JudikaturVfGH

G5/76 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
16. Oktober 1976

Den Anträgen des VwGH "1. den § 13 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes (VwGG) 1965 (Anlage zur Kundmachung der Bundesregierung vom 17. November 1964 über die Wiederverlautbarung des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1952, BGBl. Nr. 2/1965) zur Gänze, in eventu 2. die Bestimmung der Z 3 des § 13 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1965 und die im Eingang des § 13 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1965 enthaltenen Worte ' der Vorsitzende oder ', in eventu 3. die Bestimmung der Z 3 des § 13 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1965, in eventu 4. die im Eingang des § 13 Verwaltungsgerichtshofgesetz 1965 enthaltenen Worte 'der Vorsitzende oder ' als verfassungswidrig aufzuheben" wird keine Folge gegeben.

Gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 135, Art. 135 B-VG} erkennt der VwGH in Senaten; die Senate sind von der Vollversammlung aus den Mitgliedern des Gerichtshofes zu bilden ( Abs. 1) , die Geschäfte durch die Vollversammlung auf die Senate für die durch Bundesgesetz bestimmte Zeit im voraus zu verteilen (Abs. 2 . In diesem verfassungsgesetzlichen Rahmen ist der einfache Bundesgesetzgeber ({Bundes-Verfassungsgesetz Art 136, Art. 136 B-VG}) in der Bildung der Senate frei: Ihm obliegt es, durch Bundesgesetz zu bestimmen, aus wievielen Mitgliedern die Senate zu bestehen und in welcher Zusammensetzung sie zu entscheiden haben. Diese Regelung traf der Bundesgesetzgeber insbesondere in den §§ 11 bis 13 VwGG 1965.

Die Senate bestehen in der Regel aus fünf Mitgliedern, von denen eines den Vorsitz führt und ein anderes den Bericht erstattet ( Fünfersenat) : sie entscheiden in den einzelnen Rechtssachen, die ihnen nach der Geschäftsverteilung zufallen (§ 11 Abs. 1 VwGG 1965) . Für bestimmte Entscheidungen verringert sich die Anzahl der Senatsmitglieder auf den Vorsitzenden, den Berichter und das rangälteste der übrigen Mitglieder (Dreiersenat) , sofern nicht eines dieser Mitglieder die Fortsetzung der Beratung im Fünfersenat verlangt (§ 12 Abs. 1 und 3 VwGG 1965) . In den Fällen des § 13 VwGG 1965 ist der Fünfersenat durch vier weitere Mitglieder zu verstärken (verstärkter Senat) , wobei die zur Verstärkung des Senates heranzuziehenden Mitglieder des Fünfersenates vor Ablauf jeden Jahres für die Dauer des nächsten Jahres, unter bestimmten Voraussetzungen auch für den Rest des Jahres, von der Vollversammlung zu bestimmen sind (§ 11 Abs. 3 und 5 VwGG 1965) .

Die durch die Vollversammlung im voraus vorzunehmende Verteilung der Geschäfte unter die Senate gilt für die Senate als solche, sie ist unabhängig davon, ob ein Senat in den ihm nach der Geschäftsverteilung zufallenden einzelnen Rechtssachen als Dreiersenat, Fünfersenat oder verstärkter Senat entscheidet. Nach dieser Konstruktion wird also die Identität des Senates durch den Umstand, daß er eine Rechtssache in verschiedener Mitgliederzahl behandelt, nicht verändert. Das Gesetz bringt dies auch im sonstigen Wortlaut zum Ausdruck: die Senate bestehen in der Regel aus fünf Mitgliedern (§ 11 Abs. 1) , die Dreiersenate bestehen nur aus dem Vorsitzenden, dem Berichter und dem rangältesten der übrigen Mitglieder (§ 12) , der Fünfersenat ist durch vier weitere Mitglieder zu verstärken (§ 13) .

