Spruch
W268 2298756-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Iris GACHOWETZ als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Indien, vertreten durch den Verein ZEIGE (Zentrum für Europäische Integration und Globalen Erfahrungsaustausch), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.08.2024, Zl. 1357388900/231180397, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, stellte am 20.06.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Am selben Tag wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdiensts erstbefragt, wobei er als Fluchtgrund angab, es werde behauptet, dass er ein Unterstützer der „Khalistan-Bewegung“ sei, weil er einer Person namens „Amritpal“ bei Demonstrationen gefolgt sei. Da die Regierung gegen diese Bewegung sei, werde der Beschwerdeführer nun bedroht und verfolgt.
2. Der Beschwerdeführer wurde am 07.03.2024 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen.
3. Das Verfahren des Beschwerdeführers war vom 30.06.2023 bis 07.08.2023 aufgrund unbekannten Aufenthalts des Beschwerdeführers eingestellt.
4. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 09.08.2024, Zl. 1357388900/231180397, wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 20.06.2023 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 Asylgesetz 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG wurde sein Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Indien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Indien zulässig ist (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung bemessen (Spruchpunkt VI.).
5. Gegen den am 14.08.2024 rechtswirksam zugestellten Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung fristgerecht am 28.08.2024 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist indischer Staatsangehöriger und wurde am XXXX geboren. Er gehört der Volksgruppe der Rajputen an und bekennt sich zur Glaubensgemeinschaft des Sikhismus. Seine Muttersprache ist Punjabi.
Er stammt aus dem Dorf Pandori, Amritsar, wo er seit seiner Geburt lebte. Er besuchte in Indien 12 Jahre die Grundschule und arbeitete als Hilfsarbeiter. Die Eltern und die Schwester des Beschwerdeführers leben nach wie vor in Indien, genauer in Amritsar. Der Beschwerdeführer steht in Kontakt zu seinen Familienangehörigen im Herkunftsstaat.
Er ist volljährig, gesund und im erwerbsfähigen Alter. Er ist ledig und kinderlos. Der Beschwerdeführer verbrachte den Großteil seines Lebens in Indien und ist mit den kulturellen Traditionen und Gepflogenheiten seines Heimatlandes vertraut.
1.2. Zur Rückkehrmöglichkeit nach Indien
Der Beschwerdeführer ist wegen der behaupteten Probleme betreffend die Bedrohung bzw. Verfolgung aufgrund einer Zugehörigkeit und politischen Aktivität in der Pro-Khalistani-Bewegung, keinen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt (gewesen). Er ist in seinem Herkunftsstaat nicht vorbestraft und drohen ihm weder aufgrund seines Religionsbekenntnisses noch seiner Volksgruppenzugehörigkeit oder aus politischen Gründen Probleme bzw. eine Verfolgung durch die indischen Behörden.
Ihm stehen jedenfalls innerstaatliche Fluchtalternativen zur Verfügung.
Es wird nicht festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Indien in seinem Recht auf Leben gefährdet wird, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wird oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.
1.3. Zur Situation des Beschwerdeführers in Österreich
Der Beschwerdeführer verließ Indien am 12.06.2023, reiste im Juni 2023 in Österreich ein und stellte am 20.06.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet.
Der Beschwerdeführer hat keine in Österreich aufhältigen Verwandten oder Familienangehörige, lebt in keiner Lebensgemeinschaft und hat keine engen sozialen Bindungen.
Der Beschwerdeführer absolvierte weder Deutschkurse noch sonstige Ausbildungen, verfügt über keine nennenswerten Deutschkenntnisse und ist nicht Mitglied eines Vereins, einer kirchlichen oder sonstigen Organisation. Der Beschwerdeführer weist im Bundesgebiet keine hinreichende Integration auf.
Der Beschwerdeführer ist zum Entscheidungszeitpunkt strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer verfügte in Österreich von 30.06.2023 bis 07.08.2023 über keinen aufrechten Wohnsitz. Am 30.06.2023 stellte das Bundesamt das Asylverfahren gemäß § 24 Abs. 2 AsylG wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht ein, da der Aufenthaltsort des Beschwerdeführers nicht feststellbar war. Am 07.08.2023 wurde das Asylverfahren nach Bekanntwerden der neuen Meldeadresse fortgesetzt.
1.4. Zur maßgeblichen Lage in Indien werden nachfolgende Feststellungen getroffen:
Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation des BFA zu Indien (Schreibfehler teilweise korrigiert, Stand 28.11.2023):
Politische Lage
Letzte Änderung 2023-11-28
Die 1950 (2 ½ Jahre nach Erlangung der Unabhängigkeit) in Kraft getretene Verfassung Indiens basiert auf der westlich-liberalen Staatstradition. Indien ist ein demokratischer Rechtsstaat mit einem Mehrparteiensystem (ÖB New Delhi 07.2023). Es steht – trotz partieller innenpolitischer Spannungen – auf einer soliden, säkular ausgerichteten Verfassung. Die föderal verfasste Republik verfügt über rechtsstaatliche Strukturen mit einem Mehrparteiensystem. Das Unionsparlament ist in zwei Kammern unterteilt. Das Oberhaus vertritt die Interessen der 28 Unionsstaaten und acht Unionsgebiete (AA 05.06.2023).
Der föderal strukturierten Republik gehören (nach der Abschaffung der Autonomie von Jammu, Kaschmir und Ladakh und Teilung in zwei Unionsterritorien im Jahr 2019) 28 Unionsstaaten (auch Bundes- oder Regionalstaaten) und acht direkt von der Zentralregierung verwaltete Unionsterritorien an. Das Prinzip der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative (Parlament) und einer unabhängigen Justiz ist in der Verfassung verankert. Oberhaupt der Indischen Union ist der Staatspräsident, der von einem Gremium der Abgeordneten des Bundes und der Länder gewählt wird und großteils Repräsentativfunktionen wahrnimmt (ÖB New Delhi 07.2023; vgl. FH 2023). Zudem fungiert der indische Präsident auch als Oberbefehlshaber der Armee (KAS 07.2022). Der Präsident wird von den Gesetzgebern der Bundesstaaten und des Landes für eine fünfjährige Amtszeit gewählt (FH 2023). Neben seiner allgemeinen repräsentativen Funktion entscheidet der Präsident, welche Partei am besten in der Lage ist, eine Regierung zu bilden. Weiters umfassen seine legislativen Befugnisse die Auflösung oder Einberufung des Parlaments. Zu seinen exekutiven Befugnissen gehört die Ernennung des Obersten Richters Indiens aus einer Liste, die ihm vom Obersten Gerichtshof übermittelt wird (KAS 07.2022). Seit Ende Juli 2022 hat den Posten des Präsidenten erstmals eine indigene Frau inne, die der Santal-Gemeinschaft (einer der ältesten und größten indigenen Gruppen Indiens) angehört (KAS 07.2022).
Die Gewaltenteilung zwischen Parlament und Regierung folgt britischem Muster (AA 05.06.2023). Die Exekutive besteht aus dem Staatspräsidenten, dem Vizepräsidenten und dem Ministerrat mit dem Premierminister an der Spitze. Die Minister werden auf Vorschlag des Premierministers vom Staatspräsidenten ernannt. Der Staatspräsident steht formal der Regierung vor, die tatsächliche Macht liegt jedoch beim Premierminister und dem von ihm zusammengesetzten Ministerrat. Der Vizepräsident ist zugleich Vorsitzender des Oberhauses (Rajya Sabha) des Unionsparlaments. Der Premierminister und sein Kabinett sind kollektiv dem Unterhaus (Lok Sabha) verantwortlich (ÖB New Delhi 07.2023; vgl. FH 2023, USDOS 20.03.2023a).
In den Bundesstaaten liegt die Exekutive formal beim jeweiligen Gouverneur, der vom Staatspräsidenten ernannt wird, und dem Ministerrat, an dessen Spitze der Ministerpräsident (Chief Minister) steht. Der Gouverneur ernennt den Ministerpräsidenten und die von diesem vorgeschlagenen Minister, die kollektiv der gesetzgebenden Versammlung des Unionsstaates (Vidhan Sabha/Legislative Assembly) verantwortlich sind (ÖB New Delhi 07.2023).
Die Unionsterritorien werden direkt von der Zentralregierung verwaltet, wobei einige Unionsterritorien (Delhi, Puducherry) auch über eine eigene parlamentarische Versammlung und eine Regierung verfügen und somit de facto eine Zwischenstellung zwischen Regionalstaat und Unionsterritorium einnehmen (ÖB New Delhi 07.2023).
Seit fast sieben Jahrzehnten finden freie und faire Wahlen statt (BS 23.02.2022; vgl. FH 24.02.2022). Das Parteiensystem ist relativ stabil und gesellschaftlich verwurzelt, wobei allerdings informelle Verfahren, Fraktionszwang und Klientelismus vorherrschen (BS 23.02.2022).
Indien verfügt über eine weitverzweigte Parteienlandschaft, die von fortschreitender Regionalisierung und Parteineugründungen geprägt ist. Das frühere Zweiparteiensystem ist durch ein kompetitives (regional verankertes) Mehrparteiensystem abgelöst worden (ÖB New Delhi 07.2023). Neben den großen nationalen Parteien Kongress (in ihren Wurzeln sozialistisch inspirierte nationale Sammlungsbewegung), Bharatiya Janata Party (BJP, hindu-nationalistisch) sowie überregional wirkenden kommunistischen Parteien gibt es eine Vielzahl von Regionalparteien, die in einzelnen Bundesstaaten allein oder in Koalitionen die Landesregierungen bilden, aber auch auf nationaler Ebene zunehmend nach politischer Bedeutung streben (AA 05.06.2023).
Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts („first past the post“) konnte die BJP unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt (AA 05.06.2023; vgl. KAS 04.2022). Die BJP gewann 37,76 % der Stimmen und 55,8 % der Sitze im Parlament. Hingegen errang die INC 19,7 % der Stimmen und 9,7 % der Parlamentssitze (India Votes, ohne Datum).
Die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien haben ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 12.04.2022). Hinsichtlich der Staatlichkeit weist das Gewaltmonopol des Staates auf seinem Territorium geringe Probleme auf. Die große Mehrheit der Bevölkerung akzeptiert den indischen Nationalstaat als legitim. Die Legitimität des Nationalstaates wird jedoch in abgelegenen Gebieten, in denen der Staat und seine Institutionen praktisch nicht vorhanden sind, die von kleinen ethnischen Gruppen und Stämmen bewohnt werden und die auch durch die Präsenz von Rebellenorganisationen gekennzeichnet sind, in Frage gestellt (BS 23.02.2022).
Aktivisten und Minderheitengruppen zufolge wandelt sich Indien allmählich von einer säkularen multikulturellen Nation zu einem hinduistisch geprägten Staat. Unter der seit 2014 amtierenden Regierung von Premierminister Narendra Modi ist demnach der säkulare Charakter des Landes ins Hintertreffen geraten (DW 15.08.2022). Die Hindutva-Ideologie, von der sich die regierende BJP leiten lässt, befürwortet die Vorherrschaft der Hindus und sieht die Errichtung eines „Hindu-Staates“ (einer „Hindu Rashtra“) vor, wobei Nicht-Hindus nicht alle Rechte eingeräumt werden, die den Hindus zukommen (Böll 12.07.2022). Die BJP gehört zu einem Netzwerk von Organisationen, in dessen Zentrum die radikal hindunationalistische Kaderorganisation „Rashtriya Swayamsevak Sangh“ (RSS) steht, die ursprünglich von den italienischen Faschisten in den Zwanzigerjahren inspiriert wurde (Böll 12.07.2022).
Die von der Bharatiya Janata Party (BJP) geführte Regierung setzte ihre systematische Diskriminierung und Stigmatisierung von religiösen und anderen Minderheiten, insbesondere von Muslimen, fort. BJP-Anhänger verübten zunehmend gewalttätige Angriffe gegen bestimmte Gruppen. Die hinduistische Mehrheitsideologie der Regierung spiegelte sich in der Voreingenommenheit der Institutionen, einschließlich der Justiz und der Verfassungsorgane wie der Nationalen Menschenrechtskommission, wider (HRW 12.01.2023). [...]
Sicherheitslage
Letzte Änderung 2023-11-28
Hinduradikale Gruppen verursachen immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen mit Angehörigen religiöser Minderheiten, v. a. Muslime, gelegentlich aber auch mit nicht traditionell eingestellten Hindus (AA 05.06.2023). Der gegen Minderheiten wie Muslime und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird von offizieller Seite selten in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als „communal violence“ bezeichnet. Das Innenministerium gibt jedoch seit 2017 keine entsprechenden Daten mehr weiter, und Zivilgesellschaften berichten, dass die Regierung nicht auf Auskunftsbegehren (nach dem Right to Information) reagiert (ÖB New Delhi 07.2023).
Insgesamt sind die meisten Inder tagtäglich keinen nennenswerten Sicherheitsbedrohungen ausgesetzt, mit einigen Ausnahmen in bestimmten, abgelegenen Gebieten. Diejenigen, die in Städten leben, können zivilen Unruhen ausgesetzt sein, einschließlich gewalttätiger Ausschreitungen, die von Zeit zu Zeit im ganzen Land auftreten. Die Ursachen für zivile Unruhen sind komplex und vielfältig und können ethnische und religiöse Spannungen, Aufstände und Terrorismus sowie politische und ideologische Gewalt umfassen. In den meisten Fällen werden die meisten Inder solche Situationen vermeiden (DFAT 29.09.2023). Über soziale Medien verbreitete Fehlinformationen führen gelegentlich zu Gewalt. Über Social-Media-Plattformen wie Facebook, Snapchat, Twitter, WhatsApp und YouTube werden Gerüchte über angebliche Straftaten verbreitet, die zu gelegentlichem Vigilantismus führen. Diese Ereignisse sind unvorhersehbar, bleiben aber meist lokal begrenzt (DFAT 29.09.2023). Das Potenzial von Eskalationen besteht vor allem zwischen hinduistischen und muslimischen Bevölkerungsgruppen. Es waren jedoch auch wiederholt Angriffe hinduistischer Fundamentalisten auf christliche Kirchen zu verzeichnen (EDA 14.11.2023).
Nach wie vor sind auch die sogenannten Ehrenmorde ein Problem, vor allem in Punjab, Uttar Pradesh und Haryana (mit geschätzten mehreren hundert Fällen jährlich) (ÖB New Delhi 07.2023). Diese sind i. d. R. darauf zurückzuführen, dass das Opfer gegen den Willen seiner Familie geheiratet hat oder heiraten will (USDOS 12.04.2022). Die Ahndung von Ehrenmorden ist schwierig, da diese oft als Selbstmord oder natürlicher Tod ausgelegt werden (ÖB New Delhi 07.2023; vgl. USDOS 12.04.2022).
Sicherheitslage in einzelnen Bundesstaaten
Die Streitkräfte des Landes, die Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten und paramilitärische Kräfte lieferten sich Gefechte mit terroristischen Gruppen in mehreren östlichen Bundesstaaten sowie in Jammu und Kaschmir und mit maoistischen Terroristen im Norden, im Zentrum und im Osten des Landes. Die Intensität der Gewalt in diesen Gebieten nahm jedoch weiter ab (USDOS 20.03.2023b).
In den nordöstlichen Bundesstaaten, vor allem in Manipur, Meghalaya, Mizoram, Nagaland und Assam, war über Jahrzehnte eine Vielzahl von Rebellengruppen aktiv. Die Regierung geht durch den Einsatz von Sicherheitskräften, Verhandlungen, Rehabilitierungsmaßnahmen und Budgeterstattungen für Sicherheitsmaßnahmen der Bundesstaaten dagegen vor (AA 05.06.2023).
Dem österreichischen Außenministerium (BMEIA) zufolge besteht in den westlichen Teilen von Ladakh ein hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 14.11.2023). Laut [deutschem] Auswärtigem Amt ist im Unionsterritorium Ladakh die Sicherheitslage grundsätzlich stabil. In den direkten Grenzregionen kann es zu Zusammenstößen zwischen indischen und pakistanischen und indischen und chinesischen Sicherheitskräften kommen (AA 05.06.2023).
Laut BMEIA besteht weiters ein hohes Sicherheitsrisiko in den Grenzgebieten und in der Gegend westlich von Mulbek, in den Gebieten entlang der pakistanischen und der chinesischen Grenze, in der unmittelbaren Nachbarschaft zur pakistanischen Grenze, in den Bundesstaaten Rajasthan und Punjab sowie in den Gebieten westlich der Orte Jaisalmer und Bikaner. In den Bundesstaaten Chhattisgarh und Jharkand, in den östlichen Landesteilen von Maharashtra und Madhya Pradesh, sowie vereinzelt in Odisha und Bihar sind linksgerichtete Aufständische aktiv, die immer wieder Anschläge auf öffentliche Einrichtungen bzw. öffentliche Verkehrsmittel und Sicherheitskräfte verüben (BMEIA 14.11.2023).
In den nordöstlichen Bundesstaaten (Arunachal Pradesh, Assam, Nagaland, Manipur, Meghalaya, Mizoram und Tripura) sind vereinzelt aufständische Gruppen aktiv (BMEIA 14.11.2023; vgl. AA 14.11.2023). Diese führen dort einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (FH 2023). Gegen militante Gruppierungen, die für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. maoistisch-umstürzlerischen) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind i. d. R. Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 05.06.2023; vgl. ÖB New Delhi 08.2021).
Der maoistische Aufstand in der ost- und zentralindischen Bergregion dauert an. Neben anderen Übergriffen haben die Rebellen angeblich illegale Steuern erhoben, Lebensmittel und Unterkünfte beschlagnahmt und Kinder und Erwachsene entführt und zwangsrekrutiert. Lokale Zivilisten und Journalisten, die als regierungsfreundlich gelten, wurden angegriffen (FH 2023). Die radikalen Gruppierungen operieren in weiten Teilen des östlichen Kernindiens, vor allem im sogenannten „Red Corridor“ (Schwerpunkte in Chhattisgarh, Odisha, Jharkand, Bihar, West Bengal). Ihre Gesamtzahl wird nunmehr auf unter 10.000 Personen geschätzt. Zwar stellen gewalttätige linksextremistische Gruppen (sog. „Naxaliten“ oder „maoistische Guerilla“) weiter eine innenpolitische Herausforderung für die indische Regierung dar; seit dem entschiedenen Vorgehen indischer Sicherheitskräfte (2009 – Operation Green Hunt) gepaart mit gezielter Wirtschaftsförderung in betroffenen Gebieten ist jedoch ein starker Rückgang dieser Gruppierungen zu verzeichnen (AA 05.06.2023).
