23Bs112/25a – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Aichinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Staribacher und den Richter Mag. Trebuch LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach § 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 12. Juli 2024, GZ **-93, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 12. Juli 2024 auf Widerruf des Strafaufschubs abgewiesen.
Text
Begründung:
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20. November 2023 (ON 40.2) wurde A* wegen des Vergehens des schweren Diebstahls nach § 127, 128 Abs 1 Z 5 StGB und der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.
Nach Einholung eines psychotherapeutischen Gutachtens (ON 48.2) wurde ihm mit Beschluss vom 20. Dezember 2023 (ON 51) gemäß § 39 Abs 1 SMG ab 4. Jänner 2024 ein Strafaufschub „bis 4. Jänner 2026“ (vgl. indes Schwaighofer in WK 2SMG § 39 Rz 27; ON 44.1) gewährt, um sich der notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahme (§ 11 Abs 2 SMG) und zwar
- einer stationären Behandlung von sechs Monaten mit wöchentlichen Einzelpsychotherapiesitzungen, Gruppentherapien und regelmäßigen psychiatrisch-medizinischen Kontakten als auch begleitenden Harnkontrollen und
- daran anschließend einer 18-monatigen ambulanten Therapiephase mit wöchentlichen Einzelpsychotherapiegesprächen mit begleitenden Harnkontrollen, sowie mit regelmäßiger sozialarbeiterischer Unterstützung zur Findung einer geregelten Tagesstruktur, einer geregelten Wohnmöglichkeit und einer Reintegration ins Berufsleben
zu unterziehen.
Mit dem angefochtenen Beschluss (ON 93) wurde der Strafaufschub mit der wesentlichen Begründung widerrufen, dass der Verurteilte sich in den letzten sechs Monaten der gerichtlich angeordneten stationären Behandlung nur insgesamt drei Wochen lang unterzogen und diese - trotz bereits zuvor erfolgter förmlicher Mahnung und ausdrücklicher Belehrung über die Folgen eines Weisungsbruchs – nunmehr bereits zum zweiten Mal abgebrochen und damit seine Therapieunwilligkeit und/oder Therapieunfähigkeit nachdrücklich dokumentiert habe.
Dagegen richtet sich die – nach Zustellung des Beschlusses erst am 4. April 2025 (ON 115, wobei er nur 1,5 Stunden nach Hinterlegung eines Verständigungszettels den Beschluss von der PI ** abholte) - rechtzeitige Beschwerde des A* (ON 116).
Das Erstgericht legte im bekämpften Beschluss die für den Widerruf eines gemäß § 39 Abs 1 SMG gewährten Strafaufschubs maßgebliche Norm (§ 39 Abs 4 Z 1 SMG) zutreffend dar, weshalb zur Vermeidung von Wiederholungen darauf verwiesen wird.
Rechtliche Beurteilung
Voraussetzung für den Widerruf ist die Therapieunwilligkeit, die sich nach außen hin durch konsequente Verweigerung des Antritts der Therapie oder einen dauerhaften Abbruch der gesundheitsbezogenen Maßnahme zeigen muss ( Schwaighoferin WK² SMG § 39 Rz 40; Matzka/Zeder/Rüdisser, SMG 3 § 39 Rz 34). Zudem muss für einen Widerruf der Vollzug der Freiheitsstrafe geboten erscheinen, um den Verurteilten von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten. Dabei sind die gebotenen spezialpräventiven Erwägungen einzelfallbezogen vorzunehmen ( Schwaighofer aaO Rz 46). Vereinzelt bleibende oder vorübergehende Fälle neuerlichen Suchtgiftmissbrauchs durch den Verurteilten können nicht als Therapieabbruch und somit nicht als Begründung für den Widerruf des Strafaufschubs gewertet werden, zumal derartige Rückfälle als Symptome der Sucht und nicht notwendigerweise als Wiederaufnahme einer kriminellen Lebensführung zu werten sind ( Matzka/Zeder/Rüdisser , aaO Rz 36).
Nach dem erwähnten Gutachten (ON 48.2 S 19) liegen bei A* „psychische und Verhaltensstörungen durch Opioide, Abhängigkeitssyndrom, gegenwärtig Teilnahme an einem ärztlich überwachten Ersatzdrogenprogramm, kontrollierte Abhängigkeit (ICD-10: F 11.22) sowie psychische und Verhaltensstörungen durch Kokain, Abhängigkeitssyndrom, gegenwärtig abstinent, aber in beschützender Umgebung (ICD-10: F 14.21)“ vor. Zum Befundungszeitpunkt waren für die Sachverständige noch ausreichende Reflexions- und Introspektionsfähigkeit sowie eine glaubwürdige Motivation feststellbar. Auch konnte von ihr die Prognose für eine Weisung zu einer stationären Therapie - wenn auch mit großen Hürden verbunden - noch als positiv eingestuft werden und die Erfolgsaussichten für einen erfolgreichen Therapieabschluss im Rahmen der gesundheitsbezogenen Maßnahmen insgesamt als möglich, wenn auch verbunden mit einigen Anstrengungen eingeschätzt werden.
