10Rs1/25b – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Mag. Atria als Vorsitzenden, die Richter Mag. Schmoliner und Mag. Marchel sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Natascha Baumann (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Franz Schnaitt (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, geboren am **, **, vertreten durch Mag. Franz Eckl, Rechtsanwalt in Zwettl, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt , Vienna Twin Towers, Wienerbergstraße 11, 1100 Wien, vertreten durch Mag. Ines Pawloy, ebendort, wegen Versehrtenrente, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Krems an der Donau als Arbeits und Sozialgericht vom 13.9.2024, ** 15, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Berufung selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Am 28.6.2022 rutschte der Kläger in Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit beim Abladen von Gras von einem Pkw-Anhänger auf der Ladefläche aus. Er konnte sich noch mit der linken Hand an der Stirnwand des Anhängers festhalten, bemerkte aber einen plötzlich auftretenden Schmerz im Bereich der linken Schulter. Seine Hausärztin wies ihn mit der Indikation „Seit Dezember 2021 chronische Omarthralgie mit Bewegungseinschränkung linker Oberarm. Kommt nicht über 45 Grad Aduktion. Tendinitis calcarea im Röntgen wurde ausgeschlossen…“ einer MRT-Untersuchung zu, die am 30.8.2022 durchgeführt wurde. Als der Kläger daraufhin am 7.9.2022 das B* aufsuchte, wurden dort in der Ambulanzkarte das Bestehen von Schmerzen in der linken Schulter seit Dezember 2021, das oben beschriebene Ereignis vom 28.6.2022 und der Umstand, dass es dadurch im Rahmen einer Arbeitstätigkeit zu einer Distorsion der linken Schulter gekommen sei, festgehalten.
Der Kläger leidet ua an deutlichen Einschränkungen des Bewegungsumfangs des linken Schultergelenks, einer deutlichen Kraftminderung links, einer Verschmächtigung der linken Schultermuskulatur sowie der linken Ober- und Unterarmmuskulatur. Alle diese Veränderungen – inklusive der in der Krankengeschichte des Klägers festgehaltenen Diagnosen: deutliches Ödem der Sehne des Untergrätenmuskels am Ansatzbereich mit kurzstreckiger länglicher Einrisszone in der Sehne, kleiner Einriss der Sehne des Unterschulterblattmuskels mit Ausdünnung der Sehne, eine zwar intakte, aber teilverrenkte und aufgefaserte Bizepssehne – sind degenerativer Natur und bestanden schon vor dem Ereignis vom 28.6.2022. Die dadurch ausgelösten Beschwerden hätten zu einer annähernd gleichen Zeit und im annähernd selben Ausmaß auch durch ein alltäglich vorkommendes Ereignis – etwa durch das Anheben einer Mineralwasserkiste – bewirkt werden können.
Mit Bescheid vom 16.10.2023 lehnte die Beklagte die Anerkennung des Ereignisses vom 28.6.2022 als Arbeitsunfall und die Gewährung von daraus resultierenden Leistungen ab.
Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger, das Ereignis vom 28.6.2022 als Arbeitsunfall anzuerkennen und ihm eine Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu zahlen. Die Beschwerden an der linken Schulter, die er schon vor diesem Ereignis gehabt habe, seien untergeordneter Natur gewesen. Erst der Vorfall vom 28.6.2022 habe die diagnostizierten Verletzungen und Gesundheitsstörungen verursacht; degenerative Veränderungen oder altersbedingte Abnützungen seien nicht die wesentliche Bedingung dafür gewesen.
