G250/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Leitsatz
Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Rechtsstaatsprinzip durch die fünftägige Widerspruchsfrist gegen Entscheidungen der Schule im Provisorialverfahren nach dem SchUG; Außerkrafttreten der Entscheidungen der Schule und Einleitung eines ordentlichen behördlichen Verfahrens nach dem AVG durch Einbringung eines form- und begründungslosen Widerspruchsschreibens; kein Verstoß gegen das Prinzip der faktischen Effektivität des Rechtsschutzes durch das einfache Widerspruchsverfahren sowie die geringen sachlichen und zeitlichen Anforderungen an das – binnen kurzer Frist einzubringende – Rechtsmittel; Erforderlichkeit einer kurzen Rechtsmittelfrist zur Erhaltung eines effektiven und reibungslosen Schulbetriebs und Gewährleistung der notwendigen Planungs- und Rechtssicherheit für Schüler, Erziehungsberechtigte sowie Schulen
Abweisung eines Antrags des BVwG auf Aufhebung der Wortfolge "innerhalb von fünf Tagen" in §71 Abs1 SchUG idF BGBl I 19/2021.
Kein Verstoß der fünftägigen Widerspruchsfrist gegen Art7 Abs1 B‑VG:
Der VfGH hat in bestimmten Konstellationen auch verfahrensrechtliche Regelungen unterschiedlicher Regelungssysteme am Gleichheitsgrundsatz gemessen. Die Bemessung einer Frist wäre nur dann sachlich nicht gerechtfertigt, wenn sie jeglicher Erfahrung entgegenstünde. Dem Gesetzgeber kommt bei der Festsetzung der Frist sohin ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu, verfassungsrechtliche Grenzen sind durch den Gleichheitsgrundsatz insbesondere dahin gesetzt, dass die festgesetzte Frist – von einer Durchschnittsbetrachtung ausgehend – hinreichen muss, um das Rechtsmittel auszuführen und einzubringen. Anderenfalls wäre Verfahrensbeteiligten durch die Frist der Zugang zum Gericht faktisch verwehrt und wäre eine solche Regelung mit dem allgemeinen Sachlichkeitsgebot unvereinbar.
Die durch Widerspruch iSd §70 Abs1 und §71 Abs2 SchUG bekämpfbaren Entscheidungen der in §70 Abs1 SchUG bezeichneten Organe hat der Gesetzgeber bewusst von jenen Entscheidungen abgegrenzt, in denen keine provisoriale Entscheidung ergeht. Auf Grund der besonderen Situation an Schulen hat er spezifische Bestimmungen für bestimmte schulrechtliche Verfahren vorgesehen, in denen sich die Anwendbarkeit des AVG als unpraktikabel herausgestellt hat.
Die Entscheidungen der Schule (§70 Abs1 lita bis k und §71 Abs2 lita bis h SchUG) sind provisoriale Entscheidungen, die mündlich oder schriftlich ergehen können und die die im Schulrecht notwendige Einfachheit und Praktikabilität des Verfahrens gewährleisten. Durch die Einbringung eines Widerspruchs treten sie außer Kraft, was die Einleitung eines ordentlichen behördlichen Verfahrens nach dem AVG zur Folge hat. Im Hinblick auf die durch die zeitlichen Bedingungen des Schulbetriebs gegebene Dringlichkeit sind die Maßnahmen der Schulbehörde innerhalb verkürzter Entscheidungsfristen ehestmöglich zu treffen, um rechtliche Entscheidungen zu gewährleisten, die das schulische Fortkommen möglichst wenig beeinträchtigen. Vor diesem Hintergrund ist sowohl die Erlassung spezifischer Verfahrensbestimmungen als auch die kurze Widerspruchsfrist erforderlich, um einen effektiven und reibungslosen Schulbetrieb zu erhalten und die notwendige Planungs- und Rechtssicherheit für Schüler, Erziehungsberechtigte sowie die Schulen selbst zu gewährleisten.
Solche spezifischen Verfahrensbestimmungen sind schon auf Grund der Besonderheiten des Schulrechts einem Vergleich mit sich aus anderen Materiengesetzen ergebenden Widerspruchsfristen aus dem Blickwinkel des Gleichheitsgrundsatzes nicht zugänglich.
Hinzu kommt, dass der Widerspruch gemäß §71 Abs1 SchUG schriftlich in jeder technisch möglichen Form an die Schulbehörde zu richten ist und keiner Begründung bedarf. Es genügt ein formloses Schreiben, das den Widerspruch enthält. Wegen dieser äußerst geringen Anforderungen an das Rechtsmittel ist die fünftägige Widerspruchsfrist selbst unter besonderen Kalenderkonstellationen als noch hinreichend anzusehen, weil das Rechtsmittel gegebenenfalls sofort ohne weitere Ausführungen eingebracht werden kann.
Kein Verstoß der Wortfolge "innerhalb von fünf Tagen" in §71 Abs1 SchUG gegen das Prinzip der faktischen Effektivität des Rechtsschutzes gemäß dem Rechtsstaatsprinzip:
Für gesetzliche Verkürzungen von Rechtsmittelfristen ist es von Bedeutung, ob eine Sachentscheidung ergeht, die mitunter die Klärung schwieriger Sachverhaltsfragen, die Durchführung einer Beweiswürdigung und die Erörterung von teils schwierigen Rechtsfragen erfordert. Dem Rechtsschutzsuchenden muss in solchen Konstellationen die Möglichkeit geboten werden, sich der Hilfe einer fachkundigen (wenngleich nicht notwendigerweise rechtskundigen) Person als Beistand zu bedienen.
Die fünftägige Widerspruchsfrist stellt sich im Hinblick auf das allfällige Beiziehen einer rechtskundigen Beratung bzw Vertretung als kurz dar. Das Widerspruchsverfahren ist aber durch Einfachheit geprägt: Das Gesetz sieht keine komplexen Anforderungen an das Rechtsmittel vor. Vielmehr ist der Widerspruch niederschwellig ausgestaltet. Es genügt die begründungslose Aussage, Widerspruch zu erheben und dies schriftlich zu tun. Zudem tritt eine provisoriale Entscheidung nach Einbringen eines rechtzeitigen Widerspruchs jedenfalls außer Kraft.
Es handelt sich dabei nicht um Entscheidungen, die mitunter die Klärung schwieriger Sachverhalts- oder Rechtsfragen erfordern. Selbst wenn sich trotzdem schwierige Sachverhalts- oder Rechtsfragen stellen, kann die Klärung auch im ordentlichen Verwaltungsverfahren stattfinden. Auch ein allfälliges Hinzuziehen fach- bzw rechtskundiger Personen ist auf Grund der geringen sachlichen und zeitlichen Anforderungen an das Rechtsmittel des Widerspruchs in der Regel möglich bzw kann nach Einbringen des Rechtsmittels im ordentlichen Verwaltungsverfahren erfolgen.
(Vgl G31/2024, E v 12.03.2024; Abweisung eines Antrags des BVwG auf Aufhebung der Wortfolge "innerhalb von fünf Tagen" in §71 Abs2 SchUG idF BGBl I 19/2021).