A* befand sich vom 4. bis 11. Jänner 2024 im B* (im Folgenden B*) zur stationären Therapie, wurde dann jedoch „aufgrund von gesundheitlichen Gründen“ entlassen; dabei wurde vereinbart, dass er sich nach seiner Genesung melden könne, um wieder ins stationäre Behandlungsprogramm aufgenommen zu werden (ON 60 S 1). Die Sozialarbeiterin Frau C* (D*) gab dem Erstrichter gegenüber telefonisch bekannt, dass A* sozialarbeiterisch von ihr betreut werde, der Abbruch wegen einer akuten Entzündung im Bein erfolgt sei und die Therapie laut B* erst nach Ausheilung fortgesetzt werden könne (ON 59).
Frau C* übermittelte zunächst Krankenmeldungen für den Zeitraum 21. Jänner 2024 bis 20. Februar 2024 (ON 58 S 2, ON 63 S 2) und schließlich den Ärztlichen Befundbericht des Gesundheitszentrums E* vom 8. Mai 2024 (ON 76.2), demzufolge bei A* nach einer Phlegmone im Frühjahr 2023 eine Spalthautdeckung im Bereich des rechten Unterschenkels erfolgt ist (vgl. seine stationäre Aufnahme im F* im Zeitraum 9. März bis 5. April 2023 [ON 37.3; vgl. ON 5.1 S 2]). Der dem erwähnten Gutachten angeschlossenen Krankengeschichte der Justizanstalt ** (ON 48.3) ist zu entnehmen, dass er schon während seiner Inhaftierung mit einer offenen Wunde am rechten Unterschenkel bei Zustand nach einer Hauttransplantation nach Blutvergiftung zu kämpfen hatte (insbesondere S 4 und S 6 f).
Damit kann von einem (mutwilligen) Abbruch der Therapie erstmals im Jänner 2024 aber keine Rede sein.
A* meldete sich bereits am 19. Jänner 2024 telefonisch in der Vorbetreuungsstelle des B*, zeigte Interesse an einer erneuten stationären Aufnahme, wurde zu regelmäßigen psychosozialen Gesprächsterminen zugewiesen (ON 72) und war jedenfalls bis Mai 2024 krankgemeldet (ON 79). Laut erwähntem Ärztlichen Befundbericht erfolgte ab Jänner 2024 2-3x pro Woche ein Verbandwechsel im D* ** und zeigte sich die Wundsituation Anfang Mai 2024 deutlich gebessert, sodass eine Wiederaufnahme im B* zur Durchführung der geplanten Behandlung befürwortet wurde (ON 76.2 S 2).
Bis Juni 2024 befand er sich laufend in Vorbetreuung des B* (ON 81). Nach seiner Aufnahme am 25. Juni 2024 musste er – was in der Beschwerde geflissentlich übergangen wird – jedoch bereits am 9. Juli 2024 vom Therapieprogramm entlassen werden, und zwar wegen Konsums verbotener Substanzen auf dem Gelände der Einrichtung und Nichteinhaltung der Hausregeln (ON 86; siehe auch ON 93).
Zum Zeitpunkt der Beschlussfassung, nämlich nur drei Tage nach dem nun erstmaligen Abbruch der Therapie lagen - dem Verständnis des Erstrichters zuwider – keine Anhaltspunkte für einen dauerhaften Abbruch der gesundheitsbezogenen Maßnahme vor. A* hatte seine Therapiewilligkeit durch Beginn der stationären Therapie zunächst im Jänner 2024 gezeigt; für deren Beendigung nach nur einer Woche waren allein die aktenkundigen gesundheitlichen Probleme die Ursache. In der Folge befand er sich bis zu seiner neuerlichen Aufnahme am 25. Juni 2024 in Vorbetreuung beim B*. Die im angefochtenen Beschluss erwähnte schriftliche Mahnung wurde – laut Verfahrensautomation Justiz - am 7. Mai 2024 als nicht behoben retourniert; damals war er im D* **, das wohnungslosen erwachsenen Männern eine Unterkunft und Betreuung bietet, gemeldet.
