsfälle aus demselben Zuständigkeitsbereich zu derselben Uhrzeit beim LVwG einlangen. Daher ist es im Ergebnis nicht nachvollziehbar und überprüfbar, warum in einer solchen Konstellation ein Geschäftsfall gerade einem bestimmten Richter zugewiesen wird.

Die Beschwerde an das LVwG langte ebenso wie eine weitere, nur das Vbg Baugesetz iSd §9 Abs3 der damals geltenden Geschäftsverteilung des LVwG für das Jahr 2022, Nr 4, betreffende Beschwerde aus dem Zuständigkeitsbereich "Umweltschutz-, Wirtschafts- und Baurecht" am 23.11.2022 beim LVwG ein. Es wurden die Tageshälfte und die Uhrzeit des Einlangens dieser Geschäftsfälle ("VM" um "09:50" Uhr) vom LVwG dokumentiert. Darüber hinaus wurden die Geschäftsfälle auch "nach der Reihenfolge, wie sie übergeben wurden", mit fortlaufenden Zahlen versehen. Die Geschäftsfälle wurden jeweils einer der in §9 Abs3 der Geschäftsverteilung angeführten Richterinnen zugewiesen. Daraus folgt vor dem geschilderten Hintergrund, dass die Zuständigkeit für die Erlassung des hier angefochtenen Erkenntnisses nicht in der von Art83 Abs2 iVm Art135 Abs2 B‑VG gebotenen eindeutigen Weise und damit nachvollziehbar sowie nachprüfbar feststeht. Insbesondere kann bei zu derselben Uhrzeit mittels Boten einlangenden Geschäftsfällen eine Dokumentation "nach der Reihenfolge, wie sie übergeben wurden", eine eindeutige, nachvollziehbare und überprüfbare Regelung für derartige Fälle in der Geschäftseinteilung nicht ersetzen.

Das LVwG wendet ein, dass die Geschäftsverteilung bis zu seiner Entscheidung geändert worden sei. Einerseits sei mit dem Inkrafttreten der Geschäftsverteilung für das Jahr 2023, Nr 4, in §4 Abs2 iVm §4a eine Vorkehrung für gleichzeitig einlangende Geschäftsfälle getroffen worden. Andererseits habe §19 Abs6 leg cit vorgesehen, dass alle Verfahren, die beim Inkrafttreten dieser Geschäftsverteilung anhängig seien, den Mitgliedern zugewiesen würden, denen die Verfahren bei Inkrafttreten dieser Geschäftsverteilung zugewiesen gewesen seien. Vor diesem Hintergrund sei die erkennende Richterin im vorliegenden Fall zuständig gewesen.

Dem ist zu entgegnen, dass die zitierten Änderungen der Geschäftsverteilung für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Änderungen anhängige Fälle wie den vorliegenden, in denen eine eindeutige und nachvollziehbare Zuteilung auf Grund der Geschäftsverteilung zum Zeitpunkt des Einlangens des Geschäftsfalles nicht erfolgen konnte, keine Sanierung bewirkt haben:

Zwar besteht seit dem Inkrafttreten der Geschäftsverteilung für das Jahr 2023, Nr 4, mit §4 Abs2 iVm §4a eine Regelung, die auch für den Fall des gleichzeitigen Einlangens mehrerer Geschäftsfälle eine eindeutige und nachvollziehbare Zuteilung ermöglicht. Diese Regelung gilt jedoch unmittelbar nur für (seit dem Inkrafttreten dieser Bestimmung) neu eingelangte Geschäftsfälle.

Soweit das LVwG davon ausgeht, dass §19 Abs6 der Geschäftsverteilung für das Jahr 2023, Nr 4, eine Zuteilung jener Geschäftsfälle, die nach der zum Zeitpunkt des Einlangens maßgeblichen Geschäftsverteilung nicht eindeutig und nachvollziehbar zugeteilt werden konnten, an die Mitglieder bewirkt habe, denen diese Fälle faktisch zugeteilt worden seien, widerspricht diese Annahme den Anforderungen an eine Geschäftsverteilung iSd Art135 Abs2 B‑VG. Durch eine solche Anordnung würde die Zuteilung jener Geschäftsfälle, die nach der früheren Geschäftsverteilung nicht eindeutig, nachvollziehbar und überprüfbar zugeteilt werden konnten, nämlich nicht nach im Vorhinein bestimmten abstrakten Kriterien, sondern konkret wiederum an jene Richter erfolgen, denen sie bereits zuvor in nicht nachvollziehbarer und überprüfbarer Weise zugeteilt worden sind.

Zur Vollständigkeit ist darauf hinzuweisen, dass auch die mit der Geschäftsverteilung 2023, Nr 4, eingeführte Bestimmung des §19 Abs4 für die genannten Fälle keine ausreichende Grundlage für eine eindeutige, nachvollziehbare und überprüfbare Zuteilung darstellt (wobei im Übrigen auch nicht ersichtlich ist, dass im vorliegenden Fall eine Neuzuteilung nach dieser Bestimmung stattgefunden hätte). Zwar kann eine Sanierung des in den Entscheidungen vom 21.09.2023, E1920/2022 sowie 27.02.2024, E3937/2023 festgestellten Mangels der Geschäftsverteilung dadurch erfolgen, dass die von diesem Mangel betroffenen Geschäftsfälle nach dem neu eingeführten System des §4 Abs2 iVm §4a leg cit zugeteilt werden und zu diesem Zweck als zu einem bestimmten Zeitpunkt neu eingelangt gelten, wobei dieser Zeitpunkt so zu bestimmen wäre, dass eine Einflussnahme auf die konkrete Zuteilung auszuschließen ist. Die Zuteilung nach §19 Abs4 leg cit entspricht dieser Anforderung jedoch schon insofern nicht, als in dieser Regelung nicht bestimmt ist, zu welchem Zeitpunkt (im Hinblick auf §4 Abs2 leg cit: an welchem Tag, in welcher Tageshälfte und zu welcher Uhrzeit) die betroffenen Geschäftsfälle als eingelangt gelten.

(Vgl E1841/2024, E v 28.11.2024, Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses wegen Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter).

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