JudikaturVfGH

U485/2012 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
12. Juni 2013

Der AsylGH hat in schlüssiger und nachvollziehbarer Weise ausgeführt, dass den Angaben des Beschwerdeführers die Befürchtung, im Falle seiner Rückkehr drohe Verfolgung aus Gründen der Genfer Flüchtlingskonvention, nicht glaubhaft zu entnehmen sei. Zutreffende Annahme des Nicht-Vorliegens asylrelevanter Fluchtgründe - auch vor dem Hintergrund der aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandenden Länderfeststellungen.

Weiters vertretbare Annahme, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in keine aussichtlose Lage geraten wird, die unter dem Blickwinkel des Art3 EMRK relevant ist. Keine Verletzung in Rechten nach Art2 und Art3 EMRK.

Eine familiäre Beziehung unter Erwachsenen fällt insbesondere dann unter den Schutz des Familienlebens (und nicht [nur] des Privatlebens) iSd Art8 Abs1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale etwa der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (VfSlg 17340/2004, S 514; 17851/2006). Auch in Anbetracht des Beschwerdevorbringens, das selbst keine derartigen Merkmale darlegt, sondern lediglich wiederholt, dass sich die Mutter und zwei Schwestern des Beschwerdeführers, von denen eine im selben Haushalt lebe, in Österreich aufhalten, und der damit unbestrittenen Sachverhaltsfeststellungen des AsylGH sind im vorliegenden Fall somit keine Anhaltspunkte für eine besondere familiäre Bindung des Beschwerdeführers in Österreich gegeben.

Die Interessenabwägung nach Art8 Abs2 EMRK ist letztlich auf den Einzelfall ausgerichtet. Dem trägt das verfassungsrechtlich vorgezeichnete System der Vollziehung des Asylrechts insofern in besonderer Weise Rechnung, als mit dem AsylGH eine gerichtliche Instanz eingerichtet ist, der es im Rahmen der Überprüfung der Entscheidungen des Bundesasylamts auch zukommt, selbst diese Interessenabwägung vorzunehmen. Es ist ein wesentlicher Bestandteil der innerstaatlichen Gewährleistung der dem Asylwerber durch Art8 EMRK eingeräumten Rechte, dass er im Wege der Beschwerde an den AsylGH ein durchsetzbares Recht darauf hat, dass die Beurteilung seines konkreten Einzelfalls und damit auch die konkrete Abwägung zwischen seinen rechtlich geschützten Interessen und den öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften von einem Richter vorgenommen wird.

Vor diesem Hintergrund ist die vom AsylGH vorgenommene Interessenabwägung nicht zu beanstanden:

Der Beschwerdeführer ist selbstständig illegal nach Österreich eingereist und verfügte nie über einen anderen als den Aufenthaltsstatus eines Asylwerbers. Die Dauer des vorliegenden Asylverfahrens übersteigt mit drei Jahren nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die vom AsylGH angesprochenen öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthalts im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Ausweisung als "in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" erscheinen zu lassen.

Es ist dem AsylGH auch darin zuzustimmen, dass sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein musste. Daher ist dem AsylGH aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten, wenn er davon ausgeht, dass auch die im vorliegenden Fall unbestritten weitreichenden Integrationsschritte des Beschwerdeführers (hervorragende Deutschkenntnisse, Hauptschulabschluss, erfolgreicher Besuch einer HTL, österreichischer Freundeskreis und österreichische Freundin) dennoch gegenüber den öffentlichen Interessen an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens zurücktreten müssen. Auch führen im vorliegenden Fall weder die Dauer des Asylverfahrens noch sonstige Umstände dazu, dass den in Österreich entstandenen Bindungen des Beschwerdeführers ein so weitgehender Verlust derjenigen zu seinem Herkunftsstaat gegenübersteht, dass die Ausweisung unverhältnismäßig ist.

Keine Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander; keine Willkür.

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