JudikaturOLG Wien

16R116/25h – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Schadenersatzrecht
25. Juni 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Sonntag als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichtes Mag. Elhenicky und Mag. Ingemarsson in der Rechtssache der klagenden Partei A* B* , **, vertreten durch Mag. Johannes Bügler, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei C*, **, vertreten durch Rudeck Schlager Rechtsanwalts KG in Wien, wegen EUR 27.129,80 sA, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 17.4.2025, **39, gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 2.875,92 (hierin enthalten USt EUR 479,32) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte ist Betreiberin des Klinikums D*, wo die am ** geborene Ehefrau des Klägers E* B* vom Mai 2021 bis zu ihrem Tod am 14.10.2022 an einer Studie zur Beurteilung der Auswirkungen einer Lipoprotein(a)-Senkung durch das Medikament „F*“ (**) teilnahm. Die doppelblinde und randomisierte Studie befand sich in der Phase III, wobei sich nachträglich herausstellte, dass E* B* nicht das wirkungslose Placebo sondern tatsächlich das neue Medikament F* erhalten hatte.

E* B* wies in ausgeprägter Form mehrere der klassischen Risikofaktoren für eine koronare Herzerkrankung auf. Bereits ihre Mutter und ihre Schwester hatten im Alter von 63 Jahren bzw. 58 Jahren einen Herzinfarkt. Sie selbst wies einen sehr hohen angeborenen Cholesterinwert auf, mit einem LDL-Wert von 168mg/dl (Normwert 130mg/dl) und einem Lp(a)-Wert von 197mmol/L (Normwert: 75mmol/L). Eine solche Hypercholesterinämie erhöht das Risiko der Entwicklung einer Arteriosklerose und der Entstehung von Engstellen (Stenosen) in den Herzkranzgefäßen erheblich. Zum Zeitpunkt ihres Einschlusses in die Phase III der F*-Studie im Mai 2021 befand sich E* B* bereits in einem sehr schweren und fortgeschrittenen Stadium der koronaren Herzerkrankung mit Rezidivstenosen und mehreren Stents in allen drei Herzkranzgefäßen.

Das Ziel der Studie, an der E* B* teilnahm, bestand darin, mittels neuartiger Therapie den Lp(a)-Spiegel zu senken. Bis jetzt gibt es dafür kein Medikament auf dem Markt, sondern lediglich solche im Untersuchungstadium. Dass sich F* in der Phase III der Entwicklung befand, bedeutet, dass bereits Phase I und Phase II erfolgreich und ohne nennenswerte Zwischenfälle durchgeführt und abgeschlossen waren. Das Risiko einer Studienteilnahme in Phase III ist verschwindend gering, allenfalls kann sich das neue Medikament als nicht oder wenig wirksam herausstellen. Für E* B* war vor diesem Hintergrund die Studienteilnahme mangels marktzugelassener Medikamente eine große Chance, ihr angeborenes hohes Risiko eines Herzinfarkts zu reduzieren.

Am 6.5.2021 unterschrieb E* B* eine umfangreiche PatientInneninformation und Einwilligungserklärung von insgesamt 27 Seiten zur Teilnahme an der klinischen Studie zur Beurteilung der Auswirkungen einer Lp(a)-Senkung durch F* auf schwere kardiovaskuläre Ereignisse bei Patienten mit bestehender kardiovaskulärer Grunderkrankung, die auch eine Datenschutzerklärung beinhaltet. Am selben Tag unterschrieb E* B* eine weitere PatientInneninformation und Einwilligungserklärung für genetische Forschung im Rahmen dieser Studie. Mit ihrer Unterschrift bestätigte E* B*, eine Kopie der Information erhalten zu haben und dass diese Einwilligung nur bis zu einem jederzeit möglichen Widerruf Geltung haben sollte.

Die von E* B* erhaltene Information enthält sämtliche in Betracht kommenden Nebenwirkungen und Risiken. Keines davon hat sich im Zusammenhang mit ihrem Tod verwirklicht, der auf ihre fortgeschrittene koronare Grunderkrankung zurückzuführen ist.

Im Zuge der Studienteilnahme besuchte E* B* regelmäßig das Klinikum D* für Kontrolltermine. Im Zuge der Kontrolle am 20.9.2021 beschrieb sie lagerungsabhängigen Vertigo-Drehschwindel (ohne Übelkeit), weshalb eine HNO-Konsultation empfohlen wurde. Am 21.10.2021 wurde aufgrund des Schwindels das blutdrucksenkende Medikament „**“ abgesetzt. Die Maßnahme beendete den Schwindel, wie beim Kontrolltermin am 24.11.2021 dokumentiert wurde. Beim Kontrolltermin am 16.2.2022 und am 24.2.2022 gab E* B* bekannt, dass sie seit ca. Mitte Jänner unter Übelkeit und Erbrechen leide, weshalb die Medikation durch den Internisten neuerlich umgestellt wurde.

Ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Tod von E* B* und F* ist auszuschließen. Die Studie ist bei ihr nach allen Regeln der Kunst ausgeführt worden. Sämtliche Visiten sind genau dokumentiert. Ein Abbruch oder eine Dosisreduktion standen nie zur Diskussion und wären weder sinnvoll noch notwendig gewesen.

Die von E* B* angegebenen Beschwerden Schwindel und Übelkeit besserten sich nach der Änderung der bestehenden Medikation im September 2021 und Februar 2022. Sie waren kein Hinweis auf ein möglicherweise bevorstehendes koronares Ereignis, etwa einer weiteren Stenose oder eines Herzinfarkts. Für das Klinikum D* bestand daher keine Veranlassung für Maßnahmen, die allenfalls Auswirkungen auf das letztlich eingetretene koronare Ereignis und den Tod von E* B* haben hätten können.

Der Kläger begehrte EUR 27.129,80 sA an Trauerschaden und Bestattungskosten aufgrund des Ablebens seiner Ehefrau. Sie sei nicht ausreichend über die Risken der Teilnahme an der Studie aufgeklärt worden. Trotz Mitteilung gesundheitlicher Beschwerden sei das Studienmanagement nicht abgesetzt worden.

Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete zusammengefasst ein, das Ableben der Ehefrau des Klägers sei schicksalshaft gewesen. Die Studie sei lege artis durchgeführt worden und es habe im Rahmen der Teilnahme engmaschige Kontrollen gegeben. Ein Grund zum Abbruch der Studienteilnahme habe nicht bestanden. Die Ehefrau des Klägers sei in einem ausführlichen Gespräch umfassend aufgeklärt worden.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab.

Das Erstgericht legte seiner Entscheidung den oben wiedergegebenen, im Berufungsverfahren nicht strittigen Sachverhalt zugrunde. Weiters traf es noch folgende bekämpfte Feststellung:

Mit Ende Juni 2022 wurde ihre Begleitmedikation ein weiteres Mal geändert und „Patientin geht es sehr gut; keine nachteiligen Vorkommnisse“ vermerkt (Beilage ./1 S 4-6).

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt zusammengefasst dahin, es fehle sowohl am Nachweis eines Behandlungsfehlers als auch an einer Verursachung des Schadens durch die medizinische Behandlung in Form des Einschlusses in eine Medikamentenstudie. Bei der Ehefrau des Klägers habe sich kein aufklärungspflichtiges Risiko verwirklicht, auch eine Haftung auf Basis eines Aufklärungsfehlers scheide daher aus.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der Aktenwidrigkeit mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

Im Rahmen der Mängelrüge moniert der Berufungswerber zunächst das Unterbleiben seiner Vernehmung als Partei. Aufgrund dieses Mangels habe er nicht unter Beweis stellen können, dass der Zustand seiner Ehefrau weitere Schritte/Interventionen bzw Behandlungen erfordert hätte. Insbesondere hätte die Beklagte einen weiteren Stent legen müssen, um einen Herzinfarkt der Ehefrau zu verhindern. Die Dokumentation der Beklagten sei unrichtig gewesen.

Die gerügte Mangelhaftigkeit liegt aus folgenden Überlegungen nicht vor:

Nach ständiger Rechtsprechung ist die Parteienvernehmung zur Lösung von Fragen, die einer besonderen Sachkunde bedürfen, nicht geeignet (vgl Klauser/Kodek, JN ZPO 18 § 372 E 9 uva).

Im Übrigen hat der medizinische Sachverständige Univ.Prof. Dr. G* in der Verhandlung vom 12.3.2025 ausgeführt, dass sowohl Panikattacken als auch Schwindel völlig unspezifische Symptome seien, wobei insbesondere Schwindel in keiner Weise auf angina pectoris hinweise und ein rein neurologisches Symptom darstelle. Gleichermaßen sei eine Panikattacke ein psychiatrisches Phänomen und keinesfalls internistisch zu betrachten. Ein Zusammenhang zwischen Panikattacken oder gar Schwindel mit einem bevorstehenden Herzinfarkt sei aus seiner Sicht viel zu weit hergeholt. Auch die vom Kläger vorgebrachte gesundheitliche Situation seiner Ehefrau mit Übelkeit, Schwindel, Gewichtsverlust hätte kein anderes Vorgehen indiziert. Es habe auch vor diesem Hintergrund keinen vorherigen Hinweis auf einen möglichen bevorstehenden Herzinfarkt, der höchstwahrscheinlich spontan stattgefunden habe, gegeben (ON 35.1, Seite 4).

