JudikaturVfGH

G279/2021 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
30. Juni 2022

Abweisung eines Antrags des Bezirksgerichts Mödling (BG) auf Aufhebung des §1105 ABGB idF RGBI 69/1916. Im Übrigen: Zurückweisung des Antrags.

Die behauptete Verfassungswidrigkeit könnte durch die Aufhebung des zweiten und dritten Satzes des §1105 ABGB nicht beseitigt werden, denn der verbleibende erste Satz der Bestimmung wäre seinem klaren Wortlaut nach nur auf Mietverträge anzuwenden, somit nicht auf Pachtverträge. Eine analoge Anwendung auch auf Pachtverhältnisse kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil der Gesetzgeber Miete und Pacht in §1105 ABGB gerade unterschiedlich behandelte, weshalb keine planwidrige Gesetzeslücke vorläge. Die bloße Aufhebung der mit dem Hauptantrag angefochtenen Passagen hätte somit zur Folge, dass beim Pachtverhältnis eine Zinsminderung bei teilweiser Unbrauchbarkeit des Pachtgegenstandes wegen eines außerordentlichen Zufalles - unabhängig von der Dauer des Pachtvertrages - gänzlich ausgeschlossen wäre. Dadurch verstärkte sich die behauptete Ungleichbehandlung von Miet- und Pachtverträgen sogar noch. Der Hauptantrag würde somit die behauptete Verfassungswidrigkeit nicht beseitigen und ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

Das antragstellende Gericht weist zunächst zutreffend darauf hin, dass (Geschäftstraum-)Miete und Unternehmenspacht teilweise schwierig voneinander abzugrenzen sein können. Die bloße Tatsache, dass diese Rechtsinstitute in Einzelfällen schwierig voneinander abzugrenzen sein können, vermag jedoch eine Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung nicht zu begründen. Vielmehr ermöglichen die einschlägigen Bestimmungen des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches den ordentlichen Gerichten, eine im jeweiligen Einzelfall sachgerechte Lösung zu finden.

Bei Miete und Pacht handelt es sich gleichermaßen um Bestandverträge iSd §1090 ABGB. Ihr wirtschaftlicher Gehalt unterscheidet sich jedoch maßgeblich voneinander, weswegen die unter anderem durch die angefochtene Bestimmung bewirkte Differenzierung zwischen Miete und Pacht im Grundsatz sachlich gerechtfertigt ist.

Während nämlich die Miete eine entgeltliche Überlassung einer Sache zum bloßen Gebrauch darstellt, bezweckt die Pacht die entgeltliche Überlassung der Sache zu Gebrauch und Fruchtziehung. Bei der Pacht steht somit die selbstständige Bewirtschaftung des Pachtobjektes durch den Pächter im Vordergrund, und zwar im Rahmen von landwirtschaftlichen wie auch gewerblichen Pachtverträgen, auf welche die angefochtene Bestimmung nach der stRsp des OGH ebenfalls anzuwenden ist. In diesem Sinne hängt der durch den Pächter zu erzielende Ertrag insbesondere von dessen "Fleiß und Mühe" und somit von seinem wirtschaftlichen Geschick ab.

Ein wichtiges Merkmal für das Vorliegen eines Pachtvertrages ist die Vereinbarung einer Betriebspflicht soweit es sich dabei nicht nur um eine bloße "Leerformel" handelt. Die Betriebspflicht soll insbesondere den längerfristigen wirtschaftlichen Erhalt der im Pachtobjekt betriebenen Unternehmung gewährleisten.

Der Gesetzgeber hat vor diesem Hintergrund in §1105 ABGB eine unterschiedliche Gefahrtragungsregelung für Vermieter/Mieter einerseits und Verpächter/Pächter andererseits vorgesehen. In diesem Zusammenhang ist grundsätzlich festzuhalten, dass dem Gesetzgeber bei der Regelung der Gefahrtragung im Zivilrecht ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zukommt.