Nachdem die Lage im Punjab in den letzten Jahren ruhig war, gab es im Frühjahr 2023 ein erneutes Aufflammen der separatistischen Khalistan-Bewegung. Deren Anführer befindet sich nach seiner Flucht in Haft. Der Konflikt beschränkte sich auf Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Separatisten und der Polizei, Zivilisten waren nicht betroffen (ÖB New Delhi 07.2023). [...]
Jammu und Kaschmir
Letzte Änderung 2023-11-28
Jammu und Kaschmir, ein Gebiet im Norden Indiens im Himalaya, war bis 2019 ein Staat mit Sonderstatus gemäß Artikel 370 der Verfassung, als die Regierung die Verfassung änderte und den Staat in zwei Unionsterritorien umstrukturierte: Jammu und Kaschmir; und Ladakh. Jammu und Kaschmir hat eine mehrheitlich muslimische Bevölkerung mit einer bedeutenden hinduistischen Minderheit und kleinen Sikh- und christlichen Gruppen. Pakistan beansprucht die Souveränität über die Region für sich und war Gegenstand bewaffneter Konflikte. Die De-facto-Grenze zwischen den beiden Ländern ist die „Line of Control“. Seit Februar 2021 besteht ein Waffenstillstand zwischen Indien und Pakistan. In der Region sind islamische Extremisten, Aufständische und gewalttätige Separatisten aktiv (DFAT 29.09.2023; vgl. FH 2023 - Indian Kashmir).
Damit wurden den Bewohnern viele ihrer früheren politischen Rechte entzogen. Auch die bürgerlichen Freiheiten wurden beschnitten, um den anhaltenden öffentlichen Widerstand gegen die Neuordnung zu unterdrücken (FH 2023 - Indian Kashmir). Vor der Aufhebung des Autonomiestatuts entsandte die Unionsregierung ca. eine halbe Million Truppen (Militär und Sonderpolizei), verhängte umfangreiche Ausgangssperren, kappte alle Kommunikationskanäle nach außen (inkl. Festnetz- und Mobiltelefonie und Internet) und ließ Oppositionsanhänger und -führer (ca. 4.000 Personen) präventiv einsperren bzw. unter Hausarrest stellen, um Proteste zu verhindern. Die bürgerlichen Freiheiten wurden erst nach und nach und nur teilweise wiederhergestellt, u. a. wurde der Zugang zum Internet nach 18 Monaten im Februar 2022 wieder ermöglicht (auch wenn es weiter zeitweise beschränkt wird, um Massenansammlungen zu vermeiden) (ÖB New Delhi 07.2023). Die indischen Sicherheitskräfte werden häufig der Verletzung von Menschenrechten beschuldigt, doch die Täter werden nur selten bestraft. Separatistische und dschihadistische Kämpfer führen weiterhin einen langwierigen Aufstand (FH 2023 - Indian Kashmir).
Die Umstrukturierung des ehemaligen Staates in zwei Unionsterritorien verleiht der (nationalen) Unionsregierung auch mehr Macht in der Region, beispielsweise in Bezug auf die Staatsbürgerschaft und den Landbesitz. Dies bedeutet, dass sich indische Staatsbürger nun dauerhaft niederlassen und Land kaufen und verkaufen können, was vor der Neuordnung nicht möglich war (DFAT 29.09.2023).
Seit vielen Jahren sind Proteste gegen die indische Kontrolle oder zugunsten von ethnischem oder islamischem Separatismus üblich und oft gewalttätig, mit z. T. zahlreichen Opfern auf beiden Seiten infolge von Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Rebellen (DFAT 29.09.2023; vgl. HRW 12.01.2023, BAMF 18.09.2023). Die Zahl der zivilen Opfer ist deutlich zurückgegangen und tendiert gegen null (BAMF 18.09.2023). Quellen berichteten dem DFAT jedoch, dass es in der Region seit Mitte 2019 weniger Proteste gibt, was auf die starke Sicherheitspräsenz und die weitreichenden Verhaftungsbefugnisse der Sicherheitskräfte nach dem Jammu and Kashmir Public Safety Act 1978 zurückzuführen ist, der Verhaftungen und Präventivhaft erlaubt (DFAT 29.09.2023).
Die Regierung schloss 2019 die Menschenrechtskommission von Jammu und Kaschmir und beauftragte die NHRC mit der Überwachung von Menschenrechtsverletzungen in Jammu und Kaschmir. Die NHRC ist für alle Menschenrechtsverletzungen zuständig, außer in bestimmten Fällen, an denen Militär und paramilitärisches Personal beteiligt sind (USDOS 20.03.2023b).
Das Gesetz über die öffentliche Sicherheit (Public SafetyAct, PSA), das nur in Jammu und Kaschmir gilt, erlaubt es den Behörden, Personen ohne Anklage oder gerichtliche Überprüfung bis zu zwei Jahre lang ohne Besuch von Familienangehörigen festzuhalten (USDOS 20.03.2023b).
In Jammu und Kaschmir, Punjab und Manipur haben Sicherheitsbeamte besondere Befugnisse zur Durchsuchung und Verhaftung ohne Haftbefehl (USDOS 20.03.2023b; vgl. EDA 14.04.2023) oder auf Personen schießen, die die öffentliche Ordnung missachten. Bei Unruhen setzen sie scharfe Munition ein, verhängen Ausgangssperren und unterbrechen die Mobiltelefon- und Internetverbindungen (EDA 14.04.2023). Offiziellen Angaben zufolge verzeichnete Jammu und Kaschmir zwischen April 2020 und März 2022 den höchsten Anteil an Todesfällen mit Polizeibeteiligung in ganz Indien (AI 28.03.2023).
Die indischen Behörden verschärften die Einschränkungen der freien Meinungsäußerung und der friedlichen Versammlung in Jammu und Kaschmir (HRW 12.01.2023; vgl. AI 28.03.2023). Die repressive Politik der Regierung und das Versäumnis, mutmaßliche Übergriffe der Sicherheitskräfte zu untersuchen und strafrechtlich zu verfolgen, haben für die Einwohner die Unsicherheit erhöht (HRW 02.08.2022). Die Behörden berufen sich auf Gesetze sowie auf Terrorismusvorwürfe, um Razzien durchzuführen und willkürlich Journalisten, Aktivisten und politische Anführer ohne Beweise und ohne gerichtliche Überprüfung festzunehmen (HRW 02.08.2022; vgl. USDOS 12.04.2022). Diese können im Übrigen Verdächtige bei Sichtkontakt erschießen und Gebäude zerstören, in denen mutmaßlich Kämpfer oder Waffen untergebracht sind (BS 23.02.2022).
Der große Handlungsspielraum, der dem Militär und den paramilitärischen Kräften durch die Sondervollmachten eingeräumt wird, wird auch oft missbraucht (ÖB New Delhi 07.2023). Im März reduzierte die indische Regierung die Zahl der Bezirke, die unter das Gesetz über die Sondervollmachten der Streitkräfte (AFSPA) fallen, in einigen nordöstlichen Bundesstaaten. In Jammu und Kaschmir sowie in 43 von 90 Bezirken in vier nordöstlichen Bundesstaaten blieb das Gesetz jedoch weiterhin in Kraft, sodass Angehörige der Sicherheitskräfte selbst bei schweren Menschenrechtsverletzungen straffrei ausgehen können (HRW 12.01.2023). [...]
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung 2023-11-28
Das Justizsystem gliedert sich in den Supreme Court: Oberstes Gericht mit Sitz in Delhi; als Verfassungsgericht regelt er die Streitigkeiten zwischen Zentralstaat und Unionsstaaten. Er fungiert auch als Appellationsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen der untergeordneten Gerichte, namentlich bei Urteilen, welche eine Interpretation der Verfassung beinhalten, oder bei Todesurteilen. Den High Court: Obergericht in jedem Unionsstaat. Kollegialgericht als Appellationsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen. Er führt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die Untergerichte des Staates, um so die Justiz von den Einflüssen der Exekutive abzuschirmen. Sowie dem Subordinate Civil and Criminal Courts: untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten, in Zivil- und Strafrecht aufgeteilt. Fälle werden durch Einzelrichter entschieden. Richter am District und Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl über zivilrechtliche wie auch strafrechtliche Fälle (als District Judge über Zivilrechtsfälle, als Sessions Judge über Straffälle). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge fungiert der 1st Class Judicial Magistrate, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für minder schwere Strafsachen (ÖB New Delhi 07.2023).
Die Justiz ist in Indien von der Legislative und der Exekutive getrennt (DFAT 29.09.2023). Das Gesetz sieht eine unabhängige Justiz vor und die Regierung respektierte im Allgemeinen die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz, doch kam es im Justizsystem zu Verzögerungen, Kapazitätsproblemen und Korruption auf den unteren Ebenen. Das Justizsystem war nach wie vor stark überlastet und verfügte nicht über moderne Fallverwaltungssysteme. Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist gesetzlich verankert, außer in Verfahren, bei denen es um Amtsgeheimnisse oder die Sicherheit des Staates geht, und die Justiz hat dieses Recht im Allgemeinen durchgesetzt (USDOS 20.03.2023b).
Die Justiz in Indien arbeitet formell unabhängig von den politischen Staatsorganen (FH 2023). Es gibt eine verfassungsmäßig garantierte unabhängige Gerichtsbarkeit mit dreistufigem Instanzenzug (AA 05.06.2023). Die häufig überlange Untersuchungshaft/Verfahrensdauer aufgrund überlasteter und unterbesetzter Gerichte sowie Korruption schränken die Rechtssicherheit aber deutlich ein (USDOS 20.03.2023b; vgl. FH 2023, ÖB New Delhi 07.2023). Sehr problematisch ist zudem die sehr lange Verfahrensdauer von Strafverfahren. Die Regeldauer (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre. (AA 05.06.2023; vgl. ÖB New Delhi 07.2023). Ca. 77 % aller Gefangenen sind Untersuchungshäftlinge.
Fast 71 % der Untersuchungshäftlinge sind zwischen drei Monaten und mehr als fünf Jahren in Haft (AA 05.06.2023). Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft, was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung vor Gericht häufig nicht frei aussagen. Auch Zeugen können für ihre Vernehmung gemäß Strafprozessordnung über mehrere Tage inhaftiert werden, sofern Fluchtgefahr besteht: Fälle von Sippenhaft sollen nicht vorkommen (AA 05.06.2023).
In einigen ländlichen Gemeinden gibt es Dorfgerichte (manchmal nyaya panchayat genannt), die manche Inder dem formellen Rechtssystem vorziehen. Die Entscheidungen fallen schneller, sind gemeinschaftsbezogen und oft weniger anfällig für Korruption (DFAT 29.09.2023).
Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis lässt sich nicht feststellen und sieht keine unmenschlichen oder erniedrigenden Strafen vor. Die Strafzumessungen bewegen sich regelmäßig im unteren Bereich des gesetzlich vorgesehenen Strafrahmens. Allerdings sind vor allem die unteren Instanzen nicht frei von Korruption (AA 05.06.2023; vgl. ÖB New Delhi 07.2023), sind oft politisch besetzt bzw. agieren in vorauseilendem Gehorsam gegenüber lokalen Amtsträgern, wie beispielsweise Abgeordneten. Sehr problematisch ist die häufig sehr lange Verfahrensdauer in Folge von Überlastung der Gerichte. Der mangelnde Zeugenschutz führt dazu, dass Zeugen wegen Bestechung oder Bedrohung vor Gericht häufig „umfallen“ (ÖB New Delhi 07.2023).
In der Verfassung verankerte rechtsstaatliche Garantien (z. B. das Recht auf ein faires Verfahren) werden durch eine Reihe von Sicherheitsgesetzen eingeschränkt. Diese Gesetze wurden nach den Terroranschlägen von Mumbai im November 2008 verschärft; u. a. wurde die Unschuldsvermutung für bestimmte Straftatbestände außer Kraft gesetzt (AA 05.06.2023), z. B. bei Anwendung des Unlawful Activities Prevention Act (UAPA). Es gibt kostenfreie Rechtsberatung für bedürftige Angeklagte, aber in der Praxis ist der Zugang zu kompetenter Beratung oft begrenzt. Gerichte sind verpflichtet, Urteile öffentlich zu verkünden, und es gibt effektive Wege der Berufung auf beinahe allen Ebenen der Justiz. Angeklagte haben das Recht, die Aussage zu verweigern oder sich schuldig zu bekennen (USDOS 12.04.2022). Die Rechte auf ein ordnungsgemäßes Verfahren werden nicht konsequent eingehalten. Die Bürger sehen sich bei der Verfolgung der Rechtsansprüche mit erheblichen Hindernissen konfrontiert, darunter z. B. auch die Forderungen nach Bestechungsgeldern (FH 2023). Generell ist festzuhalten, dass das indische Rechtssystem in vielen Bereichen rechtsstaatlich bedenkliche Verfahrensvorschriften zur Beweislastumkehr kennt (ÖB New Delhi 07.2023).
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischem Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse (AA 05.06.2023). Das Heranziehen von erzwungenen Geständnissen (z. B.: durch Gewalt oder Folter) in die Beweislage ist rechtswidrig, kommt aber dennoch vor (ÖB New Delhi 07.2023).
Präventivhaft ist bei Fällen von Gefährdung der öffentlichen Ordnung gesetzlich vorgesehen.
Der National Security Act (NSA) aus 1980 erlaubt Vorbeugehaft ohne Anklage oder Gerichtsverfahren bis zu einem Jahr, wenn eine Person als Sicherheitsrisiko eingestuft wird, ohne dass das Gesetz die Sicherheitsgründe näher definiert. Verhaftete Personen müssen innerhalb von 15 Tagen über die Haftgründe informiert werden. Spätestens nach sieben Wochen muss ein Beratungsausschuss über die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung befinden (ÖB New Delhi 07.2023).
Das Gesetz zur Verhinderung rechtswidriger Aktivitäten (Unlawful Activities Prevention Act UAPA) gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen, die mit Aufständen oder Terrorismus in Verbindung stehen, bis zu 180 Tage ohne Anklage in Haft zu nehmen. Das UAPA kann angewandt werden, wenn die Staatsanwaltschaft Beweise für den Besitz von Schusswaffen oder Sprengstoff oder das Vorhandensein von Fingerabdrücken an einem Tatort vorlegen kann, unabhängig davon, ob die Behörden kriminelle Absichten nachweisen (USDOS 20.03.2023b).
Im Dezember 2019 veröffentlichte das Ministerium für Recht und Justiz den „Scheme on Fast Track Special Courts for Expeditious Disposal of Cases of Rape and Protection of Children against Sexual Offences (POCSO)“ Act. Das Gesetz zielt darauf ab, 1.023 Fast-Track-Gerichte im ganzen Land einzurichten, um die 166.882 [Stand 2020] Vergewaltigungs- und POCSO Gesetzesfälle zu erledigen, die bei verschiedenen Gerichten anhängig sind (USDOS 30.03.2021). Das Gesetz sieht vor, dass in jedem Bezirk mindestens ein Sondergericht für Sexualstraftaten gegen Kinder (POCSO-Gericht) eingerichtet wird, aber die Umsetzung dieser Bestimmung verzögert sich (USDOS 20.03.2023b).
In Teilen des Landes, vor allem in ländlichen Gebieten, erlassen informelle Gemeinderäte Erlasse zu sozialen Bräuchen. Ihre Beschlüsse führen manchmal zu Gewalt oder Verfolgung von Personen, die gegen die sozialen Normen verstoßen, insbesondere Frauen und Angehörige der unteren Kasten (FH 2023). In Indien gibt es zudem die Möglichkeit der Alternative Dispute Reolution (ADR / Alternative Streitbeilegung). ADR bietet die Möglichkeit, alle Arten von Angelegenheiten zu lösen, einschließlich zivilrechtlicher, kommerzieller, industrieller und familiärer Angelegenheiten usw., bei denen die Menschen nicht in der Lage sind, eine Verhandlung zu beginnen und eine Einigung zu erzielen. Im Allgemeinen wird bei ADR eine neutrale dritte Partei eingesetzt, die den Parteien hilft, miteinander zu kommunizieren, die Differenzen zu erörtern und den Streit zu lösen. Das Verfahren verläuft ohne Einschaltung gerichtlicher Institutionen (Legal Service India, ohne Datum).
In Indien wird kein einheitliches Zivilrecht angewandt, sondern nach Religionszugehörigkeit unterschieden. Das staatliche Familien- und Erbrecht gilt für Hindus und Angehörige anderer Religionsgemeinschaften, nicht aber für Muslime. Familienrechtliche Streitigkeiten werden vor den örtlichen Gerichten entschieden, manchmal in freier Interpretation des vermuteten Rechts (ÖB New Delhi 07.2023). [...]
Sicherheitsbehörden
Letzte Änderung 2023-11-28
Für die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung sind in erster Linie die Bundesstaaten und Unionsterritorien zuständig (USDOS 20.03.2023b; vgl. DFAT 29.09.2023), wobei die Zentralregierung die politische Kontrolle ausübt. Die Polizei fällt in die Zuständigkeit der Bundesstaaten. Das Innenministerium kontrolliert die meisten paramilitärischen Kräfte, den Inlandsnachrichtendienst und die nationalen Strafverfolgungsbehörden und bietet Schulungen für leitende Beamte der staatlichen Polizeikräfte an. Die zivilen Behörden haben die Sicherheitskräfte wirksam kontrolliert (USDOS 20.03.2023b).