Im Übrigen verstößt die Ausführung, der Zustand seiner Ehefrau hätte weitere Behandlungen erfordert, wie insbesondere das Setzen eines Stents, gegen das Neuerungsverbot. Eine solche Feststellung hätte außerdem nur durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens, nicht aber nach Durchführung einer Parteienvernehmung getroffen werden können.

Der Berufungswerber rügt weiters das Unterbleiben der Vernehmung des Zeugen Dr. H*, welcher die Studie betreut habe und der Ehefrau des Klägers den Aufklärungsbogen ausgehändigt habe. Bei Durchführung dieser Vernehmung hätte das Erstgericht zum Ergebnis kommen müssen, dass der Ehefrau des Klägers lediglich die Vorteile der Studie mitgeteilt worden seien, ohne die Risken aufzuzeigen. Sie sei auch nicht darüber aufklärt worden, dass bei einem Druck hinter dem Brustkorb ein weiterer Herzkatheter eingesetzt werden müsse.

Diesen Ausführungen ist entgegenzuhalten, dass unbekämpft vom Erstgericht festgestellt wurde, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Tod der Ehefrau des Klägers und dem in der Studie eingesetzten Medikament auszuschließen sei.

Im Übrigen führte der medizinische Sachverständige Univ.Prof. Dr. G* in ON 18 aus, dass eine Vernehmung des Studienarztes aus seiner Sicht nicht erforderlich sei.

Nach ständiger Rechtsprechung kann im Übrigen ein Sachverständigengutachten niemals durch Zeugen entkräftet werden, auch dann nicht, wenn es sich um sachverständige Zeugen handelt (vgl Klauser/Kodek , aaO § 363 E 30).

Unter dem Berufungsgrund der Aktenwidrigkeit führt der Berufungswerber aus, der letzte Termin der Ehefrau des Klägers auf der Ambulanzkarte der Beklagten sei der 23.8.2022 gewesen und nicht wie vom Erstgericht festgestellt Ende Juni 2022. Diese Feststellung sei deshalb von Relevanz, weil die Ehefrau des Klägers nur rund 1½ Monate nach dem letzten Termin am 14.10.2022 verstorben sei. Die zeitliche Abfolge indiziere ein nicht lege artis Vorgehen der Beklagten.

Das Berufungsgericht hat dazu erwogen:

Aus Seite 6 der Krankengeschichte Beilage ./1 betreffend die Ehefrau des Klägers ergibt sich, dass die Änderung der Begleitmedikation per 1.6.2022 stattgefunden habe und der letzte Ambulanztermin der 23.8.2022 gewesen sei.

Den letzten Ambulanztermin am 23.8.2022 vermerkt auch der medizinische Sachverständige in seinem Gutachten ON 22, dort Seite 6. Auf diese Ausführungen bezieht sich das Erstgericht erkennbar in seinen Feststellungen, ohne dieses Datum explizit anzuführen.

Aktenwidrigkeiten sind dadurch zu beheben, dass das Rechtsmittelgericht an die Stelle der aktenwidrigen die durch den Akteninhalt gedeckte Feststellung setzt und diese der rechtlichen Beurteilung unterzieht (3 Ob 37/09a ua).

Das Berufungsgericht korrigiert die betreffende Feststellung daher dahingehend, dass sie wie folgt zu lauten hat:

Mit Anfang Juni 2022 wurde ihre Begleitmedikation ein weiteres Mal geändert und am 23.8.2022 „Patientin geht es sehr gut; keine nachteiligen Vorkommnisse“ vermerkt.

Die Richtigkeit dieses Vermerkes kann nicht mit dem Berufungsgrund der Aktenwidrigkeit geltend gemacht werden.

Das Berufungsgericht übernimmt daher die Feststellungen des Erstgerichtes als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens, hinsichtlich der Feststellung betreffend Begleitmedikation und letzten Ambulanzbesuch in der oben ersichtlichen modifizierten Form.

Eine Rechtsrüge wurde nicht erhoben.

Der unberechtigten Berufung war daher der Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Die Revision war gemäß § 502 Abs 1 ZPO nicht zuzulassen, weil eine Rechtsrüge in der Berufung nicht erhoben wurde, welche nach ständiger Rechtsprechung im Revisionsverfahren nicht mehr nachgeholt werden könnte.