19Bs128/25z – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A*wegen der Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB und einer weiteren strafbaren Handlungen über die Berufung des A* wegen Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 13. Februar 2025, GZ **-21a, sowie dessen (implizierter) Beschwerde gegen einen gemäß § 494a StPO gefassten Beschluss nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Baumgartner, im Beisein der Richterinnen Mag. Wilder und Mag. Körber als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart des Oberstaatsanwalts Mag. Wohlmuth, LL.M., sowie der Verteidigerin Dr. Melanie Langsenlehner durchgeführten Berufungsverhandlung am 10. Juni 2025
I./ zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
II./ den
B e s c h l u s s
gefasst:
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Entscheidungsgründe:
[1]
Text
Mit dem angefochtenen, auch einen in Rechtskraft erwachsenen Privatbeteiligtenzuspruch enthaltenden Urteil wurde der österreichische Staatsbürger A* der Verbrechen der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB (I./A und B./) und des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (II./) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB nach dem Strafsatz des § 84 Abs 4 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünfzehn Monaten verurteilt. Mit unter einem gefassten Beschluss sah das Erstgericht gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO vom Widerruf der A* mit Urteilen des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. Jänner 2023, AZ **, des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 13. November 2023, AZ B*, sowie des Landesgerichts Leoben vom 6. Februar 2024, AZ C*, jeweils gewährten bedingten Strafnachsichten ab und verlängerte gemäß § 494a Abs 6 StPO die Probezeit zu den zwei letztgenannten Verurteilungen auf jeweils fünf Jahre.
[2] Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* am 21. Juli 2024 in **
I./ Nachgenannte am Körper verletzt und dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) herbeigeführt, indem er ihnen Schläge und Tritte versetzte, nämlich
A./ im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit vier abgesondert verfolgten unbekannten Tätern (§ 12 StGB) D* E*, wobei er eine schwere Körperverletzung und eine Gesundheitsschädigung des Genannten herbeiführte, wodurch dieser ein subarachnoidales Hämatom stirnseitig rechts, ein subdurales Hämatom der linken Sichel mit minimaler Verschiebung der Falx, einen Bruch der Kieferhöhle linksseitig, einen Bruch der linken Augenhöhle, eine Rissquetschwunde im linken Hinterhauptbereich sowie an der Unterlippe, eine Prellung und Abschürfung an der rechten Schulter, eine Abschürfung am rechten Ellenbogen sowie eine Prellung und Abschürfung des rechten Handrückens und im Bereich unterhalb der rechten Kniescheibe, sohin eine an sich schwere Körperverletzung mit Gesundheitsschädigung und mit Berufsunfähigkeit von mehr als 24-tägiger Dauer erlitten hat;
B./ im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit einem abgesondert verfolgten unbekannten Täter (§ 12 StGB) F* E*, wodurch dieser einen verschobenen Nasenbeinbruch, eine Stirnprellung, eine Prellung des Jochbeins linksseitig, ein Hämatom unter dem linken Auge und Abschürfungen an beiden Ellenbogen, sohin eine an sich schwere Körperverletzung erlitten hat;
II./ F* E* eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine Zigarettenpackung in nicht mehr feststellbarem Wert, mit dem Vorsatz wegzunehmen versucht, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, indem er wiederholt nach der Zigarettenpackung griff, während F* E* jene Hand, in der er die Zigarettenpackung hielt, zurückzog.
[3]Bei der Strafzumessung wertete das Erstgericht drei einschlägige Vorstrafen und das Zusammentreffen zweier Verbrechen mit einem Vergehen als erschwerend, den Umstand, dass es teilweise beim Versuch blieb, als mildernd. Im Rahmen allgemeiner Strafbemessungsgrundsätze (§ 32 StGB) erachtete es den raschen Rückfall, die Tatbegehung innerhalb dreier offener Probezeiten sowie während offenen Strafantritts als schulderhöhend.
