JudikaturVfGH

V145/2022 ua (V145/2022) – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
Öffentliches Recht
05. Oktober 2023
Leitsatz

Gesetzwidrigkeit von Wortfolgen der FixkostenzuschussV, AusfallbonusV und der (3.) Lockdown-UmsatzersatzV betreffend den Ausschluss von Förderungen zur wirtschaftlichen Bewältigung der COVID-19 Pandemie im Falle einer finanzstrafrechtlichen Verurteilung eines Unternehmens; Unsachlichkeit des Ausschlusses mangels Normierung einer zeitlichen Grenze für eine – auch weit zurückliegende – Abgabenhinterziehung; keine gesetzliche Deckung der Verordnungen im ABBAG-Gesetz

Aufhebung der Wortfolgen unter Fristsetzung mit Ablauf des 15.04.2024

• "über den Antragsteller oder dessen geschäftsführende Organe in Ausübung ihrer Organfunktion darf in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung keine rechtskräftige Finanzstrafe oder entsprechende Verbandsgeldbuße aufgrund von Vorsatz verhängt worden sein; ein Lockdown-Umsatzersatz darf jedoch dennoch gewährt werden, sofern es sich um eine Finanzordnungswidrigkeit oder eine den Betrag von EUR 10.000 nicht übersteigende Finanzstrafe oder Verbandsgeldbuße handelt" in Punkt 3.1.7 des Anhanges 1 zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 des ABBAG-Gesetzes betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Lockdown-Umsatzersatzes durch die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG) (VO Lockdown-Umsatzersatz) BGBl II 503/2020,

• "und über das Unternehmen darf in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung keine rechtskräftige Finanzstrafe (ausgenommen Finanzordnungswidrigkeiten) oder entsprechende Verbandsgeldbuße aufgrund von Vorsatz verhängt worden sein" in Punkt 3.1.3 des Anhanges zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 des ABBAG-Gesetzes betreffend Richtlinien über die Gewährung von Zuschüssen zur Deckung von Fixkosten durch die COVID-19-Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG), BGBl II 225/2020, idF BGBl II 72/2021,

• "über den Antragsteller oder dessen geschäftsführende Organe in Ausübung ihrer Organfunktion darf in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung keine rechtskräftige Finanzstrafe oder entsprechende Verbandsgeldbuße aufgrund von Vorsatz verhängt worden sein; ein Ausfallsbonus darf jedoch dennoch gewährt werden, sofern es sich um eine Finanzordnungswidrigkeit oder eine den Betrag EUR 10.000 nicht übersteigende Finanzstrafe oder Verbandsgeldbuße handelt" in Punkt 3.1.7 des Anhanges zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 des ABBAG-Gesetzes betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Ausfallsbonus an Unternehmen mit einem hohen Umsatzausfall (VO Ausfallsbonus) BGBl II 74/2021,

• "über den Antragsteller oder dessen geschäftsführende Organe in Ausübung ihrer Organfunktion darf in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung keine rechtskräftige Finanzstrafe oder entsprechende Verbandsgeldbuße aufgrund von Vorsatz verhängt worden sein; ein Lockdown-Umsatzersatz darf jedoch dennoch gewährt werden, sofern es sich um eine Finanzordnungswidrigkeit oder eine den Betrag EUR 10.000 nicht übersteigende Finanzstrafe oder Verbandsgeldbuße handelt" in Punkt 3.1.7 des Anhanges zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß §3b Abs3 des ABBAG-Gesetzes betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Lockdown-Umsatzersatzes durch die COVID-19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG) (3. VO Lockdown-Umsatzersatz) BGBl II 567/2020.

