22Bs189/25t – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Mathes als Vorsitzende sowie den Richter Mag. Gruber und die Richterin Dr. Koller als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A* wegen bedingter Entlassung aus einer Freiheitsstrafe über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5. Juni 2025, GZ ** 7, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und die bedingte Entlassung des A* zum 1. August 2025 angeordnet.
Die Probezeit wird gemäß § 48 Abs 1 StGB mit drei Jahren bestimmt.
Gemäß §§ 50 Abs 1 StGB wird für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet.
Gemäß § 50 Abs 1 iVm § 51 Abs 3 StGB wird A* aufgetragen, die bereits begonnene Gewalttherapie in der Männerberatung fortzusetzen und dies dem Landesgericht für Strafsachen Wien alle drei Monate, erstmals sohin bis längstens 1. November 2025, schriftlich nachzuweisen.
Text
Begründung:
Der am ** geborene österreichische StaatsbürgerA* verbüßt derzeit im forensisch-therapeutischen Zentrum ** eine vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu AZ ** wegen schwerer Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 und 15 StGB und fortgesetzter Gewaltausübung nach § 107b Abs 1 StGB verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren.
Das urteilsmäßige Strafende fällt auf den 20. November 2025, die zeitlichen Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung nach § 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 2 StVG lagen am 20. November 2024 vor.
Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte das Landesgericht für Strafsachen Wien als zuständiges Vollzugsgericht die vom Strafgefangenen als Bittsteller beantragte bedingte Entlassung aus spezialpräventiven Gründen ab.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluss wurde dem Strafgefangenen am 10. Juni 2025 durch Hinterlegung zugestellt. Dagegen richtet sich dessen am 23. Juni 2025 zur Post gegebene (siehe ON 8), an das Oberlandesgericht Wien als Rechtsmittelgericht adressierte und somit rechtzeitige Beschwerde (§ 84 Abs 1 Z 2 und Abs 2 StPO), der Berechtigung zukommt.
Hat ein Verurteilter die Hälfte der im Urteil verhängten zeitlichen Freiheitsstrafe, mindestens aber drei Monate verbüßt, so ist ihm nach § 46 Abs 1 StGB der Rest der Strafe unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachzusehen, sobald unter Berücksichtigung der Wirkung von Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB anzunehmen ist, dass der Verurteilte durch die bedingte Entlassung nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wird.
Die vom Gesetz vorgesehene Prognose künftigen Verhaltens erfordert eine Gesamtwürdigung aller dafür maßgeblichen Umstände, so insbesondere der Art der Tat, des privaten Umfelds des Verurteilten, seines Vorlebens und seiner Aussichten auf ein redliches Fortkommen in Freiheit ( Jerabek/Ropperin WK² StGB § 46 Rz 15/1).
Die Prognose könnte im Einzelfall negativ ausfallen, wenn der Rechtsbrecher zahlreiche einschlägige Vorverurteilungen aufweist, der Vollzug auch empfindlicher Freiheitsstrafen offensichtlich wirkungslos geblieben ist und oftmaliger und zuletzt auch rascher Rückfall vorliegt oder er sonst einen Hang zu strafbaren Handlungen erkennen lässt ( Tipold in Leukauf/Steininger,StGB4 § 46 Rz 11). Allerdings lässt sich eine die bedingte Entlassung ablehnende Entscheidung im Wesentlichen nicht (nur) mit dem bloßen Verweis auf das Vorleben oder die Schwere der Tat begründen, sondern sind in jedem Fall konkrete Prognoseerwägungen anzustellen, die die Entwicklung des Strafgefangenen während der Haft berücksichtigen. Dabei ist nach § 46 Abs 4 StGB auf den Umstand Bedacht zu nehmen, inwieweit durch den bisherigen Vollzug der Strafe, insbesondere auch durch eine während des Vollzugs begonnene freiwillige Behandlung im Sinne von § 51 Abs 3 StGB, die der Verurteilte in Freiheit fortzusetzen bereit ist, eine Änderung der Verhältnisse, unter denen die Tat begangen wurde, eingetreten ist, oder durch Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB erreicht werden kann.