Die Beklagte wandte ein, die Folgen des Ereignisses vom 28.6.2022 unterstünden nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Gesundheitsstörungen an der linken Schulter des Klägers seien auf vorbestehende, degenerative Veränderungen zurückzuführen und hätten ebenso aufgrund eines alltäglichen Ereignisses zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd gleichem Ausmaß eintreten können.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Über den eingangs zusammengefasst wiedergegebenen Sachverhalt hinaus traf es die auf den Urteilsseiten 3 ff ersichtlichen Feststellungen, auf die verwiesen wird. In rechtlicher Hinsicht erachtete es die vorbestehenden degenerativen Veränderungen als wesentliche Bedingung für die Gesundheitsstörungen des Klägers; diese seien daher nicht Folgen des Ereignisses vom 28.6.2022 im unfallversicherungsrechtlichen Sinn, weshalb kein Anspruch auf Versehrtenrente bestehe.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung des Urteils im Sinne einer Klagsstattgabe. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1. Der Kläger moniert im Wesentlichen, dass das Erstgericht die Rechtsprechung missachtet habe, wonach der Versicherte nach dem Schutzzweck des Unfallversicherungsrechts in jenem Zustand geschützt sei, in dem er sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses befunden habe; altersbedingte, natürliche Abnutzungen seien – im Gegensatz zu darüber hinausgehenden degenerativen Vorschädigungen – daher nicht in die Abwägung verschiedener Ursachen zur Beurteilung der Wesentlichkeit eines Unfallereignisses einzubeziehen. Zur Abgrenzung zwischen altersgemäßen und darüber hinausgehenden degenerativen Veränderungen fehlten aber Feststellungen, die ergeben hätten, dass die Abnützungen des Klägers an der linken Schulter nur altersbedingt seien und das Ereignis vom 28.6.2022 daher keine bloße Gelegenheitsursache sei.
2. Diesen Ausführungen ist zu entgegnen:
2.1 Die Leistungen der Unfallversicherung beziehen sich auf Personenschäden, die durch das versicherte Ereignis verursacht wurden. In Anlehnung an die Adäquanztheorie werden in der Unfallversicherung insoweit besondere Anforderungen an den ursächlichen Zusammenhang gestellt, als eine wesentliche Mitwirkung gefordert wird. Nach der „ Theorie der wesentlichen Bedingung“ ist nicht jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele, ursächlich, sondern nur diejenige, die im Verhältnis zu anderen nach der Auffassung des praktischen Lebens wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (RS0084290; Tarmann-Prentner in Sonntag, ASVG 15 § 175 Rz 5).
Nach Bejahung des Kausalzusammenhangs zwischen der Erwerbstätigkeit und dem Unfall sowie des „inneren" (finalen) Zusammenhangs muss die aus dem geschützten Lebensbereich stammende, in einem inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit stehende Ursache „wesentliche Bedingung" (wesentlich mitwirkende Ursache) für den Eintritt des Körperschadens sein (RS0084290 [T10]; RS0084318 [T14]; RS0084308 [T14]).
Als wesentlich wird eine Bedingung insbesondere dann angesehen, wenn ohne ihre Mitwirkung der Erfolg nur zu einem erheblich anderen Zeitpunkt oder nur in einem geringeren Umfang eingetreten wäre, nicht aber dann, wenn die Schädigung durch ein alltäglich vorkommendes Ereignis zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd demselben Ausmaß hätte ausgelöst werden können (RS0084308 [T15]; RS0084290 [T11]).
Beim Zusammentreffen eines Unfalltraumas mit einer vorbestehenden krankhaften Veranlagung gilt dementsprechend, dass eine krankhafte Veranlagung die alleinige oder überragende Ursache darstellt, wenn sie so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte (RS0084318).
Ein äußeres Ereignis im Maß einer alltäglichen Belastung ist bei einem mitwirkenden Vorschaden immer nur eine sogenannte Gelegenheitsursache, begründet also keinen Arbeitsunfall (RS0084318 [T9]). Wenn der Gesundheitsschaden auch ohne den Arbeitsunfall mit hinreichender Wahrscheinlichkeit allein infolge der Schadensanlage zu annähernd gleicher Zeit und in annähernd demselben Ausmaß tatsächlich eingetreten wäre oder durch eine „alltägliche Belastung" ausgelöst hätte werden können, wird der Körperschaden nicht der Unfallversicherung zugerechnet (RS0084318 [T13]).
