JudikaturOLG Wien

17Bs209/25x – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
05. September 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Röggla als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Schneider-Reich und den Richter Ing.Mag. Kaml als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 302 Abs 1 StGB über die Beschwerde des B* (ON 392) gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 8. August 2025, GZ **-359, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und die über B* verhängte Geldstrafe von 200,-- Euro nachgesehen.

Text

Begründung:

Gegen den seit über zwei Jahren suspendierten Polizeibeamten A* liegt eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt vom 7. Februar 2025, AZ **, GZ **-82 des Landesgerichts Wiener Neustadt, wegen § 302 Abs 1 StGB (Vorwurf des Missbrauchs der Amtsgewalt in hunderten Fällen großteils im Zusammenhang mit manipulierten Organstrafverfügungen bzw deren Durchschlägen) vor.

Der Vorsitzende schrieb die Hauptverhandlung (HV) am 28. Februar 2025 beginnend mit 4. April 2025 aus (siehe ON 1.64). Diese fand am 4. April 2025 (ON 99), am 6. Mai 2025 (ON 117), am 5. Juni 2025 (ON 173), am 10. Juni 2025 (ON 186), am 30. Juni 2025 (ON 242), am 3. Juli 2025 (ON 246), am 10. Juli 2025 (ON 276), am 7. August 2025 (ON 350) und am 19. August 2025 (ON 386) statt, in welcher der Angeklagte nicht rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt wurde. Aufgrund der Verantwortung des Angeklagten und seinen Anträgen entsprechend hatte der Vorsitzende hiezu hunderte Zeugen zu laden und zu vernehmen.

Mit dem angefochtenen Beschluss wurde gemäß § 242 Abs 3 StPO über den zur HV am 7. August 2025 unentschuldigt nicht erschienenen Zeugen B*, dem die Ladung am 18. Juli 2025 persönlich zugestellt worden war, eine Geldstrafe von EUR 200,-- verhängt, weil er zur HV nicht erschienen sei und weder eine Entschuldigung für sein Fernbleiben an das Gericht übermittelt noch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Hindernis nachgewiesen habe, welches ihn von der Teilnahme an der HV abgehalten hätte.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des B* (ON 392), mit der er vorbringt, er habe am Weg zur Verhandlung eine Autopanne gehabt und diesen Umstand unmittelbar danach einem Mitarbeiter des Gerichts mitgeteilt. Dieser habe ihn informiert, dass es keiner weiteren schriftlichen Entschuldigung etc mehr bedürfe, weil aufgrund der Vielzahl an Zeugen und Terminen er zu einem neuen Termin geladen würde.

Initial ist festzuhalten, dass über die Beschwerde der Vorsitzende entscheidet, wenn er die Ordnungsstrafe nachzusehen oder zu mildern beabsichtigt; gibt er ihr nicht zur Gänze Folge, kommt es zu einer weiteren Beschwerdeentscheidung durch das Oberlandesgericht. Eine ausdrückliche Negativentscheidung des Vorsitzenden ist nicht erforderlich, vielmehr stellt er durch die Vorlage an das Beschwerdegericht ohne Vorerledigung klar, dass er die Prüfung iSd Abs 2 vorgenommen und keinen Grund für eine Nachsicht oder Milderung gesehen hat (siehe zu alldem Danek/Mann in WK-StPO § 243 Rz 1, 2 und 9 mwN).

Der Vorsitzende hielt in einem Aktenvermerk vom 21. August 2025 (ON 1.158) fest, nicht nach § 243 Abs 2 StPO vorzugehen, weil kein Kanzleivermerk über das behauptete Telefonat angefertigt worden und dem Kanzleileiter auch kein solches Telefonat bekannt sei, die behauptete Autopanne nicht bescheinigt worden sei und auch nicht erklären würde, weshalb der für 13:00 Uhr geladene Zeuge bis zum Ende der HV um 15:51 Uhr nicht habe erscheinen können, und legte die Beschwerde dem Oberlandesgericht Wien zur Entscheidung vor.

