JudikaturOLG Wien

31Bs104/25h – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
08. Mai 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schwab als Vorsitzende sowie die Richter Mag. Weber LL.M. und Mag. Spreitzer LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen Dr. A* B*wegen § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 erster Fall, Abs 4 zweiter Fall StGB über die Beschwerde der Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3. April 2025, GZ **-205, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390a Abs 2 StPO haftet die Antragstellerin auch für die durch ihr erfolgloses Begehren um Wiederaufnahme des Verfahrens verursachten Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Begründung:

Text

Dr. A* B* wurde mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27. Jänner 2023 des Verbrechens der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, Abs 3a Z 1 erster Fall, Abs 4 zweiter Fall StGB schuldig erkannt (ON 45.2). Das Urteil ist seit den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes vom 6. September 2023, AZ 14 Os 42/23t (ON 58.1), und des Oberlandesgerichtes Wien vom 7. Dezember 2023, AZ 23 Bs 297/23d (ON 64.5), rechtskräftig.

Nach dem Inhalt des Schuldspruches hat Dr. A* B* in ** vom Dezember 2017 bis zum 4. Feber 2022 gegen ihren am ** geborenen Sohn C* B*, sohin gegen eine unmündige Person, länger als ein Jahr fortgesetzt Gewalt ausgeübt, indem sie ihm wiederholt, und zwar vom Dezember 2017 bis zum Jahr 2019 ein Mal wöchentlich, ab dem Jahr 2019 zwei bis drei Mal wöchentlich, mit der flachen Hand und mit der Faust in das Gesicht schlug, ihn an den Haaren und Ohren zog, Gegenstände nach ihm warf, ihm Fußtritte gegen den Körper versetzte, ihn ein Mal gegen eine Wand stieß, sodass er sich den Kopf anschlug, und ihn zuletzt am 4. Feber 2022 zu Boden stieß, sich, als er am Rücken lag, auf dessen Oberkörper setzte und ihm Schläge gegen das Gesicht und Tritte gegen den Körper versetzte sowie ihm mit einem Gefäß gegen den Kopf schlug (US 6 f), wodurch C* B* wiederholt Hämatome, Rötungen (US 5 f), eine Schwellung am Kopf und Kratzer erlitt.

Bereits am 11. Dezember 2023 hatte die Verurteilte die Wiederaufnahme des Strafverfahrens im Wesentlichen wegen eines behaupteten Versagens der Verteidigung im Erkenntnisverfahren und wegen Befangenheit der Vorsitzenden beantragt (ON 63.1). Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 12. Jänner 2024 (ON 82) abgewiesen; eine Beschwerde dagegen blieb erfolglos (Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 15. März 2024, AZ 31 Bs 26/24m, ON 104).

Mit Eingabe vom 4. September 2024 (ON 142) beantragte die Verurteilte neuerlich die Wiederaufnahme des Verfahrens unter Vorlage eines psychologischen Privatgutachtens der Sachverständigen Dr. Mag. D* sowie einer „psychiatrischen Akten-Fachbegutachtung“ des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. E*. Inhaltlich wurde (zusammengefasst) eine „Indoktrinierung“ des Opfers durch den Kindesvater behauptet; aus den beiden genannten Privatgutachten würden insgesamt objektive Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung des Opfers folgen, weshalb die Voraussetzungen für die Einholung eines psychologischen Sachverständigengutachtens erfüllt gewesen seien.

Auch diesen Antrag wies das Erstgericht mit Beschluss vom 26. September 2024 ab (ON 156; bestätigt mit Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 28. November 2024, AZ 31 Bs 248/24h, ON 166.3).

Mit Eingabe vom 17. März 2025 (ON 195) beantragte die Verurteilte abermals die Wiederaufnahme des Strafverfahrens zusammengefasst mit der Begründung, sechs einzeln angeführte neue Zeugen hätten das Opfer im inkriminierten Zeitraum Dezember 2017 bis 4. Feber 2021 regelmäßig gesehen und keine Verletzungen wahrgenommen, was fünf der geltend gemachten neuen Zeugen (ON 195.2, 2) sowie eine weitere Person in jeweils beigelegten „eidesstattlichen Erklärungen“ (ON 195.7 bis ON 195.17) auch so darlegten. Gleichzeitig legte sie drei Privatgutachten vor (wobei zwei davon bereits davor aktenkundig waren). Schließlich beantragte die Verurteilte auch den Ausspruch der Hemmung des Strafvollzuges (ON 195.2, 13). Nach Erstattung einer ablehnenden Stellungnahme durch die Staatsanwaltschaft (ON 200) beantragte die Verurteilte in einem ergänzenden Schriftsatz die Einvernahme vier weiterer Zeugen, nämlich Handballtrainer des Opfers, die dieses über längere Zeiträume teilweise oder vollständig entkleidet gesehen hätten (ON 201, 2 f).

