JudikaturOLG Wien

7Rs106/24w – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
30. Januar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichtes Dr. Glawischnig als Vorsitzende, die Richter Mag. Zechmeister und Dr. Nowak sowie die fachkundigen Laienrichterinnen DI Beate Ebersdorfer und MinR Mag. Angela Weilguny in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, wegen Heimopferrente, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22.04.2024, **-12, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 06.03.2024 stellte die Beklagte fest, dass die Voraussetzungen für eine Heimopferrente nicht vorlägen. Die Zuerkennung einer Heimopferrente sei daher abzulehnen.

Die Klägerin begehrte die Gewährung einer Heimopferrente ab dem gesetzlichen Stichtag im gesetzlichen Ausmaß und brachte vor, sie habe von 1971 bis 1984 im Halbinternat im B* in ** gelebt. Sie habe dort die Volksschule, Hauptschule und Berufsschule absolviert. Sie sei dort jeden Tag von 8:00 Uhr bis 17:30 Uhr untergebracht gewesen. Während dieser Zeit sei sie sowohl der Gewalt der Lehrer:innen als auch der Erzieher:innen ausgesetzt gewesen.

Die Beklagtewendete ein, bei Besuch eines Halbinternats liege eine Unterbringung im Sinne des § 1 Abs 1 HOG nicht vor.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Es stellte fest:

„Die Klägerin gibt an, von 1971 bis 1984 im Halbinternat im B* in der **, die Volksschule, Hauptschule und Berufsschule absolviert zu haben. Sie sei dort im Halbinternat untergebracht gewesen. Dies bedeute, dass sie jeden Tag von 08.00 Uhr bis 17.30 Uhr im Heim untergebracht gewesen sei.“

In rechtlicher Hinsicht folgerte das Erstgericht, die Klage sei abzuweisen, weil die Klägerin nicht in einer der in § 1 HOG genannten Institutionen untergebracht gewesen sei, sondern im Halbinternat die Schule in einer genannten Einrichtung besucht habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahingehend abzuändern, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde, in eventu , das Urteil aufzuheben.

Die Beklagte beteiligte sich nicht am Berufungsverfahren.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1. In ihrer ausschließlich erhobenen Rechtsrüge führt die Berufungswerberin unter Hinweis auf den Gesetzestext und die Gesetzesmaterialien aus, dass auch ein Halbinternat eine „vergleichbare Einrichtung“ darstelle; überdies sei auch eine längerdauernde Unterbringung in Fremdpflege, der sich die Berufungswerberin nicht ent- ziehen habe können, vorgelegen.

1.1.§ 1 Abs 1 HOG lautet: Personen, die eine Entschädigungsleistung wegen nach dem 9. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1999 erlittener Gewalt im Rahmen einer Unterbringung in Kinder- oder Jugendheimen, als Kinder oder Jugendliche in Kranken-, Psychiatrie- und Heilanstalten beziehungsweise in vergleichbaren Einrichtungen der Gebietskörperschaften oder Gemeindeverbände, in entsprechenden privaten Einrichtungen, sofern diese funktional für einen Jugendwohlfahrtsträger tätig wurden, in entsprechenden Einrichtungen der Kirchen oder in Pflegefamilien von einem Heim-, Jugendwohlfahrts-, Krankenhausträger oder Träger der vergleichbaren Einrichtung beziehungsweise den von diesen mit der Abwicklung der Entschädigung beauftragten Institutionen erhalten haben, haben ab dem Zeitpunkt und für die Dauer der Zuerkennung einer Eigenpension, spätestens aber mit Beginn des Monats, der auf die Erreichung des Regelpensionsalters [...] folgt, Anspruch auf eine monatliche Rentenleistung nach diesem Bundesgesetz.“

1.2.Nach den Materialien zum HOG wollte der Gesetzgeber die Versorgung von Personen, die im Zeitraum nach dem 09.05.1945 bis zum 31.12.1999 Opfer von Gewalt in Kinder- oder Jungendheimen des Bundes, der Länder und der Kirchen oder in Pflegefamilien geworden sind, ab Erreichung des Regelpensionsalters oder ab Bezug einer Eigenpension sichern (vgl IA 2155/A 25. GP, 7; AB 1645 BlgNR 25. GP, 1).

Mit der Novellierung BGBl I 49/2018 wurde der Kreis der anspruchsberechtigten Personen auf Missbrauchsopfer in Kinderheimen, die von privaten Trägern, Städten oder Gemeindeverbänden geführt wurden, und auf Opfer systematischer Misshandlungen in Kranken- und Heilanstalten rückwirkend ergänzt (AB 229 BlgNR 26. GP, 1). Diesen Personen gebührt, sofern sie eine pauschalierte Entschädigung für die erlittene Gewalt erhalten haben oder, ohne Erhalt einer Entschädigung, wahrscheinlich machen, dass ihnen vorsätzlich Gewalt im Rahmen der Unterbringung zugefügt wurde, nach dem HOG eine – neben allfälligen sonstigen Pensionsansprüchen bestehende – monatliche Rente (vgl IA 2155/A 25. GP, 7; AB 1645 BlgNR 25. GP, 1). Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte durch diese Novellierung eine „Lücke“ rückwirkend geschlossen werden, um eine „Ungleichbehandlung“ zu vermeiden und auch diesen Personen eine monatliche Rentenleistung zu ermöglichen (216/A 26. GP 3 sowie AB 229 BlgNR 26. GP 3).