Über entsprechende Aufforderung des Beschwerdegerichts vom 25. August 2025 (ON 4 im Bs-Akt) konkretisierte B* mit Schreiben vom 3. September 2025 (ON 5 im Bs-Akt), er habe auf dem Weg zur HV in ** (Anm.: der Zeuge wohnt in ** und somit rund 70 km und eine Stunde Fahrtzeit entfernt) eine Autopanne erlitten; bis die Reparatur durchgeführt worden war, sei es ihm anschließend aufgrund des starken Verkehrs (Staus) nicht möglich gewesen, rechtzeitig bis 16:00 Uhr bei Gericht zu erscheinen. Unmittelbar nach Eintritt der Panne habe er telefonisch das Gericht verständigt, er habe mit einer Mitarbeiterin, deren Namen er leider nicht kenne, gesprochen, und sie habe ihm gesagt, dass seine Entschuldigung aufgrund der Vielzahl von geladenen Zeugen (über 600) vermerkt werde und er keine weiteren Schritte unternehmen müsse. Zum Nachweis legte er eine Bestätigung der Werkstatt C* GmbH sowie einen Auszug seiner Anrufliste am Handy vor.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschwerde kommt Berechtigung zu.

Wenn Zeugen oder Sachverständige ungeachtet der an sie ergangenen Vorladung bei der HV nicht erscheinen, hat der Vorsitzende über den Ausgebliebenen (zwingend) mit Beschluss eine Geldstrafe bis zu 1.000,-- Euro zu verhängen.

Gemäß § 243 Abs 2 StPO hat der Vorsitzende die verhängte Strafe nachzusehen, wenn der Zeuge oder Sachverständige bescheinigt, dass ihm die Ladung zur HV nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist oder, dass ihn ein unvorhergesehenes und unabwendbares Hindernis von der Teilnahme an der HV abgehalten hat. Der Vorsitzende kann auch eine Milderung aussprechen, wenn die Bescheinigung erbracht wird, dass die Strafe oder der Kostenersatz zur Schuld oder den Folgen des Ausbleibens unverhältnismäßig wäre. Wird der Beschwerde nicht durch eine in Abs 2 leg cit erwähnte Maßnahme zur Gänze entsprochen, so hat sie der Vorsitzende – wie oben dargetan - dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorzulegen (Abs 3 leg cit).

Vorführung wie auch Ordnungsstrafe bedingen zunächst

die vorangegangene Zustellung der Ladung zu eigenen Han-den (-die hier unstrittig gegeben ist-) und Ungehorsam des Ausgebliebenen (Danek/Mann, aaO Rz 3 f). Ein Nachsichtsgrund ist dann gegeben, wenn zwar die Ladung ordnungsgemäß erfolgt ist, der Zeuge aber durch ein unvorhergesehenes und unabwendbares Hindernis von der Teilnahme an der HV abgehalten war. Beide Kriterien müssen kumulativ vorliegen. Unvorhersehbarkeit bedeutet, dass das Hindernis für den Zeugen aus dessen subjektiver Perspektive nicht zu erwarten war. Unabwendbarkeit liegt vor, wenn sich ein Ereignis aus den objektiven Verhältnissen auch für eine normative Vergleichsfigur nicht verhindern lässt. Unvorhergesehen und unabwendbar sind somit beispielsweise eine Erkrankung oder ein Verkehrsunfall (Danek/Mann, aao Rz 4).

Ausgehend von diesen Kriterien liegt ein derartiger Grund für eine Nachsicht vor, hat der Zeuge doch nachgewiesen, aufgrund einer Autopanne und Verkehrslage an einem rechtzeitigen Erscheinen bei Gericht zur Zeugenvernehmung gehindert gewesen zu sein, und auch glaubhaft, lebensnah und nachvollziehbar dargelegt, diesen Umstand auch sofort einer Mitarbeiterin des Landesgerichts Wiener Neustadt mitgeteilt und von dieser die Auskunft bekommen zu haben, dass keine weiteren Schritte mehr nötig seien.

Da somit ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis in der Sphäre des C* vorlag, war in Stattgebung der Beschwerde der angefochtenen Beschluss aufzuheben und die vom Erstgericht über C* gemäß § 242 Abs 3 StPO verhängten Geldstrafe von EUR 200,-- nachzusehen.

Gegen diesen Beschluss steht ein weiterer Rechtszug nicht zu.