Mit dem angefochtenen Beschluss wies ein Drei Richter Senat des Landesgerichtes für Strafsachen Wien den nunmehr dritten Antrag auf Wiederaufnahme im Wesentlichen mit der Begründung ab, dass die genannten Zeugen zwar als „neu“ zu qualifizieren seien, jedoch nicht geeignet seien, eine andere Lösung in der Beweisfrage herbeizuführen. Schon die in der Hauptverhandlung vernommenen langjährigen Freunde der Familie hätten keine Wahrnehmungen zu körperlichen Übergriffen gehabt, womit sich das Erstgericht eingehend auseinandergesetzt habe. Im Übrigen habe keineswegs jeder der körperlichen Angriffe überhaupt zu Verletzungen geführt. Auch im nunmehr neu vorgelegten psychologischen Privatgutachten der Sachverständigen Dr. D* vom 8. April 2024 zur Fragestellung ihrer eigenen Persönlichkeit und Erziehungsfähigkeit (ON 195.6) würden keine relevanten Kriterien angesprochen.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde der Verurteilten (ON 207).

Rechtliche Beurteilung

Zunächst ist festzuhalten, dass die Wiederaufnahmewerberin keinen der in § 353 StPO angeführten Fälle ausdrücklich bezeichnet, sich inhaltlich jedoch auf § 353 Z 2 StPO bezieht. Nach jener Gesetzesstelle kann der rechtskräftig Verurteilte die Wiederaufnahme des Strafverfahrens selbst nach vollzogener Strafe unter anderem dann verlangen, wenn er neue Tatsachen oder Beweismittel beibringt, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen geeignet erscheinen, seine Freisprechung oder die Verurteilung wegen einer unter ein milderes Strafgesetz fallenden Handlung zu begründen.

Tatsachen im Sinne von § 353 Z 2 StPO bezeichnen strafbarkeitsrelevante reale Umstände. Keine Tatsachen hingegen sind Wertungen, Spekulationen oder Erwägungen zur Beweiswürdigung des Richters ( Lewisch in Fuchs/Ratz, WK StPO § 353 Rz 34 und 39).

Wie die Wiederaufnahmswerberin zutreffend vorbringt, nimmt die Rechtsprechung die Prüfung der Eignung zur Erschütterung der Beweisgrundlagen im Sinne der Relevanzprüfung von Beweisanträgen in der Hauptverhandlung vor. Einem Wiederaufnahmeantrag ist dann stattzugeben, wenn es sich nicht ausschließen lässt, dass man auf Grundlage der neu beigebrachten Tatsachen/Beweise zu einer anderen Beurteilung der Beweisfrage gelangt ( Lewisch aaO § 353 Rz 62). Allerdings nimmt die Rechtsprechung für sich ein gewisses Mindestmaß an Beweiswürdigung in Anspruch, das es den Wiederaufnahmegerichten erlaubt, sehr wohl eine Wertung vorzunehmen, denn sonst müsste bei jeder Beibringung von neuen Tatsachen oder Beweismitteln, welche die, wenn auch noch so entfernte, Möglichkeit in sich schließen, dass ihre Berücksichtigung im Fall der Wiederaufnahme zu einem anderen als dem bisherigen Ergebnis führen könnte, dem Wiederaufnahmeantrag stattgegeben werden ( Lewisch aaO § 353 Rz 67).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist zu den sechs im Wiederaufnahmsantrag genannten Zeugen F*, (richtig:) G*, H*, I*, J* und K* (ON 195.2, 2) auszuführen, dass alle Zeugen lediglich zum Beweis dafür vorgebracht werden, dass diese keine Verletzungen, wie vom Erstgericht beschrieben, wahrnehmen konnten (so die ersten fünf genannten Zeugen in den erwähnten eidesstattlichen Erklärungen ON 195.7 bis ON 195.11 und ON 195.13 bis ON 195.17). Dem Erstgericht ist zuzustimmen, dass keiner der zahlreichen in der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, die teilweise langjährigen Kontakt mit dem Opfer hatten, Wahrnehmungen zu Verletzungen des Opfers hatte, obwohl diese Zeugen vom Erstgericht ausdrücklich zu dem Thema befragt worden waren (BS 6 f mwN). Im angefochtenen Urteil ging auch der Schöffensenat davon aus, dass keiner der von ihm vernommenen Zeugen unmittelbare sinnliche Wahrnehmungen zu den festgestellten körperlichen Übergriffen der Angeklagten hatte, und sah dies im Einklang mit den Angaben des Opfers, welches selbst angab: „Ich glaube, manchmal haben es Leute mitbekommen. Aber sonst eigentlich fast nie“ (ON 45.2, 14; ON 14 S 16). Dass diese Zeugen trotz der Häufigkeit der Gewalthandlungen auch keine Verletzungen beim Opfer wahrnahmen, konnte vor dem Schöffensenat auch keine Bedenken erwecken, zumal keineswegs jeder der körperlichen Angriffe auf das Opfer überhaupt zu Verletzungen führte, sondern nur manchmal (ON 45.2, 15). Selbst wenn man vom Zutreffen der Annahme ausginge, dass alle sechs geltend gemachten Zeugen trotz oftmaligen Kontaktes mit dem Opfer keinerlei derartige Wahrnehmungen hatten, würde dies somit an den Entscheidungsgrundlagen nichts ändern. Auch im Zusammenhalt mit den beiden bereits bislang vorliegenden Privatgutachten (ON 195.3 f und ON 195.5 = ON 142.4 f), die keine Neuigkeit darstellen, ist die beantragte Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens (wie in ON 195.2, 12 beantragt) daher nicht indiziert. Hinzu kommt, dass ein solcher Antrag bereits in der Hauptverhandlung gestellt worden war (ON 28, 15 iVm ON 27.1, 15) und dieser Antrag vom Schöffengericht abgewiesen wurde (ON 45.1, 37). Die dagegen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde wurde vom Obersten Gerichtshof in Bezug auf § 281 Abs 1 Z 4 StPO zurückgewiesen, da nicht dargelegt wurde, dass auch der unmündige Zeuge die erforderliche Zustimmung zur Begutachtung erteilt habe oder erteilen würde und es sich zudem um einen im Hauptverfahren unzulässigen Erkundungsbeweis handle (ON 58.1, 2 bis 4).