[4]Gegen dieses Urteil richtet sich die unmittelbar nach Urteilsverkündung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe angemeldete (ON 21.14), nach Zurückziehung der angemeldeten Nichtigkeitsberufung verbleibend in den Anfechtungspunkten der Schuld und Strafe ausgeführte Berufung des Angeklagten sowie dessen implizierte Beschwerde gegen den gemäß § 494a Abs 6 StPO gefassten Beschluss.
[5]
Rechtliche Beurteilung
Mit seiner Schuldberufung gelingt es dem Angeklagten nicht, Zweifel an der zutreffenden Beweiswürdigung des Erstgerichtes zu wecken.
[6] Im Rahmen der Schuldberufung ist vom Rechtsmittelgericht zu überprüfen, ob das Erstgericht für das Verfahren wesentliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse einer nachvollziehbaren und den Denkgesetzen entsprechenden Würdigung unterzog und die wesentlichen Gründe für die entsprechenden Tatsachenfeststellungen in gedrängter Form zur Darstellung brachte.
[7] Die freie Beweiswürdigung ist ein kritisch-psychologischer Vorgang, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungsgrundsätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind ( Mayerhofer, StPO 6 § 258 E 30f; Kirchbacher, StPO 15§ 258 Rz 8). Wenn aus den vom Erstgericht aus den vorliegenden Beweisergebnissen folgerichtig abgeleiteten Urteilsannahmen auch andere, für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich sind, so tut dies nichts zur Sache. Der Grundsatz „in dubio pro reo“ stellt nämlich keine negative Beweisregel dar, die das erkennende Gericht – im Falle mehrerer denkbarer Schlussfolgerungen – verpflichten würde, sich durchwegs für die dem Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden (RIS-Justiz RS0098336). Es ist daher als Akt der freien Beweiswürdigung durchaus statthaft, wenn sich der Tatrichter mit plausibler Begründung für eine für den Angeklagten ungünstigere Variante entscheidet ( Mayerhofer aaO § 258 E 45).
[8] Die Erstrichterin hat die erhobenen Beweise unter Ausschöpfung sämtlicher relevanten Beweismittel und Ein-beziehung des von allen vernommenen Personen in der Hauptverhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks mit schlüssiger Begründung – der sich das Oberlandesgericht im Rahmen der umfassenden Prüfung der Verfahrensergebnisse anschließt (vgl Ratz, WK-StPO § 67 Rz 2) – einer denkrichtigen und lebensnahen Würdigung unterzogen und dargelegt, wie sie zu den – vom Berufungsgericht übernommenen – Feststellungen zur objektiven und subjektiven Tatseite gelangte.
[9] Das Erstgericht, das sich auch mit Differenzen in den Aussagen der Zeugen E* und der leugnenden, eine Notwehrsituation behauptenden Verantwortung des Angeklagten auseinandersetzte, konnte sich zutreffend auf die Aussagen der Opfer F* E* und D* E* stützen, zumal diese vom unabhängigen Zeugen G* bestätigt wurden. Der Zeuge G* gab bereits anlässlich seiner polizeilichen Einvernahme an, dass die Auseinandersetzung vom Angeklagten ausging (ON 2.12,3) und deponierte auch in der Hauptverhandlung, dass der erste Schlag vom Angeklagten geführt worden sei (ON 21,23f; ON 21,25), wobei er auch unmissverständlich klarstellte, dass die Darstellung des (mit)ersteinschreitenden Polizeibeamten H* im Amtsvermerk vom 21. Juli 2024 (ON 2.22,3), wonach er angegeben habe, dass der erste Schlag von einem der beiden Brüder (E*) ausgegangen sei, nicht stimme. Zudem steht auch der Umstand, dass D* E* in Begleitung seiner Gattin und seinen zwei kleinen Kindern war (Schwägerin und Nichten des F* E*), gegen die Verantwortung des Angeklagten, widerspricht es doch jeder Lebenserfahrung, dass eine solcherart begleitete Person eine Schlägerei vor seinen Familienmitgliedern, noch dazu in aller Öffentlichkeit beginnt.
