JudikaturVfGH

G154/2015 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
08. Oktober 2015

Abweisung der - zulässigen - Parteianträge auf Aufhebung des §20 StGB idF BGBl I 108/2010.

Die Anträge wurden jeweils aus Anlass einer gegen Strafurteile erhobenen Berufung wegen Nichtigkeit und Strafe gestellt. Mit diesen Urteilen wurden jeweils auch vermögenswertersetzende Geldbeträge gemäß §20 Abs3 StGB, in Ansehung eines Antragstellers zudem auch ein Vermögenswert gemäß §20 Abs1 leg cit für verfallen erklärt.

Es ist nicht zweifelhaft, dass durch diese Urteile die Strafverfahren gegen die Antragsteller in erster Instanz entschieden wurden, sohin jeweils eine in erster Instanz entschiedene Rechtsache iSd Art140 Abs1 Z1 litd B-VG vorliegt.

Die Parteianträge wurden - ausweislich der Aktenlage - am selben Tag wie die Berufungen wegen Nichtigkeit und Strafe und damit jedenfalls gleichzeitig iSd §62a Abs1 erster Satz VfGG eingebracht.

Abs2 und Abs4 des §20 stehen mit den unbestrittenermaßen angewendeten Bestimmungen des §20 Abs1 und Abs3 StGB jedenfalls in Zusammenhang und sind von diesen Bestimmungen nicht offensichtlich trennbar.

Der Verfall (des Wertersatzes) ist gemäß §20 Abs1 und Abs3 StGB nach Maßgabe des Bruttoprinzips anzuordnen, soweit kein Ausschlussgrund gemäß §20a leg cit vorliegt.

"Bruttoprinzip" bedeutet, dass nicht bloß der Gewinn, sondern grundsätzlich alles, was für die strafbare Handlung oder aus ihr erlangt wurde, für verfallen zu erklären ist. Diese Berechnungsmethode entspricht dem Willen des Gesetzgebers, der das Institut des Verfalls durch das strafrechtliche Kompetenzpaket mit Wirksamkeit 01.01.2011 geändert hat: Während der bis dahin geltende (auf das StrafrechtsänderungsG 1996 zurückgehende) §20 StGB aF ("Abschöpfung der Bereicherung") nur den "Vermögensvorteil" (Nettoprinzip) erfasste, bezieht sich der Verfall nunmehr auf das durch die strafbare Handlung Erlangte.

Der "Verfall" nach §20 StGB ist mit dem den Erk VfSlg 9901/1983 und 11587/1987 zugrunde liegenden Instrument des "Verfalls" nach dem FinStrG (ungeachtet derselben Wortwahl) nicht identisch und - anders als dort - weder als Strafe noch als eine strafähnliche Maßnahme konzipiert.

Der Gesetzgeber kann weitgehend frei darüber entscheiden, ob und auf welche Weise er rechtswidrig Erlangtes entziehen will. Er kann dies selbständig vorsehen; es steht ihm aber auch offen festzulegen, dass das rechtswidrig Erlangte mittels Strafe sichergestellt wird.

Im vorliegenden Fall hat sich der Gesetzgeber - wie sich auch aus den Materialien ergibt (RV 918 BlgNR 24. GP, 7) - dafür entschieden, mit der in Rede stehenden Maßnahme nicht auch Strafzwecke zu verfolgen.

Nach ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung genügt für den Verfall die Begehung einer objektiv strafbaren Handlung. Anders als die (als Nebenstrafe ausgestaltete) Konfiskation gemäß §19a StGB setzt der Verfall keine Schuld voraus; auf Verfall kann daher auch in einem objektiven Verfahren selbständig erkannt werden (vgl §445 StPO). Auch stellt das StGB den Verfall als Maßnahme eigener Art ausdrücklich neben Strafen und vorbeugende Maßnahmen.

Die Abschöpfung des über den Nettogewinn hinaus Erlangten verfolgt primär Präventionsziele: Der mit diesem Instrument angestrebte Zweck - Nutzlosigkeit der Aufwendungen - soll zur Verhinderung gewinnorientierter Straftaten - und diese wollte der Gesetzgeber insbesondere erfassen - beitragen. Müsste der Betroffene für den Fall der Entdeckung lediglich die Abschöpfung des Gewinnes befürchten, wäre die Tatbegehung unter finanziellen Gesichtspunkten weitgehend risikolos. Das Bruttoprinzip dient somit (über Praktikabilitätserwägungen hinaus) präventiv-ordnenden Zielen.

Der VfGH verkennt nicht, dass dem Verfallsbetroffenen zufolge des Bruttoprinzips ein (mitunter erheblicher) wirtschaftlicher Nachteil erwachsen kann. Dies findet aber seine Rechtfertigung darin, dass nicht auf rechtmäßig erlangtes, sondern nur auf solches Vermögen zugegriffen werden darf, das durch vorausgegangene rechtswidrige Handlungen erlangt wurde. Die in den angefochtenen Bestimmungen zum Ausdruck kommende - nicht unsachliche - Entscheidung des Gesetzgebers, rechtswidrig erwirtschaftetes Vermögen nicht anzuerkennen, findet sich auch in anderen Bestimmungen der Rechtsordnung (vgl §1174 ABGB).

Die von den Antragstellern gegen die vermögensrechtliche Anordnung des Verfalls nach §20 StGB geltend gemachten Bedenken treffen daher nicht zu.

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