Alltäglich sind die Belastungen, die altersentsprechend üblicherweise mit gewisser Regelmäßigkeit im Leben auftreten, wenn auch nicht jeden Tag, wie etwa normales oder auch beschleunigtes Gehen, unter Umständen auch kurzes schnelles Laufen, Treppen steigen, Bücken, leichtes bis mittelschweres Heben oder ähnliche Kraftanstrengungen (RS0084318 [T4, T5]).
2.2 Mit diesen Rechtsgrundsätzen sind die vorliegenden Verfahrensergebnisse in Einklang zu bringen. Die festgestellten Gesundheitsstörungen sind degenerativer Natur, bestanden bereits vor dem Ereignis vom 28.6.2022 und hätten zu annähernd gleicher Zeit auch durch eine alltägliche Belastung ausgelöst werden können. Zudem steht in diesem Zusammenhang unbekämpft fest, dass der Kläger bereits seit Dezember 2021 an Schmerzen und einer Bewegungseinschränkung im linken Schulterbereich leidet. Auch wenn der Vorfall vom 28.6.2022 in dieser Körperregion (zusätzliche) Beschwerden verursacht hat, war er nur eine „Gelegenheitsursache“ und nicht wesentliche Bedingung für den Eintritt der Gesundheitsstörungen, die folglich nicht dem Schutz der Unfallversicherung unterliegen.
2.3 Die vom Kläger ins Treffen geführten Entscheidungen 10 ObS 45/04x und 10 Rs 77/06a des OLG Wien betonen den nach wie vor aufrechten Grundsatz, dass der Versicherte nach dem Schutzzweck des Unfallversicherungsrechts in dem Zustand geschützt ist, in dem er sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses befunden hat. Altersbedingte natürliche Abnützungserscheinungen, die für den Schaden mitverantwortlich sind, schließen den Zurechnungszusammenhang daher nicht von vornherein aus. Der OGH hat in der Folge aber bereits mehrfach klargestellt, dass es dann, wenn – wie hier – aufgrund degenerativer Veränderungen die Unfallfolge auch bei jedem anderen alltäglich vorkommenden Ereignis hätte eintreten können, am erforderlichen Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen fehlt, ohne dass es dabei noch auf das Alter des Versicherten und die damit verbundene Frage der altersgemäßen Abnützung ankäme (vgl 10 ObS 164/09d mwN). Ein anlagebedingt schon durch alltäglich vorkommende Ereignisse leicht auslösbares Leiden – wie jenes des Klägers – ist unabhängig davon, ob es sich um altersbedingte oder darüber hinausgehende Anlageschäden handelt, nicht vom Unfallversicherungsschutz umfasst (RS0119182 [T3]). Die vom Kläger in diesem Zusammenhang gerügten sekundären Feststellungsmängel liegen daher nicht vor.
3. Damit war der Berufung ein Erfolg zu versagen; das Erstgericht hat das Leistungsbegehren zu Recht abgewiesen. Da gemäß § 82 Abs 5 ASGG ein auf einen Arbeitsunfall gestütztes Leistungsbegehren ohnedies das Eventualbegehren auf Feststellung einschließt, dass die geltend gemachte Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalls ist, eine auf einen Arbeitsunfall zurückgehende Gesundheitsstörung hier aber nicht festgestellt werden kann, war es nicht notwendig, das auch auf „Anerkennung“ des „Ereignis[es] vom 28.6.2022 als Arbeitsunfall“ gerichtete Klagebegehren ausdrücklich abzuweisen (vgl Neumayr in Neumayr/Reissner , ZellKomm 3§ 82 ASGG Rz 12).
Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG werden in der Berufung nicht vorgebracht und sind dem Akteninhalt nicht zu entnehmen.
Die Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache richtet sich nach den Besonderheiten des Einzelfalls (vgl 10 ObS 17/05f; 10 ObS 164/09d), weshalb die ordentliche Revision nicht zuzulassen war.