31Bs128/25p – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung der A*in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB über die Berufung der Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 16. Dezember 2024, GZ **-32.3, nach der unter dem Vorsitz der Senatspräsidentin Dr. Schwab, im Beisein der Richter Mag. Weber LL.M. und Mag. Spreitzer LL.M. als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Katja Wallenschewski und Sachverständigen Dr. B* sowie in Anwesenheit der Betroffenen A* und ihres Verteidigers Mag. Wolfgang Kräutler LL.M. durchgeführten Berufungsverhandlung am 5. August 2025 zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde die strafrechtliche Unterbringung der am ** geborenen österreichischen Staatsbürgerin A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB angeordnet, weil sie am 14. Juli 2024 in ** unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, wegen der sie im Zeitpunkt der Tat zurechnungsunfähig (§ 11 StGB) war, nämlich einer kombinierten Persönlichkeitsstörung auf Borderline Niveau, C* gefährlich mit dem Tod bedrohte, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem sie zu ihm sagte „Ich stech dich ab!“, wobei sie ein Messer in der Hand hielt und ihm nachlief, und somit eine Tat beging, die als Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist und ihr, wäre sie zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig gewesen, als solche zugerechnet worden wäre.
Da nach der Person und nach dem Zustand der Betroffenen sowie nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass A* sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss ihrer schweren und nachhaltigen psychischen Störung weitere mit Strafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen, nämlich eine gegen Leib und Leben gerichtete mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlung, und zwar insbesondere die Verbrechen der schweren (absichtlichen) Körperverletzung, insbesondere die Umsetzung einer gefährlichen qualifizierten Drohung wie gegenständlich bis hin zum Tötungsdelikt begehen oder zu begehen versuchen werde, wurde die strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß § 21 Abs 1 StGB angeordnet.
Nach Zurückweisung der von der Betroffenen erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde mit Beschluss des Obersten Gerichtshofs vom 30. April 2025, GZ 15 Os 39/25m-4, ist nunmehr über die Berufung der A*, die diese rechtzeitig anmeldete (ON 34.2) und zu ON 39.2 ausführte, zu entscheiden. Mit dieser strebt sie ein vorläufiges Absehen vom Vollzug der Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum an.
Rechtliche Beurteilung
Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.
Nach § 21 Abs 1 StGB setzt die strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum neben der Begehung einer mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohten Anlasstat im Sinn des Abs 3 leg cit unter dem maßgeblichen Einfluss einer im Zeitpunkt der Tat die Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) bedingenden schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung eine ungünstige Prognose dahingehend voraus, dass der Rechtsbrecher nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde. Wenn - wie vorliegend - die angedrohte Freiheitsstrafe der Anlasstat drei Jahre nicht übersteigt, muss sich die Befürchtung (nach § 21 Abs 1 StGB) auf eine gegen Leib und Leben gerichtete, mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlung oder auf eine gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung gerichtete, mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohte Handlung beziehen (§ 21 Abs 3 zweiter Satz StGB).
Eine rechtsrichtig vorgenommene Gefährlichkeitsprognose hat zwingend auf allen der genannten Sachverhaltskriterien zu basieren ( Haslwanter in Höpfel/Ratz, WK 2StGB § 21 Rz 23 f). Als relevante in der Person des Rechtsbrechers gelegene Umstände kommen neben Eigenschaften des Täters, sein früheres Verhalten im Krankheitszustand und die Motive für die Begehung zurückliegender Delikte in Betracht. Das Krankheitsbild und die Krankheitseinsicht des Betroffenen sind aktuell zum Urteilszeitpunkt zu beurteilen. Die vom Gesetz verlangten schweren Folgen müssen aus einer einzigen Tat resultieren, wobei nicht nur die tatbestandsmäßigen Folgen, sondern darüber hinaus alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, somit Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch die Gesellschaft im Ganzen, der gesellschaftliche Störwert einschließlich der Eignung, umfangreiche und kostspielige Abwehrmaßnahmen auszulösen und weitreichende Beunruhigung und Besorgnisse herbeizuführen, zu berücksichtigen sind ( HaslwanteraaO § 21 Rz 25 und 27; RIS-Justiz RS0108487).
Gegenstand der Berufung in einem Verfahren zur Unterbringung in ein forensisch-therapeutisches Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB ist nur die Entscheidung über die Gefährlichkeitsprognose (vgl Kirchbacher, StPO 15§ 294 Rz 2/1; RIS-Justiz RS0090341 [T1] und RS0113980).
