JudikaturOLG Wien

30Bs255/25g – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
09. September 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Hahn als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Dr. Steindl und Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen § 205 Abs 1 StGB über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 28. August 2025, GZ ** 81, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Die über A* verhängte Untersuchungshaft wird aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO fortgesetzt.

Text

Begründung:

Über den am ** geborenen A* wurde nach seiner Festnahme am 13. Mai 2025, 3.25 Uhr (ON 8.4, 5), – dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprechend (ON 1.3) – mit Beschluss vom 14. Mai 2025 wegen des dringenden Tatverdachts des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a StPO mit Wirksamkeit 28. Mai 2025 verhängt (ON 14, 3; ON 15), die mit Beschlüssen vom 27. Mai 2025 (ON 25), 27. Juni 2025 (ON 45) und 9. Juli 2025 (ON 58; bestätigt mit Entscheidung des Oberlandesgerichts Wien vom 22. Juli 2025, AZ 30 Bs 201/25s, ON 63.3) - zuletzt wegen des nunmehr unter § 205 Abs 1 StGB subsumierten Tatverdachts - aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 3 lit a StPO fortgesetzt wurde.

Mit Schriftsatz vom 20. August 2025 beantragte der (nunmehr) Angeklagte seine Enthaftung (ON 75.2).

Am 21. August 2025 brachte die Staatsanwaltschaft ihre Anklageschrift ein (ON 1.77; ON 76).

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss setzte das Erstgericht die Untersuchungshaft nach Durchführung einer Haftverhandlung wegen des dringenden Verdachts des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigen Person nach § 205 Abs 1 StGB aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO) fort.

Dagegen richtet sich die rechtzeitig erhobene Beschwerde des A* (ON 83.2), in der das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts, des angezogenen Haftgrunds sowie der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung unter Abstandnahme von der Anwendung gelinderer Mittel in Abrede gestellt und die Enthaftung des Angeklagten begehrt wird.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.

Die Untersuchungshaft darf nur verhängt oder fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigt einer bestimmten Tat dringend verdächtig ist, sohin mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter ist. Ein solcher Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. Dringender Tatverdacht ist mehr als eine bloße Vermutung und mehr als ein einfacher oder gewöhnlicher Verdacht ( Kirchbacher/Rami , WKStPO § 173 Rz 3).

Das Beschwerdegericht geht im Rahmen seiner reformatorischen Entscheidung vom Vorliegen des der Anklageschrift zugrunde gelegten dringenden Tatverdachts aus, A* habe am 13. Mai 2025 in ** die aufgrund vorangegangenen Alkohol- und Drogenkonsums wehrlose B* unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er mit ihr den Beischlaf vornahm, indem er sie vaginal penetrierte.

In subjektiver Hinsicht ist Genannter dringend verdächtig, es in Kenntnis der einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung geschuldeten Wehrlosigkeit der Minderjährigen und deren Unfähigkeit, die Bedeutung der geschlechtlichen Handlung einzusehen oder dieser Einsicht nach zu handeln, zumindest ernsthaft für möglich gehalten und sich damit abgefunden zu haben, sein Opfer unter Ausnützung dieses Zustands dadurch zu missbrauchen, indem er den Vaginalverkehr an ihm vollzog.

Die verdichtete Verdachtslage folgt in objektiver Hinsicht aus den Berichten der Landespolizeidirektion **, GZ **, insbesondere dem Anlass- und Abschlussbericht ON 4.2 bzw ON 33, den belastenden Angaben der B* (ON 4.11; ON 33.2, 4), den dokumentierten Verletzungen (ON 4.13), dem chemisch-toxikologischen Befund des Dr. C*, MScTox (ON 47.2) und den konkreten Tatumständen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die bereits in der Entscheidung des Beschwerdegerichts vom 22. Juli 2025, AZ 30 Bs 201/25s, angestellten Erwägungen – auch in Bezug auf die subjektive Tatseite - verwiesen (ON 63.3, 3 ff).

