JudikaturOLG Wien

19Bs236/24f – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
25. November 2024

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Baumgartner als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Wilder und Mag. Körber als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A* wegen § 206 Abs 1 über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 4. November 2024, GZ 13 Hv 41/23a-119, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der österreichische Staatsbürger A* wurde mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 29. August 2023, rechtskräftig seit 2. September 2023, GZ 13 Hv 41/23a-37.5, des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe zwei Jahren verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs 3 StGB die Vollziehung eines sechzehnmonatigen Strafteils unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Die Aufforderung zum Strafantritt wurde ihm am 19. September 2023 durch eigenhändige Übernahme zugestellt (RS in den Zustellnachweisen im E-Akt).

Mit Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 24. November 2023, AZ 19 Bs 321/23d (ON 56.3), wurde in Stattgebung seiner Beschwerde die Freiheitsstrafe gemäß § 31a Abs 1 StGB dahingehend gemildert, dass die verhängte Freiheitsstrafe auf dreiundzwanzig Monate herabgesetzt wurde, wovon gemäß § 43a Abs 3 StGB ein fünfzehnmonatiger Strafteil für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde (ON 56.3).

Mit in dieser Strafsache gefassten Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 2. Jänner 2024 wurde dem Verurteilten ein Strafaufschub gemäß § 6 Abs 1 Z 2 lit a StVG bis längstens 1. August 2024 gewährt (ON 64.1).

Mit Schriftsatz vom 3. Juli 2024 (ON 70) beantragte der Verurteilte einen neuerlichen Strafaufschub nach § 5 StVG für zumindest ein halbes Jahr, da er unter starken psychischen Beschwerden, nämlich einer krankheitswerten Anpassungsstörung mit Angst und Depression leide.

Nach Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen Dipl. Ing. Dr. B* vom 22. August 2024 (ON 101), eines internen Gutachtens des Sachverständigen Prim. Dr. C*, Facharzt für Lungenkrankheiten und Innere Medizin, vom 21. Oktober 2024 (ON 111) sowie einer Bestätigung der Krankenabteilung der Justizanstalt Wien-Simmering, wonach in dieser Anstalt Diabeteskost für den Verurteilten ebenso zur Verfügung stehe, wie ein Sensor zur Blutzuckermessung, dessen Verwendung den auf der Krankenabteilung arbeitenden Justizwachebeamten bekannt sei (ON 118), wies das Erstgericht mit dem bekämpften Beschluss den Antrag auf Gewährung eines Strafaufschubs nach § 5 Abs 1 StVG unter Hinweis auf die jeweils Haftfähigkeit attestierenden vorgenannten Gutachten sowie die Stellungnahme der Krankenabteilung der Justizanstalt Wien-Simmering ab.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diesen Beschluss fristgerecht erhobene Beschwerde (ON 121) ist nicht im Recht.

Vollzugstauglichkeit liegt nach § 5 StVG vor, wenn ein dem Wesen der Freiheitsstrafe (§ 20 StVG) entsprechender Strafvollzug an einem Strafgefangenen - gegebenenfalls trotz Krankheit, Verletzung, körperlicher oder geistiger Schwächezustände - durchführbar ist, somit der Vollzug der Freiheitsstrafe durch Abschließung von der Außenwelt, Beschränkung der Lebensführung und erzieherische Beeinflussung den Verurteilten zu einem rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepassten Lebenseinstellung verhelfen und ihn abhalten kann, schädlichen Neigungen nachzugehen sowie ihm den Unwert des der Verurteilung zugrundeliegenden Verhaltens aufzuzeigen vermag. Kernpunkt des § 20 Abs 2 StVG ist der Auftrag zur erzieherischen Beeinflussung der Strafgefangenen im Sinne der Vollzugszwecke. Dies hindert nicht, bei einzelnen Insassen oder Insassengruppen auch therapeutische Interventionen vorzunehmen,; der Kernauftrag des Strafvollzugs ist aber kein therapeutischer, sondern ein erzieherischer ( Drexler/Weger, StVG 5 § 20 Rz 12). Dem Wesen des Strafvollzugs kann somit nur dann nicht entsprochen werden, wenn es aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, dem im § 20 Abs 1 und 2 StVG umschriebenen Auftrag nachzukommen ( Drexler/Weger , aaO § 5 Rz 4). Ist die Durchführbarkeit eines dem Wesen der Freiheitsstrafe entsprechenden Strafvollzugs wegen Krankheit, Verletzung, Invalidität oder sonstigen körperlichen oder geistigen Schwächezustands in der zuständigen Anstalt nicht gegeben, ist jedoch zunächst zu prüfen, ob sie nicht durch eine Strafvollzugsortsänderung, wie etwa die Anordnung der Zuständigkeit einer für die Behandlung von psychischen Erkrankungen Sonderkrankenanstalt oder in einer Justizanstalt, die über eine passende (Sonder-)Krankenabteilung oder behindertengerechte Haft- räume verfügt, hergestellt werden kann ( Drexler/Weger aaO § 5 Rz 5).