Die Bildung eines verstärkten Senates in der Form der Verstärkung des Fünfersenates ist kraft § 13 VwGG 1965 daran geknüpft, daß "der Vorsitzende oder zwei Mitglieder der Ansicht sind" , es läge eine der in den Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen vor. Damit ist nicht, wie der VwGH ausführt, die verfassungsgesetzlich dem Zusammenwirken von Gesetz und Geschäftsverteilung vorbehaltene Bestimmung der Zuständigkeit eines richterlichen Kollegialorgans im Einzelfall an ein der Vollziehung zuzuordnendes Organ der Gerichtsbarkeit delegiert; das Gesetz knüpft vielmehr die Veränderung der Zusammensetzung des zuständigen Senats, nämlich die Verstärkung der Mitgliederzahl, an tatbestandsmäßige Voraussetzungen, die es selbst umschreibt, und zwar daran, daß die zu treffende Entscheidung in dem im § 13 Z 1 und 2 bezeichneten Verhältnis zur bisherigen Rechtsprechung stehe oder die im § 13 Z 3 genannte Bedeutung genieße, regelt also diese Frage selbst: Die Vorschrift des § 13 Z. 3 VwGG 1965, auf deren Anwendung die den Antrag des VwGH auslösenden Anlaßfälle beruhen, ordnet eine Senatsverstärkung an, wenn die zu lösende Rechtsfrage von "grundsätzlicher" , demnach von einer über den zur Entscheidung stehenden Fall hinausreichenden Bedeutung ist.

Nach Auffassung des VfGH kommt diesem Ausdruck ein zureichend bestimmter und damit der Vollziehung fähiger Begriffsinhalt zu. Die - solcherart an das Gesetz gebundene - Entscheidung darüber, ob die Voraussetzungen einer Senatsverstärkung vorliegen, überträgt das VwGG 1965 dem Senatsvorsitzenden oder zwei anderen Senatsmitgliedern: Es gibt keine Verfassungsnorm, die es verbieten würde, diesen Erkenntnisakt einer Senatsminderheit zu überlassen. Das VwGG 1965 gestaltet die besagte Entscheidung (des Senatsvorsitzenden oder zweier anderer Senatsmitglieder) in der Weise, daß die Erklärung dieser Organe über das Vorliegen der im Gesetz umschriebenen Verstärkungsvoraussetzungen - als Ergebnis pflichtgemäßer richterlicher Urteilsbildung - den Eintritt der Verstärkung bewirkt.

Da die Vollversammlung des VwGH vor Ablauf jedes Jahres für die Dauer des nächsten Jahres die Mitglieder des Fünfersenates, die zur Verstärkung eines Senats heranzuziehenden Mitglieder und die Ersatzmitglieder sowie die Reihenfolge, in der sie eintreten, einzuteilen hat (§ 11 Abs. 3 und 5 VwGG 1965) , ist im Zusammenhalt mit § 13 VwGG 1965 in einer für jedermann erkennbaren Weise vorausbestimmt, wie der einfache und wie der verstärkte Senat zusammengesetzt sind, wobei - wie dargetan - das VwGG 1965 selbst regelt, in welchen Fällen ein neungliedriger (verstärkter) Senat gebildet werden muß, so daß diese Regelung nicht gegen den hier in Verbindung mit Art. 135 und 136 B-VG zu lesenden {Bundes-Verfassungsgesetz Art 83, Art. 83 Abs. 2 B-VG} verstößt.

Für die Einräumung von (Minderheits -) Rechten, wie sie § 13 VwGG 1965 vorsieht, ist als verfassungsgesetzliche Schranke das aus dem Gleichheitsgrundsatz ableitbare Gebot zu beachten, daß das Gesetz innerhalb eines und desselben Rechtsinstituts keine Differenzierungen enthalten darf, die nicht aus entsprechenden Unterschieden im Tatsächlichen gerechtfertigt werden können (vgl. z. B. Erk. Slg. 7059/1973 und die dort angeführte Vorjudikatur) . Es kann nicht als unsachlich angesehen werden, wenn die richterliche Entscheidung über das Vorliegen der Bedingungen für eine Senatsverstärkung nach § 13 Z 1 bis 3 VwGG 1965 nicht nach den die Willensbildung im Senat regelnden Vorschriften des § 15 VwGG 1965 - als Mehrheitsbeschluß - zu ergehen hat, sondern - abweichend davon - im Interesse der Gleichmäßigkeit der Rechtsprechung einer Senatsminderheit übertragen ist. Unter diesem Gesichtspunkt ist es aber ebensowenig unsachlich, der entsprechenden Entscheidung des Senatsvorsitzenden, mit Rücksicht auf den prozessualen Aufgabenkreis dieses Organwalters, besondere Bedeutung beizumessen.

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