Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Glawischnig als Vorsitzende, die Richter Mag. Nigl und Mag. Derbolav-Arztmann sowie die fachkundigen Laienrichter Brigitte Holzmann und ao.Univ.Prof. Mag.Dr. Monika Drs in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Dr. Michael Celar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, vertreten durch Mag. Janina Etzelstorfer ua, ebendort, wegen Versehrtenrente, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 5.9.2024, **-18, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 336,82 (darin EUR 56,14 USt) bestimmten Kosten der Berufungsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Bescheid sprach die Beklagte aus, der Unfall vom 23.3.2022 werde nicht als Arbeitsunfall anerkannt. Es bestehe kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung.
Dagegen erhob die Klägerin Klage und brachte im Wesentlichen vor, das Ereignis stelle sehr wohl einen Arbeitsunfall dar.
Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, dass die als Raumpflegerin beschäftigt gewesene Klägerin am 23.3.2022 in einer Pause während eines privat geführten Telefonats mit ihrem privaten Handy, das zu diesem Zeitpunkt mit ihrem selbst zusammengeklebten, beschädigten Stromkabel an einer Steckdose angesteckt gewesen sei, während sie sich an einem Metallregal angehalten habe, einen Stromschlag erlitten habe. Dadurch sei sie zu Sturz gekommen und habe sich verletzt. Für die Bejahung des ursächlichen Zusammenhangs müsse der Unfall auch in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehen. Beim gegenständlichen Ereignis habe sich allerdings kein betriebliches Risiko verwirklicht, sondern ausschließlich ein privates. Das selbst zusammengeklebte Stromkabel hätte bei seiner Nutzung zu jedem Zeitpunkt einen Stromschlag verursachen können, auch zu Hause.
Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht 1. die Beklagte aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 23.3.2022 (vordere-untere Schulterverrenkung rechts, Eindrückung und Knochenbruch des knöchernen großen Rollhöckers des rechten Oberarmkopfes, knöcherne Absprengung an der rechten vorderen-unteren Gelenkspfanne und Verbrennung an der linken Hand) zur Gewährung einer vorläufigen Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente von 10.10.2022 bis 9.4.2023 und wies 2. das Klagebegehren auf Gewährung einer darüber hinausgehenden Versehrtenrente ab.
Es traf folgende Feststellungen :
Die Klägerin war seit April 2017 bei der B* GmbH als Reinigungskraft beschäftigt. Seit 2020 war sie im „C*“ in ** eingesetzt – auch am Vorfallstag, dem 23.3.2022.
Sie hatte dort stets Montag bis Freitag, 10:00 Uhr bis 14:00 Uhr, Dienst, von 10:00 Uhr bis 13:00 Uhr als Reinigungskraft, von 13:00 Uhr bis 14:00 Uhr in der Küche.
Die Vorgesetzten der Klägerin riefen diese nur selten aus dienstlichen Gründen an, weil die Klägerin ja seit 2020 am selben Dienstort zu den selben Dienstzeiten an fixen Tagen tätig war.
Auch am Vorfallstag hatte sie von 10:00 Uhr bis 14:00 Uhr Dienst.
Zu diesem Zeitpunkt besaß sie ein iPhone älteren, nicht feststellbaren Modells. Dieses Smartphone war in gutem Zustand und voll funktionsfähig.
Das Ladegerät hatte die Klägerin zwei bis drei Monate vor dem Vorfall in einem „Handyshop“ in neuem Zustand erworben. Das Ladegerät war entweder „original“, also ein Markenprodukt von Apple für derartige Smartphones, oder aber ein Nachbau. Äußerlich war es – auch am Vorfallstag – unbeschädigt.
Das Ladekabel des Ladegeräts war vorsorglich mit einem Isolierband umwickelt, um es vor Beschädigung zu schützen, zumal die Klägerin das Handy und das Ladekabel für gewöhnlich in ihrer Tasche aufbewahrte und transportierte.
In einem Raum, der sowohl als Umkleideraum als auch als Lagerraum genutzt wurde, befand sich ein Metallregal. Auch dessen Regalböden waren aus Metall gefertigt. Auf diesem waren ua Reinigungsmittel gelagert.
Am Vorfallstag lud die Klägerin ihr Handy auf, indem sie das Ladegerät an eine Steckdose ansteckte, das Ladegerät am Handy und das Handy auf das Metallregal legte.
