G28/64 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
§ 99 Abs. 1 des Gesetzes vom 15. Dezember 1949, Burgenländisches Landesgesetzblatt Nr. 2/1951, betreffend das Jagdrecht im Burgenland (Jagdgesetz) , wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
§ 99 Abs. 1 JagdG, LGBl. Nr. 2/1951, ist nicht verfassungswidrig.
Ansprüche und Verpflichtungen auf Ersatz des Wildschadens nach dem Bgld. JagdG fallen unter den Begriff "zivile Rechte" i. S. des Art. 6 Abs. 1 MRK. Die zur Entscheidung über Ansprüche auf Ersatz von Wildschäden nach dem Bgld. JagdG berufenen Schiedsgerichte sind keine Behörden i. S. des {Europäische Menschenrechtskonvention Art 6, Art. 6 Abs. 1 MRK}.
Kraft Art. II des Bundesverfassungsgesetzes vom 4. März 1964, BGBl. Nr. 59, mit dem Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes i. d. F. von 1929 über Staatsverträge abgeändert und ergänzt werden, hat die Konvention Verfassungsrang, und zwar - wie sich aus dem einleitenden Satz des genannten Art. II eindeutig ergibt - schon seit ihrer Zugehörigkeit zur österreichischen Rechtsordnung (3. September 1958 und nicht erst seit der Kundmachung des Bundesverfassungsgesetzes, BGBl. Nr. 59/1964, am 6. April 1964.
Der VfGH hat zur Klärung von Zweifelsfragen bei seiner Entscheidung von den authentischen Texten der MRK, also von den in französischer und englischer Sprache im Bundesgesetzblatt kundgemachten Texten auszugehen.
Der VfGH hat in seiner früheren Rechtsprechung - Erk. Slg. 3767/1960, 4122/1961 - ausgeführt, Art. 6 der Konvention enthalte nur programmatische Grundsätze. Diese Feststellung ist getroffen worden, obwohl der erste Satz im Artikel 6 Abs. 1 (in der weiteren Ausführung kurz bezeichnet "Art. 6/1/1") , als eine den Gesetzgeber bindende Anordnung formuliert ist, vergleichbar etwa dem {Bundes-Verfassungsgesetz Art 83, Art. 83 Abs. 2 B-VG}. Die Konvention mußte nämlich damals als auf einfacher Gesetzesstufe stehend angesehen werden. Nun können aber einfache Gesetze und auf dieser Normenstufe stehende Staatsverträge so formuliert sein, daß sie gleichrangigen bestehenden Normen nicht derogieren, daß jedoch ihrer imperativen Formulierung gemäß bestehende Normen durch besondere weitere Normensetzungsakte zu verändern sind und zukünftigen Normen ein gewisser Inhalt zu geben ist. Solche Gesetze (Staatsverträge) können dem einfachen Gesetzgeber gegenüber keine Verbindlichkeit erzeugen. Sie können also nur als ein Programm des einfachen Gesetzgebers qualifiziert werden.
Solche imperativ formulierte, in einfachen Gesetzen enthaltene Programme werden jedoch zu den einfachen Gesetzgeber verpflichtenden Befehlen, wenn sie Verfassungsrang erhalten oder wenn ein solcher Rang nachträglich als gegeben festgestellt wird. Die im Art. 6/1/1 zum Ausdruck kommende Anordnung, daß die Rechtsordnung dem Art. 6/1/1 entsprechend zu gestalten ist, die, wie ausgeführt, nur als Programm qualifiziert werden konnte, solange die Konvention als auf einfacher Gesetzesstufe stehend anzusehen war, ist demnach nunmehr im Hinblick auf das zitierte B-VG, BGBl. Nr. 59/1964, ein den Gesetzgeber unmittelbar bindender Verfassungsbefehl. Dies hat auch zur Folge, daß ein auf die Worte "everyone is entitled" und "toute personne a droit" geknüpfter Anspruch aus dem Art. 6/1/1 nicht abgeleitet werden konnte, solange der Stelle der Konvention nur Programmcharakter beizumessen war, daß aber ein solcher Anspruch nunmehr als auf Grund einer Verfassungsvorschrift bestehend anzusehen ist, vergleichbar etwa dem Anspruch auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß {Bundes-Verfassungsgesetz Art 83, Art. 83 Abs. 2 B-VG}.
Als Zivile Rechte ("his civil rights and obligations" und "ses droits et obligations de caractere civil") sind nicht nur solche anzusehen, die nach der nationalen Rechtsordnung den Gerichten zugewiesen sind.
