JudikaturVfGH

G253/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
Öffentliches Recht
20. September 2023
Leitsatz

Kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz durch eine Regelung des ASVG betreffend die Rückerstattung von Beiträgen bei stark schwankenden Einkünften bei Mehrfachversicherungen; Gewährung einer Beitragsrückerstattung ausschließlich bei Überschreitung der Höchstbeitragsgrundlage für den gesamten Versicherungszeitraum in einem Kalenderjahr im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers

Abweisung eines Antrags des BVwG auf Aufhebung des §70a ASVG idF BGBl I 100/2018.

Gemäß §45 Abs2 ASVG ist, wenn ein Pflichtversicherter gleichzeitig mehrere die Versicherungspflicht begründende Beschäftigungen ausübt, bei der Bemessung der Beiträge in jedem einzelnen Beschäftigungsverhältnis die Höchstbeitragsgrundlage zu berücksichtigen. Das System der Mehrfachversicherung kann für einen in mehreren Beschäftigungsverhältnissen stehenden Versicherten im Vergleich zu einem gleich viel verdienenden Versicherten in einem Beschäftigungsverhältnis zu erheblichen Mehrbelastungen führen. Der VfGH hat gegen diese Konsequenz von Mehrfachversicherungen nach ASVG, die in §45 Abs2 (und nicht in §70a) ASVG angelegt ist, bislang keine verfassungsrechtlichen Bedenken gehegt. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehalten, Beiträge rückzuerstatten, die aus mehreren versicherungspflichtigen Beschäftigungen zu einer Beitragsleistung führen, die insgesamt die Beitragsleistung auf Grund der (einfachen) Höchstbemessungsgrundlage übersteigt.

Der einfache Gesetzgeber kann sich im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes auch für ein System einer für alle Beschäftigungen geltenden gemeinsamen Höchstbeitragsgrundlage (mit einer Aufteilung der Beiträge unter den beteiligten Versicherungsträgern) entscheiden. So hat er im GSVG und im BSVG die Differenzbeitragsvorschreibung bzw die nachträgliche Beitragserstattung eingeführt, wenn aus einer nach ASVG versicherungspflichtigen Beschäftigung und einer nach GSVG oder BSVG versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit beitragspflichtige Gesamteinkünfte lukriert werden, die in Summe über der (einheitlichen, einfachen) Höchstbeitragsgrundlage liegen. Im Anwendungsbereich des ASVG (und des B‑KUVG) hat der Gesetzgeber – wegen der Schwierigkeit der Koordinierung mehrerer zum Beitragsabzug vom Arbeitsentgelt berechtigter Dienstgeber – die Möglichkeit zur Differenzbeitragsentrichtung nicht vorgesehen, aber die nachträgliche Beitragserstattung eingeräumt. §70a ASVG stellt auf eine Jahresbetrachtung ab (arg: "in einem Kalenderjahr"). Wenn daher in einem Kalenderjahr zwölf (sich nicht deckende) Pflichtversicherungsmonate liegen, ist die Bestimmung des Überschreitungsbetrages auf das Zwölffache des 35fachen der täglichen Höchstbeitragsgrundlage (sohin das 420fache der täglichen Höchstbeitragsgrundlage) zu beziehen.

Da eine Beitragserstattung im Falle von Mehrfachversicherungen von Verfassungs wegen nicht geboten ist, liegt es im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, ob er eine Beitragserstattung vorsieht oder nicht, und gegebenenfalls, ob er Beiträge, die von Bemessungsgrundlagen über der (einfachen) Höchstbeitragsgrundlage entrichtet wurden, zur Gänze oder nur zum Teil erstatten will, sofern die Abgrenzung sachlich gestaltet ist. Wenn der Gesetzgeber in §70a ASVG anordnet, dass eine Beitragserstattung (nur) stattfindet, sofern die Höchstbeitragsgrundlage für den gesamten Versicherungszeitraum in einem Kalenderjahr überschritten wurde, überschreitet er seinen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum nicht, sondern schafft er eine klare und einfach zu vollziehende Erstattungsregelung.

Der vom BVwG monierte ("bestrafende") Effekt, dass es dann bei Mehrfachversicherungen nach Umständen zu einer anderen Gesamtbeitragsbelastung als bei einem einzigen versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis kommen kann, hat seine Grundlage nicht in §70a ASVG, sondern in §45 Abs2 leg cit, den das BVwG aber nicht angefochten hat und gegen den der VfGH in seiner bisherigen Rechtsprechung auch keine Bedenken hegte. Dass §70a ASVG diese Konsequenzen des §45 Abs2 leg cit nur zum (großen) Teil, nicht jedoch zur Gänze eliminiert, führt nicht zur Verfassungswidrigkeit des §70a ASVG.

Wenn das BVwG meint, die angefochtene Regelung führe dazu, dass der Betroffene im Ergebnis auch "für" solche Monate Beiträge bis zur Höchstbeitragsgrundlage zu entrichten habe, in denen die Höchstbeitragsgrundlage unterschritten werde, so vermengt es das Recht der Beitragspflicht und das Recht der Beitragserstattung: Unterbleibt eine Rückerstattung (teilweise), bedeutet dies nicht, dass nicht rückerstattete Beitragsteile "für" einzelne Monate mit Beitragsgrundlage unterhalb der Höchstbeitragsgrundlage verwendet würden. Vielmehr hat §70a ASVG die Bedeutung, dass eine Rückerstattung von infolge von Mehrfachversicherung in einzelnen Monaten zu Recht entrichteten Beiträgen von mehreren Beitragsgrundlagen, die in Summe über der (einfachen) Höchstbeitragsgrundlage liegen, unterbleibt, sofern auf den versicherungspflichtigen Teil des Jahres gerechnet die Höchstbeitragsgrundlage nicht überschritten wird.

Das mit §70a ASVG geschaffene System ist auch nicht in sich unsachlich. Wenn das Gesetz im Rahmen der Regelung der Beitragspflicht den Kalendermonat als Beitragszeitraum vorsieht, hat dies nicht zwingend zur Folge, dass der Gesetzgeber im Rahmen der Beitragserstattung nicht mehr auf eine Jahresbetrachtung abstellen dürfte.