Das Militär kann im Inland eingesetzt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit notwendig ist. Die u. a. auch in den von linksextremistischen Gruppen (sog. Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten Indiens unterstehen zu weiten Teilen dem Innenministerium. Auch die Nachrichtendienste Indiens im Inland („Intelligence Bureau“) wie Ausland (Research and Analysis Wing) handeln auf gesetzlicher Grundlage. Sie unterstehen über den Nationalen Sicherheitsberater direkt dem Premierminister (AA 05.06.2023). Das Militär verfügt nach dem Armed Forces (Special Powers) Act von 1958 über weitreichende Befugnisse, wenn der Notstand ausgerufen wird. Das Gesetz erlaubt es den Sicherheitskräften, Häuser zu durchsuchen, Personen und Räumlichkeiten ohne Durchsuchungsbefehl zu durchsuchen oder zu verhaften und auf Sicht zu schießen. Diese Befugnisse gelten sowohl in Jammu und Kaschmir als auch in Teilen des Landes, in denen separatistische Kräfte auf freiem Fuß sind (DFAT 29.09.2023). Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt (BICC 07.2023).
Das Defense Security Corps sorgt für die Sicherheit der Einrichtungen des Verteidigungsministeriums. Die Border Security Force (BSF) ist für die indisch-pakistanische und indisch-bangladeschische Grenze zuständig; die Sashastra Seema Bal (SSB) bewacht die indisch-nepalesische und indisch-bhutanische Grenze. Die Central Reserve Police Force (CRPF) umfasst eine Rapid Reaction Force (RAF) zur Bekämpfung von Unruhen und das Commando Battalion for Resolute Action (COBRA) zur Aufstandsbekämpfung. Die Assam Rifles unterstehen der administrativen Kontrolle des Ministeriums für innere Angelegenheiten, während die operative Kontrolle dem Verteidigungsministerium (insbesondere der indischen Armee) untersteht. Die Territorialarmee (TA) ist eine militärische Reservetruppe, die sich aus freiwilligen Teilzeitkräften zusammensetzt, die die indische Armee unterstützen; sie ist Teil der regulären Armee und hat die Aufgabe, die reguläre Armee von statischen Aufgaben zu entlasten und die zivilen Behörden bei Naturkatastrophen zu unterstützen und die wesentlichen Dienste in Notfällen aufrechtzuerhalten, sowie bei Bedarf Einheiten für die reguläre Armee bereitzustellen (CIA 07.11.2023).
Nach dem Armed Forces Special Powers Act (AFSPA) kann die Zentralregierung einen Bundesstaat oder ein Unionsterritorium zu einem „Unruhegebiet“ erklären und die Sicherheitskräfte in diesem Staat ermächtigen, tödliche Gewalt anzuwenden, um „Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten“ und jede Person festzunehmen, „gegen die ein begründeter Verdacht besteht“, ohne den Festgenommenen über die Gründe für die Festnahme zu informieren. Das Gesetz bietet den Sicherheitskräften außerdem Immunität vor ziviler Strafverfolgung für Handlungen, die in Regionen unter dem AFSPA begangen werden (USDOS 20.03.2023b).
Die indische Polizei (Indian Police Service) untersteht den Bundesstaaten (AA 05.06.2023) und ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde. Sie fungiert als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten (BICC 07.2023). Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert (BICC 07.2023; vgl. USDOS 12.04.2022). Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreicher nationaler Strafrechte und der oben beschriebenen zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department: CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und bundesstaatenübergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiver Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (Ministry of Home Affairs) (BICC 07.2023).
Die rechtsstaatliche Kontrolle der Polizei ist defizitär. Es zeigt sich vor allem ein den Anforderungen an einen modernen Rechtsstaat nicht adäquater Ausbildungs- und Ausrüstungsstand der Polizei (AA 05.06.2023). Übergriffe (AA 05.06.2023) und Korruption innerhalb der Polizei ist nach wie vor ein Problem (FH 2023; vgl. AA 05.06.2023). Darüber hinaus wird von Folter, Misshandlung und Vergewaltigung durch Strafverfolgungs- und Sicherheitsbeamte berichtet (FH 2023).
Dies schlägt sich in einem mangelhaften Vertrauen der Bevölkerung nieder und hat damit auch mittelbar Auswirkungen auf andere Menschenrechtsbereiche, z. B. die Bereitschaft zu Strafanzeigen bei Menschenrechtsverstößen. Besonders in sogenannten Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 05.06.2023).
Im März reduzierte die indische Regierung die Zahl der Bezirke, die unter das Gesetz über die Sondervollmachten der Streitkräfte (AFSPA) fallen, in einigen nordöstlichen Bundesstaaten. In Jammu und Kaschmir sowie in 43 von 90 Bezirken in vier nordöstlichen Bundesstaaten blieb das Gesetz jedoch weiterhin in Kraft, sodass Angehörige der Sicherheitskräfte selbst bei schweren Menschenrechtsverletzungen straffrei ausgehen können (HRW 12.01.2023).
Die Polizeikräfte können bei Bedarf durch Einheiten des Militärs oder paramilitärische Kräfte verstärkt werden. Paramilitärische Kräfte sind Kräfte, die auf Grund sondergesetzlicher Ermächtigungen handeln, welche zum Teil Grundrechte einschränken oder außer Kraft setzen und die dem indischen Innenministerium unterstehen (ÖB New Delhi 07.2023).
Es gab Berichte über willkürliche oder unrechtmäßige Tötungen durch die Regierung oder ihre Vertreter, einschließlich außergerichtlicher Tötungen von mutmaßlichen Kriminellen und Terroristen (USDOS 20.03.2023b). Trotz der Trainings für Sicherheitskräfte bleiben willkürliche Verhaftungen, Folter und erzwungene Geständnisse verbreitet. Die Sicherheitsbehörden sind überarbeitet, unterbezahlt und oft politischem Druck ausgesetzt, was in weiterer Folge zu Korruption führt (ÖB New Delhi 07.2023).
Die Behörden verstärkten ihre Bemühungen, Aktivisten der Zivilgesellschaft und unabhängige Journalisten zum Schweigen zu bringen, indem sie politisch motivierte Anklagen, einschließlich Terrorismus, erhoben, um diejenigen, die Missstände in der Regierung aufdeckten oder kritisierten, ins Gefängnis zu bringen. Die Regierung nutzte Vorschriften zur Finanzierung aus dem Ausland und Vorwürfe finanzieller Unregelmäßigkeiten, um Rechtsgruppen, politische Gegner und andere zu schikanieren (HRW 12.01.2023; vgl. AI 28.03.2023). [...]
Folter und unmenschliche Behandlung
Letzte Änderung 2023-11-28
Indien hat im Jahr 1997 das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert (AA 05.06.2023; vgl. ÖB New Delhi 07.2023, BICC 07.2023). Es sind außerdem keine für die Ratifizierung notwendigen Änderungen der nationalen Gesetzgebung eingeleitet worden (BICC 07.2023). Ein Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Folter (Bill on the Prevention of Torture), welcher innerstaatliche Voraussetzung der Ratifizierung der UN-Anti-Folterkonvention ist, steht noch aus (AA 05.06.2023; vgl. FH 2023).
Das Gesetz verbietet Folter (USDOS 20.03.2023b; vgl. AA 05.06.2023) und andere Misshandlungen, aber es gab glaubwürdige Berichte, dass Regierungsbeamte davon Gebrauch machten. Das Gesetz verbietet es den Behörden, erzwungene Geständnisse als Beweismittel zuzulassen, aber einige Nichtregierungsorganisationen (NRO) berichteten, dass die Behörden Folter einsetzten, um Geständnisse zu erzwingen (USDOS 20.03.2023b; vgl. ÖB New Delhi 07.2023). Der indische Staat verfolgt Folterer grundsätzlich und veranstaltet Kampagnen zur Bewusstseinsbildung bei den Sicherheitskräften. Allerdings bleiben Menschenrechtsverletzungen, begangen von Polizeibeamten und paramilitärischen Einheiten, häufig ungeahndet und führen nicht einmal zu Ermittlungsverfahren (AA 05.06.2023; vgl. ÖB New Delhi 07.2023), weil Opfer ihre Rechte nicht kennen oder eingeschüchtert werden (AA 05.06.2023). Besonders gefährdet sind Angehörige unterer Kasten und andere sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten (ÖB New Delhi 07.2023).
Menschenrechtsorganisationen zufolge setzte die Polizei Folter, andere Misshandlungen und willkürliche Festnahmen ein, um erzwungene oder falsche Geständnisse zu erlangen. In einigen Fällen hielt die Polizei Berichten zufolge Verdächtige fest, ohne ihre Verhaftung zu registrieren, und verweigerte den Inhaftierten ausreichend Nahrung und Wasser. Es gab Berichte über Misshandlungen in Gefängnissen durch Wärter und Insassen sowie Berichte über Vergewaltigungen von Häftlingen durch die Polizei (USDOS 20.03.2023b).
Es kommt immer wieder zu willkürlichen Übergriffen der Staatsorgane, insbesondere der Polizeikräfte, vor allem gegenüber Häftlingen in Polizeigewahrsam, die unter Umständen auch zum Tode führen können (ÖB New Delhi 07.2023). Es ist nicht unüblich (AA 05.06.2023) bzw. ist es weit verbreitet, dass Häftlinge misshandelt werden – insbesondere Angehörige marginalisierter Gruppen (FH 2023); in einigen Fällen sogar mit Todesfolge (AA 05.06.2023). In einigen Fällen wird von willkürlichen und nicht gemeldeten Verhaftungen berichtet, bei denen dem Verhafteten mitunter ausreichend Wasser und Nahrung vorenthalten werden. Die angerufenen Gerichte haben in den letzten Jahren teilweise verstärkt Verantwortung gezeigt, zumal NGOs und die Presse kritisch über die ihnen bekannt gewordenen Fälle berichten (ÖB New Delhi 07.2023).
Übergriffe der Militärs und der paramilitärischen Gruppen bei ihren Einsätzen im Inneren (v. a. in Jammu und Kaschmir sowie in Indiens Nordosten) werden vereinzelt (militär-) gerichtlich geahndet, der Prozess und Prozessausgang bleiben allerdings geheim. Trotz der Trainings für Sicherheitskräfte bleiben willkürliche Verhaftungen, Folter und erzwungene Geständnisse verbreitet. Die Sicherheitsbehörden sind überarbeitet, unterbezahlt und oft politischem Druck ausgesetzt, was in weiterer Folge zu Korruption führt (ÖB New Delhi 07.2023).
Der Armed Forces Special Powers Act (AFSPA) gewährt den Sicherheitskräften selbst bei schweren Menschenrechtsverletzungen weitgehend Immunität vor Strafverfolgung (USDOS 20.03.2023b; vgl. HRW 12.01.2023, AA 05.06.2023). Gemäß dem AFSPA kann die Zentralregierung einen Bundesstaat oder ein Unionsterritorium als Unruhegebiet [disturbed area] erklären und die Sicherheitskräfte in diesem Staat ermächtigen, tödliche Gewalt anzuwenden, um Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten und jede Person zu verhaften, gegen die ein „begründeter Verdacht“ besteht – ohne den Festgenommenen den Grund der Festnahme mitzuteilen (USDOS 20.03.2023b; vgl. AA 05.06.2023). Zusätzlich können Durchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl durchgeführt werden (AA 05.06.2023). Jedoch wurde das umstrittene Sonderermächtigungsgesetz AFSPA im April 2018 für den Bundesstaat Meghalaya aufgehoben, im Bundesstaat Arunachal Pradesh auf acht Polizeidistrikte beschränkt und ist seit April 2019 in drei weiteren Polizeidistrikten von Arunachal Pradesh teilweise aufgehoben. Unverändert in Kraft ist es in folgenden als Unruhegebiete geltenden Staaten: Assam, Nagaland sowie in Teilen von Manipur (AA 05.06.2023). Für das Unionsterritorium Jammu und Kaschmir existiert eine eigene Fassung (AA 05.06.2023). Auch dort ist das AFSPA weiter in Kraft (HRW 12.01.2023).
Im Juli 2016 ließ das Oberste Gericht in einem Zwischenurteil zu AFSPA in Manipur erste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes erkennen. Der Schutz der Menschenrechte sei auch unter den Regelungen des AFSPA unbedingt zu gewährleisten (AA 05.06.2023).
Es gibt zwar Ermittlungen und Verfolgungen von Einzelfällen, aber eine unzureichende Durchsetzung wie auch ein Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten und ein überbelastetes und unterfinanziertes Gerichtssystem tragen zu einer geringen Zahl von Verurteilungen bei (USDOS 20.03.2023b). Die Behörden berufen sich weiterhin auf Paragraf 197 der Strafprozessordnung, der die Genehmigung der Regierung für die strafrechtliche Verfolgung von Polizeibeamten vorschreibt, um die Rechenschaftspflicht selbst in Fällen von schweren Misshandlungen zu verhindern (HRW 13.01.2022).
Bei in Indien bekannt gewordenen Fällen von extralegalen Tötungen handelt es sich überwiegend um Todesfälle in Polizei- oder Justizgewahrsam, bei denen die Opfer entweder an den Folgen der Folter gestorben sind oder getötet wurden, um die Folter zu vertuschen bzw. unangenehme Aussagen und Beweise gegen hochrangige Persönlichkeiten zu unterdrücken. Nur in wenigen Fällen kommt es zu Konsequenzen (ÖB New Delhi 07.2023). [...]
Korruption
Letzte Änderung 2023-11-28
Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor, und die Regierung hat das Gesetz im Allgemeinen wirksam umgesetzt. Sie ist auf allen Regierungsebenen vertreten. NGOs berichten, dass üblicherweise Bestechungsgelder bezahlt werden, um Dienste wie Polizeischutz, Schuleinschreibung, Zugang zu Wasserversorgung oder staatlichen Beihilfen zu beschleunigen (USDOS 20.03.2023b).
Die Justiz ist zwar unabhängig, eine überlange Verfahrensdauer sowie die verbreitete Korruption führen aber immer wieder zu Situationen, die einer faktischen Rechtsverweigerung gleichkommen (AA 05.06.2023).
Korruption bei der Polizei ist weit verbreitet (AA 05.06.2023). Das Gesetz sieht Strafen für Korruption im öffentlichen Dienst vor, in der Praxis kommen Staatsdiener mit korrupten Praktiken häufig ungestraft davon (USDOS 12.04.2022). Mit dem Lokpal- und Lokayuktas-Gesetz aus dem Jahr 2013 wurden unabhängige nationale und bundesstaatliche Stellen geschaffen, die Beschwerden über Korruption gegen Beamte oder Politiker entgegennehmen, diesen Vorwürfen nachgehen und Verurteilungen gerichtlich durchsetzen sollen. Nur sieben der 29 bundesstaatlichen Lokayuktas hatten im Oktober 2022 öffentlich zugängliche Jahresberichte (FH 2023). Im Juni 2021 berichtete der Anti-Korruptions-Ombudsmann des Landes, dass er im Laufe des Jahres 110 Korruptionsbeschwerden, darunter vier gegen Parlamentsmitglieder, erhalten hat (USDOS 12.04.2022). Das Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern aus dem Jahr 2014 wurde als begrenzt angesehen, und spätere Änderungen wurden kritisiert, weil sie es weiter aushöhlten (FH 2023).
Ermittlungen und strafrechtliche Verfolgung von Einzelfällen finden zwar statt, aber die unzureichende Durchsetzung, der Mangel an ausgebildeten Polizeibeamten und ein überlastetes und unterfinanziertes Gerichtssystem tragen zu einer geringen Zahl von Verurteilungen bei (USDOS 12.04.2022). Groß angelegte politische Korruptionsskandale haben wiederholt Bestechung und andere Vergehen aufgedeckt, aber es wird angenommen, dass ein großer Teil der Korruption nicht gemeldet und nicht geahndet wird, und die Behörden wurden beschuldigt, selektiv und parteiisch vorzugehen (FH 2023).
Indien scheint im Korruptionswahrnehmungsindex (Corruption Perceptions Index) von Transparency International im Jahre 2022 mit einer Bewertung von 40 (von 100) (0 sehr korrupt, 100 wenig korrupt) auf dem 85. Platz von 180 bewerteten Staaten auf, was keiner Veränderung zu 2021 entspricht (TI 2023; vgl. TI 2022). [...]
NGOs und Menschenrechtsaktivisten
Letzte Änderung 2023-11-28
In Indien gibt es eine schier unüberschaubare Anzahl von NGOs; offizielle Schätzungen gehen von über 300.000 aus – darunter viele in- und ausländische Menschenrechtsorganisationen (AA 22.09.2021). Nach anderen Angaben sind sogar Millionen von NGOs in einer Reihe von Themenbereichen tätig, darunter Umweltfragen, der Schutz der Menschenrechte und der Kampf für die Gleichstellung der Geschlechter (BS 23.02.2022). Insbesondere diejenigen, die an der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, sind weiterhin Drohungen, rechtlichen Schikanen, übermäßiger Polizeigewalt und gelegentlich tödlicher Gewalt ausgesetzt (FH 2023; vgl. AI 28.03.2023). Immer wieder werden AktivistenInnen, oftmals unter dem Vorwurf, mit terroristischen Organisationen in Verbindung zu stehen, verhaftet (ÖB New Delhi 07.2023). Die Behörden schikanierten und bedrohten Aktivisten und Rechtsgruppen durch politisch motivierte Strafverfolgungen, Steuerrazzien, Behauptungen über finanzielle Unregelmäßigkeiten und die Anwendung des Foreign Contribution Regulation Act (FCRA), des Gesetzes zur Regelung der ausländischen Finanzierung von Nichtregierungsorganisationen (HRW 12.01.2023).
Die meisten in- und ausländischen Menschenrechtsorganisationen können in der Regel ohne Einschränkungen durch die Regierung operieren (USDOS 20.03.2023b; vgl. ÖB New Delhi 07.2023, AA 22.09.2021), Fälle von Menschenrechtsverletzungen untersuchen und die Ergebnisse veröffentlichen (USDOS 20.03.2023b) - zumindest außerhalb von Jammu und Kaschmir (ÖB New Delhi 07.2023). Die Regierung trifft sich mit inländischen NGOs, beantwortet deren Anfragen und ergreift als Reaktion auf ihre Berichte und Empfehlungen Maßnahmen. Die National Human Rights Commission (NHRC) arbeitet mit zahlreichen NGOs zusammen, und in mehreren Ausschüssen der NHRC sind NGOs vertreten (USDOS 20.03.2023b).