Nicht zu übersehen ist jedoch die Tatsache, dass von A* seit Juli 2024 keine Therapiebestätigungen vorgelegt wurden und auch der Beschwerde keine Anhaltspunkte für eine Therapiefortsetzung zu entnehmen sind. A* hat nach eigener Bekundung bloß „2x mit der Anstalt gesprochen“, dabei (soweit leserlich) jedoch keinen Therapieplatz bekommen.
Nach dem Therapieabbruch war er zunächst obdachlos (vgl. auch ON 98.2; ON 103). Ab 16. September 2024 war er im Obdach ** (laut Internetauftritt mit medizinischer Versorgung durch E* Gesundheitszeitrum), seit 11. März 2025 ist er im sozialbetreuten Wohnheim des vom G* geführten „H*“ wohnhaft (ON 111.3). Laut Internetauftritt gibt das H* obdach- und wohnungslosen Männern die Möglichkeit, in einer stabilen Wohnsituation, nämlich mit Küche, Bad und Wohn-/Schlafraum ausgestatteten Kleinwohnungen, ein selbstbestimmtes und möglichst selbstständiges Leben zu führen. Das Angebot richtet sich an Personen, die aufgrund gesundheitlicher oder psychischer Probleme nicht mehr eigenständig leben können. Ziel ist es, ihre Fähigkeiten für selbstständiges Wohnen zu erhalten und sie auf ein mögliches Leben außerhalb der stationären Einrichtung vorzubereiten.
Die letzte der seiner Verurteilung zugrunde liegenden Taten wurde im Dezember 2022 begangen. Der Verfahrensautomation Justiz zufolge ist A* aber auch seit seiner Enthaftung am 4. Jänner 2024 strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten.
Nach dem Beschwerdevorbringen war er im Obdach ** jeden Tag anwesend und hat er es geschafft, „keinerlei Beikonsum zu haben“ bzw. - mit Hilfe seiner Ärztin vom E* - sein früheres Leben hinter sich zu lassen. Er habe mit der Szene nichts mehr zu tun, sei nun ein nicht mehr gesunder älterer Mensch, von dem „keinerlei Gefahr für irgendjemand oder irgendwas“ ausgehe. Damit unterliegt er offenbar dem Irrglauben, dass in seinem Fall der alleinige Fokus auf den Konsum gerichtet war. Tatsächlich bedurfte es - mit Blick auf die im oberwähnten Gutachten auf Seiten 9 und 11f dargestellte Suchtgift“karriere“ - jedoch im Hinblick auf die Gesamtproblematik auch einer psychotherapeutischen Therapie, um die notwendige Stabilisierung, den Aufbau einer Lebens- und Tagesstruktur, das Erarbeiten von Teilzielen, den Ressourcenaufbau, das Aufarbeiten der Vergangenheit und die Rückfallprophylaxe zu erzielen (vgl. ON 48.2 S 14) und nicht bei der ersten Gelegenheit wieder rückfällig zu werden.
Unter Berücksichtigung, dass A* seit seiner Entlassung über einen Zeitraum von immerhin fünfzehn Monaten nicht mehr zur Anzeige gebracht wurde, mit sozialarbeiterischer Unterstützung endlich geordnete Wohnverhältnisse aufweist, sich seine sozialen Verhältnisse damit wesentlich gebessert haben (vgl. ON 48.2 S 17), er beim AMS gemeldet (vgl. ON 116 S 7 bzw. ON 66 S 3 ff) und eine Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess noch möglich ist (vgl. ON 48.2 S 18), er – derzeit nicht widerlegbaren eigenen Angaben zufolge – keinen Beikonsum pflegt, dieser Behauptung auch der mit der Beschwerde vorgelegte Befundbericht vom 2. April 2025 (ON 116 S 8) nicht entgegensteht und die Motivation für ein drogenfreies Leben noch glaubwürdig ist, ist es derzeit jedoch aus spezialpräventiver Hinsicht noch nicht geboten, den gewährten Strafaufschub zu widerrufen.
Es wird jedoch ausschließlich an A* liegen, seine Therapiewilligkeit – allenfalls mit sozialarbeiterischer Unterstützung - unter Beweis zu stellen, und unverzüglich eine stationäre Therapie, sollte eine Aufnahme nicht zeitnahe möglich sein, zumindest eine ambulante Therapie mit begleitenden Harnkontrollen (wieder) aufzunehmen und dem Erstgericht unaufgefordert einen entsprechenden Nachweis zu erbringen.
Auch sei er darauf hingewiesen,dass eine nachträgliche bedingte Strafnachsicht gemäß § 40 Abs 1 SMG nach Ablauf des Strafaufschubs nur dann in Frage kommt, wenn er sich mit Erfolg der ihm aufgetragenen gesundheitsbezogenen Maßnahmen unterzogen hat.