30Bs201/25s – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Edwards als Vorsitzende sowie die Richt-erinnen Dr. Steindl und Mag. Pasching als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen § 205 Abs 1 StGB über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. Juli 2025, GZ **-58, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Die über A* verhängte Untersuchungshaft wird aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 3 lit a StPO fortgesetzt.
Die Haftfrist endet am 22. September 2025.
Text
Begründung:
Über den am ** geborenen marokkanischen Staatsangehörigen A* wurde nach seiner Festnahme am 13. Mai 2025, 3.25 Uhr (ON 8.4,5) dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprechend (ON 1.3)mit Beschluss vom 14. Mai 2025 wegen des dringenden Tatverdachts des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und 3 lit a StPO mit Wirksamkeit 28. Mai 2025 verhängt (ON 14,3; ON 15), die nach Durchführung einer Haftprüfungsverhandlung am 27. Mai 2025 und mit Beschluss vom 27.Juni 2025 aus denselben Haftgründen fortgesetzt wurde (ON 25; ON 45).
Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2025 beantragte der Beschuldigte seine Enthaftung (ON 53.2).
Nach Durchführung einer Haftverhandlung am 9. Juli 2025 setzte das Erstgericht die Untersuchungshaft wegen des dringenden Verdachts des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB aus dem Haftgrund der Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO) fort (ON 57; ON 58).
Dagegen richtet sich die unmittelbar nach der Verkündung erhobene (ON 57,3) zu ON 59.2 ausgeführte Beschwerde des Beschuldigten, in der das Vorliegen eines dringenden Tatverdachts, des angezogenen Haftgrunds sowie die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Abrede gestellt und die Enthaftung des Beschuldigten – allenfalls unter Anwendung gelinderer Mittel - begehrt wird.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschwerde kommt keine Berechtigung zu.
Die Untersuchungshaft darf nur verhängt oder fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte einer bestimmten Tat dringend verdächtig ist, sohin mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter ist. Ein solcher Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. Dringender Tatverdacht ist mehr als eine bloße Vermutung und mehr als ein einfacher oder gewöhnlicher Verdacht ( Kirchbacher/Rami in Fuchs/RatzWK StPO § 173 Rz 3).
Das Beschwerdegericht geht im Rahmen seiner reformatorischen Entscheidung vom Vorliegen des dem angefochtenen Beschluss zugrunde gelegten dringenden Tatverdacht aus, A* habe am 13. Mai 2025 in B* C*, die aufgrund vorangegangenen Alkohol- und Drogenkonsums stark beeinträchtigt war, sohin eine wehrlose Person, unter Ausnützung dieses Zustandes dadurch missbraucht, dass er mit ihr den Beischlaf vornahm.
In subjektiver Hinsicht ist A* dringend verdächtig, es zumindest ernsthaft für möglich gehalten und sich damit abgefunden zu haben, die aufgrund des Konsums berauschender Substanzen in einem wehrlosen Zustand befindliche C* unter Ausnützung dieses Zustands dadurch zu missbrauchen, indem er sie vaginal penetrierte.
Die verdichtete Verdachtslage folgt in objektiver Hinsicht aus den Berichten der Landespolizeidirektion B*, GZ **, (insbesondere dem Anlass- und Abschlussbericht ON 4.2, ON 33), denen zufolge das mutmaßliche Opfer, nachdem es über Stunden mit Unterstützung der Exekutive erfolglos von dessen Freund und Freundinnen gesucht worden war (ON 4.2; Zeugenaussagen D* ON 33.3; E* ON 4.9; F* ON 4.10), in den frühen Morgenstunden des 13. Mai 2025 zitternd und weinend von Polizeibeamten in der Nähe einer Grünanlage in ** B* in Gegenwart des Beschuldigten angetroffen wurde. Die Minderjährige gab an, von ihrem Begleiter, der sich am Abend zuvor zum Feiern in einer Parkanlage und Lokalen zu ihr und ihren Freundinnen gesellt hatte, vergewaltigt worden zu sein (ON 4.11). Das mutmaßliche Opfer, das keine genauen Erinnerungen an die Geschehnisse hatte, wies Verletzungen am Körper (Kratzer, Blutungen am Knie und den Gesichtspiercings) auf und verspürte unmittelbar nach dem Vorfall Schmerzen im Genital- und Kieferbereich (ON 4.2; ON 33.2; Lichtbilder ON 33.4). Nach dem Gutachten über spurenkundliche Untersuchungen (ON 35.2) fanden sich im Genitalbereich und im Schrittbereich der vom mutmaßlichen Opfer getragenen Jogginghose Spuren von Spermien des Beschuldigten. Der chemisch-toxikologische Befund der C* knapp drei Stunden nach dem Vorfallszeitraum entnommenen Blut- und Urinprobe belegt die Aufnahme von erheblichen Mengen Alkohol (2,5 bis 2,8 Promille), des berauschenden Mittels THC sowie der (mit hoher Wahrscheinlichkeit vor der Blutabnahme im Krankenhaus verabreichten ON 49.2) Medikamentenwirkstoffe Diazepam, Diphenhydramin und Lidocain (Gutachten des Sachverständigen Mag. G* ON 47.2).
