JudikaturVfGH

B422/2013 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
13. Juni 2013

Eine verfassungsrechtlich unzulässige Doppel- oder Mehrfachbestrafung iSd Art4 Abs1 7. ZPEMRK liegt dann vor, wenn eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war, also der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft. Ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt daher, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfasst (vgl VfSlg 14696/1996).

Mit der GlücksspielG-Novelle BGBl I 54/2010 wurde unter anderem §52 Abs1 und Abs2 GlücksspielG (im Folgenden GSpG) geändert. Der Gesetzgeber verankerte zum einen ausdrücklich die Abgrenzung der Strafbarkeit nach dem GSpG gegenüber jener nach §168 StGB; zum anderen präzisierte der Gesetzgeber mit dieser Novelle das Zurücktreten einer allfälligen Strafbarkeit nach dem GSpG hinter eine allfällige Strafbarkeit nach §168 StGB.

Mit §52 Abs2 GSpG wird auch der unbestimmte Gesetzesbegriff der geringen Beträge iSd §168 Abs1 letzter Halbsatz StGB legal definiert. Nur bei Vorliegen solcher geringen Beträge ist eine Strafbarkeit nach §168 Abs1 letzter Halbsatz ausgeschlossen, gleichgültig ob bloß zu gemeinnützigen Zwecken oder bloß zum Zeitvertreib gespielt wird. Ab Übersteigen dieses Betrages ist die Anzeige an die Staatsanwaltschaft zu übermitteln und besteht Gerichtszuständigkeit.

§52 Abs2 GSpG idF BGBl I 54/2010 grenzt die Strafbarkeit nach §52 Abs1 (Z1) GSpG und jene nach §168 StGB sowie damit auch die Zuständigkeit der Verwaltungs- (§52 Abs1 GSpG) und Strafgerichtsbarkeit (§168 StGB) voneinander ab.

Ungeachtet der Formulierung des §52 Abs2 GSpG (iVm dem Straftatbestand des §52 Abs1 Z1 GSpG) kann diesem nicht der (verfassungswidrige) Inhalt unterstellt werden, dass die Abgrenzung der Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörde nach dem Glücksspielgesetz und der Strafgerichte nach §168 StGB nach den vom jeweiligen Spieler tatsächlich geleisteten Einsätzen (höchstens oder über € 10,-) abhängt.

Bei einer verfassungskonformen Interpretation des §52 Abs2 (iVm §52 Abs1 Z1) GSpG hinsichtlich der Abgrenzung der Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden von jener der Strafgerichte darf es somit nur darauf ankommen, ob eine "Glücksspielveranstaltung" (also das Veranstalten, Organisieren, Anbieten oder unternehmerisch Zugänglichmachen von verbotenen Ausspielungen mit Spielautomaten über einen bestimmten Zeitraum) mit einem Einsatz von über € 10,- pro Spiel ermöglicht wird, und nicht darauf, ob der jeweilige Spieler Einsätze von höchstens € 10,- oder mehr als € 10,- tatsächlich leistet. Dabei umfasst das Veranstalten, Organisieren, Anbieten oder unternehmerisch Zugänglichmachen jeweils nur einen konkreten Spielautomaten und nicht mehrere Spielautomaten (gemeinsam).

Die belangte Behörde hat somit dem §52 Abs2 (iVm §52 Abs1 Z1) GSpG einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt, indem sie nicht auf den maximal möglichen Einsatz der vom Beschwerdeführer betriebenen Glücksspielautomaten, sondern auf den jeweils von Spielern geleisteten Einsatz pro Spiel abstellte. Da der Beschwerdeführer unbestrittenermaßen Ausspielungen mit zwei Glücksspielautomaten, welche einen Höchsteinsatz von € 10,50 pro Spiel ermöglichten, veranstaltete und deswegen auch in erster Instanz strafgerichtlich gemäß §168 StGB verurteilt wurde, scheidet eine doppelte Bestrafung wegen ein und derselben Tat nach §52 Abs1 Z1 (iVm §52 Abs2) GSpG aus.

Aus der dargelegten verfassungskonformen Interpretation der Abgrenzungsregelung des §52 Abs2 GSpG ergibt sich im Übrigen die Verpflichtung der Verwaltungsstrafbehörde - auch nach Maßgabe der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art7 B-VG bzw Art2 StGG und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG - stets zu ermitteln, welcher mögliche Höchsteinsatz an einem Glücksspielautomat geleistet werden kann (bzw ob Serienspiele veranlasst werden können), um derart beurteilen zu können, ob eine Gerichtszuständigkeit gemäß §168 StGB oder die Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörden gemäß §52 Abs1 GSpG besteht.

Ebenso unter Hinweis auf die vorliegende Entscheidung: B423/2013, E v 26.06.2013.

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