Zu einem späteren Zeitpunkt begab sie sich in jenen Raum, um etwas von dort zu holen. Sie berührte im Vorbeigehen mit der linken Hand einen Regalsteher dieses Regals und erlitt einen Stromschlag.
Sie telefonierte nicht während des Vorfalls, vielmehr befand sich das Handy nach wie vor auf dem Regalboden, auf den es die Klägerin hingelegt hatte. Dies geschah also nicht in einer Arbeitspause, sondern während der Arbeitstätigkeit (Holarbeiten aus dem Raum).
Aufgrund des Stromschlags kam die Klägerin zu Sturz. Dabei zog sie sich eine vordere-untere Schulterverrenkung rechts, eine Eindrückung und einen Knochenbruch des knöchernen großen Rollhöckers des rechten Oberarmkopfes, eine knöcherne Absprengung an der rechten vorderen-unteren Gelenkspfanne und eine Verbrennung an der linken Hand zu.
Nach Verrenkung der rechten Schulter mit Abriss des großen Rollhöckers unter Beteiligung der hinteren Oberarmkopfkontur, knöchernem Abriss am vorderen unteren Rand der Gelenkpfanne, Muskeleinriss der Unterschulterblattmuskelsehne, Riss der Schultergelenkpfanne am vorderen Unterrand und konservativer Therapie bestehen eine Bewegungseinschränkung, eine Muskelverschmächtigung und eine subjektive Belastungsminderung.
Bis 9.10.2022 befand sich die Klägerin im unfallbedingten Krankenstand.
Die unfallkausale MdE beträgt von 10.10.2022 bis 9.4.2023 20 vH, ab 10.4.2023 10 vH.
Das „unfallgegenständliche“ iPhone war auch nach dem Vorfall funktionsfähig; die Klägerin benutzte es noch ein Jahr nach dem Vorfall, bevor sie ein neues anschaffte.
Rechtlich folgerte das Erstgericht zusammengefasst, ein Arbeitsunfall liege vor, wenn sich der Unfall im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignet habe. Dagegen seien private oder eigenwirtschaftliche Tätigkeiten nicht versichert. Die Klägerin habe sich beim Unfall nicht „auf Pause“ befunden und auch nicht privat mit ihrem Handy telefoniert. Vielmehr sei sie beim Unfall ihrer Tätigkeit als Reinigungskraft nachgegangen, sodass von einer privaten oder eigenwirtschaftlichen Verrichtung nicht gesprochen werden könne. Aus den Feststellungen folge auch, dass sich der Stromschlag nicht beim Anstecken des Handys ereignet habe – wenn man dies denn isoliert als private (eigenwirtschaftliche) Tätigkeit qualifizieren wollte. Selbst, wenn man dem Vorbringen der Beklagten folge, dass der Stromschlag auf einen Defekt des Ladegeräts oder des Handys zurückzuführen wäre, wäre für sie nichts gewonnen: Werde ein Unfall durch eine selbst geschaffene Gefahr herbeigeführt, fehle der Kausalzusammenhang zur versicherten Tätigkeit, wenn der Unfall auf einem völlig unvernünftigen und unsinnigen Verhalten des Versicherten beruhe und eine solche besondere Gefährdung entstanden sei, dass die versicherte Tätigkeit nicht mehr als wesentliche Bedingung für den Unfall anzusehen sei. Einem solch groben Fehlverhalten sei das Verhalten der Klägerin nicht annähernd vergleichbar: Das Aufladen eines Handys mit einem (jedenfalls seit Kaufdatum) drei Monate alten Ladegerät, die beide äußerlich nicht beschädigt erschienen, sei weder völlig unvernünftig noch unsinnig. Das würde selbst dann gelten, wenn das Kabel des Ladegeräts bereits bei Kauf eigens isoliert (also bereits ersichtlich einmal repariert) gewesen wäre. Die Beklagte habe vorgebracht, das selbst zusammengeklebte private Stromkabel der Klägerin hätte bei seiner Nutzung zu jedem Zeitpunkt einen Stromschlag verursachen können, auch zu Hause. Damit mache sie keinen weiteren die Zurechnung ausschließenden Grund geltend, sondern ziehe unzutreffend die Judikatur zur „Gelegenheitsursache“ heran. Es handle sich hiebei zwar um eine Judikaturlinie zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs, aber zum Sonderproblem eines gesundheitlichen Vorschadens des Versicherten.