Die darüber hinaus in der Stellungnahme des Verteidigers zur Äußerung der Staatsanwaltschaft (ON 201) ergänzend beantragten vier weiteren Zeugen (L*, M*. N*, O*. N* und P*) sind nicht Gegenstand dieses Wiederaufnahmeverfahrens. Denn das Thema eines solchen Verfahrens wird durch den Antrag des Wiederaufnahmswerbers determiniert, weshalb etwa auch eine amtswegige Wiederaufnahme im Gesetz nicht vorgesehen ist (siehe § 354 StPO). Nur die vom Antragsteller im Antrag beigebrachten neuen Tatsachen oder Beweismittel sind Gegenstand der Entscheidungskompetenz des über die Wiederaufnahme entscheidenden Gerichtes. Wenn in einem ergänzenden Schriftsatz nunmehr weitere angeblich entlastende Aussagen von behaupteten weiteren Zeugen vorgebracht werden, so überschreitet dies den durch den Antrag abgesteckten Gegenstand dieses Verfahrens.

All dem zuwider behauptet die Beschwerde (unter alleinigem Bezug auf einen Aufsatz des Verteidigers in RZ 2005, 58), dass aussagepsychologische Gutachten auch aufgrund des Akteninhaltes ohne neuerliche Exploration des vermeintlichen Opfers erstattet werden könnten. Eine Mitwirkung des Zeugen sei nicht erforderlich und erhöhe bloß die Qualität und Aussagekraft eines Gutachtens. Dazu ist die Beschwerde auf die genannten Ausführungen des Obersten Gerichtshofes zu verweisen, wonach eine Hilfestellung durch einen Sachverständigen nur ausnahmsweise in Betracht kommt und ein solcher Ausnahmefall in concreto nicht dargelegt sei. Mit dem pauschalen Vorwurf, das Erstgericht habe eine vorgreifende Beweiswürdigung vorgenommen, werden im Übrigen die oben genannten Erwägungen übergangen.

Schließlich ist auch das neu vorgelegte (weitere) Gutachten der psychologischen Sachverständigen Dr. D* vom 8. April 2024 (ON 195.6) nicht geeignet, zu einer anderen Lösung zu kommen, da dessen Gegenstand (die Persönlichkeit und Erziehungsfähigkeit der Verurteilten) keinen Bezug zur hier zu lösenden Frage hat.

Da die Beschwerde hinsichtlich der Wiederaufnahmeentscheidung somit nicht erfolgreich war, kommt nunmehr auch ein Ausspruch der Hemmung des Strafvollzuges schon deswegen nicht mehr in Betracht ( Lewisch aaO § 357 Rz 32).

Gegen diese Entscheidung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.