Die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC) wurde 1993 eingerichtet. Auch die Bundesstaaten haben ihre eigenen Menschenrechtskommissionen, und manchmal werden Beschwerden, die an die NHRC gerichtet werden, an eine staatliche Kommission weitergeleitet. Die NHRC hat ein breit gefächertes Mandat, das ein breites Spektrum von Menschenrechtsfragen abdeckt, darunter auch die Themen Geschlecht, Gender und Behinderung, und ist in den Bereichen Forschung, Bildung und Ausbildung sowie Sensibilisierung tätig. Neben dem NHRC gibt es eine Reihe weiterer nationaler Menschenrechtsinstitutionen, darunter die Nationale Kommission für Frauen, die Nationale Kommission für den Schutz der Rechte des Kindes, die Nationale Kommission für Minderheiten, die Nationale Kommission für zurückgebliebene Klassen, die Nationale Kommission für festgelegte Kasten und die Nationale Kommission für festgelegte Stämme (DFAT 29.09.2023). Die NHRC ist für alle Menschenrechtsverletzungen zuständig, außer in bestimmten Fällen, an denen Militär und paramilitärische Kräfte beteiligt sind. Die NHRC ist befugt, Fälle von Menschenrechtsverletzungen zu untersuchen, die vom Innenministerium und den paramilitärischen Kräften begangen wurden, die im Rahmen des AFSPA in den nordöstlichen Bundesstaaten tätig sind. Der NHRC ist nicht befugt, die Umsetzung seiner Empfehlungen durchzusetzen. Einige Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Abhängigkeit des NHRC von der staatlichen Finanzierung und seine Politik, keine Untersuchungen durchzuführen, die länger als ein Jahr dauern. Einige behaupteten, der NHRC registriere nicht alle Beschwerden, lehne Fälle willkürlich ab, leite Beschwerden an den mutmaßlichen Rechtsverletzer zurück und schütze die Beschwerdeführer nicht angemessen (USDOS 20.03.2023b). Kritiker behaupten, die NHRC und andere offizielle Menschenrechtsgremien auf nationaler und bundesstaatlicher Ebene seien politisch voreingenommen und ineffektiv. Die staatlichen Menschenrechtskommissionen sind von unterschiedlicher Qualität (DFAT 29.09.2023).
Ausländische NGOs
Die Aktivitäten ausländischer NGOs wurden weiter eingeschränkt (BS 23.02.2022) bzw. unterliegen nicht unwesentlichen Restriktionen, wie Verweigerung eines Einreisevisums. Mitunter sehen sich Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen auch Drohungen und tätlichen Übergriffen, oder polizeilicher Willkür ausgesetzt. Von Polizeiaktionen sind nicht nur indische Menschenrechtsaktivisten betroffen, sondern auch ausländische NGOs (ÖB New Delhi 07.2023).
Durch die Annahme des Foreign Contribution (Regulation) Act 2020 (FCRA) wird es NGOs zunehmend schwergemacht, ausländische Finanzierungen zu erhalten. Dies betrifft auch europäische NGOs bzw. solche, die mit Europa zusammenarbeiten (ÖB New Delhi 07.2023). Die Konten von Amnesty International Indien, welches sich sehr kritisch zu Menschenrechtsverletzungen der Regierung geäußert hatte, wurden auf Basis dieses Gesetzes gesperrt, womit Amnesty seine Arbeit einstellen musste (ÖB New Delhi 07.2023).
Der Foreign Contribution (Regulation) Act (FCRA) von 2010 erlaubt es der Bundesregierung, NRO unter bestimmten Umständen den Zugang zu ausländischen Geldern zu verweigern, und die Behörden wurden beschuldigt, diese Befugnis selektiv gegen vermeintliche politische Gegner einzusetzen (FH 2023).
Jammu und Kaschmir
Die Regierung schloss die Menschenrechtskommission von Jammu und Kaschmir im Jahr 2019 und beauftragte die NHRC mit der Überwachung von Menschenrechtsverletzungen in Jammu und Kaschmir. Einige Menschenrechtsbeobachter in Jammu und Kaschmir können Menschenrechtsverletzungen dokumentieren, werden aber Berichten zufolge von den Sicherheitskräften, der Polizei und anderen Strafverfolgungsbehörden immer wieder behindert oder schikaniert. Die Vereinten Nationen hatten nur begrenzten Zugang zu Jammu und Kaschmir und den nordöstlichen Bundesstaaten (USDOS 20.03.2023b). [...]
Ombudsmann
Letzte Änderung 2023-11-28
Indien hat die wichtigsten UN-Menschenrechtskonventionen ratifiziert. Seit 1993 gibt es eine Nationale Menschenrechtskommission als unabhängiges Organ, die auf Antrag oder von Amts wegen Menschenrechtsverletzungen untersuchen und Empfehlungen an die Regierung richten oder beim Obersten Gerichtshof die Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen beantragen kann. Ihre Kompetenz erstreckt sich allerdings nicht auf Überprüfung von Menschenrechtsverletzungen durch das Militär. Obwohl sie keine Weisungsbefugnis zur Einleitung von Strafverfahren hat und mangels Ermittlungsbefugnissen auf die Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden und Polizei angewiesen ist, trägt sie zunehmend auch durch in der Öffentlichkeit ausgeübten Druck und durch Zusammenarbeit mit NGOs zur Ahndung und zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen bei. Der Protection of Human Rights Act, 1993, empfiehlt, dass jeder Bundesstaat eine Menschenrechtskommission einrichtet, die es in der Mehrzahl der Unionsstaaten bereits gibt (ÖB New Delhi 07.2023). Sie ist dem Parlament gegenüber direkt rechenschaftspflichtig, arbeitet aber in enger Abstimmung mit dem Innenministerium und dem Ministerium für Recht und Justiz. Sie hat das Mandat, Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen oder Nachlässigkeit bei der Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen durch Staatsbedienstete zu untersuchen, in Gerichtsverfahren wegen angeblicher Menschenrechtsverletzungen zu intervenieren und alle Faktoren (einschließlich terroristischer Handlungen) zu überprüfen, die gegen die Menschenrechte verstoßen. Das Gesetz ermächtigt den NHRC, Vorladungen zu erlassen und Zeugenaussagen zu erzwingen, Unterlagen vorzulegen und öffentliche Dokumente anzufordern. Der NHRC empfiehlt auch angemessene Abhilfemaßnahmen für Missstände in Form von Entschädigungen für die Opfer von Tötungen durch die Regierung oder deren Familien (USDOS 20.03.2023b).
In 24 der 28 Bundesstaaten gibt es Menschenrechtskommissionen, die unter der Schirmherrschaft des NHRC unabhängig arbeiten. Die NHRC hat weder die Befugnis, die Umsetzung ihrer Empfehlungen durchzusetzen, noch die Befugnis, Anschuldigungen gegen militärisches und paramilitärisches Personal zu behandeln. Einige Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Abhängigkeit des NHRC von der staatlichen Finanzierung und seine Politik, keine Untersuchungen durchzuführen, die länger als ein Jahr dauern. Einige behaupteten, der NHRC registriere nicht alle Beschwerden, lehne Fälle willkürlich ab, leite Beschwerden zurück und schütze die Beschwerdeführer nicht angemessen (USDOS 20.03.2023b).
Während die Regierung das Recht auf Vereinigungsfreiheit im Allgemeinen respektiert, kommt es zu einer verstärkten Überwachung und Regulierung von NGOs, die ausländische Mittel erhalten. Nach Ansicht von Finanzexperten und Vertretern von NGOs schränkt die neue Gesetzgebung im Rahmen des Foreign Contribution Regulation Act 2020 (FCRA) die Möglichkeiten kleinerer, regionaler Organisationen zur Mittelbeschaffung und die Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft stark ein (USDOS 12.04.2022). [...]
Wehrdienst und Rekrutierungen
Letzte Änderung 2023-11-24
Indien unterhält eine Berufsarmee (AA 05.06.2023; vgl. ÖB New Delhi 07.2023). Es besteht keine Wehrpflicht (BICC 07.2023; vgl. CIA 30.3.2023). Das Mindesteintrittsalter für den Eintritt in die Armee ist das 16. Lebensjahr (ÖB New Delhi 07.2023; vgl. CIA 07.11.2023, AA 05.06.2023). Nach Section 38 des „Army Act“ von 1950 und den entsprechenden Regelungen „Navy Act“ und „Airforce Act“ können Deserteure je nach Schwere des Falles mit einer geringeren Strafe bis hin zur (theoretischen) Todesstrafe belegt werden. (ÖB New Delhi 07.2023; vgl. AA 05.06.2023).
Eine positive Entwicklung der letzten Jahre war die höchstrichterliche Rechtsprechung, die eine Chancengleichheit von Frauen in den indischen Streitkräften sicherstellt (2020) (AA 05.06.2023).
Über Zwangsrekrutierungen durch die Armee ist nichts bekannt (AA 05.06.2023). [...]
Allgemeine Menschenrechtslage
Letzte Änderung 2023-11-28
Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 05.06.2023). Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB New Delhi 07.2023; vgl. AA 05.06.2023). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet. Indien bleibt ein Land extremer Kontraste. Es gibt viel Positives: stabile Demokratie, verfassungsrechtlich garantierte bürgerliche Freiheiten, fortschrittliche Rechtsprechung und eine beeindruckend vielfältige und lebendige Zivilgesellschaft. Aber es existieren eben auch enorme Defizite, eklatante Grundrechtsverletzungen und eine gesellschaftliche Realität, die aus westlicher Sicht häufig schockierend wirkt. Die Menschenrechtssituation spiegelt die komplexe Lebenswirklichkeit eines multiethnischen und multireligiösen Landes wider, die sich aus jahrtausendealten kulturellen Traditionen speist, die in Teilen die Durchsetzung universeller Menschenrechte behindern. Der Alltag vieler Bevölkerungsgruppen ist von systematischer gesellschaftlicher Benachteiligung geprägt. Ursache hierfür sind häufig tief verwurzelte soziale Praktiken wie das Kastenwesen und der niedrige Bildungsstand von Teilen der Bevölkerung und weniger systematische Menschenrechtsverletzungen durch den Staat (AA 05.06.2023).
Eine verallgemeinernde Bewertung der Menschenrechtslage ist für Indien kaum möglich: Drastische Grundrechtsverletzungen und Rechtsstaatsdefizite koexistieren mit weitgehenden bürgerlichen Freiheiten, fortschrittlichen Gesetzen und engagierten Initiativen der Zivilgesellschaft (AA 05.06.2023). Menschenrechtsverletzungen werden auch von Terroristen in Jammu und Kaschmir, in den nordöstlichen Bundesstaaten und in den vom maoistischen Terrorismus betroffenen Gebieten begangen, darunter Tötungen und Folter von Angehörigen der Streitkräfte, der Polizei, von Regierungsbeamten und Zivilisten, Entführungen sowie die Rekrutierung und der Einsatz von Kindersoldaten (USDOS 20.03.2023b).
Die Verfassung garantiert bürgerliche Freiheiten, einschließlich der Meinungs- und Religionsfreiheit, aber die Schikanen gegen Journalisten, Nichtregierungsorganisationen (NRO) und andere Regierungskritiker haben unter Modi erheblich zugenommen. Die BJP hat zunehmend staatliche Einrichtungen genutzt, um politische Gegner ins Visier zu nehmen. Muslime, registrierte Kasten (Dalits) und registrierte Stämme (Adivasis) werden nach wie vor wirtschaftlich und sozial ausgegrenzt (FH 2023).
Die Verfassung garantiert den Bürgern das Recht, ihre eigene Sprache, Schrift und Kultur zu bewahren (DFAT 29.09.2023).
Die Gesetze gestatten der Regierung das Abhören von Gesprächen zum Schutz der Souveränität und Integrität des Landes, der Sicherheit des Staates, der freundschaftlichen Beziehungen zu ausländischen Staaten, der öffentlichen Ordnung oder zur Verhinderung der Anstiftung zur Begehung einer Straftat. Es gab Berichte, wonach Regierungsbehörden willkürlich oder unrechtmäßig oder ohne entsprechende rechtliche Befugnisse auf private Kommunikation zugriffen, diese sammelten oder nutzten und Praktiken entwickelten, die einen willkürlichen oder unrechtmäßigen Eingriff in die Privatsphäre ermöglichen, einschließlich des Einsatzes von Technologien zur willkürlichen oder unrechtmäßigen Überwachung oder Beeinträchtigung der Privatsphäre von Personen (USDOS 20.03.2023b).
Die indische Regierung erfüllt die Mindeststandards für die Beseitigung des Menschenhandels nicht vollständig, unternimmt jedoch erhebliche Anstrengungen, um dies zu erreichen. Die Hauptverantwortung für die Bemühungen zur Bekämpfung des Menschenhandels lag bei den indischen Bundesstaaten und Unionsterritorien, die von der Zentralregierung politisch beaufsichtigt wurden (USDOS 15.06.2023).
Seit 1993 gibt es eine Nationale Menschenrechtskommission als unabhängiges Organ, die auf Antrag oder von Amts wegen Menschenrechtsverletzungen untersuchen und Empfehlungen an die Regierung richten oder beim Obersten Gerichtshof die Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen beantragen kann. Ihre Kompetenz erstreckt sich allerdings nicht auf Überprüfung von Menschenrechtsverletzungen durch das Militär. Obwohl sie keine Weisungsbefugnis zur Einleitung von Strafverfahren hat und mangels Ermittlungsbefugnissen auf die Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden und Polizei angewiesen ist, trägt sie zunehmend auch durch in der Öffentlichkeit ausgeübten Druck und durch Zusammenarbeit mit NGOs zur Ahndung und zur Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen bei. Der Protection of Human Rights Act, 1993, empfiehlt, dass jeder Bundesstaat eine Menschenrechtskommission einrichtet, die es in der Mehrzahl der Unionsstaaten bereits gibt (ÖB New Delhi 07.2023). [...]
Meinungs- und Pressefreiheit
Letzte Änderung 2023-11-28
Die Verfassung sieht zwar die Meinungsfreiheit vor, erwähnt aber nicht ausdrücklich die Pressefreiheit. Einzelpersonen kritisierten die Regierung routinemäßig öffentlich und privat über Online-Plattformen, Fernsehen, Radio oder in Printmedien. Die Regierung respektierte im Allgemeinen das Recht auf freie Meinungsäußerung (USDOS 20.03.2023b). Allerdings werden häufig Gesetze aus der Kolonialzeit und andere Gesetze herangezogen, um vermeintliche Kritik an der Regierung durch einfache Bürger zu bestrafen. Die Behörden haben Sicherheits-, Verleumdungs-, Aufruhr- und Hassredengesetze sowie Anklagen wegen Missachtung des Gerichts eingesetzt, um kritische Stimmen in den Medien zum Schweigen zu bringen. Hindu-nationalistische Kampagnen, die darauf abzielen, Formen der Meinungsäußerung, die als „antinational“ gelten, zu unterbinden, haben die Selbstzensur noch verschärft (FH 2023).
Die unabhängigen Medien waren aktiv und brachten im Allgemeinen eine große Vielfalt an Meinungen zum Ausdruck. Das Gesetz verbietet Inhalte, die religiöse Gefühle verletzen oder Feindschaft zwischen Gruppen schüren könnten. Die Behörden beriefen sich auf diese Bestimmungen, um Printmedien, Rundfunk und Fernsehen, digitale Medienplattformen, einschließlich Streaming-Dienste, sowie die Veröffentlichung oder Verbreitung von Büchern zu beschränken (USDOS 20.03.2023b). Obwohl Medienberichte über Menschrechtsverletzungen, Korruption und politische Skandale breiten Niederschlag finden (AA 05.06.2023), werden sie durch informelle Maßnahmen teilweise eingeschränkt bzw. unter Druck gesetzt (AA 05.06.2023; vgl. FH 24.02.2022).
Journalisten und NRO berichteten, dass Regierungsbeamte sowohl auf lokaler als auch auf nationaler Ebene Medienunternehmen durch physische Schikanen und Angriffe einschüchterten, Druck auf die Eigentümer ausübten, Sponsoren ins Visier nahmen, zu leichtfertigen Klagen anregten und in einigen Gebieten Kommunikationsdienste wie Mobiltelefone und das Internet blockierten und die Bewegungsfreiheit einschränkten. Einige NRO behaupteten, dass strafrechtliche Verfolgung und Ermittlungen zur Einschüchterung von regierungskritischen Journalisten eingesetzt würden. Online- und Handy-Belästigungen waren weit verbreitet, und die Berichte über Internet-„Trolling“ nahmen weiter zu. In einigen Fällen nutzte die Polizei Informationen von anonymen Nutzern sozialer Medien als Vorwand, um Strafverfahren gegen Journalisten einzuleiten (USDOS 20.03.2023b).
Die Behörden verstärkten ihre Bemühungen, Aktivisten der Zivilgesellschaft und unabhängige Journalisten zum Schweigen zu bringen, indem sie politisch motivierte Anklagen, einschließlich Terrorismus, erhoben, um diejenigen, die Missstände in der Regierung aufdeckten oder kritisierten, ins Gefängnis zu bringen (HRW 12.01.2023; vgl. FH 2023). Solche Angriffe werden nur selten geahndet, und in einigen Fällen war die Polizei daran beteiligt oder hat aktiv daran mitgewirkt (FH 2023). Die Regierung nutzte Vorschriften zur Finanzierung aus dem Ausland und Vorwürfe finanzieller Unregelmäßigkeiten, um Rechtsgruppen, politische Gegner und andere zu schikanieren (HRW 12.01.2023). Es gab auch Berichte über Terroristen und Extremisten, die Tötungen, Gewalt und Einschüchterungen gegen regierungskritische Journalisten verübten (USDOS 20.03.2023b).
Das Gesetz erlaubt es der Regierung, Internetseiten und -inhalte zu sperren und das Versenden von Nachrichten, die die Regierung als aufrührerisch oder beleidigend ansieht, zu kriminalisieren. Sowohl die Zentralregierung als auch die Regierungen der Bundesstaaten sind befugt, Richtlinien zum Sperren, Abfangen, Überwachen oder Entschlüsseln von Computerdaten zu erlassen. Es gab Berichte, dass die Regierung gelegentlich Nutzer digitaler Medien wie Chatrooms und die Kommunikation zwischen Personen überwachte (USDOS 20.03.2023b). Die im Feber 2021 erlassenen Information Technology (Intermediary Guidelines and Digital Media Ethics Code) Rules ermöglichen darüber hinaus eine stärkere staatliche Kontrolle über Online-Inhalte (HRW 13.01.2022).