1.3. Intention des Gesetzes ist es, einen konkreten Schritt zu setzen und der betroffenen Personengruppe den Einkommensnachteil, der durch staatliches Wegsehen entstanden ist, in einem – wenngleich begrenzten – Ausmaß auszugleichen; dies über die oft erfolgten einmaligen Entschädigungs- bzw Anerkennungsleistungen hinaus in Form einer monatlichen Rentenleistung ( Madlena, Heimopferrentengesetz [HOG] in Reissner/Mair [Hrsg], Innsbrucker Jahrbuch zum Arbeitsrecht und Sozialrecht 2018, 215 [224]).

1.4.Der Gesetzgeber hat den Kreis der nach § 1 Abs 1 HOG anspruchsberechtigten Personen eng umschrieben. Er hat die Gewährung einer Heimopferrente als besondere Fürsorgeleistung und spezifische Reaktion auf ein Unrecht geschaffen, das typischerweise und in besonderer Intensität sogenannten „Heimkindern“ bzw „Pflegekindern“ widerfahren ist. Er stellt daher auf kindliche und jugendliche Opfer von Gewalt ab, die solcher Gewalt im Rahmen einer regelmäßig länger dauernden Unterbringung in Fremdpflege, der sie sich nicht entziehen konnten, ausgesetzt waren. Er stellt diese nicht allen anderen Opfern von Gewalt gleich. Da der Gewährung einer Fürsorgeleistung wie der Heimopferrente keine Gegenleistung des Anspruchsberechtigten gegenübersteht und keine sonstige Verpflichtung des Staats zugrunde liegt, hat der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs durch die dargestellte enge Umschreibung des Kreises der anspruchsberechtigten Personen nicht den ihm zustehenden weiten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum verletzt (VfGH G 189/2018; G 226/2018).

1.5. Im Fall eines Schülers, der die Schule einer iSd § 1 HOG einschlägigen Einrichtung besuchte, dort aber nicht übernachtete, sondern diese Einrichtung als Ganztagsschule/Halbinternat wochentags zwischen ca 8:00 Uhr bis ca 16:00 Uhr/16:30 Uhr besuchte und während seiner Schulzeit physische und psychische Gewalt und auch sexuellen Missbrauch erleiden musste, judizierte der OGH, dass das Tatbestandselement „im Rahmen einer Unterbringung“ nicht erfüllt ist, weil es in diesem Fall schon räumlich an einer „regelmäßig länger dauernden Unterbringung in Fremdpflege“ fehlt (10 ObS 121/21y).

2. Die Berufung zeigt keine Argumente auf, warum von dieser Rechtsprechung abzugehen wäre:

2.1. Das Erstgericht beurteilte die Frage, was unter der Wendung „im Rahmen einer Unterbringung“ zu verstehen ist, im Sinne der oben wiedergegebenen Judikatur: Der Besuch eines Halbinternats erfolgt demnach nicht „im Rahmen einer Unterbringung“.

Zur Frage der Auslegung dieser Formulierung beschränkt sich die Berufung darauf, die Unrichtigkeit der Rechtsansicht des Erstgerichts und des zitierten höchstgerichtlichen Judikats zu behaupten.

2.2.Die nach Ansicht der Berufungswerberin anzunehmenden Tatbestandsmerkmale einer Unterbringung im Sinne des § 1 Abs 1 HOG (siehe die Aufzählung auf Seiten 7 f der Berufung) folgen weder aus dem Gesetz noch aus den Gesetzesmaterialien noch aus der Judikatur des OGH und auch nicht aus jener des VfGH.

2.3. Die häusliche Gewalt, die die Berufungswerberin nach ihrem Vorbringen – das nicht in Zweifel gezogen wird – erdulden musste, ist kein Kriterium für die Zuerkennung einer Heimopferrente (vgl zu Gewalterfahrungen durch die Adoptivmutter 10 ObS 22/24v).

2.4. Auch im vorliegenden Fall fehlt es schon räumlich an einer regelmäßig länger dauernden Unterbringung in Fremdpflege, weil die Berufungswerberin die Schule halbintern besuchte.

2.5.Das von der Berufungswerberin ins Treffen geführte Urteil zu ** des ASG Wien erwuchs unbekämpft in Rechtskraft und wurde vor der einschlägigen Entscheidung 10 ObS 121/21y gefällt.

3. Der Berufung war damit ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens gründet sich auf § 6 HOG, § 77 ASGG. Die Voraussetzungen für einen Kostenzuspruch an die im Berufungsverfahren unterlegene Klägerin nach Billigkeit (§ 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG) liegen nicht vor.

Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO abhing.