§2 Abs1 Z3, §2 Abs2 Z7, §2 Abs2a, §3b Abs2 und §6a ABBAG-Gesetz wurden mit E v 05.10.2023, G265/2022, als verfassungswidrig aufgehoben. Soweit Förderungen gem §3 Z4 COVID-19-WohlverhaltensG, der als gesetzliche Grundlage des Punktes 3.1.7 des Anhanges zur VO Ausfallsbonus I in Betracht kommt, an das steuerliche Wohlverhalten geknüpft werden, ist auf die Entscheidung vom selben Tag, G172/2022 ua, zu verweisen. §3b Abs3 ABBAG-Gesetz verstößt nicht gegen das Bestimmtheitsgebot des Art18 B‑VG (VfSlg 20.518/2021). In dieser Entscheidung hat sich der VfGH nicht mit der Frage beschäftigt, ob §3 Z4 COVID-19-WohlverhaltensG in inhaltlicher Sicht verfassungskonform ist. Der VfGH führte dieses Gesetz lediglich im Zusammenhang mit der Beurteilung der Frage an, ob §3b Abs3 ABBAG-Gesetz dem Bestimmtheitsgebot gemäß Art18 B‑VG entspricht, weshalb aus ihm nichts für die inhaltliche Beurteilung der angefochtenen Verordnungsbestimmungen gewonnen werden kann.

Mangelnde gesetzliche Deckung des Punkts 3.1.7 des Anhanges 1 zur VO Lockdown-Umsatzersatz:

Punkt 3.1.7 des Anhanges 1 zur VO Lockdown-Umsatzersatz ist unsachlich, weil der Verordnungsgeber in der angefochtenen Regelung ausschließlich darauf abstellt, dass in den letzten fünf Jahren vor der Stellung des Antrages auf Gewährung des Lockdown-Umsatzersatzes eine rechtskräftige Finanzstrafe oder entsprechende Verbandsgeldbuße auf Grund von Vorsatz über das antragstellende Unternehmen oder dessen geschäftsführende Organe (in Ausübung ihrer Organfunktion) verhängt worden ist.

Der Verordnungsgeber hat nicht normiert, in welchem Zeitraum die Abgabenhinterziehung stattgefunden haben muss. Dies bedeutet, dass auch Unternehmen von der Gewährung des Lockdown-Umsatzersatzes ausgeschlossen sind, die weit zurückliegend in der Vergangenheit eine Abgabenhinterziehung begangen haben. Dies gilt freilich nur unter der Voraussetzung, dass die Verjährung der Strafbarkeit nicht eingetreten ist. Gemäß §31 Abs4 litc FinStrG wird dabei in die Verjährungsfrist für die Strafbarkeit unter anderem die Zeit nicht eingerechnet, "während der wegen der Tat gegen den Täter ein Strafverfahren bei der Staatsanwaltschaft, bei Gericht, bei einer Finanzstrafbehörde oder beim Bundesfinanzgericht geführt wird". Dabei ist von Bedeutung, dass es im Finanzstrafgesetz nur für Finanzvergehen, für deren Verfolgung die Finanzbehörde zuständig ist, eine absolute Verjährungsfrist für die Strafbarkeit gibt (vgl §31 Abs5 FinStrG); Vergleichbares gilt für Finanzstrafdelikte, zu deren Verfolgung die Strafgerichte zuständig sind, nicht.

Die angefochtene Regelung in Punkt 3.1.7 des Anhanges 1 zur VO Lockdown-Umsatzersatz hat sohin in Verbindung mit den einschlägigen Regelungen des Finanzstrafgesetzes (vgl insbesondere §31 Abs4 und 5 FinStrG) zur Folge, dass es keine zeitliche Grenze für den Ausschluss von der Gewährung des Lockdown-Umsatzersatzes wegen weit in der Vergangenheit liegender vorsätzlicher Abgabenhinterziehungen geben kann. Die einzige zeitliche Festlegung für den Ausschluss ist, dass die rechtskräftige Verhängung der Finanzstrafe oder einer entsprechenden Verbandsgeldbuße in den letzten fünf Jahren vor der Antragstellung erfolgt sein muss. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Zusammenhang zwischen der (Nicht-)Gewährung der Ausgleichszahlungen nach der VO Lockdown-Umsatzersatz und dem steuerlichen Fehlverhalten sich immer stärker verdünnt und daher keine entscheidende Rolle mehr spielen kann, je länger die vorsätzlich begangene Finanzstraftat zurückliegt.

Die im Wesentlichen entsprechenden Regelungen in Punkt 3.1.3 des Anhanges zur Fixkostenzuschuss-VO, Punkt 3.1.7 des Anhanges zur VO Ausfallsbonus I und Punkt 3.1.7 des Anhanges zur 3. VO Lockdown-Umsatzersatz sind aus denselben Gründen gesetzwidrig.