Am 03.10.2023 führten die Behörden Razzien in den Räumen des unabhängigen und regierungskritischen Online- Mediums „NewsClick“ durch und verhafteten dessen Chefredakteur sowie einen weiteren Mitarbeiter, weil das Medienunternehmen mutmaßlich Gelder aus China erhalten hatte. Unter dem Vorwand der Bekämpfung von Terrorismus und Geldwäsche hat die Regierung in jüngster Vergangenheit ihre Finanz- und Antiterrorgesetzgebung verschärft und gegen regierungskritische Personen eingesetzt. Nicht nur unabhängige Medien geraten ins Visier, auch gemeinnützige Organisationen werden nicht selten in ihrer Arbeit behindert (BAMF 09.10.2023).
Die Internetfreiheit in Indien hat sich während des Berichtszeitraums (Juni 2022 – Mai 2023) verschlechtert, nachdem es im Vorjahr zu einer geringfügigen Verbesserung gekommen war. Die Regierung verhängt weiterhin Internetsperren und erwägt eine Gesetzgebung, die ihre rechtlichen Befugnisse für solche Einschränkungen erweitern würde (FH 04.10.2023). Access Now dokumentierte 2022 das fünfte Jahr in Folge die meisten Internetabschaltungen in Indien mit 84 von insgesamt 187 Internetsperren in 35 Ländern, seit 2017 jedoch erstmals weniger als 100. Von den 84 Abschaltungen ereigneten sich 49 im von Indien verwalteten Teil Kaschmirs und machten somit 58 % der Sperren verglichen mit noch 80 % im Jahr 2021 aus. Die Abschaltungen des Internets erfolgen in der Regel als Reaktion auf Unruhen und werden gelegentlich von gleichzeitig angeordneten Ausgangssperren begleitet (BAMF 06.03.2023).
Falschinformationen werden häufig online verbreitet, und Journalisten, Nichtregierungsorganisationen (NRO) und Angehörige von Randgruppen sind nach wie vor der Gefahr ausgesetzt, im Internet Opfer von Hassreden und Schikanen zu werden (FH 04.10.2023).
Im aktuellen Ranking des Press Freedom Index 2022 der NGO Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt Indien Platz 150 von 180 bewerteten Ländern, was eine Verschlechterung um acht Plätzen im Vergleich zu 2021 darstellt (RSF 2023).
Das Gesetz verbietet Inhalte, die religiöse Gefühle verletzen oder Feindschaft zwischen Gruppen schüren könnten. Behörden berufen sich auf diese Bestimmungen, um Print- und Rundfunkmedien, digitale Medienplattformen – einschließlich Streaming-Dienste – und die Veröffentlichung oder Verbreitung von Büchern einzuschränken (USDOS 20.03.2023b). [...]
Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition
Letzte Änderung 2023-11-28
Das Gesetz garantiert die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 20.03.2023b; vgl. ÖB New Delhi 07.2023) mit Ausnahme von Konfliktregionen (AA 05.06.2023). Trotz einiger Einschränkungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, wie z. B. eine Bestimmung der Strafprozessordnung, welche die Behörden ermächtigt, die Versammlungsfreiheit einzuschränken und Ausgangssperren zu verhängen, wenn „sofortige Verhinderung oder schnelle Abhilfe“ erforderlich ist, finden regelmäßig friedliche Demonstrationen statt. Die Regierungen der Bundesstaaten und der Zentralregierung unterbrechen häufig Mobilfunk- und Internetdienste, um Proteste zu unterbinden (FH 2023).
Die Behörden verlangten häufig Genehmigungen und Anmeldungen für Paraden oder Demonstrationen, und die lokalen Regierungen respektierten im Allgemeinen das Recht, sich friedlich zu versammeln und seine Meinung zu äußern. Eine Ausnahme bildete Jammu und Kaschmir, wo die Regierung des Bundesstaates separatistischen politischen Parteien manchmal die Genehmigung für öffentliche Versammlungen verweigerte und Sicherheitskräfte Berichten zufolge Mitglieder politischer Gruppen, die friedlich protestierten, festnahmen und angriffen. In Zeiten ziviler Unruhen in Jammu und Kaschmir griffen die Behörden auf das Gesetz zurück, um öffentliche Versammlungen zu verbieten und Ausgangssperren zu verhängen (USDOS 20.03.2023b; vgl. ÖB New Delhi 07.2023).
Das Gesetz sieht die Vereinigungsfreiheit vor, und die meisten inländischen NRO arbeiteten frei und ohne Einmischung. Die verstärkte Überwachung und Regulierung einiger NRO, die ausländische Mittel erhielten, durch die Regierung wurde von der Zivilgesellschaft kritisiert. In einigen Fällen setzte die Regierung ausländische Banklizenzen aus oder fror die Konten von NRO ein, die angeblich ohne Genehmigung ausländische Gelder erhielten oder ausländische und inländische Gelder unrechtmäßig vermischten (USDOS 20.03.2023b; vgl. ÖB New Delhi 07.2023).
Das Gesetz sieht das Recht auf die Gründung von und den Beitritt zu Gewerkschaften sowie auf Tarifverhandlungen vor, aber es gibt keine gesetzliche Verpflichtung für Arbeitgeber, eine Gewerkschaft anzuerkennen oder Tarifverhandlungen zu führen (USDOS 20.03.2023b; vgl. FH 2023). Die Durchsetzung des Gesetzes variierte von Staat zu Staat und von Sektor zu Sektor. Die Gewerkschaften waren von der Regierung unabhängig, aber vier der fünf großen Verbände waren mit großen politischen Parteien verbunden. Staatliche und lokale Behörden behinderten mitunter die Registrierung von Gewerkschaften, unterdrückten unabhängige Gewerkschaftsaktivitäten und machten von ihrer Befugnis Gebrauch, Streiks für illegal zu erklären und Gerichtsurteile zu erzwingen (USDOS 20.03.2023b; vgl. FH 2023). Gewerkschaften spielen in Indien jedoch eine relativ geringe Rolle, da nur etwa 10 % der arbeitenden Bevölkerung im formellen Sektor beschäftigt sind und nur ca. 8 % der indischen Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind (ÖB New Delhi 07.2023).
Während die Regierung das Recht auf Vereinigungsfreiheit im Allgemeinen respektiert, kommt es zu einer verstärkten Überwachung und Regulierung von NGOs, die ausländische Mittel erhalten. Nach Ansicht von Finanzexperten und Vertretern von NGOs schränkt die neue Gesetzgebung im Rahmen des Foreign Contribution Regulation Act 2020 (FCRA) die Möglichkeiten kleinerer, regionaler Organisationen zur Mittelbeschaffung und die Zusammenarbeit zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft stark ein (USDOS 12.04.2022).
Es gibt keine Beschränkungen für die Gründung politischer Parteien oder für die Teilnahme von Einzelpersonen jeglicher Gemeinschaft an den Wahlen (USDOS 20.03.2023b).
Opposition
Die Parteienlandschaft ist vielfältig und die politische Opposition kann sich frei betätigen. Neben den großen nationalen Parteien Kongress (in ihren Wurzeln sozialistisch inspirierte nationale Sammlungsbewegung), Bharatiya Janata Party (BJP, hindu-nationalistisch) sowie überregional wirkenden kommunistischen Parteien gibt es eine Vielzahl von Regionalparteien, die in einzelnen Bundesstaaten allein oder in Koalitionen die Landesregierungen bilden, aber auch auf nationaler Ebene zunehmend nach politischer Bedeutung streben (AA 05.06.2023). In den letzten acht Jahren hat sich die Bharatiya Janata Party (BJP) als dominierende Kraft in der indischen Politik etabliert (CEIP 12.07.2022). Auf bundesstaatlicher und nationaler Ebene lösen sich allerdings regelmäßig verschiedene Parteien in der Regierung ab (FH 2023).
Politische Parteien können sich im Allgemeinen ohne Einmischung bilden, und in der Praxis konkurrieren eine Vielzahl von Parteien, die eine Reihe von Ansichten und Interessen vertreten (FH 2023). Die Wahlen zu Gemeindeversammlungen, Stadträten und Parlamenten auf bundesstaatlicher wie nationaler Ebene sind frei, gleich und geheim. Sie werden – ungeachtet von Problemen, die aus der Größe des Landes, verbreiteter Armut bzw. hoher Analphabetenrate und örtlich vorkommender Manipulationen resultieren – nach Einschätzung internationaler Beobachter korrekt durchgeführt. Behinderungen der Opposition kommen insbesondere auf regionaler und kommunaler Ebene vor, z. B. durch nur eingeschränkten Polizeischutz für Politiker, Vorenthalten von Genehmigungen für Wahlkampfveranstaltungen, tätliche Übergriffe durch Anhänger anderer Parteien. Derartige Vorkommnisse werden von der Presse aufgegriffen und können von den politischen Parteien öffentlichkeitswirksam thematisiert werden. Sie ziehen i. d. R. Sanktionsmaßnahmen der unabhängigen und angesehenen staatlichen Wahlkommission (Election Commission of India) nach sich (AA 05.06.2023). Die Regierungspartei hat dennoch verschiedene Instrumente eingesetzt, um die Wahlkampftätigkeit der Oppositionsparteien einzuschränken (FH 2023).
Parteien von landesweiter Bedeutung sind die hindu-konservative Partei „Bharatiya Janata Party (BJP)“, die seit 2014 an der Macht ist, und die säkulare Kongresspartei „Indian National Congress (INC)“, einstige Regierungspartei und nun führende Oppositionspartei. Unter der Führung der BJP kam es 2019 mit einem Stimmenanteil von knapp 44 % zu einem erdrutschartigen Sieg für die Parteienkoalition National Democratic Alliance (NDA) (ÖB New Delhi 07.2023).
Wahlberechtigt ist jeder indische Staatsbürger ab 18, sofern er nicht aus bestimmten Gründen (Unzurechnungsfähigkeit, Verbrechen, etc.) ausgeschlossen ist. Die Wahlbeteiligung ist generell hoch und zeugt vom ausgeprägten politischen Bewusstsein der indischen Bürger. So betrug die Wahlbeteiligung bei der Parlamentswahl 2019 67 % und war damit höher als bei Wahlen in der Vergangenheit. Im Großen und Ganzen laufen die Wahlen frei und fair ab. Wahlmanipulationen kommen trotzdem z. B. in Form mehrfacher Stimmabgabe auch bei elektronischer Wahlmöglichkeit vor. Teilweise kommt es zu Gewaltausbrüchen zwischen der Anhängerschaft verschiedener Parteien (ÖB New Delhi 07.2023).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikale (z. B. maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 05.06.2023).
Die undurchsichtige Finanzierung der politischen Parteien gibt Anlass zu ernster Besorgnis. Ein 2017 eingeführtes System von Wahlanleihen ermöglicht es, die Identität der Spender der State Bank of India mitzuteilen, sie aber vor der Öffentlichkeit zu verbergen. Dies hat der BJP erhebliche Vorteile bei der Mittelbeschaffung verschafft (FH 2023). Darüber hinaus hat die Regierung über das Criminal Bureau of Investigation selektiv Antikorruptionsermittlungen gegen Oppositionspolitiker durchgeführt und dabei Anschuldigungen gegen politische Verbündete unbeachtet gelassen (FH 2023).
Im Mai stoppte der Oberste Gerichtshof in einer einstweiligen Verfügung die Anwendung des aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzes gegen Aufwiegelung, das von den Behörden wiederholt zur Verhaftung friedlicher Regierungskritiker eingesetzt wurde (HRW 12.01.2023).
Auslandsaktivitäten bestimmter Gruppen (radikale Sikhs, Kashmiris) werden von der Regierung durch den Geheimdienst beobachtet. Aktivist:innen, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt (AA 05.06.2023). [...]
Todesstrafe
Letzte Änderung 2023-11-28
In Indien wird die Todesstrafe sowohl in der nationalen als auch in der bundesstaatlichen Gesetzgebung beibehalten (DFAT 29.09.2023). Gemäß Artikel 53 Strafgesetzbuch von 1860 (Indian Penal Code) gilt für bestimmte Verbrechen die Todesstrafe (Mord, Hochverrat, Anstiftung zu Selbstmord eines Kindes, terroristische Gewalttat, Besitz von tödlichem Sprengstoff, wiederholter Drogenhandel, Vergewaltigung von Kindern etc.) (ÖB New Delhi 07.2023).
In Militärgesetzen ist die Todesstrafe als Regelstrafe für schwere Fälle von Kollaboration, Meuterei und Fahnenflucht vorgesehen. Ende 2001 trat eine Änderung des Sprengstoffgesetzes in Kraft, die den Besitz tödlicher Sprengstoffe mit der Todesstrafe bedroht. Die Antiterrorgesetzgebung sieht für terroristische Straftaten, durch die Menschen zu Tode kommen, ebenfalls die Todesstrafe vor (ÖB New Delhi 07.2023). Der Supreme Court stellte 2018 die Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe nicht infrage, rief die Gerichte aber zu einer besonders sorgfältigen Prüfung der Fälle („rarest of rare cases“) auf (AA 19.07.2019; vgl. ÖB New Delhi 07.2023). In den letzten Jahren wurde der Anwendungsbereich der Todesstrafe vor allem in Vergewaltigungsfällen weiter ausgedehnt (AA 05.06.2023). Vergewaltigungen von Mädchen unter zwölf Jahren können seit August 2018 mit der Todesstrafe geahndet werden (AA 19.07.2019), wobei die Strafe für Gruppenvergewaltigung eines Mädchens unter zwölf Jahren entweder eine lebenslange Haftstrafe oder die Todesstrafe ist (USDOS 20.03.2023b).
Obwohl jedes Strafgericht die Todesstrafe verhängen kann, wird sie nur nach Bestätigung durch den Obersten Gerichtshof vollstreckt. Letzterer kann eine erneute Beweisaufnahme anordnen oder die Strafe umwandeln. Die Gouverneure in den Unionsstaaten und der Staatspräsident haben das Begnadigungsrecht. Die zahlreichen Berufungsmöglichkeiten tragen dazu bei, dass die Todesstrafe oft erst viele Jahre nach ihrer Verhängung vollstreckt wird (ÖB New Delhi 07.2023).
Die Todesstrafe wird von weiten Teilen der Politik und der Gesellschaft befürwortet (AA 05.06.2023). Aktuell warten in indischen Gefängnissen rund 488 Verurteilte auf die Vollstreckung der Todesstrafe (AA 05.06.2023). [...]
Religionsfreiheit
Letzte Änderung 2023-11-27
Zu religiösen Mischehen siehe Kapitel „Relevante Bevölkerungsgruppen / Ehen“.
Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (USCIRF 05.2023; vgl. USDOS 15.05.2023, AA 05.06.2023). Artikel 25 gewährt allen Menschen Gewissensfreiheit, einschließlich des Rechts, eine Religion auszuüben, sich zu einer Religion zu bekennen und zu verbreiten (USCIRF 05.2023; vgl. USDOS 15.05.2023). Trotzdem hat sich im Jahr 2022 die Lage der Religionsfreiheit in Indien weiter verschlechtert. Während des gesamten Jahres hat die indische Regierung auf nationaler, bundesstaatlicher und lokaler Ebene religiös diskriminierende Maßnahmen gefördert und durchgesetzt, darunter Gesetze, die auf religiöse Konversion, interreligiöse Beziehungen, das Tragen von Hijabs und das Schlachten von Kühen abzielen und sich negativ auf Muslime, Christen, Sikhs, Dalits und Adivasi auswirken (USCIRF 05.2023).
Laut Schätzungen aus dem Jahr 2011 gibt es 79,8 % Hindus, 14,2 % Muslime, 2,3 % Christen und 1,7 % Sikhs. Kleinere religiöse Gruppen gehören Buddhisten, Jains, Baha’is, Juden, Zoroastrier (Parsis) und nicht-religiöse Personen an (USCIRF 05.2023; vgl. USDOS 15.05.2023, CIA 07.11.2023). Sie entsenden auch jeweils Vertreter in eine staatliche Nationale Minderheiten-Kommission (ÖB New Delhi 07.2023).
Das Zusammenleben der Religionen ist weitgehend friedlich (AA 05.06.2023). Im Jahr 2022 kam es zu zahlreichen Angriffen auf religiöse Minderheiten und ihre Gebetsstätten. Abrisse von Moscheen in muslimischen Gemeinden führten zu Verhaftungen und gewaltsamen Zusammenstößen (USCIRF 05.2023). Es gab auch Fälle von kommunaler Gewalt zwischen religiösen Gruppen (USDOS 15.05.2023). Spannungen zwischen Hindus (80 % der Bevölkerung) und Muslimen – den beiden größten Glaubensgemeinschaften – führen regelmäßig zu Ausschreitungen (ÖB New Delhi 07.2023).
Das Bundesgesetz sieht für sechs religiöse Gruppen einen offiziellen Minderheitenstatus vor:
Muslime, Sikhs, Christen, Parsis, Jains und Buddhisten. Die Regierungen der Bundesstaaten können religiösen Gruppen, die in einer bestimmten Region eine Minderheit darstellen, den Status einer Minderheit nach dem Recht des jeweiligen Bundesstaates zuerkennen. Angehörige anerkannter Minderheitengruppen haben Anspruch auf staatliche Unterstützungsprogramme. Laut Verfassung ist die Regierung dafür verantwortlich, religiöse Minderheiten zu schützen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Kultur und religiösen Interessen zu wahren (USDOS 15.05.2023).
Personenstandsgesetze legen für Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften zivilrechtliche Regeln für Heirat, Scheidung, Adoption und Erbschaft fest, die auf Religion, Glauben und Kultur beruhen. Hinduistische, christliche, parsische, jüdische und islamische Personenstandsgesetze sind rechtlich anerkannt und können gerichtlich durchgesetzt werden (USDOS 15.05.2023). Langfristig plant die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) die Einführung eines einheitlichen Zivilrechts, das vermutlich zu Lasten der Autonomie von religiösen Minderheiten gehen würde (AA 05.06.2023).