Bei der Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der angefochtenen Bestimmung ist zunächst zu berücksichtigen, dass sowohl die allgemeine Gefahrtragungsregelung des §1096 Abs1 ABGB als auch die Bestimmung des §1104 ABGB betreffend die vollständige Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes infolge außergewöhnlicher Zufälle gleichermaßen auf Miet- und Pachtverträge anwendbar sind. Lediglich hinsichtlich der teilweisen Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes infolge außergewöhnlicher Zufälle werden Miet- und Pachtvertrag unterschiedlich behandelt.

Im Unterschied zum Mieter soll der Pächter das wirtschaftliche Risiko aus dem Pachtvertrag (teilweise) tragen. Dies ist sachlich gerechtfertigt, weil der Pächter im Falle einer guten Entwicklung des Pachtobjektes auch von erhöhten Erträgen profitiert, während ihm der Gesetzgeber in der angefochtenen Bestimmung das Risiko außergewöhnlicher Zufälle (ganz oder teilweise, abhängig von der Dauer des Pachtvertrages sowie dem Ausmaß der Nutzungsbeeinträchtigung) zuweist. Diese Regelung ist auch deshalb aus gleichheitsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, weil es der Pächter in der Hand hat, durch "Fleiß und Mühe" die durch die teilweise Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes verursachte Minderung des Ertrages zu beeinflussen. Er kann daher die Gefahr (abstrakt) eher beherrschen als der Verpächter.

Den Parteien des Pachtvertrages steht es zudem offen, eine andere Risikoverteilung zu vereinbaren, sollten sie der Auffassung sein, dass die vom Gesetzgeber angeordnete (dispositive) Gefahrtragungsregelung nicht auf ihr Pachtverhältnis übertragen werden kann.

Darüber hinaus rügt das antragstellende Gericht, dass bei Pachtverträgen - im Falle einer bloß teilweisen Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes infolge außergewöhnlicher Zufälle - eine Minderung des Pachtzinses nur zusteht, wenn die Pacht auf höchstens ein Jahr befristet ist und die Erträge um mehr als die Hälfte vom Gewöhnlichen vermindert sind, nicht hingegen bei Pachtverträgen, die für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr abgeschlossen werden. Diese Regelung sei auf die landwirtschaftliche Pacht zugeschnitten und führe bei gewerblichen Verpachtungen zu unsachlichen Ergebnissen.

Mit der angefochtenen Bestimmung wird der Gedanke verfolgt, dass Minderungen des Ertrages bei mehrjährigen Pachtverträgen in der Folgezeit kompensiert werden könnten, gute und schlechte Jahre sich somit im Laufe der Zeit ausgleichen. Umstritten ist, ob der Gesetzgeber dabei ausschließlich die landwirtschaftliche Pacht (oder auch die gewerbliche) vor Augen hatte. Der Gesetzgeber geht in der angefochtenen Bestimmung in verfassungsrechtlich zulässiger Weise von der (nachvollziehbaren) Durchschnittsbetrachtung aus, dass sich gute und schlechte Wirtschaftsperioden bei längerfristigen Pachtverträgen ausgleichen können, während dies bei kurzfristigen Pachtverträgen nicht oder nur eingeschränkt der Fall sein wird. Die in §1105 zweiter Satz ABGB geregelte Differenzierung zwischen kurz- und langfristigen Pachtverträgen ist daher aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht zu beanstanden. Nach der stRsp des VfGH ist es dabei nicht erforderlich, dass das dadurch erzielte Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird.

Der VfGH vermag darüber hinaus nicht zu erkennen, dass der Gedanke eines "Ausgleiches" zwischen guten und schlechten Jahren in einer Durchschnittsbetrachtung nur auf die landwirtschaftliche Pacht zutrifft. In zumindest gleicher Weise können sich auch bei der Unternehmenspacht gute und schlechte Wirtschaftsperioden abwechseln. Dazu kommt, dass es der Pächter insbesondere bei längerfristigen Pachtverträgen durch seinen Einsatz und sein wirtschaftliches Geschick in der Hand hat, die durch die teilweise Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes bewirkte Minderung seines Ertrages zu beeinflussen.

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