20Bs209/25v – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Richterin Mag. Neubauer als Vorsitzende sowie die Richterin Mag. Maruna und den Richter Mag. Gruber als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A*wegen Widerrufs der bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe nach § 53 Abs 2 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 8. Juli 2025, GZ **-23, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung:
Mit dem angefochtenen Beschluss widerrief das gemäß § 179 StVG zuständig gewordene Erstgericht (ON 1.5) die mit Beschluss des Landesgerichts Wr. Neustadt vom 24. April 2025, GZ ** (ON 1.5) angeordnete bedingte Entlassung des A* in Ansehung der mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg, AZ **, verhängten restlichen Freiheitsstrafe von einem Monat gemäß § 53 Abs 2 StGB.
Begründend führte das Erstgericht aus, dass A* mit Beschluss des Landesgerichts Wr. Neustadt vom 24. April 2025, GZ **, unter Setzung dreijähriger Probezeit, Anordnung der Bewährungshilfe für die Dauer der Probezeit sowie Erteilung der Weisung, sich unmittelbar nach der Entlassung einer stationären Suchtgiftentwöhnungstherapie in der Dauer von sechs Monaten und daran anschließend einer ambulanten Suchtgiftentwöhnungstherapie in der Dauer von 18 Monaten zu unterziehen, bedingt entlassen worden sei. Am 27. Mai 2025 sei das Verfahren vom Landesgericht für Strafsachen Wien gemäß § 179 StVG übernommen worden.
Mit Bericht vom 3. April 2023 (gemeint 23. Juni 2025 – vgl ON 20) habe der Verein B* mitgeteilt, dass kein Kontakt mit Herrn A* habe hergestellt werden können, wobei von der Wohneinrichtung der C* in **, am 18. Juni 2025 mitgeteilt worden sei, dass Herr A* dort nicht bekannt sei. In der Drogeneinrichtung „D*“ sei A* lediglich von 26. Mai bis 27. Mai 2025 aufhältig gewesen. Eine Telefonnummer des bedingt Entlassenen sei nicht bekannt, er verfüge laut ZMA vom 20. Juni 2025 über keine aufrechte Meldeadresse (ON 20).
Folglich sei zunächst um Vorladung gemäß § 19 Abs 1 BewHG ersucht worden.
In weiterer Folge sei versucht worden, die gerichtliche Ladung für den in Aussicht genommenen Termin am 7. August 2025 an A* p.A. **, zuzustellen. Die mit der Zustellung beauftragte Polizeiinspektion E* habe am 26. Juni 2025 versucht, A* die Ladung eigenhändig zuzustellen, ein Betreuer der Hilfseinrichtung habe jedoch bekannt gegeben, dass A* aktuell die Einrichtung weder aktuell noch in der Vergangenheit bewohnt habe (ON 21).
Eine ZMR-Anfrage habe als letzte Wohnanschrift die ** ergeben (ON 16), dabei handle es sich um die Therapieeinrichtung D*, in welcher A* die Therapie jedoch am 27. Mai 2025 abgebrochen habe.
Am 2. Juli 2025 habe die Staatsanwaltschaft Wien den Widerruf der bedingten Entlassung beantragt (ON 1.16), die Bewährungshilfe habe mit Note vom 7. Juli 2025 mitgeteilt, nichts gegen den Widerrufsantrag vorbringen zu können (ON 22).
Da angesichts des unbekannten Aufenthalts des A* eine Anhörung/förmliche Mahnung nicht möglich gewesen sei, eine solche im Falle des Bruchs der Bewährungsaufsicht jedoch auch nicht erforderlich sei, sei die bedingte Entlassung wegen beharrlicher Entziehung aus dem Einfluss des Bewährungshelfers gemäß § 53 Abs 2 StGB zu widerrufen gewesen, weil infolge der Nichterreichbarkeit des A* für die Behörden davon auszugehen sei, der Genannte sei untergetaucht, weshalb spezialpräventive Erwägungen den Vollzug des Strafrests unumgänglich erscheinen ließen.
Im Übrigen habe sich A* auch nicht an die Weisung zur Absolvierung einer stationären Drogentherapie gehalten.
Dagegen richtet sich die nach Ausfolgung des bekämpften Beschlusses erhobene Beschwerde des A* (ON 33, 3), mit der er moniert, nichts von der Bewährungshilfe gewusst zu haben, weiters vorbringt, er könne nicht nachvollziehen, weshalb sein Aufenthalt im Chancenhaus vermutet worden sei, er sei obdachlos gewesen, wobei Zustellungen über „F*“, **, möglich gewesen seien.
Rechtliche Beurteilung
Dem Rechtsmittel kommt Berechtigung zu.