Erkennbar gegen den Spruchpunkt 2. des Urteils richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit einem Abänderungsantrag.
Die Klägerin beantragt, der Berufung keine Folge zu geben.
Die Berufung ist nicht berechtigt .
Zur allein erhobenen Rechtsrüge meint die Beklagte zusammengefasst, nach den Feststellungen habe die Klägerin ein iPhone älteren Modells besessen und auch das Ladegerät 2 bis 3 Monate vor dem Vorfall in einem Handyshop erworben. Die Nutzung dieses Telefons sowie des Ladekabels sei nur selten aus dienstlichen Gründen notwendig gewesen. Zu den dem privaten unversicherten Lebensbereich zuzurechnenden Verrichtungen zählten va die notwendigen und selbstverständlichen Dinge, denen jeder Mensch völlig unabhängig von seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen pflege; auch dann, wenn sie zugleich für die Erfüllung von Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis vielfach unentbehrlich seien. Der eigenwirtschaftliche Charakter werde nicht auch schon dadurch ausgeschlossen, dass die eigenwirtschaftliche Verrichtung in irgendeiner Beziehung zur Beschäftigung stehe. Solche Verhaltensweisen, die der Verletzte aus eigenwirtschaftlichen Gründen setze, könnten nur dann als von der Unfallversicherung geschützt angesehen werden, wenn sie infolge der Ausübung der geschützten Tätigkeit unter einem erhöhten Gefahrenrisiko hätten durchgeführt werden müssen und dieses erhöhte Risiko tatsächlich zum Unfall geführt habe. Der Ladevorgang des privaten Handys stelle daher eine Verrichtung des täglichen Lebens dar, die nach ständiger Rechtsprechung eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit darstelle. Halte man sich vor Augen, dass die gesetzliche Unfallversicherung den Versicherten vor Gefahren schützen solle, die sich daraus ergäben, dass betriebliche Einrichtungen an der Entstehung des Unfalls wesentlich mitgewirkt hätten und der Unfall wesentlich durch Umstände an der Arbeitsstätte oder die Arbeitstätigkeit selbst verursacht worden seien, könne ein Unfallversicherungsschutz nicht gegeben sein, wenn sich lediglich ein privates Risiko verwirklicht habe. Weder das Handy der Klägerin noch das Ladegerät seien wesentlich der versicherten Tätigkeit zu dienen bestimmt. Auch eine generelle Notwendigkeit im Zuge einer 4 Stunden dauernden Arbeitsschicht das private Handy zu laden, ergebe sich nicht. Der Versicherungsschutz bestehe soweit also immer nur dann, wenn der Dienstnehmer Opfer einer in der betrieblichen Risikosphäre ihren Ausgangspunkt nehmenden Kausalkette gewesen sei und somit als versicherter Dienstnehmer in seiner Rolle als Erwerbstätiger einer Betriebsgefahr zum Opfer gefallen sei, möge ihn die Gefahr auch bei eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten ereilt haben. Die Betriebsgefahr müsse sich hier allerdings von einer sonstigen Alltagsgefahr qualitativ deutlich unterscheiden. Ein betriebliches Gefahrenrisiko sei im Falle der Klägerin eindeutig zu verneinen. Es habe sich im gegenständlichen Fall ausschließlich ein privates Risiko verwirklicht. Zwar sei festzuhalten, dass das Metallregal, auf dem das private Handy während des Ladevorganges abgelegt wurde, eine betriebliche Einrichtung darstelle. Eine Gefahr für sich alleine sei allerdings vom Metallregal nicht ausgegangen. Entscheidend und ursächlich sei alleine das Laden des privaten Handys das betrieblich nicht veranlasst gewesen sei. Weder beim Ladekabel noch beim Handy handle es sich um ein Arbeitsgerät. Das Aufladen des privaten Handys mit einem privaten Ladegerät am Arbeitsort sei beruflich weder notwendig, noch bei einer Dauer von 4 Stunden nachvollziehbar gewesen. Der Ladevorgang sei dem persönlichen Verantwortungsbereich der Klägerin zuzurechnen ohne sachlichen Bezug zur Berufstätigkeit.
