JudikaturVfGH

G133/2018 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
04. Oktober 2018

Abweisung des - zulässigen - Antrags des VwGH auf Aufhebung von §11 Abs2 Z4 NAG idF BGBl I 100/2005 und Feststellung der Verfassungswidrigkeit von §11 Abs5 NAG idF BGBl I 70/2015.

Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung des §11 Abs5 NAG idF BGBl I 145/2017 da es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass der angefochtene §11 Abs5 NAG eine Voraussetzung der Entscheidung des VwGH im Anlassfall bildet. Im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Wien - und damit auch vor dem VwGH - war §11 Abs5 NAG idF BGBl I 70/2015 anzuwenden. Bei Aufhebung des §11 Abs2 Z4 NAG würde §11 Abs5 NAG auch keinen sprachlich unverständlichen und inhaltsleeren Torso darstellen.

Die dem Erkenntnis VfSlg 19732/2013 (Aufhebung von Bestimmungen des StbG, die an das Kriterium der Selbsterhaltungsfähigkeit als Voraussetzung für die Erteilung der Staatsbürgerschaft knüpfen) zugrunde liegende Annahme ist auf die im vorliegenden Fall angefochtenen Rechtsvorschriften von vornherein nicht übertragbar, da das StbG und das NAG schon auf Grund ihrer Zielsetzungen und Regelungsbereiche derart unterschiedlich sind, dass bereits die Ausgangslagen nicht vergleichbar sind:

Während das StbG die Verleihung der Staatsbürgerschaft als erfolgreichen Abschluss eines Integrationsprozesses vorsieht, beziehen sich die angefochtenen Bestimmungen des NAG auf den erstmaligen Zuzug bzw die erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels für das österreichische Bundesgebiet. Dem Gesetzgeber ist es im Rahmen seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes nicht verwehrt, verschiedene Voraussetzungen für den erstmaligen Zuzug bzw die Erteilung von Aufenthaltstiteln und die Verleihung der Staatsbürgerschaft vorzusehen.

Kein Verstoß gegen Art7 Abs1 dritter Satz B-VG und das aus dem BVG-Rassendiskriminierung abzuleitende Sachlichkeitsgebot:

Dem Gesetzgeber kommt bei der Regelung, welchen Personen in Österreich ein - im Fall des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" dauerhafter - Aufenthaltstitel zuerkannt werden soll, ein weiter rechtspolitischer Gestaltungsspielraum zu. Diesen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber mit der Festlegung der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit in §11 Abs2 Z4 iVm Abs5 NAG nicht überschritten. Es kann dem Gesetzgeber nicht entgegengetreten werden, wenn er zur Vermeidung von finanziellen Belastungen für die Gebietskörperschaften grundsätzlich an die Selbsterhaltungsfähigkeit anknüpft und hinsichtlich der in diesem Zusammenhang nachzuweisenden Einkünfte als Maßstab die Richtsätze des §293 ASVG anlegt.

Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang auch, dass für den Nachweis der Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen nach §11 Abs2 Z4 iVm Abs5 NAG auch ein Sparguthaben ab einer gewissen Höhe als hinreichend angesehen werden kann und zudem die Beurteilung anhand einer Zukunftsprognose erfolgt. Dies ist vor dem Hintergrund der Dauer der zu verleihenden Rechtsposition verständlich, da das NAG - mit Ausnahme des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" - nur befristete Rechtspositionen mit der Möglichkeit der Neubewertung der finanziellen Situation in einem allfälligen Verlängerungsverfahren verleiht. Die Behörde hat im Rahmen der Zukunftsprognose vorausschauend einzuschätzen, ob der Lebensunterhalt des Fremden für die Dauer des beantragten Aufenthaltstitels gesichert sein wird.

Im Übrigen ist gemäß §11 Abs3 NAG trotz Nichterfüllung der Voraussetzung der Selbsterhaltungsfähigkeit der Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies auf Grund des Art8 EMRK geboten ist. Auch eine Behinderung kann einen Umstand darstellen, der gemäß §11 Abs3 NAG als Aspekt des Privat- und Familienlebens zu berücksichtigen ist.

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