Gemäß § 53 Abs 2 StGB hat das Gericht die bedingte Entlassung aus einer Freiheitsstrafe zu widerrufen und die Strafe oder den Strafrest vollziehen zu lassen, wenn der Rechtsbrecher während der Probezeit eine Weisung trotz förmlicher Mahnung mutwillig nicht befolgt oder sich beharrlich dem Einfluss des Bewährungshelfers entzieht und der Widerruf nach den Umständen geboten erscheint, um den Rechtsbrecher von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten.
Der Widerruf nach § 53 Abs 2 erster Fall StGB setzt die Erteilung einer förmlichen Mahnung und die nachfolgende Nichtbefolgung der Weisung aus bösem Willen voraus (RIS-Justiz RS0092796). „Mutwillig“ meint jede Art von Vorsatz. Eine bloß „nachlässige“ (dh fahrlässige) Nichtbefolgung einer Weisung reicht nicht aus. Zudem muss der Vollzug der Strafe nach den Umständen geboten erscheinen, um den Rechtsbrecher von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten. Konkrete Anhaltspunkte müssen demnach Anlass zur Besorgnis geben, dass der Verurteilte seine soziale Integration nicht anstrebt und sich ohne Einwirkung des Strafvollzugs nicht straffrei verhalten werden ( Jerabek/Ropper , WK² StGB § 53 Rz 9 f). Die Mahnung muss in förmlicher Weise, entweder mündlich oder durch Zustellung eines Schriftstücks erfolgt sein (RIS-Justiz RS0092819). Sinn der Mahnung ist es, dem Verurteilten die erteilte Weisung noch einmal nachdrücklich in Erinnerung zu rufen und solcherart deren Befolgung einzumahnen. Die ausdrückliche Androhung des Widerrufs für den Fall der (weiteren) Nichtbefolgung muss hingegen nicht enthalten sein (RIS-Justiz RS0092806). Nach § 53 Abs 2 zweiter Fall StGB kann die bedingte Entlassung auch widerrufen werden, wenn sich der Verurteilte beharrlich dem Einfluss des Bewährungshelfers entzieht und spezialpräventive Gesichtspunkte den Widerruf erforderlich erscheinen lassen. Von einer beharrlichen Entziehung kann nur die Rede sein, wenn sie sich über einen längeren Zeitraum erstreckt und der Proband die Bewährungshilfe zur Gänze negiert. Eine förmliche Mahnung ist dabei nicht Voraussetzung für eine Widerrufsentscheidung; ebenso wenig wird verlangt, dass sich der Proband dem Zusammentreffen mit dem Bewährungshelfer absichtlich entzieht, es genügt zumindest bedingter Vorsatz ( Jerabek/Ropper , WK² StGB § 53 Rz 11; Tipold/Leukauf/Steininger , StGB 4 § 53 Rz 13).
Während im Anwendungsbereich des § 53 Abs 1 StGB neue Delinquenz bereits eingetreten ist, stellt die Nichtbeachtung von Weisungen oder Bewährungshilfe (vorerst bloß) einen Akt des Ungehorsams dar, der erneute Straffälligkeit für die Zukunft befürchten lässt. Bereits aus diesem Grund ist beim Widerruf nach Abs 2 leg.cit. zurückhaltender vorzugehen als im Fall des Abs 1 leg.cit. (Birklbauer/Oberlaber SbgK § 53 Rz 18 mH). Konkrete Anhaltspunkte müssen demnach Anlass zur Besorgnis geben, dass der Verurteilte seine soziale Integration nicht anstrebt und sich ohne Einwirkung des Strafvollzugs nicht straffrei verhalten werde (Jerabek/Ropper in WK 2StGB § 53 Rz 9). Dabei ist der Widerruf der Nachsicht ungeachtet der Überschrift des § 53 StGB nur eine von mehreren, und zwar die als ultima ratio in Betracht kommende Reaktionsmöglichkeit (Jerabek/Ropper in WK 2StGB § 53 Rz 1).
Nach dem Akteninhalt ist zwar davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer die Weisung, eine stationäre Drogentherapie zu absolvieren samt den damit verbundenen Nachweispflichten nicht nachkam, indem er die stationäre Therapie, die er am 26. Mai 2025 begonnen hatte, bereits am 27. Mai 2025 auf eigenen Wunsch abbrach (ON 16). Bei Nichtbefolgung von Weisungen muss jedoch dem Widerruf eine förmliche Mahnung vorausgehen (RIS-Justiz RS0092796; Birklbauer/Oberlaber, SbgK § 53 Rz 36). Erforderlich ist, dass der Verurteilte während der Probezeit die ihm erteilte Weisung (oder auch nur eine von mehreren) nicht befolgt hat, er vom Gericht förmlich gemahnt wurde und dessen ungeachtet der Weisung mutwillig nicht nachgekommen ist (Leukauf/Steininger/Tipold, StGB 4 § 53 Rz 10). In Bezug auf den vom Erstgericht zumindest ergänzend zur Begründung angeführten Weisungsbruch ist dem Akteninhalt eine förmliche Mahnung nicht zu entnehmen, weshalb der Weisungsbruch als Grundlage für den Widerruf der bedingten Entlassung nicht in Betracht kommt.
