JudikaturVfGH

E977/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
Öffentliches Recht
03. Oktober 2023
Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter betreffend die Versagung einer Bewilligung der Abschreibung eines Grundstücksteiles nach der OÖ BauO 1994 wegen Widerspruchs zum geltenden Bebauungsplan der Stadtgemeinde Leonding; keine Anwendung der Oö BauO 1994 auf die beantragte Änderung des Grundstücks hinsichtlich der Verlegung eines Baches im Rahmen eines — von der Bundeskompetenz "Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen" erfassten — Eisenbahnbauvorhabens; keine Kompetenz des Landesgesetzgebers für baubehördliche Bewilligungen auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens bei notwendiger Verlegung oder Umgestaltung von Wasserläufen oder Straßenkörpern

Nach §1 Abs2 Oö BauO 1994 sind Bestimmungen dieses Landesgesetzes – soweit der Zuständigkeitsbereich des Bundes berührt wird – so auszulegen, dass sich keine über die Zuständigkeit des Landes hinausgehende rechtliche Wirkung ergibt. Die Verlegung des Krumbaches dient der Herstellung des Eisenbahnbauvorhabens "HL-Strecke Wien-Salzburg, viergleisiger Ausbau und Trassenverschwenkung im Abschnitt Linz - Marchtrenk. km 190,300 – 206,038 (205,700)". Die dafür benötigte Abschreibung eines Grundstücksteiles vom Grundstück Nr 597 unterliegt somit nicht der baubehördlichen Bewilligungspflicht, wenn der Vorgang ausschließlich nach bundesrechtlichen Vorschriften zu beurteilen ist. Deshalb ist zu klären, ob die von der beschwerdeführenden Partei begehrte Abschreibung von dem Grundstück Nr 597 ausschließlich nach Bundesrecht zu beurteilen ist.

Unter "Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen" iSd Art10 Abs1 Z9 B‑VG ist das gesamte Eisenbahnwesen als Teil des Verkehrswesens zu verstehen. Dieser Kompetenztatbestand begründet eine ausschließliche Zuständigkeit des Bundes zur Regelung des Baus von Eisenbahnen; er umfasst jedoch nicht jede Bauführung auf Eisenbahngrund. Die Zuständigkeit des Bundes nach Art10 Abs1 Z9 B‑VG ist immer dann gegeben, wenn die auf dem Eisenbahngrundstück befindlichen Bauten solche iSd §10 EisbG sind. Entscheidendes Kriterium für die Begrenzung der Bundeskompetenz ist das Vorliegen eines spezifisch unauflöslichen Zusammenhangs zwischen einem Bauvorhaben und der Abwicklung und Sicherung des Eisenbahnbetriebes oder -verkehrs.

Die Bundeskompetenz umfasst zudem die planende und vorausschauende Tätigkeit auf dem Gebiet des Eisenbahnwesens, wobei darunter nicht nur die Planung von Eisenbahnanlagen zu verstehen ist, sondern auch die Planung solcher Maßnahmen, die ausschließlich der Herstellung der Eisenbahnanlagen dienen, ohne selbst Eisenbahnanlagen zu sein. Vor diesem Hintergrund unterliegt auch die durch ein Eisenbahnbauvorhaben notwendige Verlegung oder Umgestaltung von Wasserläufen oder Straßenkörpern der Bundeskompetenz nach Art10 Abs1 Z9 B‑VG.

Angesichts dieser Kompetenzrechtslage findet das Baurecht der Länder auf Eisenbahnanlagen iSv §10 EisbG grundsätzlich keine Anwendung, weshalb es bei der Errichtung derartiger Anlagen auch nicht auf die Übereinstimmung des Vorhabens mit landesrechtlichen Raumordnungsakten ankommt; diese können nur insoweit wirksam werden, als es sich bei den auf Eisenbahngrund zu errichtenden Bauten nicht um die Errichtung von Eisenbahnanlagen handelt. Demgegenüber unterliegt die Grundinanspruchnahme für Zwecke des Eisenbahnbaus ausschließlich bundesrechtlichen Vorgaben, und zwar unabhängig davon, ob auf der Grundfläche eine Eisenbahnanlage errichtet werden soll oder sie der Verwirklichung einer – dem Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen unterfallenden – Begleitmaßnahme dient, zumal dem Eisenbahnunternehmen hinsichtlich solcher Grundflächen das Recht auf Enteignung zusteht, wobei sich die Wirkungen der Enteignung einzig nach den eisenbahnrechtlichen Vorschriften bestimmen. Es kann folglich schon aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht darauf ankommen, ob die für die Grundstücksabtretung allenfalls nötige Grundstücksteilung nach landesrechtlichen Vorschriften zulässig ist. Ebenso wenig ist es von Bedeutung, ob hinsichtlich der jeweiligen Grundfläche tatsächlich eine Enteignung stattgefunden hat; vielmehr genügt es, dass die Grundfläche zur Herstellung (oder zum Betrieb) einer Eisenbahn notwendig ist. Ob dem so ist, ergibt sich dabei aus der relevanten bundesrechtlichen Genehmigung, wobei das Vorliegen einer grundsätzlichen Genehmigung nach dem dritten Abschnitt des UVP-G 2000 für das Eisenbahnbauvorhaben ausreichend ist, sofern Gegenstand, Umfang und Notwendigkeit der Grundinanspruchnahme der grundsätzlichen Genehmigung zu entnehmen sind.

Aus den Planunterlagen, die Bestandteil der grundsätzlichen Genehmigung nach dem UVP-G 2000 für das Vorhaben HL-Strecke Wien-Salzburg sind, ergibt sich, dass das Eisenbahnbauvorhaben die Verlegung des Krumbaches im Bereich des Grundstückes Nr 597 notwendig macht. Zu diesem Zweck, mithin also zur Herstellung einer Eisenbahn, strebt die beschwerdeführende Partei die Abschreibung einer Grundfläche im südlichen Teil des Grundstückes an. Daher besteht keine Kompetenz der Landesgesetzgebung, diese Grundinanspruchnahme einer (baubehördlichen) Bewilligungspflicht zu unterwerfen. §9 Oö BauO 1994 ist iVm §1 Abs2 leg cit dahingehend auszulegen, dass die besagte Abschreibung keiner baubehördlichen Bewilligung unterliegt.

Der von der beschwerdeführenden Partei gestellte Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach §9 Abs1 Oö BauO 1994 erweist sich daher als unzulässig, weshalb die belangte Behörde verpflichtet gewesen wäre, ihn zurückzuweisen. Die belangte Behörde war folglich nicht zur inhaltlichen Behandlung des Antrages berechtigt, was das LVwG gemäß §27 VwGVG von Amts wegen hätte aufgreifen müssen.

(Vgl E v 04.10.2023, E610/2022: Abschreibung der Grundfläche im (nord)östlichen Teil des Grundstücks 59/7, EZ 2613, KG 45306 Leonding, hinsichtlich der Verlegung der Füchselbachstraße sowie eines Verbindungswegs auf Grund desselben Eisenbahnvorhabens).