Die Berufung entfernt sich zum Teil in unzulässiger Weise vom festgestellten Sachverhalt. Sie übergeht, dass lediglich feststeht, dass die Klägerin bei Erbringung ihrer Arbeitsleistung einen Stromschlag erlitt indem sie das – zum Betrieb gehörige – Metallregal berührte, und nicht etwa das Handy oder das Ladekabel, die auch keine erkennbaren Beschädigung aufwiesen. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten in erster Instanz hat die Klägerin dabei weder Pause gemacht, noch mit dem Handy telefoniert, noch steht – entgegen dem Vorbringen der Beklagten - fest, dass das Ladekabel (oder das Handy) eine Beschädigung aufwies. Vielmehr war das Handy in einem guten funktionsfähigen Zustand, auch nach dem Vorfall. Das Kabel des erst zwei bis drei Monate davor neu – und nicht gebraucht – in einem Spezialgeschäft gekauften Ladegeräts hatte die Klägerin – gerade zum Schutz vor einer allfälligen Beschädigung – noch extra mit Isolierband umwickelt.
Dass das Handy, das Ladegerät oder der Ladevorgang den Stromschlag verursachten, steht somit nicht fest. Damit bleibt die festgestellte Berührung des – unter Strom gestandenen - Metallgestells bei Arbeitserbringung, die aber dem geschützten Bereich zuzuordnen ist. Die Klägerin ist Opfer einer betrieblichen, nicht alltäglichen Gefahr geworden. Der Unfall hat sich im örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignet (RIS-Justiz RS0084229).
Schon aus diesem Grund hat das Erstgericht einen Arbeitsunfall zu Recht bejaht, sodass es auf die weiteren (hypothetischen) rechtlichen Argumente des Erstgerichts nicht entscheidend ankommt.
Damit war der Berufung der Beklagten ein Erfolg zu versagen.
Die Klägerin bekämpft mit ihrer Berufungsbeantwortung aus anwaltlicher Vorsicht wegen unrichtiger Beweiswürdigung die bei der Wiedergabe des festgestellten Sachverhalts unterstrichenen Feststellung und wünscht statt dessen folgende: „ Die Klägerin war seit 2020 am selben Dienstort, zu denselben Dienstzeiten an fixen Tagen tätig, musste jedoch für die Vorgesetzten – da es zu einer Personalreduktion kam – jederzeit erreichbar sein, um in Falle eines Personalausfalles einspringen zu können. In einem Raum, der zwar als Umkleideraum deklariert wurde, aber keinerlei Pausenausstattung (Kaffeemaschine, Mikrowelle, Sitzgelegenheit) bot und vorrangig als Langerraum genutzt wurde, befand sich ein Metallregal, dessen Regalböden ebenfalls aus Metall gefertigt waren. Auf diesem Regal befanden sich Arbeitsmittel (Reinigungsmittel, WC-Papier, etc) der Klägerin. Zu einem späteren Zeitpunkt begab sie sich in jenen Raum, um etwas von dort zu holen. Sie berührte im Vorbeigehen mit der linken Hand einen Regalsteher dieses Regals und erlitt einen Stromschlag. Da das Handy der Klägerin sich in einem guten Zustand befand und auch das Ladekabel erst zwei bis drei Monate alt und am Vorfallstag unbeschädigt war, ging keinerlei Gefahr vom Handy oder vom Ladekabel aus.
Das Erstgericht hat aber die von ihm getroffenen Feststellungen, so auch die hier kritisierten, insbesondere zur telefonischen Erreichbarkeit, mit schlüssiger Beweiswürdigung begründet. Daran werden keine Bedenken erweckt. Den äußeren Zustand des Landekabels als unbeschädigt und die Funktionsfähigkeit des Handys vor und nach dem Unfall hat das Erstgericht ohnehin angenommen. Für den gewünschten festzustellenden Zustand vermag auch die Klägerin keine konkreten Beweisergebnisse anzuführen.
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG. Die Beklagte hat daher der Klägerin die verzeichneten Kosten ihrer Berufungsbeantwortung zu ersetzen.
Die ordentliche Revision war nicht für zulässig zu erklären, weil vorliegend eine Frage, von der Qualität
des § 502 Abs 1 ZPO nicht zur Beurteilung stand.
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