Gegenständlich leitete das Erstgericht die Gefährlichkeitsprognose zutreffend aus dem schlüssigen, in der Hauptverhandlung - unter Bezugnahme auf die zunächst schriftlich erstatteten Gutachten (ON 12.2 und ON 29.1) - erörterten Gutachten der Sachverständigen Dr. B* (ON 32.2, S 12 ff), die sich in der Hauptverhandlung ausführlich mit dem fachärztlichen Befundbericht der Justizanstalt Wien-Josefstadt (ON 32.4; offenbar irrig datiert mit 22. Oktober 2024) auseinandersetzte und nachvollziehbar erörterte, warum ihrer Meinung nach ein vorläufiges Absehen vom Vollzug der Unterbringung nicht möglich ist (ON 32.2, 17 ff), ab (US 5 f). Dabei ging auch die Sachverständige von der Notwendigkeit einer Therapie mit Fokus auf die Persönlichkeitsstörung und gestörte Impulskontrolle von A* aus, gelangte aber vor allem aufgrund der langjährigen, viele Mal erfolglos behandelten Suchterkrankung, der Notwendigkeit des Widerrufs einer bereits einmal gewährten bedingten Nachsicht einer Einweisung nach § 21 Abs 1 StGB und dem Umstand, dass sie nunmehr gegen eine zufällige Gelegenheitsperson vorging, zum Schluss, dass diese Therapie in einem geschützten Setting – also intramural – erfolgen muss (ON 32.2, 13 ff)
Mit ärztlichen Stellungnahmen vom 5. und 11. Juni 2025 sowie vom 14. Juli 2025 und dem Entlassungsbrief vom 16. Juli 2025 (nicht einjournalisiert), die im Berufungsverfahren zu berücksichtigen sind (vgl. Kirchbacher aaO § 294 Rz 4), teilten die behandelnden Ärzte in der D*-Klinik mit, dass in therapeutischen Gesprächen traumatische Erlebnisse teilweise bearbeitet sowie präventive Maßnahmen bezüglich des vergangenen Suchtverhaltens und der auslösenden Trigger besprochen worden seien, die Betroffene in den therapeutischen Sitzungen hoch motiviert und sich ihrer Alkoholabhängigkeit bewusst sei. Ein „Craving“ (unwiderstehliches Verlangen) nach Alkohol bestehe im geschützten Bereich nicht. Aus forensisch-psychiatrischer Sicht sei eine suchttherapeutische Anschlussbehandlung indiziert, um gelerntes Wissen zu verfestigen bzw weitere spezifische suchttherapeutische Themen abzuarbeiten. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen mit der Betroffenen sei von einem geringen Abbruchrisiko auszugehen, sie sei krankheits- und behandlungseinsichtig und zeige ein prosoziales und kompetentes Verhalten gegenüber anderen Patienten und könne auch in Konfliktsituationen adäquat reagieren ohne Impulsdurchbrüche zu zeigen. Im Falle einer stationären suchttherapeutischen Anschlussbehandlung könne laut behandelnden Ärzten aus forensisch-psychiatrischer Sicht, ein vorläufiges Absehen vom Vollzug zuletzt unter folgenden Auflagen empfohlen werden (vgl Entlassungsbrief vom 16. Juli 2025)
1) Wohnsitznahme in einer Einrichtung der E* **,
2) regelmäßige ambulante fachärztlich-psychiatrische Kontrollen,
3) regelmäßige Einnahme der angeordneten Medikation und deren Nachweis durch entsprechende Blutspiegelkontrollen,
4) Fortführung der psychotherapeutischen Behandlung,
5) Durchführung einer ambulanten suchttherapeutischen Behandlung,
6) Nachweis einer absoluten Alkohol- und Drogenabstinenz (zB durch Durchführung von Untersuchungen von Haaren auf EtG und alle Substanzmittel) und
7) Sicherstellung einer Tagesstruktur durch entsprechende geeignete Maßnahmen.
Aus dem Entlassungsbrief vom 16. Juli 2025 ergibt sich sinngemäß, dass die Betroffene mit diesen Auflagen einverstanden sei.
Mit dem anlässlich der Berufungsverhandlung übergebenen fachärztlichen Befundbericht (irrig datiert mit 22. Oktober 2024) berichtete die Justizanstalt Wien-Josefstadt von Symptomen des Alkoholentzugs zu Beginn des Aufenthalts, wobei sie später somatisch und neurologisch unauffällig gewesen sei. Am 23. Juli 2025 sei sie in gebessertem und stabilen psychopathologischen Zustand aus dem Uniklinikum ** übernommen worden und auf den Entlassungsbrief inklusive dortiger Empfehlungen wurde verwiesen. Berichtet wird weiters über einen Vorstellungstermin beim Verein E* betreffend Betreuungs- und Wohnplatzzusage, bei dem sich A* unkooperativ gezeigt habe und den Ort der Betreuungseinrichtung und eine dortige Wohnsitznahme ablehnte, weshalb keine Betreuungs- und Wohnplatzzusage erfolgen konnte. Derzeit bestünde daher kein adäquater sozialer Empfangsraum für die Betroffene im Fall des vorläufigen Absehens vom Vollzug der Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum.
Unter Berücksichtigung dieser Stellungnahmen und neuerlicher eigener Untersuchung der Betroffenen am 1. August 2025 kommt die Sachverständige Dr. B* in ihrem in der Berufungsverhandlung erstatteten Ergänzungsgutachten zum Schluss, dass die Betroffene kritikarm, bagatellisierend und krankheitsuneinsichtig ist. Die Wohnungsnahme in einer Nachsorgeinstitution lehnt sie strikt ab, Medikamente brauche sie nicht mehr, weil sie sich selbst am besten kenne und zu kontrollieren gelernt habe. Eine differenzierte Selbstreflexion und eine Einsicht, in die eigene Gefährdung impulsiv zu reagieren sowie in die Gefährlichkeit für andere, sind weiterhin nicht gegeben.