Wie die Sachverständige Dr. D* in ihrem zwischenzeitig erstatteten Gutachten vom 9. August 2025 darlegte, handle es sich bei der beim mutmaßlichen Opfer am Ende des Vorfallzeitraums festgestellten Alkoholisierung mit 2,53 2,81 Promille um eine solche, bei der vom Vorliegen einer schweren Bewusstseinsstörung, von erheblichen Erinnerungslücken sowie massiven Einschränkungen der Urteilsbildung, Affektkontrolle und Einsichtsfähigkeit auszugehen sei. Aus forensisch psychiatrischer Sicht sei eine erhebliche Minderung der Wehrfähigkeit sehr, deren Ausschluss wahrscheinlich (ON 68.2, 23 f). Anlässlich der Befragung durch die Expertin hielt B* ihre belastenden Angaben in Bezug auf einen ihr nur bruchstückhaft erinnerlichen erzwungenen Vaginal- und Oralverkehr aufrecht. Sie sei – wie auch von der Zeugin E* bestätigt (ON 4.9, 5 „Diesmal war es ganz anders. Sie wirkte müde, traurig und sediert“) – am Tatabend heftiger und schneller betrunken gewesen, als sie es von vormaligen Konsumationen alkoholischer Getränke gewohnt gewesen sei. Schlussendlich sei sie orientierungslos gewesen und habe sie den Weg zu ihren Freundinnen nicht mehr zurück gefunden. Sie habe die vom Angeklagten wiederholt gestellte Frage, ob sie Sex haben wolle, jedes Mal verneint (ON 68.2, 14 f).

Indem der Beschwerdeführer vermeint, dass die von der Sachverständigen angenommene rein theoretische Wahrscheinlichkeit einer Aufhebung der Wehrfähigkeit der B* für das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts nicht ausreiche, übergeht er die unverändert vorliegenden belastenden Angaben des mutmaßlichen Opfers, das sich – die Annahme eines Zustands der Wehrlosigkeit bekräftigend – zwar nur bruchstückhaft an die Geschehnisse erinnern konnte, einen – mit dem Zustands- und Verletzungsbild des mutmaßlichen Opfers nach dessen Auffindung durch die Polizei (Lichtbilder ON 4.13) auch nicht in Einklang zu bringenden – freiwilligen Sexualkontakt mit dem Angeklagten dezidiert ausschloss. Anhaltspunkte für eine Falschbezichtigung der Zeugin, bei der eine Anpassungsstörung (F 43.2) mit Resten einer traumaassoziierten Symptomatik diagnostiziert wurde (ON 68.2, 21), brachte das Beweisverfahren nicht hervor.

Vor dem Hintergrund der dargestellten, gravierenden Belastungsmomente ist die erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit der Verwirklichung des angeklagten Sachverhalts durch den Beschwerdeführer zu bejahen.

Auch zeigt die Beschwerde keine Umstände auf, aufgrund derer das Vorliegen des Haftgrunds der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO in Zweifel zu ziehen wäre. Mit Blick auf die – abgesehen vom Zeitablauf – unveränderten Verhältnisse haben die diesbezüglichen Ausführungen des Beschwerdegerichts in seiner zuvor zitierten Entscheidung Bestand, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird (ON 63.3, 5 f). Mag sich der erstmals das Haftübel verspürende Angeklagte auch nunmehr fast vier Monate in Haft befinden, kann in Anbetracht der Schwere des Tatvorwurfs und der sich aus der Täterpersönlichkeit und den Tatumständen erschließenden jederzeitigen Gefahr der Begehung eines vergleichbaren Verbrechens nicht davon ausgegangen werden, dass die bisherige Anhaltung in Untersuchungshaft eine ausreichende abschreckende Wirkung entfaltet. Zudem stellt die Untersuchungshaft aus diesem Haftgrund ihrem Wesen nach eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit vor weiteren erheblichen Straftaten (besonders) gefährlicher Straftäter dar ( Fuchs/Ratz , aaO § 173 Rz 38).

Der vorliegende Haftgrund ist als derart gewichtig anzusehen, dass er durch gelindere Mittel des § 173 Abs 5 StPO nicht wirksam substituiert werden kann.

Die bisherige Dauer der Untersuchungshaft steht weder zur Bedeutung des dem Angeklagten angelasteten Verbrechens noch der im Fall eines Schuldspruchs angesichts des relevanten Strafrahmens von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe zu erwartenden Sanktion außer Verhältnis.

Die Durchführung der Hauptverhandlung wurde im Übrigen von der zuständigen Vorsitzenden bereits für den 25. September 2025 avisiert (ON 80, 2).

In Ansehung der vorliegenden Anklageschrift entfällt eine Haftfrist (§ 175 Abs 5 erster Satz StPO).

Gegen die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).