21Bs180/25m – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Hahn als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Maruna und Mag. Frigo als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A*wegen § 39 Abs 1 SMG über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22. April 2025, GZ *-66, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der am ** geborene A* verbüßt derzeit in der Justizanstalt ** eine über ihn mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 21. März 2025, rechtskräftig seit 25. März 2025, AZ *, wegen §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 130 Abs 1 erster Fall, 15 StGB und weiterer strafbarer Handlungen verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Zudem wurden bedingte Nachsichten von mit Urteilen des Landesgerichtes für Strafsachen Wien (vom 1. Februar 2024, rechtskräftig seit 6. Februar 2024, AZ **, sowie vom 14. Juni 2024, rechtskräftig seit 17. Juni 2024, AZ **) verhängten Freiheitsstrafen widerrufen, wodurch der Strafgefangene insgesamt eine Strafzeit von drei Jahren zu verbüßen hat.
Unmittelbar nach Verkündung des Urteils stellte der Verurteilte einen Antrag aufStrafaufschub nach § 39 SMG (ON 45.1, 6).
Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Antrag auf Gewährung eines Strafaufschubsgemäß § 39 Abs 1 SMG nach Einholung eines Sachverständigengutachtens (ON 62) unter Verweis auf die offenbare Aussichtslosigkeit einer gesundheitsbezogenen Maßnahme ab.
Dagegen richtet sich das am 16. Mai 2025 beim Landesgericht für Strafsachen Wien eingelangte und als Beschwerde bezeichnete Schreiben des Genannten (ON 81), mit dem er erkennbar nach wie vor Strafaufschub nach § 39 Abs 1 SMG begehrt.
Rechtliche Beurteilung
Zur Rechtzeitigkeit der Beschwerde ist folgendes auszuführen: Nach § 88 Abs 1 zweiter Satz StPO ist eine Beschwerde binnen vierzehn Tagen ab Bekanntmachung des Beschlusses, auf den sie sich bezieht, schriftlich oder auf elektronischem Weg, wozu auch Eingaben per Telefax zählen ( Nimmervoll, Beschluss und Beschwerde in der StPO [2011] 158), bei Gericht einzubringen, wobei unter Bekanntmachung – soweit hier von Relevanz - die Zustellung des Beschlusses zu verstehen ist. Zur Berechnung der 14-tägigen Beschwerdefrist normiert § 84 Abs 1 Z 2 und 3 StPO, dass weder der Tag des fristauslösenden Ereignisses (hier: Zustellung) noch die Tage des Postlaufs der Beschwerde einzurechnen sind. Die Frist ist daher gewahrt, wenn die Postaufgabe des Rechtsmittels an das zuständige Gericht an ihrem letzten Tag erfolgt ( Kirchbacher, StPO 15 § 84 Rz 3; Mayerhofer/Salzmann, StPO 6 § 84 E 24 f).
Für die Wahrung der Rechtsmittelfrist eines Strafgefangenen oder Untersuchungshäftlings ist der Zeitpunkt der Übernahme des von diesem verfassten Rechtsmittels in der Direktion der Justizanstalt maßgeblich, weil in diesem Fall die Leitung der Justizanstalt gleichsam als verlängerter Arm des Gerichts angesehen werden muss, bei dem das Rechtsmittel zu erheben ist (vgl RIS-Justiz RS0106085; erneut Kirchbacher aaO).
Der Beschluss wurde A* am 24. April 2025 durch persönliche Übernahme in der Justizanstalt ** (siehe den Zustellnachweis der JA **) zugestellt, weshalb die Rechtsmittelfrist für eine dagegen gerichtete Beschwerde am 8. Mai 2025, 24.00 Uhr, endete. Da aber Erhebungen des zuständigen Rechtsmittelsenats bei der Leitung der Justizanstalt ** mangels Eintragung des „Ansuchenzettels“ ins Fristenbuch der Justizanstalt keine Aufklärung darüber brachte, wann dieser von der Direktion der Justizanstalt übernommen wurde, ist das Rechtsmittel angesichts des Zeitraums von etwa einer Woche zwischen Ende der Rechtsmittelfrist am 8. Mai 2025 und Einlangen des Schreibens beim Landesgericht für Strafsachen Wien am 16. Mai 2025 im Zweifel als rechtzeitig eingebracht anzusehen.
Der Beschwerde des Strafgefangenen kommt jedoch keine Berechtigung zu.