Daher ist nach Ansicht der Sachverständigen nach wie vor zu befürchten, dass die Betroffene nach ihrem Zustand und nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit, also in absehbarer Zukunft innerhalb weniger Wochen, unter dem maßgeblichen Einfluss ihrer psychischen Störungen mit emotional-instabilen, narzisstischen und histrionischen Anteilen und dissozialer Akzentuierung, eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde, indem sie qualifizierte Drohungen impulsiv umsetzt und schwere Körperverletzungen zum Nachteil anderer, inklusive Zufallsopfern, begehen werde, deren Verhalten sie krankhaft fehlinterpretiert und auf sich bezieht.
Davon ausgehend besteht nach der Person der Betroffenen und nach ihrem Zustand in Zusammenschau mit der Art der begangenen Anlasstat – wie vom Erstgericht bereits zutreffend ausgeführt (vgl dazu US 5) - auch nach den Ergebnissen der Berufungsverhandlung nach wie vor die real-konkrete Befürchtung, dass die Betroffene unter dem maßgeblichen Einfluss einer nach wie vor bestehenden schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung (hier: eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen, narzisstischen und histrionischen Anteilen und dissozialer Akzentuierung) mit hoher Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zukunft, und zwar innerhalb weniger Wochen gegen Leib und Leben gerichtete, mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlungen mit schweren Folgen begehen wird (zu den Kriterien der Prognosetat HaslwanteraaO Vor §§ 21–25 Rz 4 f; vgl auch RIS-Justiz RS0090401), nämlich – allenfalls in Umsetzung qualifizierter gefährlicher Drohungen - schwere Körperverletzungen (iSd § 84 Abs 4 StGB).
Ein gemäß § 157a Abs 1 StVG vorläufiges Absehen vom Vollzug einer strafrechtlichen Unterbringung ist nur dann möglich, wenn und solange der Betroffene außerhalb eines forensisch-therapeutischen Zentrums behandelt und betreut werden kann sowie durch allfällige weitere Maßnahmen der Gefahr, der die strafrechtliche Unterbringung entgegenwirken soll (§ 21 StGB), begegnet werden kann. Dabei sind insbesondere die Person des Betroffenen, sein Vorleben, Art und Schwere der Anlasstat, sein Gesundheitszustand und die daraus resultierende Gefährlichkeit, der bisher erzielte Behandlungserfolg sowie die Möglichkeiten und Notwendigkeiten einer angemessenen Betreuung und die Aussichten auf das redliche Fortkommen zu berücksichtigen.
Ausgehend von dem (auch nach nach den Ergebnissen der Berufungsverhandlung) unveränderten Bestehen einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Erkrankung der Betroffenen in Form einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen, narzisstischen und histrionischen Anteilen und dissozialer Akzentuierung, liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für ein vorläufiges Absehen vom Vollzug nach § 157a Abs 1 StVG nicht vor. Es stehen (derzeit) insbesondere aufgrund der bislang unzureichenden Behandlung ihrer Persönlichkeitsstörung und gestörten Impulskontrolle, ihrer häufigen Therapieabbrüche sowie eines - mangels bislang geschaffener und der von ihr auch abgelehnten Möglichkeit einer angemessenen Behandlung und Betreuung außerhalb eines forensisch-therapeutischen Zentrums - nicht in ausreichendem Maße vorhandenen Empfangsraums auch keine Weisungen oder Auflagen zur Verfügung von deren Erteilung bei realistischer Betrachtung eine hinreichende Beherrschbarkeit des von der Berufungswerberin ausgehenden sehr hohen störungsbedingten Risikos in Bezug auf neuerliche einschlägige Delinquenz mit schweren Folgen (in Form einer schweren Körperverletzung, allenfalls in impulsiver Umsetzung einer gefährlichen qualifizierten Drohung) zu erwarten wäre.
Der von ihr in der Berufungsverhandlung behaupteten Bereitschaft, ihr erteilte Weisungen zu akzeptieren und einzuhalten, mangelte es an der erforderlichen Ernstlichkeit, weil diese Erklärung nur wenige Tage nach ihrem Erstgespräch beim Verein E* und der Befundaufnahme durch die Sachverständige erfolgte, wo sie sich jeweils nicht betreuungsbedürftig wähnte und eine Therapie ablehnend zeigte, und offenkundig nur erfolgte, um den Ausgang des Berufungsverfahrens für sie positiv zu beeinflussen.
Der nach wie vor gegebenen Gefährlichkeit der A* kann sohin durch ein vorläufiges Absehen vom Vollzug derzeit nicht ausreichend entgegengetreten werden, sodass der Berufung kein Erfolg zu bescheiden war.