Das zur Klärung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 205 StGB aus medizinischer Sicht in Auftrag gegebene Gutachten (ON 51) ist noch ausständig.
Den dringenden Tatverdacht in Bezug auf die subjektive Tatseite erschloss die Erstrichterin zutreffend aus dem äußeren Geschehen. Die Verantwortung des Beschuldigten, die Wehrlosigkeit des 16-jährigen Mädchens wegen seiner eigenen starken Alkoholisierung nicht wahrgenommen zu haben, ist nicht geeignet die Dringlichkeit des Tatverdachts zu entkräften. Nicht nur, dass seine Beeinträchtigung deutlich unter jener des mutmaßlichen Opfers lag (ON 4.2,7), gab dieses an, den vom Beschuldigten geäußerten Wunsch nach einem Sexualkontakt abgelehnt zu haben und dass er zu ihm in englischer Sprache gesagt habe, dass es „diesmal nicht weinen solle“ (ON 4.11; ON 33.2,4.)
Vor dem Hintergrund der dargestellten, gravierenden Belastungsmomente ist somit die erforderliche qualifizierte, vom Beschwerdeführer ohne näherer Ausführungen in Abrede gestellte, Verdachtslage in Richtung des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB objektiv und subjektiv gegeben.
Davon ausgehend liegt auch der vom Erstgericht angenommene Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit a StPO vor, der voraussetzt, dass Anlassund Prognosetat rechtlich als strafbare Handlungen mit schweren Folgen zu beurteilen sind. Der Begriff der schweren Folgen ist mit jenem der §§ 21 und 23 StGB ident. Er umfasst über die tatbestandsmäßigen Folgen hinaus alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Dabei sind Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch für die Gesellschaft im Ganzen der gesellschaftliche Störwert, einschließlich der Eignung umfangreicher und kostspieliger Abwehrmaßnahmen auszulösen und weitreichende Beunruhigung und Besorgnisse herbeizuführen, zu berücksichtigen (RISJustiz RS0108487). Ausgehend von dem Vorwurf, der Beschuldigte habe den durch berauschende Mittel beeinträchtigten Zustand eines minderjährigen Mädchens ausgenutzt, um – mutmaßlich ohne Verwendung eines Kondoms - seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen, ist die Tat an sich und deren Folgen als schwer zu bewerten. Aufgrund der konkreten Tatumstände besteht auch die Gefahr, dass er auf freiem Fuß erneut Sexualdelikte mit schweren Folgen begehen werde. An dieser negativen Prognose vermag der bisherige ordentliche Lebenswandel des Beschwerdeführers nicht zu ändern, verdeutlicht doch die in der angelasteten Tathandlung zum Ausdruck gebrachte Gleichgültigkeit gegenüber der sexuellen Integrität Minderjähriger das dargestellte Gefahrenpotential des A*.
Indem der Beschwerdeführer anzweifelt, dass die auf seiner Hose vorgefundenen Blutflecken vom Opfer stammen, und er auf seine starke Beeinträchtigung nach dem (unstrittigen) gemeinsamen Konsum von Alkohol verweist, zeigt er keine für die Beurteilung der Haftfrage relevanten Umstände auf.
Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht kann dem angezogenen Haftgrund im Hinblick auf sein Gewicht zu einer effektiven Hintanhaltung durch gelindere Mittel des § 173 Abs 5 StPO auch nicht zweckentsprechend begegnet werden. Selbst unter der nicht verifizierten Annahme, dass der übermäßige Alkoholkonsum des Beschuldigten die Tatbegehung begünstigt habe, lässt sich doch durch die vorgeschlagene Weisung, sich alkoholischer Getränke zu enthalten, keine verlässliche Reduktion des Risikos der Begehung neuerlicher Sexualdelikte im öffentlichen Raum bewirken. Bei einem derart gravierenden Tatvorwurf kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass das erstmalige Verspüren des Haftübels eine ausreichend abschreckende Wirkung in Bezug auf neuerliche einschlägige Delinquenz entfaltet. Eine relevante Änderung jener Verhältnisse, unter denen der Beschuldigte die angelastete Tat begangen hat, ist nach der Aktenlage nicht festzustellen.
Die bisherige Dauer der Untersuchungshaft von zwei Monaten steht weder zur Bedeutung des dem Beschuldigten angelasteten Verbrechen noch der im Fall eines Schuldspruchs angesichts des relevanten Strafrahmens von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe zu erwartenden Sanktion außer Verhältnis. Mit einer zeitnahen Anklageerhebung nach Einlangen des ausständigen Sachverständigengutachtens ist ohnehin zu rechnen.
Der Ausspruch über die Dauer der Haftfrist gründet auf § 175 Abs 2 Z 3 StPO.