Die von der Bharatiya Janata Party (BJP) geführte Regierung setzte ihre systematische Diskriminierung und Stigmatisierung von religiösen und anderen Minderheiten, insbesondere von Muslimen, fort. BJP-Anhänger verübten zunehmend gewalttätige Angriffe gegen bestimmte Gruppen. Die hinduistische Mehrheitsideologie der Regierung spiegelte sich in der Voreingenommenheit der Institutionen, einschließlich der Justiz und der Verfassungsorgane wie der Nationalen Menschenrechtskommission, wider (HRW 12.01.2023).
Konversionsgesetze verbieten „erzwungene“ Konversionen, wobei (je nach staatlichem Gesetz) Gewalt „Verlockung“, Betrug oder Nötigung bedeuten kann. Die Gesetze schreiben vor, dass für die Umwandlung ein bürokratisches Verfahren (Formulare, Gebühren, Genehmigungen) durchgeführt werden muss. Die Strafen und die Durchsetzung sind von Staat zu Staat unterschiedlich, können aber Gefängnisstrafen beinhalten. Viele dieser Gesetze wurden als Reaktion auf den so genannten „Liebesdschihad“ erlassen, eine angebliche Praxis, bei der muslimische Männer hinduistische Frauen (oder Mädchen) heiraten, um sie zum Islam zu bekehren (DFAT 29.09.2023). Dreizehn der 28 Bundesstaaten des Landes – Assam, Arunachal Pradesh, Chhattisgarh, Gujarat, Haryana (Stand: März), Himachal Pradesh, Karnataka, Jharkhand, Madhya Pradesh, Odisha, Rajasthan, Uttarakhand und Uttar Pradesh – haben Gesetze zur Einschränkung der Konversion. Obwohl in keinem dieser Gesetze bestimmte Glaubensrichtungen genannt werden, werden sie in der Praxis häufiger gegen Nicht-Hindus angewandt (USDOS 15.05.2023).
Mehrere Urteile des Obersten Bundesgerichts und des Obersten Gerichtshofs haben die Präsidialverordnung von 1950 bestätigt, die im Wesentlichen besagt, dass diejenigen, die zu einer anderen Religion konvertieren – insbesondere Islam oder Christentum – und den Hinduismus, Buddhismus oder Sikhismus aufgeben, ihren rechtlichen Status als registrierte „Scheduled Castes“ und damit den Anspruch auf Leistungen und Vorteile, die sich daraus ergeben, verlieren (OpIndia 23.09.2022).
Im Hinduismus gilt die Kuh als heilig (DFAT 29.09.2023; vgl. USCIRF 04.2020). In fünfundzwanzig der 28 Staaten gelten teilweise oder vollständige Beschränkungen für die Schlachtung von Rindern. Die Strafen variieren von Staat zu Staat und können je nachdem, ob es sich um eine Kuh, ein Kalb, einen Stier oder einen Ochsen handelt, unterschiedlich sein. Das Verbot betrifft vor allem Muslime und Angehörige der „Scheduled Castes“ und „Scheduled Tribes“, die traditionell Rindfleisch konsumieren. In den meisten Bundesstaaten, in denen das Schlachten von Rindern verboten ist (USDOS 15.05.2023) […]. Im Laufe des Jahres kam es in verschiedenen Bundesstaaten zu Übergriffen auf Angehörige religiöser Minderheiten, darunter Tötungen, Übergriffe und Einschüchterungen. Dazu gehörten Vorfälle von „Kuh-Vigilantismus“ gegen Nicht-Hindus aufgrund von Vorwürfen des Schlachtens von Kühen oder des Handels mit Rindfleisch (USDOS 15.05.2023).
Die Nationale Minderheitenkommission, der Vertreter der sechs benannten religiösen Minderheiten angehören, und die Nationale Menschenrechtskommission untersuchen Vorwürfe der religiösen Diskriminierung. Das Ministerium für Minderheitenangelegenheiten kann ebenfalls Untersuchungen durchführen. Diese Behörden haben keine Durchsetzungsbefugnisse, führen jedoch Untersuchungen auf der Grundlage schriftlicher Beschwerden über straf- oder zivilrechtliche Verstöße durch und legen die Ergebnisse den Strafverfolgungsbehörden vor. In 18 der 28 Bundesstaaten des Landes und im National Capital Territory Delhi gibt es staatliche Minderheitenkommissionen, die ebenfalls Vorwürfe religiöser Diskriminierung untersuchen. (USDOS 15.05.2023). [...]
Sikhs
Letzte Änderung 2023-11-28
Im Bundesstaat Punjab sind 60 % der Bevölkerung Sikhs (ÖB New Delhi 07.2023). Der Sikhismus ist die vorherrschende Religion im Punjab. Auch in den benachbarten Bundesstaaten Haryana, Delhi, Rajasthan, Uttar Pradesh und Uttarakhand gibt es eine große Zahl von Sikhs (DFAT 29.09.2023).
In Artikel 25 b (II) der Verfassung wird festgehalten, dass zum Hinduismus auch Personen, die sich zur Religion der Sikhs, Buddhisten und Jain bekennen, miteingeschlossen werden (USDOS 02.06.2022). Im Dezember 2019 verabschiedete das Parlament das Citizenship (Amendment) Act (CAA), das einen beschleunigten Weg zur Staatsbürgerschaft für Sikhs vorsieht (AA 05.06.2023; vgl. USDOS 02.06.2022).
Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben (ÖB New Delhi 08.2021). Sie können aber Ziele örtlich begrenzter Diskriminierung werden. Es wird angenommen, dass Sikhs in Indien im Allgemeinen einem geringen Maß an offizieller und gesellschaftlicher Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind (DFAT 29.09.2023). Die Sikhs, 60 % der Bevölkerung des Punjabs, stellen im Punjab einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen (auch bundesweit – praktisch alle indischen Generalstabschefs der Bundesarmee waren bisher Sikhs) offen. Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Sikhs alleine aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt würden. Verhaftungen erfolgen allerdings, sobald jemand offen eine verbotene Organisation (z. B. das Khalistan Movement) unterstützt (ÖB New Delhi 07.2023).
Auslandsaktivitäten bestimmter Gruppen (Sikhs, insbes. Khalistan-Separatisten, Kaschmiris) werden von indischer Seite beobachtet und registriert. Personen, die im Ausland eine in Indien verbotene Vereinigung unterstützen, werden nach ihrer Rückkehr in Indien strafrechtlich verfolgt. Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland unterstützen radikale Sikh Bewegungen auch finanziell (ÖB New Delhi 07.2023). [...]
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung 2023-11-28
Die Niederlassungsfreiheit (FH 2023; vgl. ÖB New Delhi 07.2023) sowie landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Migration und Repatriierung werden gesetzlich gewährt, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 20.03.2023b; vgl. ÖB New Delhi 07.2023). Allerdings verlangen das Innenministerium und die Regierungen der Bundesstaaten von ihren Bürgern Sondergenehmigungen, wenn sie in bestimmte Bundesstaaten reisen wollen (USDOS 20.03.2023b; vgl. ÖB New Delhi 08.2021). In den Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram und Manipur sind sogenannte Inner Line Permits erforderlich (USDOS 20.03.2023b). Die Bewegungsfreiheit wird in einigen Teilen des Landes durch aufständische Gewalt oder kommunale Spannungen behindert (FH 24.02.2022).
Grundsätzlich ist Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes gewährleistet. Es gibt nach wie vor kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem, sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahre 2009 hat hieran nichts geändert, da die Registrierung nach wie vor auf freiwilliger Basis erfolgt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung (AA 05.06.2023). Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich (AA 05.06.2023; vgl. ÖB New Delhi 07.2023) ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (ÖB New Delhi 07.2023). Durch die Verknüpfung vieler Dienstleistungen mit der biometrischen Aadhaar Karte wird die Auffindbarkeit einzelner Personen für Behörden erleichtert (ÖB New Delhi 07.2023).
Die Regierung kann jedem Antragsteller einen Reisepass verweigern, wenn er sich außerhalb des Landes an Aktivitäten beteiligt, die „der Souveränität und Integrität der Nation schaden“ (USDOS 20.03.2023b). Der Trend, die Ausfertigung und Aktualisierung von Reisedokumenten für Bürger aus Jammu und Kaschmir zu verzögern, hält weiterhin an. Eine Bearbeitung kann bis zu zwei Jahre dauern. Berichten zufolge unterziehen die Behörden in Jammu und Kaschmir geborene Antragsteller – einschließlich der Kinder von dort stationierten Militäroffizieren – zusätzlichen Sicherheitsüberprüfungen, bevor sie entsprechende Reisedokumente ausstellen (USDOS 12.04.2022).
Eine Ausreiseverweigerung ist aus Gründen der nationalen Sicherheit möglich (AA 05.06.2023; vgl. ÖB New Delhi 07.2023). [...]
Meldewesen
Letzte Änderung 2023-11-28
In Indien gibt es weder ein zentralisiertes Meldewesen oder Personenstands- oder auch Strafregister (AA 05.06.2023). Im Jahr 2009 führte Indien allerdings Aadhaar ein, ein digitales Identitätssystem für die fast 1,4 Milliarden Menschen des Landes (UCLA 13.04.2022). Das Aadhaar-Programm weist jedem Einwohner (auch Ausländer) eine eindeutige zwölf-stellige Nummer zu, die mit den biometrischen Daten der Person verknüpft ist – alle zehn Fingerabdrücke und ein Iris-Scan. Mittlerweile wurden über 1,3 Milliarden Aadhaar-Registrierungen vorgenommen, womit ein Großteil der indischen Bevölkerung erfasst ist (ÖB New Delhi 07.2023). Durch die Verknüpfung vieler Dienstleistungen mit der biometrischen Aadhaar Karte wird die Auffindbarkeit einzelner Personen für Behörden erleichtert (ÖB New Delhi 07.2023).
Das Nationale Bevölkerungsregister (NPR) ist ein Register, das Angaben zu Personen enthält, die gewöhnlich in einem Dorf oder einer ländlichen Gegend oder einer Stadt oder einem Bezirk oder einem abgegrenzten Gebiet innerhalb eines Bezirks in einer Stadt oder einem städtischen Gebiet wohnen. Das NPR wurde erstmals 2010 erstellt und 2015 gemäß Citizenship (Registration of Citizens and Issue of National Identity Cards) Rules, 2003, die auf der Grundlage des Citizenship Act, 1955, erstellt wurden, aktualisiert. Um die Änderungen aufgrund von Geburten, Todesfällen und Migration zu berücksichtigen, werden die NPR zusammen mit den Wohnungslisten und Wohnungsvorgängen der kommenden Volkszählung aktualisiert. Ziel der NPR ist es, eine umfassende Datenbank der üblichen Einwohner des Landes zu erstellen (Census India 11.08.2023). [...]
Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge
Letzte Änderung 2023-11-28
Indien hat die UN-Konvention über die Anerkennung von Flüchtlingen von 1951 und das Protokoll von 1967 nicht unterzeichnet (AA 05.06.2023). Das Gesetz sieht die Gewährung von Asyl oder Flüchtlingsstatus nicht vor, und die Regierung hat kein System zur Gewährung von Schutz für Flüchtlinge eingerichtet (USDOS 20.03.2023b; vgl. AA 05.06.2023). In Ermangelung eines Rechtsrahmens gewährte die Regierung manchmal situationsbedingt Asyl aus humanitären Gründen im Einklang mit dem Völkerrecht. Dieser Ansatz führte zu unterschiedlichen Schutzstandards für verschiedene Gruppen von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Die Regierung erkannte Flüchtlinge aus Tibet und Sri Lanka an und respektierte im Allgemeinen die Entscheidungen des UNHCR zur Bestimmung des Flüchtlingsstatus von Personen aus anderen Ländern (USDOS 20.03.2023b).
Gemäß der am 10.01.2020 in Kraft getretenen Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes (Citizenship Amendment Act, 2019), erhalten Migranten, die vor dem 31.12.2014 als Flüchtlinge aus den Nachbarländern Afghanistan, Bangladesch und Pakistan kamen, vereinfacht die indische Staatsbürgerschaft. Ausgenommen sind Muslime (AA 05.06.2023). Allerdings hat der zuständige Minister angekündigt, dass mit der Umsetzung dieses Gesetzes erst nach der COVID-19-Pandemie begonnen werden wird (CNBC 08.05.2022). Grundsätzlich kann jeder Flüchtling nach zwölfjährigem Aufenthalt in Indien indischer Staatsangehöriger werden. Gerade tibetische Flüchtlinge haben mithilfe von NGOs (teils mit ausländischer Unterstützung) sowie Bemühungen der tibetischen Exilregierung und Institutionen Möglichkeiten zur Schul-/Berufsausbildung sowie Zugang zu Startkapital und sind dementsprechend wirtschaftlich aktiv (AA 05.06.2023).
Indien teilt Flüchtlingen Siedlungsgebiete zu, Flüchtlinge aus Afghanistan erhielten etwa Land in Lajpat Nagar in Delhi. Schon aufgrund der religiösen Verwandtschaft werden diese Flüchtlinge nicht nur toleriert, sondern in die indische Gesellschaft integriert und dort akzeptiert (AA 05.06.2023). Im ganzen Land gab es Siedlungen von Binnenvertriebenen. Genaue Zahlen über die durch Gewalt Vertriebenen waren schwer zu ermitteln, da die Regierung die Bewegungen der Vertriebenen nicht überwacht und humanitäre Organisationen und Menschenrechtsorganisationen nur begrenzten Zugang zu Lagern und betroffenen Regionen hatten. Die Behörden registrierten zwar die Bewohner der Vertriebenenlager, doch eine unbekannte Zahl von Vertriebenen hielt sich außerhalb der Lager auf (USDOS 20.03.2023b).
Für die Versorgung der Binnenvertriebenen waren in der Regel die Regierungen der Bundesstaaten und die lokalen Behörden zuständig, was zu Lücken in den Leistungen und einer unzureichenden Rechenschaftspflicht führte. Die Zentralregierung gewährte den Binnenvertriebenen nur begrenzte Unterstützung, gestattete jedoch NRO und Menschenrechtsorganisationen den Zugang zu den Binnenvertriebenen; weder der Zugang noch die Unterstützung waren für alle Binnenvertriebenen oder alle Situationen einheitlich (USDOS 20.03.2023b).
Die Regierung hat im Allgemeinen mit dem Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) und anderen humanitären Organisationen zusammengearbeitet, um Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen oder Asylbewerbern sowie anderen betroffenen Personen ein Mindestmaß an Schutz und Unterstützung zu gewähren. Das UNHCR hat zwar kein offizielles Abkommen mit der Regierung, ist aber im Allgemeinen in der Lage, Asylbewerbern und Flüchtlingen aus nicht benachbarten Ländern zu helfen. Das UNHCR hatte keinen direkten Zugang zu neu ankommenden Flüchtlingen an der Grenze zu Burma oder zu Langzeitflüchtlingen aus Sri Lanka in Tamil Nadu. Darüber hinaus fehlten den vom UNHCR anerkannten Flüchtlingen und Asylbewerbern nach wie vor staatlich anerkannte Ausweispapiere, was ihren Zugang zu nationalen Sozialprogrammen einschränkte (USDOS 20.03.2023b). [...]
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung 2023-11-28
Allgemeine Wirtschaftsleistung
Die indische Wirtschaft hat sich von der bereits vor COVID bestehenden Krise erholt und erreichte im Finanzjahr 2021/22 ein Wachstum von 8,7 %, für das Jahr 2023/24 wurde von der Weltbank ein Wachstum von 6,3 % prognostiziert. Trotz negativer externer Faktoren (RU/UA Krieg, Lieferkettenengpässe, Inflation – 6,7 % 2022/23) wird die indische Wirtschaft als resilient eingestuft (ÖB New Delhi 07.2023). Indien ist damit die am stärksten wachsende Volkswirtschaft aller G20-Staaten. Diese Dynamik wird von einem wiedererstarkten Privatkonsum und einem enormen Investitionsprogramm der Regierung getragen (WKO 30.10.2023).
Die Landwirtschaft stieg um 3,7 % (15 % BIP-Anteil), der wiedererstarkende Industriesektor um 4,5 % (30 % BIP-Anteil) sowie der Dienstleistungsbereich um 7,6 % (55 % BIP-Anteil), wobei hier die IT-Services dominieren (WKO 09.2023).
Arbeitsmarkt
Von den etwa 500 Millionen Arbeitskräften sind 90 % im informellen Sektor tätig (ÖB New Delhi 07.2023; vgl. AA 05.06.2023), auch wenn nach manchen Analysen der Anteil der formell Beschäftigten steigt. Von den 10 % im organisierten Sektor Beschäftigten, die über formelle soziale Absicherung und Arbeitsschutz verfügen, arbeiten 70 % im staatlichen Bereich. Nur 5 % der Gesamtarbeitskräfte sind ausgebildete Fachkräfte. Nicht mehr ganz die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig (ÖB New Delhi 07.2023).
Es besteht eine umfassende und internationalen Standards im Wesentlichen entsprechende Arbeits- und Sozialgesetzgebung, aber sie betrifft nur die Beschäftigten in formellen Arbeitsverhältnissen – das sind ca. 8 %. Die übrigen 92 % sind im „informellen“ Sektor tätig, in dem geregelte Arbeitsverhältnisse mit angemessenen und regelmäßigen Einkünften die Ausnahme sind und soziale Absicherung praktisch unbekannt ist. Gewerkschaften konzentrieren sich immer noch ganz überwiegend auf den (kleinen) formellen Sektor und sind zumeist parteipolitisch gebunden (AA 05.06.2023).
Die nationale Arbeitsvermittlungsagentur, die bei dem Ministerium für Arbeit und dem Direktorat für Arbeit und Training angesiedelt ist, bietet Arbeitssuchenden Stellen an. Letztere müssen sich dort selbst registrieren und werden sofort informiert, sobald eine passende Stelle verfügbar ist. Einige Bundesstaaten bieten Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von drei Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen Informationen über die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der Fähigkeiten entsprechend der Marktnachfrage zur Verfügung gestellt werden (IOM 08.2022).
Die Arbeitslosenrate betrug für 2022/2023 10,5 %, und für 2023/2024 wird eine Rate von 7,1 % prognostiziert (WKO 09.2023).
Das Gesetz verbietet alle Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit, aber Zwangsarbeit, einschließlich Schuldknechtschaft für Erwachsene und Kinder, war weiterhin weit verbreitet (USDOS 20.03.2023b; vgl. FH 2023).
