E2452/2022 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Gemäß §6 Abs1 Z1 AsylG 2005 sind diese Personen von der Anerkennung als Flüchtling ausgeschlossen. Sie genießen aber - nach der unmittelbar anwendbaren Bestimmung des zweiten Satzes des Art12 Abs1 lita Status-RL - dann "ipso facto" den Schutz der Status-RL bzw der GFK, wenn der Schutz oder Beistand von UNRWA "aus irgendeinem Grund" nicht länger gewährt wird. Für die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten ist keine Verfolgung aus den in Art1 Abschnitt A GFK genannten Gründen glaubhaft zu machen, sondern nur, dass sie erstens unter dem Schutz des UNRWA gestanden sind und zweitens, dass dieser Beistand aus "irgendeinem Grund" weggefallen ist. Die erste Voraussetzung ist mit der Vorlage einer UNRWA-Registrierungskarte erfüllt. Die zweite Voraussetzung erfordert eine Prüfung, "ob der Wegzug des Betroffenen durch nicht von ihm zu kontrollierende und von seinem Willen unabhängige Gründe gerechtfertigt ist, die ihn zum Verlassen dieses Gebiets zwingen und somit daran hindern, den vom UNRWA gewährten Beistand zu genießen". Ein Zwang zum Verlassen des Einsatzgebietes einer Organisation iSd Art12 Abs1 lita zweiter Satz Status-RL liegt nach den Ausführungen des EuGH dann vor, wenn sich die betroffene Person in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA unmöglich ist, ihr in diesem Gebiet Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA im Einklang stehen. Bei dieser Beurteilung ist auch festzustellen, ob der Betroffene derzeit daran gehindert ist, Schutz oder Beistand des UNRWA zu erhalten, weil sich mutmaßlich die Lage im betreffenden Einsatzgebiet aus nicht von ihm zu kontrollierenden und von seinem Willen unabhängigen Gründen verschlechtert hat. Zur Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, sind im Rahmen einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände des fraglichen Sachverhaltes alle Operationsgebiete des Einsatzgebietes des UNRWA zu berücksichtigen, in deren Gebiete ein Staatenloser palästinensischer Herkunft, der dieses Einsatzgebiet verlassen hat, eine konkrete Möglichkeit hat, einzureisen und sich dort in Sicherheit aufzuhalten. Für die Feststellung, ob der Schutz oder Beistand des UNRWA nicht länger gewährt wird, sodass eine Person "ipso facto" die "Anerkennung als Flüchtling" im Sinne dieser Bestimmung beanspruchen kann, sind im Rahmen einer individuellen Beurteilung die relevanten Umstände nicht nur zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Person das UNRWA-Einsatzgebiet verlassen hat, sondern auch zu dem Zeitpunkt zu berücksichtigen, zu dem die zuständigen Verwaltungsbehörden einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft prüfen oder die zuständigen Gerichte über den Rechtsbehelf gegen eine die Anerkennung als Flüchtling versagende Entscheidung erkennen
Das BVwG stützt seine Feststellungen zur allgemeinen Lage in Gaza auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Gaza mit der letzten Gesamtaktualisierung vom 31.05.2022. In dieser aktuellsten Version des Länderinformationsblattes ist das zuletzt im März 2022 erneuerte Dokument mit dem Titel "UNHCR Position on Returns to Gaza" wiedergegeben, in dem sich unter Berufung auf die Volatilität der Situation in Gaza die Aufforderung findet, Palästinenser - auch wenn sie über eine UNRWA-Registrierung verfügen - nicht zwangsweise zurückzuführen. Allerdings zeigen die weiteren Ausführungen, dass die Position von UNHCR in den Erwägungen des BVwG keine Berücksichtigung fand, obwohl diese als Teil des Länderinformationsblattes in den Feststellungen abgedruckt ist. Ohne Auseinandersetzung mit der Position von UNHCR oder mit den individuellen Möglichkeiten des Beschwerdeführers kommt das BVwG im Rahmen der Beweiswürdigung unter Rückgriff auf eine Standardformulierung (vgl zuletzt 14.12.2022, E3069/2022) zu dem Ergebnis, dass der Beschwerdeführer den Beistand der UNRWA nach seiner Rückkehr in Anspruch nehmen könne, zumal keine stichhaltigen Hinweise darauf hervorgekommen seien, dass die UNRWA ihre Aufgaben in Gaza wegen eines aktuellen innerstaatlichen bewaffneten Konflikts nicht mehr ausreichend wahrnehmen könne oder aus sonstigen Gründen nicht mehr vor Ort agieren würde. Die für die Eigenschaft als Flüchtling iSd Art1 Abschnitt D GFK relevante (Un-)Möglichkeit der Rückkehr hat das BVwG somit nicht hinreichend ermittelt. Diese unzureichende Auseinandersetzung mit der allgemeinen Situation im Herkunftsstaat vermag auch die Berücksichtigung von individuellen Umständen einer allfälligen Rückkehr des Beschwerdeführers im Hinblick auf die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nicht zu kompensieren.