Gemäß § 39 Abs 1 SMG ist der Vollzug einer nach diesem Bundesgesetz außer nach § 28a Abs 2, Abs 4 oder Abs 5 SMG oder einer wegen einer Straftat, die mit der Beschaffung von Suchtmitteln in Zusammenhang steht, verhängten Geldstrafe oder drei Jahre nicht übersteigenden Freiheitsstrafe nach Anhörung der Staatsanwaltschaft auch noch nach Übernahme in den Strafvollzug (§ 3 Abs 4 StVG) - unter der Voraussetzung der Gewöhnung an Suchtmittel und der Bereitschaft, sich einer notwendigen und zweckmäßigen, nach den Umständen möglichen und zumutbaren und nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahme gegebenenfalls einschließlich einer bis zu sechs Monate dauernden stationären Aufnahme zu unterziehen (Z 1) - für die Dauer von höchstens zwei Jahren aufzuschieben. Im Fall der Verurteilung zu einer 18 Monate übersteigenden Freiheitsstrafe wegen einer Straftat, die mit der Beschaffung von Suchtmitteln in Zusammenhang steht, muss zudem der Vollzug der Freiheitsstrafe nicht im Hinblick auf die Gefährlichkeit des Täters geboten erscheinen, insbesondere weil die Verurteilung wegen Straftaten erfolgt ist, die unter Anwendung erheblicher Gewalt gegen Personen begangen worden sind (Z 2).
Ausgehend davon hat das Erstgericht die Voraussetzungen für einen Strafaufschub nach § 39 SMG zutreffend verneint. Denn es kann sich dazu auf das nachvollziehbare Gutachten der klinischen Psychologin und Psychotherapeutin Dr. C* (ON 62) stützen, wonach bei A* (nach ICD-10) folgende Diagnosen zu stellen seien: psychische und Verhaltensstörungen durch Kokain, Abhängigkeitssyndrom (F 14.21), psychische und Verhaltensstörungen durch Opiate, Abhängigkeitssyndrom, gegenwärtige Teilnahme an einem ärztlich überwachten Ersatzdrogenprogramm (F 11.22), psychische und Verhaltensstörungen durch Cannabinoide, Abhängigkeitssyndrom (F12.21), psychische und Verhaltensstörungen durch Stimulanzien, schädlicher Gebrauch (F 15.1), psychische und Verhaltensstörungen durch Sedativa oder Hypnotika, schädlicher Gebrauch (F 13.1), wobei er in erster Linie eine Abhängigkeit von Kokain in Form von Crack aufweise, in zweiter Linie von Cannabis und Opiaten (ON 62, 16 ff).
Die Sachverständige kommt nach einer ausführlichen Anamnese aller Schutz- und Risikofaktoren zum nachvollziehbar begründeten Ergebnis, dass A* aufgrund Art, Intensität und Dauer der Abhängigkeit jedenfalls einer stationären Therapie bedarf und geht bei ihm auch vom Vorliegen glaubhafter Therapiemotivation und Therapiefähigkeit in Bezug auf seine Selbstkritik- und Introspektionsfähigkeit aus. Allerdings sei die Therapiefähigkeit des Untersuchten aufgrund seiner mangelnden Deutschkenntnisse, die jedoch für die erforderlichen Gesprächstherapien unabdingbar seien, aktuell nicht gegeben. Zudem stünden weitere Risikofaktoren, wie insbesondere die fehlende Möglichkeit einer sozialen und beruflichen Integration nach einer stationären Therapie, deren Erfolg deutlich entgegen, weshalb eine solche derzeit prognostisch als offenbar aussichtslos einzustufen sei und aus ihrer Sicht eine Therapie nicht empfohlen werde (ON 62, 20).
Führt man sich die von der Expertin angeführten, bei A* erforderlichen Behandlungen vor Augen, nämlich eine fachärztlich-psychiatrische, eine psychotherapeutische zur Aufarbeitung der Sucht- und Persönlichkeitsproblematik, eine klinisch-psychologische zum Erwerb von Fertigkeiten, um in Zukunft den inadäquaten Bewältigungsversuch seiner Probleme durch den Suchtmittelkonsum durch andere sinnvolle Strategien zu ersetzen, sowie letztlich auch eine sozialarbeiterische (ON 62, 17), so ist dem Erstgericht in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Sachverständigen zuzustimmen, dass die benötigten Behandlungen ohne ausreichende Deutschkenntnisse nicht einmal im Ansatz erfolgversprechend sein können.
Außerdem ist die soziale und berufliche Integration des Behandelten unabdingbare Voraussetzung für eine an die stationäre Therapie anschließende Weiterführung in ambulanter Form, um von einer nicht offenbar aussichtslosen gesundheitsbezogenen Maßnahme ausgehen zu können. Auch diese ist jedoch, wie der Exploration im Sachverständigengutachten zu entnehmen ist (ON 62, 9, 11, 17), bei A* nicht gegeben.
Da gesundheitsbezogene Maßnahmen im Sinn des § 39 Abs 1 SMG daher aus in seiner Person gelegenen Gründen offenbar aussichtslos sind, liegen die Voraussetzungen für den beantragten Strafaufschub nicht vor. Auf das Vorliegen weiterer Voraussetzungen ist daher nicht einzugehen.
Der Beschwerde gegen den der Sach- und Rechtslage entsprechen Beschluss ist daher ein Erfolg zu versagen.
Anzumerken bleibt, dass es dem Strafgefangenen unbenommen ist, die in der Strafhaft nach § 68a Abs 1 lit a StVG gebotenen Möglichkeiten zur Therapierung seiner Suchterkrankung zu nutzen und die therapeutische Behandlung nach seiner Haftentlassung auf freiwilliger Basis weiterzuführen.