Die Gesetze der Bundesstaaten legen Mindestlöhne und Arbeitszeiten fest. Der tägliche Mindestlohn variierte, lag aber über dem offiziell geschätzten Armutseinkommen. Die Regierungen der Bundesstaaten legen einen gesonderten Mindestlohn für Landarbeiter fest. Das Gesetz schreibt auch sichere Arbeitsbedingungen vor (USDOS 20.03.2023b).
Nahrungsmittelsicherheit, Armut
Etwa 34 % aller Inder seien von multi-dimensionaler Armut betroffen (16,4 %) oder gefährdet (18,7 %) (AA 05.06.2023). 10 % der Bevölkerung leben unter der absoluten Armutsgrenze (USD 2,15 Tag Kaufkraft). Dies ist eine signifikante Verbesserung, 2004 waren es noch ca. 40 %, 2011 22,5 % (ÖB New Delhi 07.2023).
Es gibt in Indien einen politischen Konsens zum Recht auf Nahrung. Zwei Drittel der indischen Bevölkerung haben einen entsprechenden gesetzlichen Anspruch auf fünf Kilogramm Getreide und Hülsenfrüchte pro Monat (AA 05.06.2023). Zusätzlich werden Preise für gewisse Nahrungsmittel staatlich gestützt (ÖB New Delhi 07.2023). Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 05.06.2023). Nach offiziellen Angaben sind 36 % der unter Fünfjährigen untergewichtig (AA 05.06.2023).
Auch wenn die mittel- bis langfristigen Folgen der Pandemie noch nicht absehbar sind, dürfte es für Indien nicht einfach werden, das in der UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung gesetzte Ziel zu erreichen, die absolute Armut bis zum Jahr 2030 gänzlich zu beenden (AA 05.06.2023).
Wohnraum und Sozialwesen
Die Regierung betreibt eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen. Diese richten sich jedoch zumeist an Personen unterhalb der Armutsgrenze. Weiters bieten die Regierungen eine Vielzahl an Sozialhilfen an, die sich ebenfalls an unterprivilegierte Gruppen, wie die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, richten. Diese Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat). Das staatliche Sozialversicherungsprogramm (National Social Assistance Programme) erfasst nur die Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze oder physisch Benachteiligte. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches den Teilnehmern ermöglicht, systematisch Rücklagen während ihres Arbeitslebens anzulegen (IOM 08.2022).
Zahlreiche Sozialprogramme sollen die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern. De facto ist der Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen in vielen Teilen Indiens noch wegen gravierender qualitativer und quantitativer Mängel, Korruption und Missmanagement beschwerlich bzw. oft verwehrt. Mit der Einführung der Identifikationsnummer „Aadhaar“ und der davon unabhängigen Eröffnung von Bankkonten für jeden Haushalt in Indien konnten erste Erfolge bei der Eindämmung von Korruption und beim „verlustfreien“ Transfer staatlicher Sozialleistungen verbucht werden. Mit dem Haushaltsgesetz 2018 wurde die Einführung einer Krankenversicherung für rund 100 Mio. Familien bzw. etwa 500 Mio. Menschen beschlossen (AA 05.06.2023).
Das Recht auf Sanitärversorgung erfährt durch die aktuelle Regierung besondere Aufmerksamkeit: unter Indiens Bevölkerung hatten 2015 noch rund 59 % (626 Mio.) der Menschen keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen. Im Rahmen der ambitionierten „Clean India“ Kampagne ist in nur fünf Jahren der Anteil aller Inder:innen mit Zugang zu funktionierenden Toiletten auf etwa 85 % gestiegen (AA 05.06.2023).
Die Kriterien für die Inanspruchnahme von Sozialleistungen sind komplex und variieren je nach Ort; der Zugang zu solchen Programmen sollte nicht vorausgesetzt werden. Selbst wenn die Voraussetzungen erfüllt sind, ist es nicht möglich, sich allein von Sozialhilfeprogrammen zu ernähren (DFAT 29.09.2023).
Der Aadhaar, enthält eine zwölfstellige eindeutige Identifikationsnummer (UID). Sie wird indischen Staatsbürgern ausgestellt, um ihre Identität auf der Grundlage demografischer und biometrischer Informationen festzustellen. Sie bietet eine Plattform für Sozialleistungen, Vergünstigungen und Subventionen. Die Beantragung einer Aadhaar-Karte ist kostenlos, und das System ist freiwillig, aber in der Praxis ist die Registrierung für alltägliche Aktivitäten erforderlich. Für den Erhalt einer Aadhaar-Karte sind keine umfangreichen Unterlagen erforderlich, und es stehen mehrere Optionen zur Verfügung, so dass sie auch für ärmere Bürger ohne Papiere oder Analphabeten zugänglich ist. Die Verwendung biometrischer Daten, einschließlich Gesichtsauthentifizierung, Iris- und Fingerabdruckdaten, soll die doppelte Vergabe von UIDs an ein und dieselbe Person reduzieren oder verhindern. In der Praxis wird er oft als Personalausweis verwendet (DFAT 29.09.2023).
Es gibt keine staatlichen Aufnahmeeinrichtungen für Rückkehrer, Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen (AA 05.06.2023). [...]
Rückkehr
Letzte Änderung 2023-11-28
Jede:r Inder:in hat das Recht auf Ausreise und Rückkehr in das eigene Land (AA 05.06.2023).
Die Einreise ist ohne ein gültiges Reisedokument grundsätzlich nicht möglich. Ein von einem EU-Land ausgestelltes Heimreisepapier wird von der indischen Regierung nicht anerkannt. Die Ausstellung der nötigen Heimreisedokumente durch die indische Botschaft im jeweiligen EU-Land ist in der Regel mit einem zeitaufwendigen Verfahren verbunden, da es in Indien u. a. kein Meldewesen gibt (ÖB New Delhi 07.2023).
Es bestehen keine Hinweise darauf, dass eine Asylantragstellung zu nachteiligen Konsequenzen nach der Rückkehr führt (AA 05.06.2023; vgl. DFAT 29.09.2023, ÖB New Delhi 07.2023). Zur Festnahme ausgeschriebene Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Strafverfolgungsbehörden rechnen (AA 05.06.2023; vgl. ÖB New Delhi 07.2023).
Auslandsaktivitäten bestimmter Gruppen (radikale Sikhs, Kaschmirs) werden von der Regierung durch den Geheimdienst beobachtet. Aktivist:innen, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt (AA 05.06.2023; vgl. ÖB New Delhi 07.2023), sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Es ist strafbar, zu Terrorgruppen Kontakte zu unterhalten oder an Handlungen beteiligt zu sein, die die Souveränität, Integrität oder Sicherheit Indiens gefährden (ÖB New Delhi 07.2023).
Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind nicht bekannt (AA 05.06.2023).
Die Rückkehrberatung in Österreich wird seit 01.01.2021 von der Bundesbetreuungs- und Unterstützungs-Agentur (BBU GmbH) angeboten. Es gibt Beratungsstellen in allen neun Bundesländern. Es steht den Personen frei, an welche Rückkehrberatungsorganisation sie sich wenden. Im Falle einer verpflichteten Rückkehrberatung wird eine bestimmte Rückkehrberatungsorganisation genannt. Grundsätzlich ist jenes Bundesland zuständig, in dem der Asylwerber, Fremde bzw. Ausreisepflichtige wohnt. Darüber hinaus findet Rückkehrvorberatung auch für Personen in Schub- oder Strafhaft statt (BBU 2023). [...]
Dokumente
Letzte Änderung 2023-11-28
Der Zugang zu gefälschten Dokumenten oder echten Dokumenten falschen Inhalts ist leicht (AA 05.06.2023). Gegen entsprechende Zahlungen sind viele Dokumente zu erhalten. Erleichtert wird der Zugang überdies durch die Möglichkeit, Namen ohne größeren Aufwand zu ändern. Personenstandsurkunden werden zunehmend nur noch digital als vom Urkundeninhaber ausdruckbares PDF ausgestellt; auf Siegel und Unterschriften wird verzichtet, Online-Verifikation über auf Urkunden angebrachte QR-Codes ist vom Ausland häufig nicht möglich (AA 05.06.2023).
Indische Dokumente müssen nicht beglaubigt werden, sie werden mit einer Apostille versehen (Indien ist wie Österreich Mitgliedsstaat des entsprechenden Haager Übereinkommens) (ÖB New Delhi 07.2023).
Die Überprüfung der Echtheit von Dokumenten gestaltet sich als schwierig. Der Namenszusatz männlicher Sikhs ist „Singh“ (Löwe), der aller weiblichen Sikhs „Kaur“ (Prinzessin); Singh ist zudem ein verbreiteter Hindu-Nachname in Nordindien. Die Mitteilung sämtlicher Vornamen sowie des Geburtsdatums und der Name der Eltern sind daher für die eindeutige Zuordnung unerlässlich (AA 05.06.2023; vgl. ÖB New Delhi 07.2023). Hinzu kommt, dass die indischen Gerichte keine einheitlichen Formulare verwenden (ÖB New Delhi 07.2023).
Der Aadhaar, der als Personalausweis ausgestellt wird, enthält eine zwölfstellige eindeutige Identifikationsnummer (UID). Sie wird indischen Staatsbürgern ausgestellt, um ihre Identität auf der Grundlage demografischer und biometrischer Daten festzustellen. Sie bietet eine Plattform für Sozialleistungen, Vergünstigungen und Subventionen. Für die Vergabe der Nummern ist die Unique Identification Authority of India (UIDAI) zuständig. Seit 2010 wurden mehr als 1,3 Milliarden Aadhaar-Nummern an indische Bürger ausgegeben. Die Beantragung einer Aadhaar-Karte ist kostenlos, und das System ist freiwillig, aber in der Praxis ist die Eintragung für alltägliche Aktivitäten erforderlich (DFAT 29.09.2023).
In manchen Bundesstaaten ist die Verifikation von Strafverfahren anhand der F. I. R.-Nummer (Aktenzeichen der Anzeige bzw. des Strafverfahrens) online möglich. Beschuldigte in Strafverfahren verfügen regelmäßig über die Aktenzeichen der Polizei oder des Strafgerichts, da diese den Betroffenen formell an die Wohnadresse zugestellt werden (AA 05.06.2023; vgl. DFAT 29.09.2023). Während für den Nachweis der Personendaten im Passwesen strenge Nachweispflichten gelten und etwa seit 2015 regelmäßig auch Biometriedaten behördlich erfasst werden, werden Adresseinträge häufig nach Angaben der Antragstellenden aufgenommen und stellen sich häufig als falsch heraus (AA 05.06.2023). [...]
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf seinen Angaben im Verfahren vor der belangten Behörde. Die Feststellungen unter 1.1. zu seiner Person und zu seiner Familie stützen sich auf seine Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt.
2.2. Zu den Gründen für das Verlassen von Indien hat der Beschwerdeführer eine Bedrohungslage nicht dargetan bzw. nicht glaubhaft gemacht.
Der Beschwerdeführer brachte im Verfahren im Wesentlichen vor, dass behauptet werde, er sei Unterstützer der „Khalistan-Bewegung“, weil er einer Person namens „Amritpal“ bei Demonstrationen gefolgt sei und der bedroht und verfolgt werde, weil die Regierung gegen diese Bewegung sei.
Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtvorbringen waren jedoch gänzlich vage, undetailliert und wenig plausibel, weshalb diesen keine Glaubhaftigkeit zukommt. Wie schon die belangte Behörde in ihrem Bescheid ausführte, gab der Beschwerdeführer auch auf mehrfaches Nachfragen keine detaillierte Beschreibung von Gegebenheiten, die eine Bedrohung zu Protokoll gegeben hätten, an und blieb in seinen Aussagen vage (AS 75). So gab der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt an, er habe immer wieder an religiösen Veranstaltungen teilgenommen und wenn jemand – wie der Beschwerdeführer – in Indien mit Bart und Turban unterwegs sei, werde er sofort als Khalistani bezeichnet. Dabei handelt es sich jedoch um allgemeine Angaben und Behauptungen des Beschwerdeführers, denen keine konkreten gegen seine Person gerichteten Bedrohungs- und Verfolgungshandlungen entnommen werden können. Auch in seinen weiteren Angaben vor dem Bundesamt blieb der Beschwerdeführer allgemein und vage: So gab er etwa an, er sei mit Amritpal SINGH unterwegs gewesen, sie hätten gemeinschaftlich den Menschen geholfen, dabei seien mehrfach Seiten ihres heiligen Buches herausgerissen und zerrissen worden und dagegen hätten sie protestiert. Die regierende Partei sei zudem gegen die Sikhs eingestellt. Sie seien bei diesen Protesten ferner fotografiert worden und 40 von ihnen sei vorgeworfen worden, dass sie Staatsverräter seien und festgenommen werden sollten. Da der Beschwerdeführer oft an diesen Protestveranstaltungen teilgenommen habe, hätte er die Befürchtung gehabt, dass er auch auf einer dieser Listen wäre und ebenfalls als Verräter behandelt werden würde. Weil die regierende Partei gegen die Sikh sei, könne es sein, dass sie den Beschwerdeführer einsperren und unter falschen Voraussetzungen anklagen würden (AS 54). Den Angaben des Beschwerdeführers konnten dabei zusammenfassend nur Vermutungen des Beschwerdeführers entnommen werden, die auf keinen Schilderungen zu konkreten Bedrohungs- und Verfolgungshandlungen dem Beschwerdeführer gegenüber gründen. Der Beschwerdeführer wurde vor dem Bundesamt zudem aufgefordert, konkrete Angaben zu seinem Vorbringen zu machen und zu jedem Ereignis das Datum, den Ort, die beteiligten Personen und ihre Rolle anzugeben. Der Beschwerdeführer berichtete in der Folge jedoch nur, an einer Veranstaltung in Jalandhar teilgenommen zu haben, bei der „sehr viele Menschen“ dabei gewesen seien. In der Folge blieb er in seinen Angaben weiter unkonkret und wiederholte, dass sie aufgrund ihrer Proteste als Khalistani bezeichnet worden wären, obwohl sie nur ihr Buch verteidigen hätten wollen. Der Beschwerdeführer gab ferner an, an „verschiedenen“ Protesten teilgenommen zu haben, ohne diese detaillierter, wie zuvor aufgefordert, zu beschreiben. Er gab auch an, dass ihm selbst bei diesen Protesten nie etwas zugestoßen sei, er jedoch gesehen habe, wie andere Teilnehmer „mitgespielt“ worden seien, wiederum ohne diese Situationen konkreter zu beschreiben. Hätte der Beschwerdeführer jedoch tatsächlich an Protesten teilgenommen, im Zuge derer seine Mitdemonstranten bedroht oder misshandelt worden seien, so wäre davon auszugehen, dass es sich dabei um für den Beschwerdeführer einprägsame Ereignisse gehandelt hätte, zu denen er lebensnahe und detaillierte Angaben machen könnte. Der Beschwerdeführer unterließ es – trotz dahingehender Aufforderung - Orte und Daten, involvierte Personen und deren Rollen zu nennen. Die Angabe des Beschwerdeführers, es bestehe die Möglichkeit, dass er von den „Gegnern“ bemerkt worden sei, kann nicht ausreichen, um von der Gefahr einer Bedrohung oder Verfolgung des Beschwerdeführers auszugehen (AS 54). Der Beschwerdeführer konnte auch keine glaubhaften Angaben dahingehend machen, dass er in ganz Indien verfolgt werden würde. So bezog er sich auf einen Vorfall eines Polizeioffiziers, der ebenso Sikh sei und einen Turban getragen habe, wobei der Beschwerdeführer keine Angaben dazu machte, was der Inhalt des Vorfalls gewesen sei und diesen auch nicht durch die Vorlage von Berichten belegte. Der Beschwerdeführer gab ferner an, dass im Internet Beiträge verfügbar seien, in denen man sehen könne, wie Leute festgenommen worden seien, wobei der Beschwerdeführer keine Quellenangaben zu diesen Beiträgen machte (AS 55).
So konnte der Beschwerdeführer zusammengefasst nicht den Eindruck erwecken, von Ereignissen zu berichten, die er tatsächlich erlebt hätte, da es seinen Erzählungen an lebensnahen Aspekten mangelte und er es gänzlich unterließ, Angaben zu konkreten Vorfällen einer Bedrohung oder Verfolgung seiner Person zu machen.
Schließlich wird dem Vorbringen des Beschwerdeführers auch dadurch der Boden entzogen, dass er angab, legal mit dem Flugzeug aus Indien ausgereist zu sein.
Insgesamt ist somit der Ansicht der belangten Behörde zu folgen, dass keine Repressionen oder sonstigen Diskriminierungen von staatlicher Seite auszumachen sind (AS 76).
Das Bundesamt hat daher zu Recht festgestellt, dass der Beschwerdeführer sein Fluchtvorbringen weder glaubhaft machte noch dieses asylrelevant ist und somit kein asylrechtlich relevantes Bedrohungs- oder Verfolgungsszenario vorliegt. Auch die Beschwerdeausführungen sind nicht geeignet, die Würdigung des Gesamtvorbringens des Beschwerdeführers zu entkräften.
Hinzu kommt die Bewegungsfreiheit in Indien und die Möglichkeit, sich auch bei allfälliger Verfolgung in anderen Landesteilen Indiens niederzulassen, wobei diesbezüglich auf die näheren Ausführungen in der rechtlichen Beurteilung verwiesen wird.
In einer Gesamtschau der dargelegten Erwägungen war daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer in Indien keinen Verfolgungshandlungen ausgesetzt war. Wie von der belangten Behörde zutreffend aufgezeigt, stellt sich auch die Rückkehrsituation des Beschwerdeführers als arbeitsfähiger Mann mit mehrjähriger Schulausbildung, Arbeitserfahrung und familiären Anknüpfungspunkten als nicht existenzbedrohend dar. Hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Situation ist überdies festzuhalten, dass der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesamt angab, er habe seinen Lebensunterhalt in Indien durch seine Arbeit als Hilfsarbeiter bestritten und ist vor diesem Hintergrund in Zusammenschau mit der Berichtslage nicht davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr aufgrund von Arbeitslosigkeit in eine finanzielle Notlage geriete. Es liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, dass er bei einer Rückkehr nicht wieder als Hilfsarbeiter tätig sein könnte bzw. seinen Lebensunterhalt, zumindest durch Gelegenheitsarbeiten, erwirtschaften könnte. Es war daher festzustellen, dass der Beschwerdeführer keine Furcht vor Verfolgung im gesamten Herkunftsstaat glaubhaft machte und keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention vorliegt. Eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ist vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen und der notorischen Lage in Indien nicht angezeigt, dies wurde auch nicht substantiiert behauptet.