[10] Die vom Angeklagten in seiner Berufung selektiv herausgegriffenen Aussagen zur Frage, ob F* E* seinem Bruder bereits am Telefon mitteilte, dass er angegriffen worden sei oder dies diesem erst in der U-Bahn-Station erzählte, während die Gattin des D* E* mit den Kindern Zigaretten kaufen war, ist für die Lösung der Schuldfrage nicht erheblich. Zudem gibt auch D* E* an, dass ihm sein Bruder beim Rauchen in der U-bahn-Station erzählt habe, dass er wegen der Nichtüberlassung von Zigaretten vom Angeklagten und einer weiteren Person angegriffen worden sei (ON 21,15). Dass F* E* mit der Aussage, wonach die Kinder seines Bruders „alles mitbekommen“ hätten, nicht meinte, dass diese den gesamten Vorfall von Anfang an beobachten konnten, sondern nur ab dem Zeitpunkt, ab dem D* E* zu Boden geschlagen wurde, ergibt sich schon aus dem Gesamtkontext der entsprechenden Aussagepassage in ON 21,11. Gab doch F* E* an, gesehen zu haben, wie sein Bruder diesen „Todesschlag“ (gemeint den zu dessen Sturz führenden KO-Schlag) bekommen habe und beantwortete er daraufhin die daran anschließende Frage der Erkenntnisrichterin, wo die Kinder (aufgrund der Fragestellung zweifelsfrei gemeint zu diesem Zeitpunkt) gestanden seien, damit, dass diese neben der Tür der ** Straße am Boden gesessen seien und alles mitbekommen hätten (ON 21,11.) Dass der Zeuge D* E* nicht wusste, ob der Angeklagte im Zuge der Auseinandersetzung einmal am Boden gelegen sei, verwundert angesichts des Umstandes, dass dieser selbst bewusstlos und schwer verletzt am Boden lag, nicht weiter. Zudem sprechen auch die objektivierten schweren Verletzungen der Zeugen, deren Entstehung der Angeklagte nicht zu erklären vermochte, für die Darstellung der Zeugen und gegen die auf das Vorliegen einer Notwehrsituation abstellende Einlassung des Angeklagten.
[11] Da sohin die Schuldberufung nichts vorbrachte, was geeignet wäre, Zweifel an der zutreffenden Lösung der Schuldfrage durch das Erstgericht hervorzurufen, war ihr der Erfolg zu versagen.
[12] Die Strafberufung ist ebenfalls nicht im Recht.
[13]Die erstgerichtlichen Strafzumessungsgründe sind dahingehend zu korrigieren, dass der rasche Rückfall im Rahmen des § 33 Abs 1 Z 2 StGB und nicht bloß im Rahmen allgemeiner Strafzumessungserwägungen als erschwerend zu werten ist (F abrizy/Michel-Kwapinski/Oskidari StGB 14§ 33 Rz 3). Die vom Angeklagten erlittene (leichte) Verletzung an der Lippe erreicht nicht ein derart beträchtliches Ausmaß, welches eine Anwendung des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 1 Z 19 StGB rechtfertigen würde.
[14] Ausgehend von den solcherart korrigierten Strafzumessungserwägungen erweist sich bei einem Strafrahmen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe die vom Erstgericht verhängte Sanktion schuld – und tatangemesssen und dem sozialen Unwert Rechnung tragend. Eine auch nur teilbedingte Nachsicht kommt angesichts des einschlägig getrübten Vorlebens und des raschen Rückfalls schon aus spezialpräventiven Gründen nicht in Betracht.
Auch der (implzierten) Beschwerde gegen die Verlängerung der Probezeiten zu den Urteilen des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 13. November 2023, AZ B*, sowie des Landesgerichts Leoben vom 6. Februar 2024, AZ C*, kommt keine Berechtigung zu. Erfordert doch die einschlägige Vorstrafenbelastung und die Wirkungslosigkeit bisheriger Resozialisierungsmaßnahmen mit Blick auf den raschen Rückfall in einschlägig delinquentes Verhalten zusätzlich zur Verbüßung der nunmehr verhängten Freiheitsstrafe eine Verlängerung des Beobachtungszeitraumes zur Sicherstellung künftiger Straffreiheit des Angeklagten.