Ansprüche und Verpflichtungen, deren Geltendmachung eine bürgerliche Rechtssache ist, fallen jedenfalls unter den Begriff "zivile Rechte" i. S. des Art. 6/1/1. Es ist nämlich zwar möglich, daß neben den bürgerlichen Rechtssachen auch andere Sachen unter den Begriff "zivile Rechte" i. S. des Art. 6/1/1 fallen. Es ist aber die Vorstellung unmöglich, daß keineswegs die bürgerlichen Rechtssachen, wohl aber andere Sachen unter den Begriff "zivile Rechte" i. S. des Art. 6/1/1 fallen. Würde man die bürgerlichen Rechtssachen vom Begriff ausschließen, so bliebe ihm kein Inhalt mehr.
Der Anspruch nach Art. 6/1/1 besteht unter anderem darin, daß die Entscheidung (vgl. insbesondere "In the determination of his civil rights and obligations") über "zivile Rechte" i. S. des Art. 6/1/1 durch Behörden getroffen wird, die mit den Worten "independent and impartial tribunal established by law" und "tribunal independant et impartial, etabli par la loi" bezeichnet sind. Der VfGH ist der Meinung, daß Art. 6/1/1 eine unmittelbare Entscheidung über solche Ansprüche durch Gerichte nicht fordert, so daß der Konvention entsprochen ist, wenn nur letzten Endes Gerichte zur Entscheidung berufen sind. Die Nachprüfung genügt also.
Der VfGH und der VwGH sind Gerichte, wie sie Art. 6 der Konvention beschreibt. Jeder der beiden ist ein "tribunal independent et impartial, etabli par la loi" . In der nur kassatorischen Tätigkeit der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts liegt keine Schwierigkeit im Hinblick auf Art. 6/1/1, da die Verwaltungsbehörden vom Gesetz verhalten sind, unverzüglich mit den ihnen zur Verfügung stehenden rechtlichen Mitteln den der Rechtsanschauung des Gerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Die Erfüllung dieser Verpflichtung kann gerichtlich erzwungen werden. Der VfGH ist, wenngleich er auf die Abhilfe gegen die Verletzung verfassungsgesetzlich geschützter Rechte beschränkt ist, in der Sachverhaltsprüfung überhaupt nicht beschränkt. Schon bisher war der VwGH in der Lage und verpflichtet, Sachverhaltsmängel in den allermeisten Fällen als Verfahrensmängel zu beseitigen. Der im Art. 6/1/1 enthaltene verfassungsrechtliche Befehl, gemäß dem die Entscheidung bei einem Gericht liegen muß, gebietet aber nunmehr darüber hinaus u. a. auch, die §§ 41 und 42 VwGG dementsprechend auszulegen und zu handhaben; die Regelung ist einer solchen Auslegung und Handhabung zugänglich. Dies gilt in sinngemäß gleicher Weise auch hinsichtlich der Beachtung der im Art. 6/1/1 liegenden Verfassungsvorschrift betreffend den Anspruch auf Gehör ("a fair and public hearing within a reasonable time") bei der Handhabung der einschlägigen Stellen des VwGG. Im Hinblick auf die Art und die Wirkung dieser so eingerichteten nachprüfenden Kontrolle der Tätigkeit der Verwaltung "by an independent and impartial tribunal established by law" erscheint dem Art. 6/1/1 auch dann Genüge getan, wenn die Entscheidung über "zivile Rechte" i. S. des Art. 6/1/1 primär Verwaltungsbehörden übertragen ist.
Wildschadenersatzansprüche sind nach österreichischem Recht ({Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch § 1338, § 1338 ABGB}) als bürgerliche Rechtssachen geltend zu machen. Daß {Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch § 383, § 383 ABGB} hinsichtlich des Wildschadens auf die politischen Gesetze verweist, besagt dagegen nichts. Möge auch die Verpflichtung zum Schadenersatz und sein Umfang in den Jagdgesetzen geregelt sein, so ändert das nichts daran, daß diese Ansprüche Schadenersatzansprüche - also bürgerliche Rechtssachen - bleiben. In verschiedenen Jagdgesetzen ist ausdrücklich ausgesprochen, daß solche Ansprüche vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen sind (vgl. § 52 Abs. 2 des Tiroler Jagdgesetzes) .
Es können einfache Gesetze und auf dieser Normenstufe stehende Staatsverträge so formuliert sein, daß sie zwar gleichrangigen bestehenden Normen nicht derogieren, daß jedoch ihrer imperativen Formulierung gemäß bestehende Normen durch besondere weitere Normensetzungsakte zu verändern sind und zukünftigen Normen ein gewisser Inhalt zu geben ist. Solche Gesetze (Staatsverträge) können dem einfachen Gesetzgeber gegenüber keine Verbindlichkeit erzeugen. Sie können also nur als ein Programm des einfachen Gesetzgebers qualifiziert werden. Solche imperativ formulierte, in einfachen Gesetzen enthaltene Programme werden jedoch zu den einfachen Gesetzgeber verpflichtenden Befehlen, wenn sie Verfassungsrang erhalten oder wenn ein solcher Rang nachträglich als gegeben festgestellt wird.