Der Sachverständige Dipl. Ing. Dr. B* attestiert dem Beschwerdeführer ein neurologisch unauffälliges Zustandsbild (ON 101,21f), in psychopathologischer Hinsicht einen weitgehend unauffälligen Zustandsbefund. Es bestehe vor dem Hintergrund einer narzisstischen Persönlichkeitsakzentuierung eine Anpassungsstörung von geringem Krankheitswert, welche in erster Linie durch die Entrüstung über das Urteil und das starre Beharren auf der subjektiven Meinung ausgelöst worden sei und aufrecht erhalten werde, unschuldig verurteilt worden zu sein, (ON 101,23). Beim Verurteilten sei die narzisstische Persönlichkeitsakzentuierung als individuelle Disposition anzusehen, die Verurteilung zu einer unbedingten Haftstrafe als externe Belastungskomponente (ON 101,25). Der gegenüber dem Sachverständigen zum Ausdruck gebrachte Entschluss, im Fall eines erzwungenen Haftantritts in den Hungerstreik treten zu wollen, sei nicht als Ausdruck einer schweren psychischen Störung anzusehen und stelle keine Aggravierung einer Erkrankung dar (ON 101,26). Eine Behandlung von Schlafstörungen und Gedankenkreisen könne in österreichischen Gefängnissen problemlos durchgeführt werden. Aus psychiatrischer Sicht bestehe daher kein Hinweis auf eine Haftunfähigkeit (ON 101,26). Insoweit der Beschwerdeführer auf die Notwendigkeit seiner psychotherapeutischen Behandlung verweist, ist ihm entgegen zu halten, dass eine solche auch in Strafvollzugsanstalten möglich ist, falls notwendig, auch durch Ausführungen zu dem von ihm namhaft gemachten Psychotherapeuten D*. Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat der neurologisch-psychiatrische Sachverständige die psychotherapeutische Behandlung bei D* sehr wohl in seiner Befundaufnahme mitberücksichtigt (ON 101,3f) und ist diese somit auch in sein Kalkül miteingeflossen.

Nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. C* leidet der Verurteilte an einer insulinpflichtigen Zuckererkrankung, die mit modernen Therapien und Kontrollen durch einen Sensor behandelt wird. Es komme zwar zu Unterzuckerungen, die der Beschwerdeführer jedoch selbst kontrollieren und behandeln könne. Aus interner Sicht gebe es keinen Hinweis darauf, dass ein dem Wesen der Freiheitsstrafe entsprechender Strafvollzug nicht möglich wäre, weil der Verurteilte allenfalls auftretende lebensbedrohende Zustände ebenso wie durch Stressbelastung auftretende Blutzuckerschwankungen selbst erkennen, den Nachweis durch einen Zuckersensor erbringen und die entsprechende Glukosezufuhr rechtzeitig vornehmen könne. Ein Strafvollzug sei unter der Prämisse, dass in der in Betracht kommenden Strafvollzugsanstalt die Möglichkeit bestehen müsse, eine Diabetesdiät zur Verfügung zu stellen, bei der die für den Beschwerdeführer notwendigen Weißbroteinheiten berücksichtigt werden können, möglich.

Da sich aus der Mitteilung der Justizanstalt WienSimmering vom 30. Oktober 2024 sowohl die Verfügbarkeit von Diabeteskost als auch die Kenntnis der Justizwachebeamten hinsichtlich des Sensors zur Blutzuckermessung ergibt, ist von einer Haftuntauglichkeit iSd § 5 Abs 1 StVG nicht auszugehen.

Das Erstgericht wird den Leiter der Justizanstalt Wien Simmering auch von der in Anspruch genommenen Psychotherapie des Verurteilten in Kenntnis zu setzen haben, damit dieser notwendigenfalls auch entsprechende Voraussetzungen in dieser Richtung schaffen kann.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.