Demgegenüber ist bei Bruch der Bewährungsaufsicht iSd § 53 Abs 2 zweiter Fall StGB – wie vom Erstgericht grundsätzlich zutreffend dargelegt – vor dem Widerruf keine förmliche Mahnung erforderlich (Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB 15 § 53 Rz 9). Voraussetzung ist hier jedoch, dass der Verurteilte die Einflussmöglichkeiten des Bewährungshelfers durch wiederholtes oder andauerndes Verhalten ausschaltet und solcherart zu erkennen gibt, dessen Beratung und Hilfe nicht annehmen zu wollen. Es genügt nicht, dass der Verurteilte den Ratschlägen des Bewährungshelfers nicht entspricht; entscheidend ist vielmehr, ob der Rechtsbrecher dazu beiträgt, dass der Bewährungshelfer mit ihm im Großen und Ganzen so häufig und in dem jeweiligen zeitlichen Ausmaß zusammentreffen kann, als dies sachlich geboten ist (Jerabek/Ropper in WK 2StGB § 53 Rz 11 mwN). Von einem beharrlichenEntziehen kann nur dann die Rede sein kann, wenn der Proband die Bewährungshilfe über einen längeren Zeitraum zur Gänze negiert (Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB 15 § 53 Rz 9).
Von einer solchen Beharrlichkeit kann ausgehend vom derzeitigen Akteninhalt jedoch nicht ausgegangen werden:
Zwar beantragte die Bewährungshelferin am 23. Juni 2025 die Vorladung des A* gemäß § 19 Abs 1 BewHG (ON 20), allerdings wurde die Bewährungshelferin erst rund zwei Wochen zuvor, nämlich am 10. Juni 2025 bestellt (ON 18). Aus dem Schreiben des Vereins B* geht hervor, dass A* bei der Wohneinrichtung der C* in **, nicht bekannt sei. Weiters lässt sich entnehmen, dass die ZMA vom 20. Juni 2025 keine aufrechte Meldeadresse des A* ergab und eine Telefonnummer des Genannten unbekannt sei, wobei er auch in der Drogeneinrichtung D* seit 27. Mai 2025 nicht (mehr) aufhältig sei.
Zwar ist dem Beschwerdeführer der – die Anordnung der Bewährungshilfe beinhaltende – Beschluss auf bedingte Entlassung nachweislich am 28. April 2025 zugestellt (ON 11.1) und ihm anlässlich seiner Haftentlassung am 26. Mai 2025 auch eine Belehrung über die angeordnete Bewährungshilfe erteilt worden, wo A* als künftigen Aufenthaltsort die ** in ** bekannt gab (ON 17), dennoch ist vorliegend noch nicht von dem gesetzlich erforderlichen beharrlichen Entziehen aus dem Einflussbereichs der Bewährungshelferin auszugehen. Berücksichtigt man nämlich, dass A* am 26. Mai 2025 aus der Strafhaft entlassen wurde, die Bewährungshelferin infolge des Zuständigkeitswechsels jedoch erst am 10. Juni 2025 namentlich bekannt gegeben wurde (ON 18), kann bei einer einmaligen gescheiterten Kontaktaufnahme (ON 20) noch nicht von Beharrlichkeit ausgegangen werden. In diesem Zusammenhang moniert der Beschwerdeführer schlüssig, für ihn sei eine versuchte Ladung im Chancenhaus bzw. der Heilsarmee nicht nachvollziehbar (ON 33), hat er diese Adresse doch weder im Zuge seiner bedingten Entlassung genannt (ON 17), noch scheint sie in der ZMR (ON 15) auf.
Aus welchen Erwägungen die Kontaktaufnahme seitens der Bewährungshelferin an dieser Adresse versucht wurde (ON 20) ist ebenso wenig nachvollziehbar wie der gerichtliche Ladungsversuch an dieser Adresse (vgl. ON 1.13). Dass A* in diesem Männerwohnheim nicht angetroffen werden konnte (ON 26, ON 27), indiziert folglich keine Verfehlung des Beschwerdeführers.
Da jedoch sowohl die Bewährungshelferin als auch das Erstgericht übereinstimmend einen mutmaßlichen Aufenthalt des bedingt Entlassenen in ** (ON 20; ON 1.13) zu Grunde legen, war der bekämpfte Beschluss aufzuheben und das Verfahren dem Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückzuverweisen, um die bislang dem Akteninhalt nicht zu entnehmenden Aktenstücke anzuschließen, aus denen sich die in ON 1.13 angeführte Ladungsadresse des A* in **, ergibt.