2.3. Die Feststellungen zur Einreise des Beschwerdeführers und seinem Aufenthalt in Österreich ergeben sich unstrittig aus dem Zeitpunkt seiner Asylantragstellung. Dass er keine im Bundesgebiet aufhältigen Verwandte oder Familienangehörige hat, in keiner Lebensgemeinschaft lebt und über keine engen sozialen Bindungen verfügt, war aufgrund seiner Aussagen in der Einvernahme vor dem Bundesamt festzustellen.
Im Verfahren ist nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer Mitglied eines Vereins oder einer Organisation ist bzw. über nennenswerte Deutschkenntnisse verfügt oder auf maßgebliche Weise am gesellschaftlichen oder kulturellen Leben in Österreich teilnimmt.
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einem aktuellen Auszug aus dem Strafregister.
2.4. Die fallbezogenen Feststellungen zur Lage in Indien stützen sich auf das vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ins Verfahren eingeführte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 28.11.2023. Die Länderfeststellungen gründen sich auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Indien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Ausführungen zu zweifeln.
Der Beschwerdeführer ist den Berichten in der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten und hat eine fallrelevante wesentliche Änderung nicht behauptet.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A)
3.1. Zur Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten:
3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatssicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention – GFK), droht.
Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
3.1.2. Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ (vgl. VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 27.06.1995, 94/20/0836; 23.07.1999, 99/20/0208; 21.09.2000, 99/20/0373; 26.02.2002, 99/20/0509 m.w.N.; 12.09.2002, 99/20/0505; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 m.w.N.).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht – diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann –, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).
Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).
3.1.3. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass der Beschwerdeführer eine ihm in seinem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der GFK genannten Gründen landesweit drohende Verfolgung nicht glaubhaft gemacht hat:
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Wie beweiswürdigend dargelegt, ist das Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die Bedrohung bzw. Verfolgung aufgrund seiner politischen Aktivität in der Pro-Khalistani-Bewegung, nicht glaubhaft. Sonstige Gründe einer aktuellen, asylrelevanten Bedrohung sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Der Beschwerdeführer brachte lediglich private Gründe für das Verlassen seines Herkunftsstaates vor, die der oben zitierten Judikatur zufolge keine Verfolgung iSd GFK darstellen und sich überdies auch als nicht glaubhaft erwiesen. Es besteht somit keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Beschwerdeführers in Indien aus Konventionsgründen.
Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen keine Verfolgung im Sinne der GFK dar. In allgemeinen schlechten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen kann keine Verfolgung gesehen werden (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0597 unter Bezugnahme auf VwGH 24.10.1996, Zl. 95/20/0321, 0322; VwGH 17.02.1993, Zl. 92/01/0605) und ist auch eine existenzgefährdende Schlechterstellung des Beschwerdeführers aus Gründen der GFK nicht ersichtlich.
Aus den Länderberichten ergibt sich zudem deutlich, dass in Indien volle Bewegungsfreiheit gewährleistet ist. Es kann grundsätzlich örtlich begrenzten Konflikten bzw. Verfolgungs-handlungen durch Übersiedlung in einen anderen Landesteil ausgewichen werden. Weiters gibt es kein staatliches Melde- oder Registrierungssystem für indische Bürger und besitzen diese in der Mehrzahl keine Ausweise. Die indische Verfassung garantiert indischen Staatsangehörigen das Recht auf Bewegungsfreiheit im Staatsgebiet sowie das Recht auf Niederlassung und Aufenthalt in jedem Teil des Landes. Auch bei strafrechtlicher Verfolgung und bei jeder Art von privaten Problemen ist in der Regel ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken in anderen Teilen Indiens möglich, ohne dass diese Person ihre Identität verbergen muss. Eine Ansiedelung in anderen Regionen Indiens erscheint für den Beschwerdeführer auf Grund seiner mehrjährigen Schulbildung, Arbeitsfähigkeit, Arbeitserfahrung und seiner Sprachkenntnisse auch durchaus zumutbar, zumal er seinen Lebensunterhalt auch durch etwaige Gelegenheitsarbeiten erwirtschaften könnte. Daher ist er nicht als in besonderem Maße vulnerabel anzusehen und kann er auch in anderen Landesteilen Fuß fassen, sodass ihm die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in einer der Großstädte Indiens oder anderen Landesteilen zumutbar ist.
3.1.4. Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, war in der Folge davon auszugehen, dass eine asylrelevante Verfolgung nicht existiert, und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zur Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten:
3.2.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Flucht-alternative im Sinne des § 11 offen steht.
Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG 2005 idF FrÄG 2009 eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 idF FrÄG 2009 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
Es ist somit vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Art. 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird – auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören –, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG (nunmehr: § 50 Abs. 1 FPG bzw. § 8 Abs. 1 AsylG 2005) gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 AsylG 1997 iVm. § 57 Abs. 1 FrG (nunmehr: § 8 Abs. 1 AsylG 2005) die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).
Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG (nunmehr: § 50 Abs. 1 FPG bzw. § 8 Abs. 1 AsylG 2005) als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).
Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände („exceptional circumstances“) vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter „außergewöhnlichen Umständen“ können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bzw. § 50 Abs. 1 FPG bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059).
Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr („real risk“) – die bloße Möglichkeit genügt nicht – damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).
3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG nicht gegeben sind:
Dass der Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt.
Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann, bei welchem die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden kann. Er verfügt darüber hinaus über familiäre Anknüpfungspunkte im Herkunftsstaat, Schulbildung sowie Arbeitserfahrung, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass er im Herkunftsstaat grundsätzlich in der Lage sein wird, sich gegebenenfalls mit Gelegenheitsarbeiten ein ausreichendes Einkommen zu erwirtschaften. Eine die physische Existenz nur unzureichend sichernde Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), liegt nicht vor.
Der Beschwerdeführer ist in der Beschwerde den vom Bundesamt im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen und Erwägungen zur Zumutbarkeit und Möglichkeit der Rückkehr nach Indien nicht substantiiert entgegengetreten und hat in weiterer Folge auch nicht dargelegt, wie sich eine Rückkehr in den Herkunftsstaat konkret auf seine individuelle Situation auswirken würde, insbesondere inwieweit er durch die Rückkehr einem realen Risiko einer extremen Gefahrenlage ausgesetzt wäre.
3.2.3. Auf Grund der eben dargelegten Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Herkunftsstaat erübrigt sich eine weitere Prüfung hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen gemäß §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG 2005 idF FrÄG 2009.
3.3. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl. Nr. 210/1958 idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985 idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005 idgF, verletzt werden. Weder droht im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substanziell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten von der EMRK gewährleisteten Rechte. Dasselbe gilt für die reale Gefahr, der Todesstrafe unterworfen zu werden. Auch Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den Beschwerdeführer als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.
3.4. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung:
3.4.1. Gemäß § 10. Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wird sowie kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG vorliegt.
Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zu erteilen:
1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
Der Beschwerdeführer befindet sich seit Juni 2023 im Bundesgebiet und sein Aufenthalt ist nicht geduldet. Er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.
3.4.2. Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 AsylG vorliegt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Indien kein begünstigter Drittstaats-angehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da mit der erfolgten Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz das Aufenthaltsrecht nach § 13 AsylG mit der Erlassung dieser Entscheidung endet.
3.4.3. Gemäß § 55 Abs.1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn 1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und 2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeits-grenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird. Nach § 55 Abs. 2 AsylG 2005, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.
Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet auszugsweise wie folgt:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.[…]“
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG zur Aufrechterhaltung des Privat- und/oder Familienlebens iSd Art. 8 MRK geboten ist bzw. ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 MRK geschützten Rechte darstellt, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 08.11.2018, Ra 2016/22/0120 mwN).
3.4.3.1. Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer „Familie“ voraussetzt.
Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK umfasst nicht nur die Kleinfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern und Ehegatten, sondern auch entferntere verwandtschaftliche Beziehungen, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität aufweisen, etwa ein gemeinsamer Haushalt vorliegt (vgl. dazu EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; Frowein - Peukert, Europäische Menschenrechts-konvention, EMRK-Kommentar, 2. Auflage (1996) Rz 16 zu Art. 8; Baumgartner, Welche Formen des Zusammenlebens schützt die Verfassung? ÖJZ 1998, 761; vgl. auch Rosenmayer, Aufenthaltsverbot, Schubhaft und Abschiebung, ZfV 1988, 1). In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.06.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 07.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.07.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.02.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 05.07.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nehmen die persönlichen Interessen des Fremden an seinem Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer seines bisherigen Aufenthalts zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 10.11.2015, Ro 2015/19/0001). Die bisherige Rechtsprechung legt keine Jahresgrenze fest, sondern nimmt eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vor (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 EMRK, in ÖJZ 2007, 852 ff, aber auch VwGH 26.06.2007, Zl. 2007/01/0479, wonach ein dreijähriger Aufenthalt "jedenfalls" nicht ausreichte, um daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abzuleiten, so im Ergebnis auch VfGH 12.06.2013, Zl. U485/2012).
3.4.3.2. Abwägung im gegenständlichen Fall:
Der Beschwerdeführer hat in Österreich weder Verwandte noch Familienangehörige, weshalb die Erlassung einer Rückkehrentscheidung keinen ungerechtfertigten Eingriff in sein Familienleben nach Art. 8 EMRK darstellen würde und eine aufenthaltsbeendende Maßnahme allenfalls in sein Privatleben eingreifen könnte.
Der Verwaltungsgerichtshof geht bei einem dreieinhalbjährigen Aufenthalt im Allgemeinen von einer eher kürzeren Aufenthaltsdauer aus (vgl. Chvosta, ÖJZ 2007/74 unter Hinweis auf die VwGH 08.03.2005, 2004/18/0354; 27.03.2007, 2005/21/0378). Seinen Ausführungen im Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479 zufolge sei der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren jedenfalls nicht so lange, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte. Der Beschwerdeführer befindet sich seit Juni 2023, somit seit 15 Monaten, im Bundesgebiet und ist seine Aufenthaltsdauer im Lichte der soeben zitierten Judikatur als kurz zu werten. Nach der aktuellen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann nicht gesagt werden, dass eine in drei Jahren erlangte Integration keine außergewöhnliche, die Erteilung eines Aufenthaltstitels rechtfertigende Konstellation begründen „kann“ und somit schon allein aufgrund des Aufenthalts von weniger als drei Jahren von einem deutlichen Überwiegen der öffentlichen gegenüber den privaten Interessen auszugehen wäre (vgl. VwGH 23.02.2016, Zl. Ra 2015/01/0134-7).
Im konkreten Fall liegt die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers in Österreich aber nicht nur deutlich unter den im zitierten Erkenntnis angesprochenen drei Jahren, sondern sind auch keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine tatsächliche, fortgeschrittene Integration des Beschwerdeführers hervorgekommen, aufgrund derer eine die Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung rechtfertigende Konstellation anzunehmen wäre. So absolvierte der Beschwerdeführer bisher weder Deutschprüfungen noch verfügt er über nennenswerte Deutschkenntnisse und nahm auch sonst keine Ausbildungsmaßnahmen in Anspruch. Er ist nicht Mitglied eines Vereins oder einer Organisation und verfügt über keine engen sozialen Bindungen.
Die Dauer des Verfahrens übersteigt auch nicht das Maß dessen, was für ein rechtsstaatlich geordnetes, den verfassungsrechtlichen Vorgaben an Sachverhaltsermittlungen und Rechtschutzmöglichkeiten entsprechendes Asylverfahren angemessen ist. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg 18.499/2008, 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Fall Butt, Appl. 47.017/09, Z 85 f.).
Der Beschwerdeführer verfügt zudem über stärkere Bindungen zum Herkunftsstaat. Er hat dort den überwiegenden Teil seines Lebens verbracht, wurde in Indien sozialisiert, hat im Herkunftsstaat die Schule besucht sowie bereits gearbeitet. Weiters halten sich seine Eltern und seine Schwester nach wie vor in Indien auf, sodass anhaltende Bindungen zum Herkunftsstaat bestehen. Dadurch, dass der Beschwerdeführer in Indien sozialisiert wurde, dort eine Schulbildung absolvierte sowie über soziale Anknüpfungspunkte verfügt und er durch Erwerbstätigkeit auch bei einer Rückkehr seine Existenz zu sichern imstande ist, kann die Rückkehrsituation zu keinem Überwiegen der Interessen an einem Verbleib in Österreich führen.
Das Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung allenfalls bestehender privater Kontakte, bezüglich derer keine besondere Intensität hervorgekommen ist, ist noch zusätzlich dadurch geschwächt, dass er sich bei allen Integrationsschritten seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit der Integrationsschritte bewusst sein musste: Er durfte sich hier bisher nur aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz aufhalten, der zu keinem Zeitpunkt berechtigt war (vgl. zB VwGH 20.02.2004, 2003/18/0347; 26.02.2004, 2004/21/0027; 27.04.2004, 2000/18/0257; sowie EGMR 08.04.2008, Fall Nnyanzi, Appl. 21878/06, wonach ein vom Fremden in einem Zeitraum, in dem er sich bloß aufgrund eines Asylantrages im Aufnahmestaat aufhalten darf, begründetes Privatleben per se nicht geeignet ist, die Unverhältnismäßigkeit des Eingriffes zu begründen). Auch der Verfassungsgerichtshof misst in ständiger Rechtsprechung dem Umstand im Rahmen der Interessenabwägung nach Art. 8 Abs. 2 EMRK wesentliche Bedeutung bei, ob die Aufenthaltsverfestigung des Asylwerbers überwiegend auf vorläufiger Basis erfolgte, weil der Asylwerber über keine, über den Status eines Asylwerbers hinausgehende Aufenthaltsberechtigung verfügt hat. In diesem Fall muss sich der Asylwerber bei allen Integrationsschritten im Aufenthaltsstaat seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein (VfSlg 18.224/2007, 18.382/2008, 19.086/2010, 19.752/2013).
Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist in einer Gesamtbetrachtung davon auszugehen, dass die Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nur geringes Gewicht haben und gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten. Die Verfügung der Rückkehrentscheidung war daher im vorliegenden Fall dringend geboten und erscheint auch nicht unverhältnismäßig. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.
Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.
3.5. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dass dies aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich sei.
Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
Nach § 50 Abs. 3 FPG ist Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
Die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat ist gegeben, da nach den die Abweisung seines Antrages auf internationalen Schutz tragenden Feststellungen der vorliegenden Entscheidung keine Gründe vorliegen, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben würde.
3.6. Zur Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise
Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG vierzehn Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit zwei Wochen bzw. vierzehn Tagen festgelegt worden.
3.7. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.
Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Nach Abs. 4 leg. cit. kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (in der Folge GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010, S. 389, (2010/C 83/02) entgegenstehen.
Gemäß Art. 47 Abs. 1 GRC hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Zufolge des Abs. 2 leg. cit. hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Jede Person kann sich beraten, verteidigen und vertreten lassen.
Nach Art. 52 Abs. 1 GRC muss jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.
Zur Frage der Verhandlungspflicht brachte der Verfassungsgerichtshof etwa in seinem Erkenntnis vom 14.03.2012, U 466/11, ua. zum Ausdruck, er hege vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Europäischen Gerichthofs für Menschenrechte (EGMR) zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung weder Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des § 41 Abs. 7 AsylG, noch könne er finden, dass der Asylgerichtshof der Bestimmung durch das Absehen von der Verhandlung einen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt habe. Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung in Fällen, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergebe, dass das Vorbringen tatsachenwidrig sei, stehe im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC, wenn zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden habe, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt worden sei.
Übertragen auf den vorliegenden Beschwerdefall erfordert ein Unterbleiben einer Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht somit, dass aus dem Akteninhalt der belangten Behörde die Grundlage des bekämpften Bescheides unzweifelhaft nachvollziehbar ist.
Der VwGH hat zur Frage der Verhandlungspflicht mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 ausgesprochen, dass sich die bisher zu § 67d AVG ergangene Rechtsprechung auf das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten weitgehend übertragen lässt. Für den Anwendungsbereich der vom BFA-VG 2014 erfassten Verfahren ist primär § 21 Abs. 1 und subsidiär § 24 Abs. 4 VwGVG als maßgeblich heranzuziehen. Für die Auslegung der Wendung in § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014, „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“, sind nunmehr folgende Kriterien beachtlich: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungs-behörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalte behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG 2014 festgelegte Neuerungsverbot verstößt.
Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren mit konkreter Befragung des Beschwerdeführers durch die belangte Behörde vorangegangen. Es wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. Der Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüberhinausgehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.
Mit der Beschwerde wurde auf der Sachverhaltsebene nichts Entscheidungsrelevantes mehr vorgebracht. Die unsubstantiierten Behauptungen sind zusammengefasst nicht geeignet, erheblich erscheinende neue Tatsachen oder Beweise darzustellen und eine Verhandlungspflicht auszulösen. Da darüber hinaus jedenfalls eine innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative gegeben ist, konnte auch unter diesem Gesichtspunkt von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.
In der Beschwerde wurden keine weiteren Integrationsaspekte dargetan, sodass auch insofern keine Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung bestand (vgl. in diesem Zusammenhang zur Nichtverletzung der Verhandlungspflicht VwGH vom 20.10.2016, Ra 2016/21/0277).
Dem Bundesverwaltungsgericht liegt sohin kein Beschwerdevorbringen vor, das mit dem Beschwerdeführer mündlich zu erörtern gewesen wäre.
Der Sachverhalt erscheint aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt, weshalb eine mündliche Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben konnte.
Zu Spruchteil B)
Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. dazu die zu Spruchpunkt A zitierte Rechtsprechung), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist – soweit diese nicht unvertretbar ist – nicht revisibel (z.B. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0002, mwN).). Auch bei Gefahrenprognosen im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (z.B. 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 12.10.2016, Ra 2016/18/0039).
4. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.