Das Institut der bedingten Entlassung ist ein wichtiges Element der (Re)Sozialisierung im Strafvollzug ( Jerabek/RopperaaO Rz 3). Die Gewährung einer bedingten Entlassung stellt einen Vertrauensvorschuss dar, der in Zusammenhang mit dem weiter schwebenden restlichen Vollzug, der Bestellung eines Bewährungshelfers und der Erteilung von Weisungen geeignet ist, die Motivation für eine künftig rechtschaffene Lebensführung zu stärken. Aus Sicht des Vollzuges ist die Möglichkeit, vorzeitig aus der Haft entlassen zu werden, einer der wichtigsten Motivatoren, den Strafgefangenen zu bewegen, an der Erreichung der Vollzugszwecke mitzuarbeiten. Es ist daher besonders wichtig, dass positive Entwicklungen während der Haft in der Entscheidung über die bedingte Entlassung entsprechend gewürdigt werden. Ohne die Bedeutung statischer Faktoren wie Tathergang und Vorstrafen zu leugnen, verlangt der Umstand, dass § 20 StVG ausdrücklich einen Betreuungsvollzug mit Resozialisierungsziel statuiert, dass den dynamischen Faktoren in der Entwicklung eines Strafgefangenen zumindest ebensolche Bedeutung beigemessen wird. Ständiges Verweisen auf Umstände, die nun einmal nicht mehr zu ändern sind und das geflissentliche Ignorieren mittlerweile stattgefundener positiver Veränderungen entsprechen somit nicht dem Gesetz ( Drexler/Weger, StVG 5 § 152 Rz 2).
Ist die Annahme berechtigt, dass der Verurteilte durch die bedingte Entlassung – allenfalls unter Berücksichtigung der Wirkung von Maßnahmen gemäß §§ 50 bis 52 StGB – nicht weniger als durch die weitere Verbüßung der Strafe von der Begehung strafbarer Handlungen abgehalten wird, so ist im Regelfall der Rest der Strafe bedingt nachzusehen. Hingegen soll nach Verbüßung von zwei Dritteln der verhängten Freiheitsstrafe die Ablehnung einer bedingten Entlassung nach erkennbarer Intention des Gesetzgebers nur auf (Ausnahme-)Fälle evidenten Rückfallrisikos des Rechtsbrechers beschränkt bleiben.
Unter all diesen Prämissen ist die Entscheidung des Erstgerichts korrekturbedürftig, weil beim Beschwerdeführer kein Ausnahmefall eines evidenten Rückfallrisikos anzunehmen ist.
Dabei wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer acht, davon zwei einschlägige Vorstrafen aufweist und er die der Anlassverurteilung zugrundeliegenden, schweren Taten teilweise nach dem Vollzug des unbedingten Teils der vom Landesgericht Wels mit Urteil vom 18. Jänner 2022, AZ **, verhängten Freiheitsstrafe begangen hat.
Dem stehen allerdings einige nicht ungewichtige und sich zugunsten des Beschwerdeführers auswirkende Kriterien gegenüber: So verspürt der Beschwerdeführer erstmals längerfristig das Haftübel, weist eine tadellose Führung auf (keine Ordnungsstrafen, alle Drogen- und Alkoholtestungen negativ, ausgezeichnete Arbeitsleistung im Betrieb Kantine) und besucht auf eigene Initiative bereits mehrere Monate eine externe Gewalttherapie in der Männerberatung, die er im Falle einer bedingten Entlassung bereit ist fortzusetzen. Er verfügt über einen sozialen Empfangsraum in Form einer Wohn- und Arbeitsmöglichkeit. Die seit Monaten gewährten Vollzugslockerungen wurden nie mißbraucht (vgl. Stellungnahme des Anstaltsleiters ON 6).
Die Anstaltsleitung befürwortete die bedingte Entlassung unter Hinweis darauf, dass der Beschwerdeführer mit der Weisung der Gewalttherapie in der Männerberatung die notwendige Stabilität erhalte, um das Rückfallrisiko zu minimieren.
All dies stellt entgegen der Annahme des Erstgerichts nunmehr ein ausreichendes Gegengewicht zu den aus seinem Vorleben ableitbaren spezialpräventiven Vorbehalten dar, sodass nicht mehr von einem evidenten Rückfallrisiko gesprochen werden kann.
In Verbindung mit der Anordnung der Bewährungshilfe, die sicherstellen soll, dass der Beschwerdeführer auch nach seiner Entlassung nicht in alte Verhaltensmuster zurückfällt, und der – mit Zustimmung des Beschwerdeführer – zu erteilenden Weisung, die bereits begonnene Gewalttherapie in der Männerberatung fortzusetzen, ist die bedingte Entlassung als geeigneter anzusehen, ihn von der Begehung neuerlicher Straftaten abzuhalten, als die gänzliche Verbüßung der Freiheitsstrafe. Dabei soll die Setzung einer Probezeit von drei Jahren einen starken Anreiz zur hinkünftigen Deliktsfreiheit schaffen.
Unter Berücksichtigung der Vorlaufzeit zur Bestellung eines Bewährungshelfers/einer Bewährungshelferin, und um dem Beschwerdeführer noch den Rest des Monats im Entlassungsvollzug zu gewährleisten, war die bedingte Entlassung zum 1. August 2025 auszusprechen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel zulässig (§ 17 Abs 1 Z3 StVG iVm § 89 Abs 6 StPO).