E588/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Das BVwG verneint die Gefahr einer Einziehung des Beschwerdeführers zum Wehrdienst mit der aktenwidrigen Begründung, der Beschwerdeführer habe sich weder in der Erstbefragung noch in der Einvernahme vor dem BFA auf eine drohende Einberufung zum Wehrdienst gestützt. Wie sich aus dem Akt ergibt, hat der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung auf die Frage nach seinen Befürchtungen im Fall der Rückkehr nach Syrien geantwortet, dass er befürchte, zwangsrekrutiert zu werden. Im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA gab der Beschwerdeführer unter anderem an, dass er "für das Militär" gesucht werde sowie dass ihn das Regime rekrutieren wolle, was er ablehne.
Das BVwG gibt die im Bescheid des BFA abgedruckten Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA vom 24.01.2022 (Version 5) wieder, obwohl zum Entscheidungszeitpunkt bereits das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des BFA vom 29.12.2022 (Version 8) zur Verfügung stand. Dem Länderinformationsblatt vom 29.12.2022 ist zum Thema "Wehr- und Reservedienst und Rekrutierungen" der syrischen Streitkräfte unter anderem zu entnehmen, dass für männliche syrische Staatsangehörige im Alter von 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines zweijährigen Wehrdienstes gesetzlich verpflichtend sei und auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehrten, mit Zwangsrekrutierungen rechnen müssten. Es bestehe keine Möglichkeit der legalen Wehrdienstverweigerung.
Die Annahme des BVwG, eine Einberufung des Beschwerdeführers sei mangels Erhalts eines Einberufungsbefehls und bereits versuchter Zwangsrekrutierungen vor seiner Ausreise unwahrscheinlich, findet in den Länderberichten keine Deckung und erweist sich daher als spekulativ.
Das BVwG verweist weiters darauf, der Beschwerdeführer hätte sich durch Zahlung einer Befreiungsgebühr von der Wehrpflicht freikaufen können. Bis 2020 hätten Männer, die sich mindestens vier aufeinanderfolgende Jahre außerhalb Syriens aufgehalten hätten, einen Beitrag von 8.000 US-Dollar zahlen können, um vom Militärdienst befreit zu werden. Da der Beschwerdeführer unter Aufwendung hoher Geldmittel das Land verlassen und seiner Familie durch seine Erwerbstätigkeit in der Türkei Geld geschickt habe, erscheine die Annahme der Möglichkeit eines Freikaufs vom Wehrdienst durchaus wahrscheinlich. Ausführungen dazu, ob es dem Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr nach Syrien tatsächlich möglich wäre, sich vom Wehrdienst freizukaufen, finden sich im angefochtenen Erkenntnis jedoch nicht.
Soweit das BVwG schließlich der Gefahr einer Einberufung zum syrischen Militärdienst ohne nähere Begründung die Asylrelevanz abspricht, greift dieser pauschale Verweis in der rechtlichen Beurteilung jedenfalls zu kurz, zumal den der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Länderberichten zufolge eine hohe Wahrscheinlichkeit bestehe, als Mitglied der syrischen Armee an Kriegsverbrechen beteiligt zu werden.